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Forderung nach Verlängerung des Rechtsstaatspakts

Forderung nach Verlängerung des Rechtsstaatspakts

Aus der Richterschaft und der Anwaltschaft sind Forderungen nach einer Verlängerung des vor rund zwei Jahren geschlossenen Rechtsstaatspakts laut geworden. Mit ihm ging es um die finanzielle Unterstützung der Länder bei der Schaffung von 2.000 neuen Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften.

So mahnt etwa der Deutsche Richterbund (DRB), dass der Anfang 2019 geschlossene Rechtsstaatspakt von Bund und Ländern zur Stärkung der Justiz Ende dieses Jahres nicht auslaufen dürfe. Es brauche eine Anschlussvereinbarung, die den Personalzuwachs verstetige und den Fokus zudem auf die Digitalisierung der Justiz lege. Bei der Netzinfrastruktur, der IT-Ausstattung, der elektronischen Gerichtsakte und bei Online-Verhandlungen bestehe Nachholbedarf, wie die Corona-Pandemie offengelegt habe. Der Modernisierungsstau sei in vielen Gerichten ähnlich lang wie der an den Schulen, wo der Bund die Länder finanziell ebenfalls stark unterstütze.

Zur Begründung seiner Forderung verweist der DRB darauf, dass sich zwar die Erfolgsmeldungen der Bundesländer über Neueinstellungen in der Justiz häufen, sie schlügen sich aber in den „Leistungsbilanzen“ der Gerichte und Staatsanwaltschaften noch nicht signifikant nieder. Denn die Aufgaben der Justiz seien zuletzt ebenso schnell gewachsen wie die Zahl der Juristen; unter dem Strich sei die Belastung vielerorts nahezu unverändert. Insbesondere Deutschlands Strafjustiz arbeite am Limit, wie die aktuellen Justizstatistiken deutlich zeigen. So dauerten Gerichtsverfahren vor den Strafgerichten in Deutschland immer länger. Die Bearbeitungszeit nehme insb. bei den Landgerichten seit Jahren zu. Die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Strafverfahren sei hier im Zehn-Jahres-Vergleich um fast zwei Monate auf einen neuen Höchstwert von acht Monaten gestiegen. Gerechnet ab Eingang bei der Staatsanwaltschaft liefen die erstinstanzlichen Verfahren beim Landgericht im Schnitt sogar mehr als 20 Monate, so lange wie noch nie. Die durchschnittliche Verfahrensdauer sei 2019 damit das sechste Jahr in Folge gestiegen.

Insbesondere die Staatsanwaltschaften, so der DRB, entwickelten sich zunehmend zum Nadelöhr bei der Strafverfolgung. Die Zahl der nach Ermessen eingestellten Verfahren habe im Zehn-Jahres-Vergleich erheblich zugenommen. Das betreffe die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft zwar einen hinreichenden Tatverdacht sehe, das Verfahren aber z.B. wegen Geringfügigkeit einstelle. Auch in der Corona-Pandemie sei die Staatsanwaltschaft besonders gefordert – neben den Verwaltungsgerichten, die in diesem Jahr bereits über tausende Eilanträge gegen Infektionsschutzmaßnahmen zu entscheiden gehabt hätten. Die Strafverfolgungsbehörden hätten seit Beginn der Corona-Krise sogar mehr als 20.000 Fälle wegen erschlichener Corona-Soforthilfen oder anderer Straftaten mit Pandemie-Bezug erreicht. Abzuwarten bleibe, inwieweit die ab November neu aufgelegten Hilfspakete die Fallzahlen 2021 noch weiter steigen lassen.

Nicht zuletzt hätten die Strafgerichte in der Vergangenheit immer wieder Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen müssen, weil Verfahren zu lange gedauert hätten. Mindestens 69 dieser Fälle hätten die Landesjustizverwaltungen für das Jahr 2019 gemeldet, nachdem es im Jahr zuvor 65 und in 2017 noch 51 Fälle waren. Insgesamt seien in den fünf Jahren von 2015 bis 2019 in Deutschland mehr als 250 Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil ihre Strafverfahren nicht schnell genug hätten vorangetrieben werden können.

Auch die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Edith Kindermann, stellte Mitte Februar fest, es sei „Zeit für einen neuen (Digital-)Pakt für den Rechtsstaat“. Sie geht noch weiter als die Richter und fordert eine Einbeziehung der Anwaltschaft in den Pakt: „Die Anwaltschaft ist nicht nur ein stabilisierender Faktor des deutschen Rechtssystems. Sie ist auch erster Anlaufpunkt für die Bürgerinnen und Bürger in Rechtsfragen aller Art. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind nah am Menschen. Daher ist es richtig, dass die Anwaltschaft in einen künftigen Pakt als Teil der Rechtspflege einbezogen wird. Wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben auch ein Interesse an einer personell gut ausgestatteten Justiz“, so Kindermann.

Es komme aber nicht allein auf die personelle Ausstattung an: Die Corona-Pandemie habe die Versäumnisse bei der Digitalisierung des Rechtsstaats offengelegt. Die Möglichkeit, Videoverhandlungen zu führen, sei trotz rechtlicher Grundlagen im Zivilprozessrecht (§ 128a ZPO) aufgrund mangelnder technischer Ausstattung vielerorts nicht oder nur eingeschränkt gegeben (s. Vierkötter, Einsatz von Videokonferenztechnik – Status quo ein Jahr nach „Corona“?, ZAP 6/2021, S. 263 f., in diesem Heft [Red.]). Eine zeitgemäße Justizausstattung sei im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, der Anwaltschaft und der Justiz. Nur so könne auch der flächendeckende Zugang zum Recht gesichert werden. Die notwendige Anschlussvereinbarung zum Pakt für den Rechtsstaat müsse daher zwingend eine entsprechend flexible Verwendung der Mittel ermöglichen.

[Quellen: DRB/DAV]

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