Kanzleien sind wahrlich nicht als Speerspitze von New Work bekannt und so ist es auch nicht verwunderlich, dass man beim Thema „flexible Arbeitsmodelle“ nicht direkt an Anwälte denkt. Ein gewisser Konservatismus hält viele davon ab, sich überhaupt mit der Thematik zu beschäftigen. Anwälte gelten als hart arbeitend und rund um die Uhr erreichbar – Arbeitstiere eben. Eine Vier-Tage-Woche und lange Wochenenden passen nicht zu diesem Nimbus. Und so trauen sich viele Angestellte nicht einmal, das Ganze in Büro oder Kanzlei zu thematisieren. Sie wollen schließlich nicht als „Faulpelze“ gelten.
Doch es gibt sie mittlerweile, die Avantgarde. Jene Kanzleien, die „einfach mal machen“ und neue Arbeitszeitmodelle testen. Am Anfang steht dabei immer die Inspiration: Vielleicht hat eine angestellte Anwältin ihre Gedanken zur Vier-Tage-Woche bei einem Mittagessen geäußert oder einer der Partner wurde auf entsprechende Berichte in den Medien aufmerksam. Jedenfalls hat die Führungsebene das Thema „aufgeschnappt“ und es kommt bei einem Meeting auf die Tagesordnung. Dabei werden zunächst die wesentlichen Vor- und Nachteile abgewogen.
Vorteile einer Vier-Tage-Woche
Die Vorteile einer Vier-Tage-Woche sind durch Studien und in der Praxis von zahlreichen Unternehmen hinreichend belegt:
Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit: Die größere zeitliche Flexibilität führt zu mehr Selbstbestimmung. Dank verkürzter Arbeitswoche genießen die Arbeitnehmer mehr Freizeit, erleben eine stärkere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und persönlichen Interessen (z.B. Hobby, Reisen, Sport) und insgesamt eine deutliche Verbesserung ihrer Work-Life-Balance. Das steigert die Zufriedenheit.
Erhöhte Produktivität: Es mag kontraintuitiv erscheinen, aber Studien aus Großbritannien belegen, dass kürzere Arbeitszeiten die Produktivität steigern. Das ist nicht allein auf die durch Zufriedenheit gesteigerte Motivation zurückzuführen. Die Mitarbeiter arbeiten auch konzentrierter. Sie versuchen, ihre Zeit effizienter zu nutzen, um ihre Aufgaben innerhalb der verbliebenen Stunden zu erledigen.
Weniger Ausfälle: Bessere Work-Life-Balance heißt auch weniger Stress. Zusammen mit einem Mehr an Motivation und Arbeitsplatzzufriedenheit führt das zu sinkendem Krankenstand und weniger Fehltagen.
Attraktivität als Arbeitgeber: Kanzleien, die eine Vier-Tage-Woche anbieten, positionieren sich als moderne und mitarbeiterorientierte Arbeitgeber. Das zieht hochqualifizierte Fachkräfte an und stärkt die Mitarbeiterbindung.
Nachteile einer Vier-Tage-Woche
Die Gegner einer Vier-Tage-Woche verfangen sich argumentativ eher in Schwarzmalerei potenzieller Probleme, die oftmals – mit entsprechender Organisation – gut lösbar sind:
Kommunikationsprobleme: Wenn Mitarbeiter an unterschiedlichen Tagen arbeiten, könnte die Zusammenarbeit innerhalb des Teams oder mit Dritten beeinträchtigt werden. Diese Probleme können dadurch minimiert werden, dass alle Mitarbeiter am gleichen Tag (meist Freitag) frei haben.
Unzufriedenheit beim Mandanten: Mandanten könnten verärgert sein, wenn sie ihren Anwalt an seinem freien Tag nicht erreichen. Sie können die fehlende Erreichbarkeit jedoch nicht bemängeln, wenn am freien Tag zumindest eine Rufumleitung und ein Notdienst eingerichtet werden.
