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Wenn der Mandant plötzlich nah beim Anwalt wohnt…

Erst am Ende des Rechtsstreits mitteilen, dass der Mandant doch nicht im Gerichtsbezirk wohnte und deshalb ein auswärtiger Anwalt nötig war? Sehr unglücklich. Vor allem dann, wenn das Gericht den gewöhnlichen Wohnsitz nicht klar nachvollziehen kann. Allein eine postalische Anschrift zu haben bzw. unter einer Adresse amtlich gemeldet zu sein, genügt nämlich nicht, sagt das OLG Bamberg (Beschl. v. 23.01.2023, Az. 2 W 2/23).

 

Heute hier, morgen da – wo lebt der Mandant beim ersten Anwaltskontakt?

Wenn der Mandant selbst im Gerichtsbezirk wohnt, aber einen Anwalt außerhalb dieses Bezirks beauftragt, steht eine Notwendigkeitsprüfung an (§ 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO). Gerichte verlangen in solchen Fällen, dass der auswärtige Anwalt „zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung“ tatsächlich notwendig war.

Von berechtigten Ausnahmen abgesehen (z.B. Anwalt ist auf komplexe Rechtsmaterie spezialisiert; mehrere Verfahren bei verschiedenen Gerichten) beauftragen Rechtsuchende im Regelfall einen Anwalt in ihrem Wohnort bzw. eine nahe gelegene Kanzlei (BGH, Beschl. v. 16.10.02, Az. VIII ZB 30/02). Dass dies hier auch der Fall gewesen war, trug der Bevollmächtigte zwar vor. Dies allerdings reichlich spät, nämlich erst im Kostenfestsetzungsverfahren, als es um seine Vergütung ging.

 

Auswärtiger Anwalt macht hohe Reisekosten geltend

Die Wohnsituation glich ein wenig einem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel: Der Mandant (Kläger) wohnte im Gerichtsbezirk des LG Bamberg. Daher war in der Klageschrift an das LG und auch in späteren Schriftsätzen jener Wohnort des Klägers angegeben. Jedoch hatte der Kläger einen Anwalt 230 km entfernt in München mandatiert. Der Jurist machte daher Abwesenheitsgelder sowie Reise- und Übernachtungskosten geltend. Angesichts der fünf wahrgenommenen Gerichtstermine addierten sich für seine Fahrten Gesamtauslagen in Höhe von insgesamt 1.366,00 EUR. Das LG lehnte die Reisekosten ab und erklärte, dass sich aus den Prozessakten nicht ergebe, dass der Kläger in München wohne oder gewohnt habe. Der behauptete Wohnsitz sei durch eine Melderegisterauskunft nachzuweisen.

Daraufhin versicherte der Bevollmächtigte anwaltlich, dass er schon Monate vor der erhobenen Klage den Schriftverkehr mit dem Kläger über dessen Münchener Anschrift geführt hatte. Er legte dem Gericht einige geschwärzte Schreiben seiner Kanzlei sowie weitere an den Kläger gerichtete Schreiben einer Bank und einer Versicherung vor, in deren Adressfeld die Münchener Anschrift stand. Die Korrespondenz sollte belegen, dass auch andere Einrichtungen den Kläger unter dessen Münchener Adresse anschrieben und er offensichtlich dort wohnhaft war. Zufrieden gab sich das LG damit nicht und setzte die Reisekosten daher nur bis zur (fiktiven) höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks in Höhe von 394,50 EUR an.

Diese Kostenfestsetzung griff der Anwalt mit einer sofortigen Beschwerde zum OLG Bamberg an, die das Gericht allerdings zurückwies (Beschl. v. 23.01.2023, Az. 2 W 2/23).

 

Hinweis

War ein auswärtiger Anwalt nicht notwendig, hat dieser aber trotzdem Anspruch auf Reisekosten. Das hat der BGH bereits 2018 entschieden (Beschl. v. 09.05.2018, Az. I ZB 62/17). Allerdings kann der Anwalt Reisekosten dann nur in der Höhe verlangen, die einem Anwalt entstanden wären, der im Gerichtsbezirk ansässig ist. Dabei wird jedoch die höchstmögliche Entfernung zwischen dem Gericht und der Grenze des Gerichtsbezirks zugrunde gelegt. Anwälte und Kanzleimitarbeiter können diese maximalen Entfernungen und die sich hieraus ergebenden Kosten online auf www.gerichtsbezirke.de ermitteln.

