Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet, besteht seit Juli 2022 aufgrund der Aktualisierung der European Safety Regulation (VO EU 2019/2144) die Vorgabe, dass bei neu zugelassenen Fahrzeugtypen innerhalb der EU eine ereignisbezogene Datenspeicherung bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen vorgesehen sein muss, welche bestimmten Mindestanforderungen für eine Erfassung, Speicherung und Zugänglichkeit von Ereignisdaten einhält. Ab dem Juli 2024 kommt diesen EU-Vorgaben eine besondere Bedeutung zu, da sich die Vorschriften ab diesem Zeitpunkt auf alle neu zugelassenen Kraftfahrzeuge erstrecken. Bei Unfallereignissen, die mit einem ausreichend schweren Anstoß oder dem Auslösen bestimmter Rückhalte- bzw. Fußgängerschutzsysteme verbunden sind, bestehen aufgrund der frei auslesbaren Daten aus dem EU-Ereignisspeicher neue Möglichkeiten der Unfallrekonstruktion.
Grundlagen des EU-Ereignisspeichers
In der Vergangenheit gab es lediglich in den USA für dort zugelassene Fahrzeuge konkrete Vorgaben des Gesetzgebers, welche Daten bei einer bestimmten Schwere des Unfallereignisses im Airbag-Speichergerät zu hinterlegen bzw. auch allen anderen Beteiligten zugänglich zu machen sind (vgl. hierzu Dietrich/Nugel zfs 1997, 664). Diese Vorgaben haben zu einem sogenannten Event Data Recorder (EDR) geführt, der auch in der Praxis zur Unfallanalyse herangezogen werden kann. Nach einem langjährigen Prozess gibt es jetzt auch innerhalb der EU eine entsprechende gesetzliche Regelung, die zur Speicherung von 41 verpflichtende Datenelemente führt und eine Aufklärung von Verkehrsunfallereignissen ermöglichen kann.
1. Betroffene Fahrzeuge und Zeitrahmen
Die Neufassung der Europäischen General Safety Regulation bietet die gesetzliche Grundlage für die bestimmte Verpflichtungen, welche insbesondere für die Fahrzeugklasse der für die Personenbeförderung gebaute Kfz mit höchstens 8 Sitzplätzen gelten (sogenannte Fahrzeugkategorie M1). Diesselben Vorgaben gelten auch für die sog. Fahrzeugklasse N 1 mit für die Güterbeförderung vorgesehenen Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 3,5 Tonnen. Die damit verbundenen Vorgaben gelten für neu zugelassene Fahrzeugtypen in der EU bereits seit dem Juli 2022. Darüber hinaus wird jetzt der Ereignisspeicher ab dem Juli 2024 für alle Neufahrzeuge dieser Fahrzeugklassen verpflichtend und ohne die Beachtung dieser Vorgaben darf keine Zulassung erfolgen.
2. Zweck der gesetzlichen Vorgaben
Ziel der Verordnung ist es, kritische unfallbezogene Parameter und damit verbundene Informationen kurz vor, während und unmittelbar nach einem entsprechenden Unfallereignis aufzuzeichnen, um zum einen zur Unfallaufklärung beizutragen und zum anderen die Unfallforschung zu fördern. Dabei dürfen die Erkenntnisse aus der Aufklärung des Unfallhergangs aus dem EU-Ereignisspeicher schon nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers für die rechtliche Aufarbeitung des Unfallgeschehens verwendet werden. Dies schließt auch die rechtliche Bewertung einer möglichen Produkthaftung gegenüber dem Fahrzeughersteller ein, wenn dessen Assistenzsystem entgegen gesetzlicher Vorgaben und dem Stand der Technik versagt haben sollten.
