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Sagen Sie mir bitte, was ich hören will!

Als ich auflege, vibriere ich vor unterdrücktem Lachen. Mein liebster und langjähriger Kooperationspartner, Steuerberater seines Zeichens, hat mich gerade mit dem Spruch des Tages davor bewahrt, statt vor unterdrücktem Lachen vor ebenso unterdrückter Wut zu platzen.

Geht nich‘, weil is´ nich´

Vorausgegangen ist dem ein gemeinsamer Video-Beratungstermin, erbeten von einem Neumandanten. Eineinhalb Stunden lang haben Herr Steuerberater und Frau Anwältin versucht, dem angehenden Mandanten klar zu machen, dass das, was er sich vorstellt, schlicht nicht zu bekommen ist. Selbst unter Aufbietung allen Sachverstandes, unseres und fremdes. Nicht so, nicht bei den tatsächlichen, rechtlichen und steuerlichen Gegebenheiten. Kurz: Geht nich´, weil is´ nich´. Nicht schwer zu verstehen. Eigentlich.

Die beiden alten Berufshasen haben gegenüber dem Mandatsanwärter trotzdem alles gegeben, sich zu erklären, haben dargelegt, aufgemalt, vorgelegt, bewiesen. Der Lohn der Mühe ist ein Satz, den beide in den letzten Jahren immer häufiger zu hören bekommen: „Dann frage ich eben jemand anderen.“

Meinungs-Trendsetter?

War das schon immer so? Oder ist es ein Trend der letzten Jahre? Ich weiß es nicht. Was ich bemerke ist, dass eine fremde (Fach-)Meinung gelten zu lassen für viele Menschen immer schwieriger wird. Besonders, wenn sie von der eigenen abweicht. Dafür vergibt man doch keine Likes!

Wie trotzige Kinder schleudern diese Menschen ihren Gesprächspartnern ein „Aber“ nach dem anderen entgegen, sperren sich gegen jeden Rat, wiewohl sie ihn ja eigentlich selber gesucht haben. Nur unter falschen Vorzeichen, mit der falschen Erwartungshaltung: Es muss doch geben, was ich will! Sonst gibt´s hier kein Mögen, kein Liken. Anders formuliert: „Sagen Sie mir bitte, was ich hören will.“

Egal, wie humorvoll, ruhig, bestimmt und psychologisch geschult es auch vermittelt wird, etliche Mandatskandidaten sind heute nicht mehr zu überzeugen, dass es eine andere Rechtswirklichkeit oder -auffassung als die ihre geben könnte. Sie suchen weiter, durchkämmen den Markt, lokal, im Netz und wer-weiß-noch-wo, um den/die Partner*in fürs Streiten zu finden.

Rechthaber sucht Rechtbeschaffer

Manchmal überlege ich ernsthaft, eine hochspezialisierte Partnerbörse dafür zu gründen. Ungefähr so: „Rechthabender rechtsschutzervsicherter Mitdreißiger sucht beschaffenden Partner aus langjähriger Partnerschaft zum gemeinsamen gGmbH-auf-Aktien-Genossenschaft gründen, dauerhafte Beziehung mit Anerkennung neuer gesellschaft(-srecht-)licher Lebensformen nicht ausgeschlossen.“

Statt eineinhalb Stunden Zeitvergeudung wäre es dann wie in der Frühabend-Zewa-Werbung meiner Kindheit versprochen: „Mit einem Wisch – bumm bumm – ist alles weg.“

Der Witz am Witz ist: Diese Mandanten werden schon jetzt oft genug fündig. Manchmal bekommen sie sogar Recht – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben es nicht, sie bekommen es bloß. Das geht. Wie bei Quengelkindern in der Kassenschlange, Variante „Frag-einen-Richter.de“: „Hier! Nimm das AG-Urteil, und jetzt ist aber Ruhe.“

Den Nutzen nutzen?

Bin ich also wirtschaftlich dumm, diese Klientel nicht von Anfang an als Mandanten anzunehmen? Ich brauche doch nur eine Unterschrift, mich haftungstechnisch abzusichern, und kann losmarschieren und Geld verdienen. Gut, über die Erfolgsaussichten-Prognose für die Rechtsschutzversicherung müsste man(n) noch mal reden, aber … naja.

Mag sein. Mag ich aber nicht. Da bin ich trotzig. Auch zig Jahre im Rechtswesen haben mein rotblond-naives Wertesystem nicht grundlegend geändert: ich will mögen, was ich tue, und damit erfolgreich sein. Dem Mandanten nutzen. Auch gegen seinen Willen. Stichwort Trotzkind.

Entschuldigung, das ist für Social-Media-Quengler so natürlich unverständlich. Online-tauglicher formuliert: Mein Mindset ist eher out-of-the-box-thinking mit Impact auf clean acting und ganzheitlichem Win-WinConsulting. Verstehen Sie mich jetzt besser?

Do more of what you like (for likes)!

Nein? Ich mich manchmal auch nicht. Also sage ich mir einfach, was ich hören will, nämlich dass ich das gut mache. Und mache einfach mehr als nur die klassische Generalisten-Forensik. Lehre und lektoriere und schreibe.

So kann ich mich zurücklehnen und entspannt losprusten, wenn Herr Steuerberater dem weitersuchenden Quengelmandanten mal wieder todernst mit auf den Weg gibt: „Fragen Sie doch heute Abend mal am Tresen. Ich bin sicher, da bekommen Sie Recht.“

Recht hat er. Like!

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