 

Entscheidend ist der gewöhnliche, übliche Aufenthalt

Grundsätzlich muss ein Anwalt den Wohnsitz seines Mandanten nicht glaubhaft machen, wenn er sich klar aus den Prozessakten ergibt. Zweifel liegen aber auf der Hand, wenn über das gesamte Verfahren als Wohnsitz des Klägers ein Ort in den Akten steht und erst zum Abschluss des Verfahrens erklärt wird, der Kläger habe zu Beginn des Mandats in einer weiter entfernten Stadt gewohnt, wo auch die Anwaltskanzlei liege. Entscheidend ist, dass zum Zeitpunkt des Erstgesprächs bzw. der erstmaligen anwaltlichen Beratung der Mandant nicht im Bezirk des Prozessgerichts wohnt. Hier gab das OLG der Vorinstanz Recht: Ein Gericht darf dann durchaus weitere Mittel der Glaubhaftmachung verlangen, die über das hinausgehen, was „anwaltlich versichert“ wird.

Der vom Anwalt eingereichte, geschwärzte Schriftverkehr, der an die Münchener Adresse des Mandanten gerichtet war, genügte aber auch nicht. Allein das Vorhalten eines - ggf. auch amtlich gemeldeten - weiteren (Zweit-)Wohnsitzes außerhalb des Gerichtsbezirks rechtfertigt keinen auswärtigen Anwalt. Die vorgelegten Schreiben ließen es eher wahrscheinlich sein, dass die Anschrift des Klägers in München lediglich eine Postadresse, aber keine Wohnadresse war. Eine rein postalische Anschrift ohne gewöhnlichen oder zumindest regelmäßigen Aufenthalt genügt aber nicht. In solchen Fällen sind höhere Kosten für einen auswärtigen Anwalt nicht notwendig für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung.

 

Meldeauskunft kein zwingendes Beweismittel. Auch Mietvertrag oder Zeugen sind zulässig.

Das OLG hatte allerdings auch zu den Beweismitteln etwas zu sagen, wenn der gewöhnliche Wohnsitz einer Partei nachgewiesen werden soll. Das LG hätte bezüglich der Münchener Wohnung nicht ausschließlich auf eine meldeamtliche Auskunft bestehen dürfen. Alternativ hätten ebenso der Mietvertrag des Mandanten oder eine eidesstattliche Versicherung von Zeugen vorgelegt werden können, die den Aufenthalt des Klägers in München bestätigen. Wie immer kommt es auf einen schlüssigen Sachvortrag an. In Fällen, in denen ein Mandant abweichende Aufenthalte hat, sollte der Anwalt mit dem Mandanten den gewöhnlichen Wohnsitz klären und das Erstgespräch zeitlich und örtlich auch genau dokumentieren. Auch ist die Gebührenfrage zu erörtern, wenn Gründe vorliegen, aufgrund dessen die Kosten des auswärtigen Anwalts abgelehnt werden könnten.

 

Hinweis

Das OLG hat in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Anwalt keinerlei Angaben zu einem (ersten) Beratungsgespräch in seiner Kanzlei in München gemacht hat. Angesichts der bekannten Rechtslage hätte er zudem darauf achten müssen, frühzeitig das Gericht zu informieren, dass der Kläger zunächst in München nahe der Kanzlei wohnte. Es nährt geradezu Zweifel am Vortrag des Anwalts, wenn dieser erst zusammen mit seiner Vergütungsabrechnung eine neue Anschrift des Mandanten aus dem Hut zaubert. Dass das Gericht hier ein detaillierteres Beweisangebot verlangt, war für den Bevollmächtigten vorhersehbar.

Zudem gilt für Verfahren, in denen Prozesskostenhilfe (PKH) gewährt wird: Im PKH-Beschluss muss nicht zwingend hingewiesen werden, dass die Mehrkosten für einen auswärtigen Anwalt ausgeschlossen sind, da dies klar aus § 121 Abs. 3 ZPO hervorgeht. Der Anwalt hatte argumentiert, dass im gerichtlichen Beschluss hätte ausdrücklich stehen müssen, dass diese Mehrkosten nicht bezahlt werden. Das LAG München hat dies jedoch verneint (Beschl. v. 10.02.2022, Az. 6 Ta 244/21).

Sonderfälle in Sachen Reisekosten gibt es immer wieder: Eine interessante Entscheidung des AG Pinneberg (Beschl. v. 6.10.2022, Az. 86 C 38/21) finden Sie hier kommentiert.

Über den Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO bei der Abrechnung von Reisekosten informiert Sie dieser Beitrag detaillierter

 

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