Höhere Belastung an den Arbeitstagen: Manche fragen sich: Ist die Arbeit in weniger Zeit überhaupt zu schaffen? Die vier verlängerten Arbeitstage können für manche Mitarbeiter physisch und psychisch belastend sein. Insbesondere für Eltern kleinerer Kinder könnte dies eine Herausforderung darstellen. Ob die Arbeit an vier Tagen zu bewältigen ist, wird schließlich die vorgeschaltete Testphase zeigen.
Vier-Tage-Woche: Vorüberlegungen, Planung und Präsentation
Nachdem das zarte Gedankenspiel-Pflänzchen viele Vorteile des Arbeitszeitmodells „Vier-Tage-Woche“ zutage führte, ist die Führungsriege überzeugt: Ein Versuch ist’s wert! Im nächsten Schritt sollte ein Projektteam gebildet werden, das Ganze durchdenken, verschiedene Konzepte erörtern und Überlegungen zur praktischen Umsetzung anstellen:
- Sollte die Wahl des freien Tages im Ermessen des Einzelnen liegen oder haben alle am gleichen Tag frei? Was ist besser für die Zusammenarbeit im Team?
- Welches Konzept ist einfacher zu organisieren?
- Wie soll der Test nach außen kommuniziert werden?
- Braucht es eine Art Notdienst? Wie soll der aussehen?
Am Ende wird das „Projekt Vier-Tage-Woche“ den Mitarbeitenden vorgestellt. Der Präsentation sollte sich eine anonyme Abstimmung anschließen, worin die Mitarbeitenden entscheiden, ob sie eine so konzipierte Vier-Tage-Woche testen möchten. Wenn die überwiegende Mehrheit (z.B. 75%) dafür stimmt, kann es losgehen.
Vier-Tage-Woche – Der Test
Ein mögliches Setup sieht wie folgt aus:
Der Testzeitraum: Die Vier-Tage-Woche wird zunächst sechs Monate lang getestet.
Der freie Tag: Ein Tag (meist der Freitag) ist für alle frei. Die Wochenstundenzahl wird reduziert (z.B. von 40 auf 35 Stunden) und auf die übrigen vier Werktage verteilt.
Der Lohn: Der ursprüngliche Vollzeitlohn wird ungekürzt weitergezahlt. Es werden also weniger Stunden bei gleichbleibendem Lohn gearbeitet – allerdings mit der Erwartung bzw. Annahme, dass die Mitarbeitenden mindestens so produktiv sind, wie bisher.
Die Kommunikation: Mandanten, Kollegen und Dritte werden rechtzeitig über das Projekt informiert (z.B. über die Website oder Newsletter).
Der Notdienst: Am freien Freitag wird eine Rufumleitung eingerichtet. Es gibt einen Notfall-Einsatzplan, falls wider Erwarten etwas dringend zu erledigen ist.
Das Feedback: Die Mitarbeiter sollten innerhalb der Testphase zu kritischen Punkten regelmäßig befragt werden (z.B. Auswirkungen auf die interne Zusammenarbeit und die Beziehungen zu Mandanten). Das Feedback sollte gesammelt und zeitnah ausgewertet werden, um auf Optimierungsbedarf rasch reagieren zu können.
Die Auswertung: Produktivität, Fehlzeiten u.ä. Parameter werden über die ganze Testperiode hinweg erfasst und nach den sechs Monaten ausgewertet.
Testphase abgeschlossen, und nun?
Nach einer derart strukturierten Testphase sollten die Auswirkungen einer Vier-Tage-Woche auf die Kanzlei gut erkennbar sein.
Für Unternehmen ist es wichtig, zukunftsfähig und wettbewerbsfähig zu bleiben. Wer neue, vielversprechende Talente anlocken und halten möchte, muss sich offen und arbeitnehmerorientiert zeigen. Die Vier-Tage-Woche gibt es bislang erst in sehr wenigen Kanzleien. Testen Sie’s. Und reihen Sie sich ein in die Riege attraktiver Arbeitgeber.