3. Grundlagen für das Auflösen und Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft
Zu diesen Zwecken wird ein Ereignis im Airbagspeichergerät aufgezeichnet, wenn die Änderung der Längs- und/oder Quergeschwindigkeit des Fahrzeuges mehr als 8 km/h innerhalb eines äußerst kurzen zeitlichen Intervalls beträgt. Kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderungen von mehr als 8 km/h bilden also die Grundlage für eine Datenspeicherung, mit der das Unfallgeschehen dann rekonstruiert werden kann. Gleiches gilt, wenn ein nicht reversibles Insassenrückhaltesystem aufgrund eines Unfallereignisses aktiviert wird oder aber das sogenannte sekundäre Sicherheitssystem für ungeschützte Verkehrsteilnehmer (insbesondere zum Schutz bei Fußgängerkollisionen) aktiviert wird. Im Übrigen steht es dem Hersteller frei, über diese gesetzliche Vorgabe hinaus weitere Auslösekriterien einzurichten oder die Auslösekriterien geringer anzusetzen.
Hinweis aus der Praxis:
Dem Verfasser ist beispielsweise aus der Aufklärung eines Unfallereignisses im Anwendungsbereich des EDR zu Fahrzeugen des Herstellers Toyota bekannt, dass bei dem ausgelesenen Kfz schon geringfügige kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderungen im Bereich von 2 km/h bis 3 km/h zum Anlass genommen werden, damit eine Speicherung im Airbag-Speichersystem zu entscheidenden Unfallparametern vorgenommen wird.
Der ordnungsgemäße Betriebszustand des Ereignisspeichers ist dabei durch den Hersteller sicherzustellen, damit derartige Daten im Falle eines Unfallereignisses in jedem Fall gewonnen und ausgewertet werden können. Insbesondere darf die ereignisbezogene Datenaufzeichnung nicht deaktiviert werden können. Zudem muss der Fahrzeughersteller diese Ereignisspeicherung gegen eine Manipulation schützen.
Umfang der Information im EU-Ereignisspeicher
Für die Praxis ist nun besonders wichtig, welche Erkenntnisse aus der umfangreichen Datenspeicherung im EU-Speicher im Falle eines solchen Unfalls gewonnen und wie diese dann für den Unfallrekonstruktion verwendet werden können. Die entscheidende Vorgabe bildet hierbei die UN-Regelung Nr. 160, die insbesondere die Datenelemente und das Format dieser Daten für eine Speicherung vorgibt. Zugleich enthält sie Vorgaben zur Aufzeichnung und Überschreibung dieser Daten sowie das Sperren bestimmter Datensätze.
Einen Überblick über die gespeicherten Daten bietet Anhang 4 der UN-Regelung Nr. 160. In diesem werden derzeit 41 verpflichtende Datenelemente angeführt. Hierzu gehören insbesondere sogenannte fahrdynamische Größenwerte für einen Zeitraum von bis zum 5 Sekunden vor der Kollision, aber auch das Auslösen von Rückhaltesystemen sowie die Feststellung der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung und Beschleunigung.
1. Besondere Bedeutung der Fahrdynamikdaten
Für die Unfallrekonstruktion sind dabei insbesondere die sogenannten Fahrdynamikdaten vor einer Kollision von entscheidender Bedeutung. Diese werden mit Werten von 0,5 Sekunden für eine Zeitspanne von bis zu 5 Sekunden vor dem Ereignis aufgezeichnet und beinhalten insbesondere die angezeigte Geschwindigkeit, die Betätigung der Bremse, die festgehaltene Motordrehzahl sowie der Lenkradwinkel. Zugleich liegen Informationen dazu vor, wie das Gaspedal betätigt und wie auch beispielsweise die Bremse eingesetzt wurde. So kann das konkrete Fahrverhalten entsprechend weiter überprüft und insbesondere festgestellt werden, ob ein Fahrzeugführer auf eine Bedrohungslage reagiert und insbesondere gebremst oder weiter beschleunigt hat. Gleiches gilt für die Erfassung des Lenkwinkels, um zu sehen, in welche Fahrtrichtung ein Fahrzeug gesteuert wurde und ob entsprechende Ausweichmanöver durchgeführt wurden (vgl. Kreuter/Nugel NJW 2023, 177 m.w.N.).
Hinweis aus der Praxis:
Mit Erfassung des Lenkwinkels unterscheidet sich die Vorgabe des EU-Ereignisspeichers von den gesetzlichen Vorschriften in den USA. Bei der dortigen Erfassung eines EDR ist ein solcher Lenkradwinkel nicht zwingend vorgeschrieben (wird aber von vielen Herstellern freiwillig mitgespeichert).
