Vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor – Sie unterhalten sich mit guten Freunden oder mit der Kollegin an der Kaffeemaschine und es könnte in etwa folgender Dialog zustande kommen:
A: Heute morgen war schon wieder richtig was los bei uns. Mein Mann ist ja gerade auf Geschäftsreise und bis ich die beiden Kinder aus dem Haus hatte war mein Stresslevel schon auf 180. Max hatte keine Lust aufzustehen, ich musste ihn also x-mal antreiben, Emma ist wie immer mit schlechtester Laune aufgestanden und vom Bad bis zum Einsteigen ins Auto haben die beiden sich gefühlt durchgehend nur gezofft.
B: Oja, das kommt mir bekannt vor. Das ist bei uns auch nicht besser. Und auf dem Weg in die Kanzlei stand ich auch noch 20 Minuten im Stau, da war meine Laune auch gleich auf dem Tiefpunkt.
A: Ja und leider geht es gerade so weiter. Ich habe den Schreibtisch voll bis oben hin und werde es wohl heute nicht schaffen, mal in Ruhe etwas zu essen. Und anschließend muss ich beide Kids schnell wieder einsammeln, um als Taxi zu dienen und sie zum Tennis und zur Musikschule zu bringen. Und in unserem Kühlschrank ist auch mal wieder Ebbe.
B: Wenn wenigstens das Wochenende mal entspannt ablaufen würde. Aber da haben wir gerade auch nur Termine – nächste Woche müssen wir zum Geburtstag der Schwiegereltern, außerdem steht das Schulfest auf dem Programm und sonntags das Tennisturnier des Jüngsten. Nur Termine…
A: Ach herrje, oh ich muss los, sonst schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig zum nächsten Meeting.
Haben Sie ein ähnliches Gespräch auch bereits erlebt? Gerne setzt bei solchen Dialogen jede:r Beteiligte noch einmal eine Portion Stress oben drauf.
Warum ist das so?
Hier kommen mehrere Ebenen zusammen:
Ebene 1: Die Suche nach Anerkennung im Außen
Auf der ersten Ebene wird Stress gerne genutzt, um damit ein Stück weit „anzugeben“, zu „kokettieren“ in der Erwartung, dass mein Gegenüber mich dafür anerkennt und mir seine Beachtung schenkt. Wohlwollende Worte können dabei schon der Antreiber sein, noch mehr zu machen – noch mehr Stress in Kauf zu nehmen, um mehr Anerkennung zu erhalten. Es gibt Menschen, die rennen wie ein Junkie durch den Tag, immer auf der Suche nach dem nächsten positiven Feedback und der Anerkennung im Außen.
Ebene 2: Ich bin wichtig
Auf der zweiten Ebene liegt dahinter häufig das persönliche Gefühl, dass Stress für mich bedeutet, ich bin wichtig und ich werde gebraucht. Hier spielen auch unterbewusst laufende alte Leistungsmuster und Glaubenssätze eine große Rolle. Wer von klein auf gelernt hat, dass er mehr geliebt wird, wenn er eine gute Leistung erbracht hat oder von den Eltern immer wieder gesagt bekommen hat, dass er sich anstrengen soll, der hat dies in seinem Autopiloten = Unterbewusstsein gespeichert und spult das altbekannte Programm immer und immer wieder ab. Und ist extrem empfänglich dafür, immer dabei zu sein, sobald neue „Arbeiten“ verteilt werden – Nein sagen ist dagegen sehr schwierig.
Ebene 3: Gesellschaftliche und kulturelle Prägungen
Auf der dritten Ebene wirken gesellschaftliche und kulturelle Prägungen. Hier hält sich leider immer noch der alte Irrglaube, dass erfolgreiche Menschen immer gestresst sind, bzw. der Umkehrschluss, dass gestresste Menschen besonders erfolgreich, wichtig und angesehen sind. Ganz nach dem Motto „von nichts kommt nichts“ oder auch „für Erfolg muss man hart arbeiten“.
