Beschlüsse der Frühjahrs-Justizministerkonferenz
Mitte Juni fand – coronabedingt erneut digital – die 92. Justizministerkonferenz statt. Unter dem Vorsitz Nordrhein-Westfalens diskutierten die Justiz-Ressortchefs aktuelle rechtliche Fragen und einigten sich auf Maßnahmen, die für die zukünftige Rechtsentwicklung von Bedeutung sein dürften. Die aus Sicht der Anwaltschaft wichtigsten ihrer Beschlüsse sind nachstehend kurz wiedergegeben.
- Justiz
- Fortsetzung des Rechtsstaatspakts: Der zwischen Bund und Länder 2019 geschlossene und eigentlich in diesem Jahr auslaufende Rechtsstaatspakt muss nach Vorstellung der Länderjustizminister unbedingt fortgesetzt werden. Zur Begründung weisen sie darauf hin, dass die Gesetzgebung des Bundes insb. im Bereich des Strafrechts in den kommenden Jahren erhebliche zusätzliche personelle Ressourcen der Länder beanspruchen wird. Zudem werde die Digitalisierung der Justiz als zentrales Zukunftsprojekt der Länder in den kommenden Jahren weitere Ressourcen erfordern. Aufgrund dieser Herausforderungen sehen die Justizminister auch den Bund in der Verantwortung, den Rechtsstaat und das Vertrauen in den Rechtsstaat weiter und noch nachhaltiger zu stärken.
- Zivilrecht/Zivilprozess
- Klärung von Grundsatzfragen in Massenverfahren: Die Justizminister sehen kritisch, dass die höchstrichterliche Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen mitunter erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Im Blick haben sie dabei insb. Massenklagen, bei denen die verklagte Prozesspartei ihre Verfahrenstaktik darauf ausrichtet, ein abschließendes Urteil mit Präzedenzwirkung zu vermeiden. Aus diesem Grund wollen sie i.R.d. Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie ein neues Vorlageverfahren zum BGH oder vergleichbare Maßnahmen prüfen, mit dem Ziel, dass die Instanzgerichte eine zügige höchstrichterliche Vorabentscheidung über grundsätzliche Rechtsfragen mit Bedeutung für eine Vielzahl von Einzelfällen herbeiführen könnten. Eine Arbeitsgruppe soll jetzt einen konkreten Vorschlag hierzu formulieren.
- Missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen: Mit breiter Mehrheit sprachen sich die Ressortchefs auch für eine weitere rasche Reform aus, um Scheinvaterschaften einzudämmen. Es geht ihnen dabei um Fälle, in denen eine Vaterschaft nur anerkannt wird, um einer ausländischen Frau mit einem bzw. mehreren Kindern ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Diese missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen sollten zwar eigentlich mit § 1597a BGB und § 85a Aufenthaltsgesetz unterbunden werden. In der Praxis würden diese Ziele aber nicht erreicht, weshalb hier dringender Änderungsbedarf bestehe.
- Gesellschaftsrecht
- Virtuelle Hauptversammlungen: Die Justizministerinnen und Justizminister sind der Auffassung, dass sich die während der Corona-Pandemie für Aktiengesellschaften geschaffene Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung grds. bewährt hat. Aus ihrer Sicht spricht nichts dagegen, sie auch in der Zeit nach dem 31.12.2021 als gleichberechtigte Alternative zu einer Präsenzversammlung zuzulassen und dies im Gesellschaftsrecht zu verankern. Das Bundesjustizministerium (BMJV) wurde gebeten, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag auszuarbeiten.
