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Auslagenerstattung für den auswärtigen Rechtsanwalt

Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers kommt nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist nur unter besonderen Voraussetzungen, die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall. (Leitsatz des Verfassers)

LG Oldenburg, Beschl. v. 13.7.20225 Qs 217/22

I. Sachverhalt

Das AG Vechta hat das Verfahren gegen den Betroffenen im Hauptverhandlungstermin am 22.2.2022 nach § 47 OWiG eingestellt und die Erstattung notwendiger Auslagen angeordnet. Im Hauptverhandlungstermin war der aus Torgau angereiste Verteidiger des Betroffenen, der zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides in Torgau gewohnt hat und nun in Leipzig wohnhaft ist, anwesend. Durch Beschluss des AG sind dann die notwendigen Auslagen und auch die USt nur teilweise zur Erstattung aus der Staatskasse festgesetzt worden. Die Erstattung von Reisekosten des Verteidigers des Betroffenen hat das AG abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte – weitgehend – Erfolg.

II. Entscheidung

Grundsätze für die Erstattung von Reisekosten u.a.

Hinsichtlich der Übernachtungskosten sowie der Festsetzung der Mehrwertsteuer weist das LG auf Folgendes hin: Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers komme gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei. Dies sei nur unter besonderen Voraussetzungen (vgl. insoweit Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 464a Rn 12 m.w.N.), die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall. Die Erstattungsfähigkeit sei danach zu bejahen, wenn bei einer schwierigen oder abgelegenen Rechtsmaterie ein Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen, die kein Rechtsanwalt vor Ort habe, erforderlich erscheine (u.a. OLG Bamberg JurBüro 1987, 558; OLG Düsseldorf NJW 1971, 1146; NStZ 1981, 451). Auch wenn der Angeklagte selber weit vom Gerichtsort entfernt wohne und er ansonsten zur Rücksprache mit seinem Verteidiger große Strecken fahren müsste, oder wenn der Angeklagte bei Beauftragung des Anwalts davon ausgehen konnte, dass das Verfahren am Kanzleiort des Rechtsanwalts geführt werde, seien die Auslagen wohl als notwendige anzusehen (OLG Celle StV 1986, 208; LG Flensburg JurBüro 1984, 1537). Einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Betroffenen/Angeklagten komme nur bei einem schweren Schuldvorwurf regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu (OLG Celle StV 1993, 135; OLG Köln NJW 1992, 586; OLG Naumburg StraFo 2009, 128). Es handele sich um eine Einzelfallentscheidung.

Würdigung der Umstände des Einzelfalls

Nach Würdigung aller Gesamtumstände ist das LG dann zu dem Ergebnis gekommen, dass die Hinzuziehung des Verteidigers für den vormals Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war: Der Betroffene sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids in 04860 Torgau und sei aktuell nunmehr in 04157 Leipzig wohnhaft. Der von ihm beauftragte Rechtsanwalt habe seinen Kanzleisitz in Torgau, was sich zunächst an seinem Wohnsitz und nunmehr in örtlicher Nähe zu seinem jetzigen Wohnsitz befindet. Überdies sei dem Betroffenen im vorliegenden Fall mit Bußgeldbescheid vom 16.12.2020 wegen eines Verstoßes gegen § 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 24 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 32 S. 1 IfSG sowie den §§ 28, 29, 30 Abs. 1 2 IfSG eine Geldbuße von 25.000,00 EUR — mithin eine sehr empfindsame finanzielle Belastung — auferlegt worden. Schließlich bestehe ausweislich des Vortrags des Rechtsanwalts seit vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem ehemals Betroffenen. Eine Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Kanzleisitz am Ort des Prozessgerichts erschien dem LG unter Berücksichtigung dieser Umstände unzumutbar. Die seitens des Rechtsanwalts beantragten Reisekosten seien daher erstattungsfähig.

Übernachtungskosten

Zu den Reisekosten gehören nach Auffassung des LG als sonstige Auslagen (Nr. 7006 VV RVG) auch angemessene Übernachtungskosten. Die Ersatzfähigkeit von Übernachtungskosten orientiere sich dem Grunde nach allein an der Frage der Zumutbarkeit eines Reisebeginns zur Nachtzeit (§ 758a Abs. 4 ZPO). Ein Reiseantritt (ab Wohnung des Rechtsanwalts) vor 6 Uhr morgens sei in der Regel nicht zumutbar (OLG Nürnberg AGS 2013, 201). Die Verhandlung habe am 22.2.2022 um 9:30 Uhr begonnen. Bei einer Fahrtzeit aus Torgau zum AG Vechta von über vier Stunden wäre ein Reiseantritt vor sechs Uhr morgens — mithin zur Nachtzeit —erforderlich und somit unzumutbar gewesen, weshalb das LG die Übernachtungskosten als notwendig und mithin als erstattungsfähig ansieht.

Zu berücksichtigen sei aber, dass in den Übernachtungskosten, die seitens des Verteidigers geltend gemacht wurden, auch die Kosten eines Frühstücks in Höhe von 12,50 EUR enthalten waren. Diese anteiligen Kosten hat das LG abgezogen, weil der Anwalt auch ohne Durchführung der Geschäftsreise — dann zu Hause —ein Frühstück eingenommen hätte und insoweit also eigene Kosten erspart worden sind (OLG Düsseldorf AGS 2012, 561). Verpflegungskosten anlässlich einer Geschäftsreise sind durch die Tages- und Abwesenheitsgelder, die der Anwalt beantragen könne, abgegolten. Daher können diese Kosten nicht als reisebedingt der Staatskasse in Rechnung gestellt werden (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Kosten des Frühstücks seien mithin von den geltend gemachten Übernachtungskosten in Höhe von 91,50 EUR abzuziehen.

USt-Satz

Nach alldem seien auch die nach Nr. 7008 VV RVG anzusetzende Umsatzsteuer wie vom Betroffenen im Rahmen der Kostenauflistung beantragt mit 19 % festzusetzen. Zwar betrage nach Art. 3 Nr. 3 Abs. 1 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz (Zweites Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29.6.2020) vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 Prozent der Bemessungsgrundlage. Entscheidend für die Anwendung dieses verringerten Steuersatzes sei jedoch der Zeitpunkt der Erledigung des anwaltlichen Auftrags. Der Auftrag des Verteidigers endete hier mit der Erreichung des Rechtsschutzziels durch die Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG und damit nach dem Zeitraum, in dem der reduzierte Umsatzsteuersatz galt.

III. Bedeutung für die Praxis

Die mit der Erstattung der Reisekosten des auswärtigen Verteidigers zusammenhängenden Fragen sind vielfältig und hängen i.d.R. von den Umständen des Einzelfalls ab (zu allem eingehend Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 13 66 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung; aus neuerer Zeit OLG Karlsruhe JurBüro 2021, 140). Der Betroffene/Angeklagte hat danach nicht immer Anspruch auf den Verteidiger des Vertrauens. Hier ist aber das LG schon im Hinblick auf die Höhe der Geldbuße zutreffend von der Erstattungsfähigkeit ausgegangen. Insbesondere ist auch die Frage der Erstattung der Übernachtungskosten zutreffend gelöst (vgl. dazu auch noch LG Hamburg AGS 2019, 444 = RVGreport 2019, 352 = Sonderausgabe StRR 12/2019, 26 = VRR 12/2019, 23).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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