2. Bedeutung für die Praxis
Die Erfassung dieser Fahrdynamikdaten bildet eine wichtige Grundlage, um mit deutlich präziseren Informationen eine Unfallrekonstruktion vorzunehmen. Beispielsweise kann die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung jetzt deutlich genauer erfasst werden, als dies bei einer bloßen Auswertung der Schäden und dem Abstellen auf „Crash-Versuche“ bei einem herkömmlichen Sachverständigengutachten der Fall ist, die immer nur eine gewisse „Bandbreite“ beinhalten können.
Allerdings ist auch zu beachten, dass die durch das Auslesen gewonnenen Informationen und Daten nur eine erste Grundlage für eine umfassende Unfallrekonstruktion durch einen Gutachter bieten, der diese Daten genau interpretieren kann und auch ihre Nachteile kennt. Insbesondere die Speicherung lediglich in Abständen von 0,5 Sekunden kann auch dazu führen, dass ein falscher Eindruck entstehen kann: Reagiert beispielsweise ein Fahrzeugführer erst in 0,4 Sekunden vor der Kollision (da er vorher eine Bedrohungslage nicht sehen konnte), würde über die Aufzeichnung des EU-Ereignisspeichers gar keine Bremsung mehr erfasst werden.
Auch ist zu beachten, dass die im Tacho angezeigte Geschwindigkeit unter Berücksichtigung besonderer Umstände nicht mit der gefahrenen Geschwindigkeit übereinstimmen muss – beispielsweise wenn ein sogenannter Schlupf durch Glatteis oder eine Schleuderbewegung des Fahrzeuges dazu führen, dass die erfasste Geschwindigkeit deutlich von der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit abweicht. Insoweit bedarf es ggf. der Heranziehung eines Sachverständigen, um die gebotene Analyse im Detail durchführen zu können.
Rechtliche Grundlagen
Bei der Gewinnung und Verwertung dieser Daten ist allerdings auch da schon zu beachten, dass den Anforderungen der DS-GVO Rechnung getragen wird.
1. Anwendbarkeit der DS-GVO
Im Regelfall wird die Verarbeitung dieser Informationen mit einer Erfassung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO verbunden sein, wenn sich ein konkreter Fahrzeugführer bei einem solchen Unfallgeschehen ermitteln und als verantwortliche Person feststellen lässt oder dieser zumindest ermittelbar ist. Dann bedarf es aber einer Rechtfertigungsgrundlage nach Art. 6 Abs. 1 DS-GVO, damit eine Verarbeitung dieser Daten durch den jeweils Verantwortlichen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Nr. 7 DS-GVO erfolgen kann.
Bei dem Verantwortlichen kann es sich bereits um den Fahrzeughersteller bei einem sogenannten „Online-Fahrzeug“ handeln, wenn der Hersteller sich die Daten zu einem solchen Unfallgeschehen „over the air“ übertragen lässt. Verantwortlicher kann aber auch ein Sachverständiger sein, der im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder auch der Versicherungswirtschaft eine entsprechende Unfallrekonstruktion als eigenständiger datenschutzrechtlich Verantwortlicher vornimmt. Und selbstredend wird der Versicherer Verantwortlicher, welcher durch einen ausgewählten Gutachter die Daten auslesen und bewerten lässt. Denkbar ist aber auch, dass beispielsweise ein Gutachter die entsprechenden Daten, die frei zugänglich sind, bei der Erstellung eines Schadensgutachtens im Auftrag des Geschädigten ausliest und diesem später (im Fall eines Prozesses, wenn es um die Unfallrekonstruktion geht) zur Verfügung stellt. Auch dieser Sachverständige ist als eigenständig Verantwortlicher im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DS-GVO anzusehen.