- Strafrecht/Strafprozessrecht
- Fälschung von Gesundheitszeugnissen: Die Justizministerinnen und Justizminister haben vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie auch die strafrechtlichen Gesichtspunkte der Herstellung und des Gebrauchs von gefälschten und unrichtigen Impfdokumentationen, Testzertifikaten und sonstigen Gesundheitszeugnissen erörtert. Sie sehen mit Sorge die Entwicklungen im Bereich der gewerbsmäßigen Fälschung entsprechender Bescheinigungen. Einig waren sie sich darin, dass die geltende Privilegierung der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (§ 277 Var. 2 u. 3 StGB) gegenüber der Fälschung anderer Urkunden (§ 267 StGB) durch einen weitaus geringeren Strafrahmen sowie durch das Fehlen einer Versuchsstrafbarkeit und Regelungen insb. für die gewerbs- und bandenmäßige Tatbegehung vor dem Hintergrund der von Fälschungen ausgehenden Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung sowie für die Funktionsfähigkeit der medizinischen Notfallversorgung nicht mehr zeitgemäß ist und einer Überprüfung bedarf. Das BMJV soll nun prüfen, ob die Regelungen der §§ 277–279 StGB auch unter Berücksichtigung der nebenstrafrechtlichen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes und des Schutzes digitaler Nachweise einer Reform bedürfen und ggf. einen Gesetzentwurf erarbeiten, der insb. eine sachgerechte Gleichstellung des § 277 Var. 2 u. 3 StGB mit der Urkundenfälschung nach § 267 StGB herbeiführt.
- Rachepornos und Deep-Fakes: Mit großer Besorgnis sehen die Länderjustizminister auch moderne Phänomene wie sog. Rachepornos und „Deep Fakes“. Dabei handelt es sich um Formen des Cybermobbings, bei denen – originale oder manipulierte – Nacktbilder bzw. -videos von Personen ins Internet gestellt werden, um sie bloßzustellen bzw. um sich an ihnen zu rächen. Die Minister sind der Auffassung, dass der momentane Strafrahmen des § 201a Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) dem besonderen Unrechtsgehalt dieser Taten wegen der – meist unwiderruflichen – Veröffentlichung im Internet und der häufig bei den Opfern verursachten weitreichenden und schwerwiegenden, insb. psychischen Folgen nicht ausreichend gerecht wird. Als Gegenmaßnahmen sollen jetzt verschärfte Strafen, eine erweiterte Verkehrsdatenspeicherung sowie auch eine erweiterte Löschpflicht für Plattformbetreiber geprüft werden.
- Beweismittelanträge: Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich mit den strafprozessualen Möglichkeiten der Ablehnung von Beweisanträgen befasst, die auf die Beschaffung und Verlesung im Ausland befindlicher Urkunden gerichtet sind. Gerade aus großen und aufwändigen Terrorismusverfahren ist bekannt, dass Verteidiger nicht selten Beweisanträge gestellt haben, mit denen ausländische Urkunden als Beweismittel herbeigeschafft und verlesen werden sollten. Hiermit würden, so die Beobachtung, oft aufwändige Auslandsermittlungen angestoßen, die den Prozess erheblich verzögern. Im Gegensatz zu Beweisanträgen zur Vernehmung von Auslandszeugen gebe es in diesen Konstellationen nämlich keine gesetzlich normierten Ablehnungsgründe. Die Minister sind deshalb der Auffassung, dass die bisher durch § 244 Abs. 3 S. 2 bis Abs. 5 StPO eröffneten Ablehnungsmöglichkeiten durch das Gericht insoweit den praktischen Erfordernissen nicht immer hinreichend gerecht werden.
- Kettenbewährungen: Zu dem schon seit mehreren Jahren auf der Tagesordnung der Justizministerkonferenzen stehenden Punkt der sog. Kettenbewährungen hat das Bundesjustizministerium vor wenigen Wochen einen aktuellen Bericht mit empirischen Erkenntnissen vorgelegt. Mit Kettenbewährungen wird der Umstand beschrieben, dass Strafgerichte mitunter erneut Bewährungsstrafen verhängen, obwohl der Täter zur Tatzeit bereits unter einer Bewährung steht. Zum Reformbedarf gab es bisher unter den Ministern noch keine Einigkeit, weil insb. statistisches Material zu diesem prozessualen Phänomen fehlte. Aufgrund des aktuellen BMJV-Berichts soll sich nun eine Arbeitsgruppe erneut mit dem Problem befassen.
[Quelle: JuMiKo]