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Schweig, oh Mandant! – Was anfangen mit einem Zuviel an Wissen?

Karneval steht vor der Tür. Noch nicht der Straßen-, aber der Sitzungskarneval. Ich liebe den Karneval, aber beruflich macht er mir ein wenig Angst. Das liegt an einem Vorfall aus einer Session, in der ich gerade selbstständige Anwältin geworden war – für meine Umgebung also noch Gesprächsthema: „Das Kind ist jetzt Anwalt.“

 

Einführung in die „Rechtwirklichkeit“

„Das Kind“, also ich, saß zur Prinzenproklamation mit im Festzelt, erstmals aufgerückt an den langen Tisch der Lokalprominenz ortsansässiger Unternehmer. Es dauerte auch nicht lange, bis neben dem Programm auf der Bühne auch das Gespräch am Tisch in Fahrt kam. In allerbester Absicht begannen die Hüter des Ortes, „das Kind“ mal darüber aufzuklären, „wie das denn in Wirklichkeit so ginge“, also, mit dem Recht.

Der neben mir sitzende ortsansässige Steuerberater und unser netter Polizist in der Runde waren deutlich erfahrener als ich – sie entdeckten aber schon bei den ersten Sätzen rein zufällig „einen guten Bekannten an der Theke“ und verschwanden „auf ein Bier“ zu ihm.

Der Rest des Tisches beugte sich und das Recht fröhlich weiter.

 

Hörsturz, bitte!

Das kindliche Organ der Rechtspflege wünschte sich plötzlich multiples Organversagen – angefangen von sozialem Hörsturz bis hin zu akutem Gedächtnisverlust. Irgendwo in ihm verlangte das Restwissen lautstark Beachtung, was mit (halb-)privat erlangtem Unrechtswissen zu geschehen habe, wo und wann das Anwaltsgeheimnis beginne, vor allem aber, wo es ende. Ganz abgesehen von der Frage der persönlichen Moral bezüglich der mir von den Karnevalsseeligen so charmant offenbarten „Kostensparmodelle“.

„Mach mich nicht bösgläubig“, erinnerte ich mich an einen meiner Ausbilder. Damals hatte ich ihn für die Ansage an einen seiner Mandanten schlankweg verurteilt – an diesem Abend im Festzelt fand ich den Satz plötzlich phänomenal, nur leider den Mut nicht, ihn in Festzeltlautstärke zu wiederholen.

 

Herrjöttchen, hilf!

Aber der Rheinländer ist ja bekanntlich mit seinem Herrjöttchen ‚per Du‘ und daher nie perdu. Von irgendwo ‚da boven‘, also von ‚da oben‘, sandte mir jedenfalls jemand eine freche Idee

„Ich mache euch ein Angebot, das ihr nicht ablehnen könnt“, unterbrach ich den Redefluss meiner Tischnachbarn. Die etwas verschreckten Gesichter am Tisch versicherten mir: jeder Pate wäre ob meiner Stimmlage stolz auf mich gewesen.

„Meinen Stundenlohn zuzüglich Umsatzsteuer und Auslagen – und nur auf Rechnung.“ Auf die entsetzt-verständnislosen Blicken hin fügte ich hinzu: „Dafür, dass ich ab Montag jedem einzelnen von euch bei mir in der Kanzlei erkläre, was da verbockt wurde und wie wir das wieder geradebiegen. Vernünftig geradebiegen.“

Was soll ich sagen? Ein paar kamen tatsächlich. Der Rest meidet die brenzligen Themen in meiner Gegenwart seitdem geschickt oder fordert mich lieb auf, „doch mal gerade wegzuhören.“ Mit beiden kann ich leben.

 

Seiltänzers Balanceakt

Natürlich gibt es kein Patentrezept für solche Situationen. Selbst berufene Ethikausschüsse diskutieren sich immer wieder die Köpfe darüber heiß. Das alles bleibt ein Seiltanz zwischen Vertrauen und Grenzziehung, jedenfalls dann, wenn das Offenbarte, wie im damaligen Fall, vielleicht bedenklich, aber nicht kriminell ist.

Das Herrjöttche mit seinem „Dat hätt no immer jot jejange“-Credo ist da leider auch keine Dauerlösung, es sei denn damit, einem den Mut zu verleihen, wie mein damaliger Ausbilder zu handeln und – ganz gegen anwaltliche Gewohnheit – den Mandanten nachdrücklichst um Stillschweigen zu ersuchen.

 

Silentio!

Bevor ich es vergesse: Das gilt natürlich auch für diesen Artikel. „Sizilium!“, wie Heinz Erhardt so schön bat. Wir verstehen uns?

 

 

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