2. Rechtfertigungsgrundlagen
Erfüllt der Verantwortliche einen Vertrag und damit eigene rechtliche Verpflichtungen, wird im Regelfall schon die Rechtfertigungsgrundlage des Art. 6 Abs. 1b DS-GVO zu beachten sein, die nach überzeugender Ansicht auch die die Verarbeitung gegenüber Dritten rechtfertigt (im Überblick: Nugel VRR 3/2017, 4 ff.). Insoweit darf die Verarbeitung dieser Daten aber nur unter Berücksichtigung der Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit erfolgen. Dies gilt beispielsweise für einen Kasko-Versicherer, der einen entsprechenden Sachverständigen beauftragt, zum Zwecke der Unfallrekonstruktion Daten aus dem Fahrzeug des eigenen Versicherungsnehmers auszulesen, der wiederum als datenschutzrechtlich Betroffener anzusehen ist.
Soweit es um das Verhältnis des Geschädigten als datenschutzrechtlich Betroffenen und Fahrzeugführer auf der einen Seite und der Kraftfahrthaftpflichtversicherung des Unfallgegners auf der anderen Seite geht, kommen zwei andere Rechtfertigungsgrundlagen in Betracht: Zum einen kann der Betroffene selbst nach Art. 6 Abs. 1a) DS-GVO in die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten einwilligen, wobei er gemäß dem Transparenzgebot zumindest einen kurzen Überblick über die betroffenen Datensätze und deren Verwendung nebst einer Belehrung über das ihm zustehende Widerrufsrecht entsprechend den Anforderungen des Art. 7 DS-GVO erhalten muss.
Zum anderen kann eine solche Datenverarbeitung auch ohne eine Einwilligung im Rahmen einer Güterabwägung nach Art. 6 Abs. 1f) DS-GVO gerechtfertigt sein, wenn es um die Aufklärung eines Unfallgeschehens im Bereich der sogenannten „Öffentlichkeitssphäre“ geht. Bei einem solchen Fall der Aufklärung eines Unfallgeschehens durch das Auslesen der Daten des sogenannten Event Data Recorders bei einem Mietfahrzeug hat beispielsweise auch das Landgericht Bochum nach einer entsprechenden Güterabwägung eine solche Verarbeitung und die damit verbundene Verwertung im Prozess für gerechtfertigt erachtet (LG Bochum, Urt. v. 7.11.2016 – I 5 O 291/15, VRR 3/2017, 10 ff.).
3. Obliegenheiten im Versicherungsfall
Diese Daten aus dem EU-Ereignisspeicher werden mithin die Prüfung von Versicherungsfällen durch den Kraftfahrtversicherer prägen. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Versicherungsnehmer unter versicherungsvertraglichen Gesichtspunkten zur Mitwirkung an der Aufklärung eines Versicherungsfalls und damit auch dem Auslesen von Fahrzeugdaten selbst dann verpflichtet bleibt, wenn er sich dadurch selber Nachteile zufügen würde (BGH, Urt. v. 1.12.1999 – IV ZR 71 / 99 = r+s 2000, 9). Insoweit ist insbesondere die i.d.R. in Abschnitt E.1.13 AKB ausgeführte gelegte Obliegenheit zu erwähnen, wonach der Versicherungsnehmer alles tun muss, was zur Aufklärung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich ist. Hierzu gehört insbesondere die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, dem Versicherer Untersuchungen zu Umständen des Schadensereignisses zu ermöglichen, soweit dies dem Versicherungsnehmer zumutbar ist. Diese Obliegenheit erfasst grundsätzlich auch eine vom Versicherer geforderte Untersuchung des Fahrzeugs oder die Weisung, eine solche Untersuchung zum Zwecke des Datenauslesens zu gestatten (OLG Köln, Beschl. v. 8.7.2020 – 9 U 111/20 = zfs 2021, 28). So hat das OLG Köln in dem von ihm entschiedenen Fall überzeigend dargelegt, dass der VN bei einer solchen Weisung des Versicherers entweder verpflichtet ist, ein Auslesen der erbetenen Fahrzeugdaten zu gestatten oder aber die Daten durch Einschaltung eines eigenen Sachverständigen dem betroffenen Kasko-Versicherer in einem überprüfungsfähigen Format zur Verfügung zu stellen.