Der Körper ist die einzige Instanz, die immer die Wahrheit spricht
Diese drei Ebenen laufen bei vielen Menschen in Dauerschleife ab. Wenn Sie sich also hier wiedererkennen, sind Sie in bester Gesellschaft. Häufig ist die Folge, dass weiter gehetzt und gehustled wird – bis zu dem Punkt, an dem der Körper sich einschaltet und klare Zeichen sendet, dass er das keine weiteren 5, 10 oder noch mehr Jahre mitmacht. Diese machen sich meist erst ganz leise bemerkbar, z.B. mit einem Ziehen im Nacken oder leichten Kopfschmerzen. Werden die Zeichen ignoriert, werden Sie lauter – bis hin zum Burnout oder totalen Zusammenbruch im schlimmsten Fall. Dabei gilt der Satz: „Der Körper ist die einzige Instanz, die immer die Wahrheit spricht“. Also hören Sie auf ihn.
Erste Schritte aus der Stress-als-Statussymbol-Falle:
1. Stellen Sie sich ganz bewusst einmal die Frage: Wer wäre ich ohne den ganzen Stress?
Und fühlen Sie sich hinein, wie sich ein Leben ganz ohne Stress für Sie anfühlt. Komisch? Ggf. sogar leer oder undenkbar? Dann sollten Sie unbedingt handeln und sich ggf. auch Hilfe bei einem Therapeuten oder Coach suchen.
Es fühlt sich gut an? Leicht? Glücklich? Dann gehen Sie die nächsten Schritte an.
2. Starten Sie mit kleinen Ruhe-Inseln ganz für sich.
Blocken Sie Ihren Kalender – am Anfang für mindestens 15 Minuten am Tag mit einer CEO-Me-Time. Und gehen Sie in sich, welchen Bedürfnisse Sie hier nachgehen möchten. 15 Minuten Spazierengehen in der Natur? 15 Minuten für einen bewusst getrunkenen Kaffee oder Tee ohne jegliche Ablenkung? 15 Minuten bewusstes Atmen oder einfach mal aus dem Fenster schauen und einfach wahrnehmen, was Sie dort alles im Detail sehen? Alles ist erlaubt, auch einfach „nichts machen“, auch wenn das ggf. zunächst ungewohnt für Sie ist.
3. Machen Sie bei Gesprächen, wie oben beispielhaft beschrieben, nicht mit.
Oder überraschen Sie doch einfach, indem Sie von einem völlig entspannten Wochenende schwärmen, in dem Sie einfach gar nichts gemacht haben. Es könnte sein, dass Sie sehr verwunderte Blicke ernten und Ihr Gegenüber damit anregen, plötzlich auch den Fokus auf die entspannten, schönen Momente zu lenken.
4. Notieren Sie jeden Abend Ihre Anti-Stress-Erfolge in einem kleinen Erfolgsjournal.
Wann haben Sie es an dem Tag geschafft, sich bewusste kleine Auszeiten zu nehmen, bei fordernden Gesprächen die Ruhe zu bewahren, ggf. das Fahrrad anstatt des Autos zu nehmen etc. Jede Kleinigkeit zählt. Zum einen gehen Sie damit mit entspannteren Gedanken ins Bett, was wiederum einen besseren Schlaf nach sich zieht, und zum anderen regt das an, auch tagsüber viele kleine Anti-Stress-Momente zu sammeln.
Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, wie Sie der Stress-als-Statussymbol-Falle entkommen können. Für den Anfang ist weniger aber mehr. Starten Sie lieber mit einer Sache, die Sie leicht in Ihren Alltag integrieren können. Lassen Sie diese zu Ihrer Routine werden. Vielleicht macht genau das nach wenigen Wochen Lust auf mehr, weil Sie merken, dass sie Ihnen guttut. Und dann gehen Sie einen Schritt nach dem anderen.