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Verfassungsmäßigkeit der „Bundesnotbremse“

Verfassungsmäßigkeit der „Bundesnotbremse“

Die im Frühjahr verhängten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (sog. Bundesnotbremse) waren verfassungsgemäß. Gleiches gilt für das vollständige oder teilweise Verbot von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz. Dies hat das BVerfG mit zwei Beschlüssen vom 19.11.2021 entschieden. Sowohl die Ausgangssperren und die Kontaktbeschränkungen als auch die Schulschließungen in der angespannten pandemischen Situation zwischen April und Juni 2021 hatten eine Welle von Verfassungsbeschwerden ausgelöst, die unzulässige Grundrechtseingriffe geltend machten. Nach Auffassung der Karlsruher Richter war der Bund jedoch formal berechtigt, die entsprechenden Restriktionen zu erlassen und hat sich auch an die verfassungsmäßigen Grenzen gehalten (BVerfG, Beschlüsse v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a.).

Das BVerfG gesteht den Verfassungsklägern allerdings zu, dass die Beschränkungen „in erheblicher Weise“ in verschiedene Grundrechte eingegriffen haben. So hätten die nächtlichen Ausgangssperren in das allgemeine Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG eingegriffen, die Kontaktsperren zusätzlich in das Familiengrundrecht und die Ehegestaltungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG. Hiergegen abzuwägen seien sowohl der Lebens- und Gesundheitsschutz als auch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Dies seien „überragend wichtige“ Gemeinschaftsgüter, so die Karlsruher Richter. Hinzu komme eine Schutzpflicht des Staates, die eine Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen umfasse. Bei der gebotenen Abwägung aller betroffenen Rechtsgüter sei kein Fehler des Gesetzgebers erkennbar. Vielmehr habe dieser geeignete Mittel ergriffen, um unmittelbar Leben und Gesundheit von Menschen vor den Gefahren einer COVID-19-Erkrankung zu schützen und außerdem eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Etwaige mildere Mittel, die gleich wirksam wie die angeordneten Beschränkungen gewesen wären, seien nicht erkennbar.

Gleiches gelte für das vollständige oder teilweise Verbot von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz (sog. Schulschließungen) auf der Grundlage der „Bundesnotbremse“. Auch hier habe der Gesetzgeber in der konkreten Pandemiesituation die Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung in Gestalt des Schutzes vor infektionsbedingten Gefahren von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems höher bewerten dürfen als die mit den Einschränkungen verbundenen Grundrechtseingriffe.

Besonders interessant an diesem Beschluss des 1. Senats ist, welche Grundrechte er als tangiert ansah. Im Grunde schufen die Richter mit dem den Schulkindern zugesprochenen „Recht auf schulische Bildung“ ein neues Grundrecht, so wie sie es in der Vergangenheit schon öfters getan haben, etwa im sog. Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 mit dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Das neue Grundrecht auf schulische Bildung leitet der Senat aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 7 Abs. 1 GG her. Den Schutzbereich dieses Rechts definieren die Richter wie folgt: „Es umfasst, soweit es nicht um die berufsbezogene Ausbildung geht, die Schulbildung als Ganze, also sowohl die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten wie auch Allgemeinbildung und schulische Erziehung. Es vermittelt den Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf Einhaltung eines für ihre chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten, enthält jedoch keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung von Schule. […] Das Recht auf schulische Bildung umfasst auch ein Recht auf gleichen Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten im Rahmen des vorhandenen Schulsystems. Es enthält darüber hinaus ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen, welche das aktuell eröffnete und auch wahrgenommene Bildungsangebot einer Schule einschränken, ohne das vorhandene Schulsystem selbst zu verändern.“

In dieses Recht habe das Verbot des Präsenzunterrichts zwar eingegriffen. Wegen der hohen Gefahren, die von dem „außer Kontrolle geratenen Infektionsgeschehen“ ausgegangen seien, und weil mit dem ersatzweise angebotenen „Distanzunterricht“ eine Ausweichmöglichkeit geschaffen worden sei, seien die Einschränkungen aber verhältnismäßig gewesen, so der Senat.

Von Seiten der Politik sind die Entscheidungen des BVerfG ganz überwiegend begrüßt worden. Sie gäben Sicherheit auch für die noch ausstehenden Maßnahmen bei der weiteren Pandemiebekämpfung, hieß es aus Berlin.

[Red.]

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