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„Sag’ mal, wofür bezahle ich dich eigentlich?“

Sprachlos stehe ich vor meinem Mandanten. Wir duzen uns, ich kenne ihn seit Jahren, genaugenommen seit meiner Kindheit. Gerade ist die Türe des Gerichtssaals hinter uns zugefallen. Wir haben gewonnen. 100% der Klageforderung. Ich hatte Lob erwartet, das übliche Angebot auf einen Kaffee. Stattdessen diese Frage.

Er sieht mich finster, ja fast wütend an. „Ja“, bestätigt er, als ich ihm die Antwort schuldig bleibe. „Wofür bezahl´ ich dich?“ Ich bin immer noch völlig perplex. Aus dem Gerichtssaal kommt der Kollege der Gegenseite geschossen. Geschossen, nicht gegangen. Krachend fällt die Türe des Gerichtssaals hinter ihm zu. Mir kommt eine erste Ahnung. Aber mein Mandant spricht schon weiter. „Du hast nicht mal gebrüllt.“

Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es ist 2010, im Fernsehen laufen täglich Salesch, Holt & Co. In jeder einzelnen Folge duellieren sich die AnwältInnen, dass die Fetzen fliegen. Wir hatten bloß einen echten Termin. Leise. Anträge aus der Akte, kurze Vergleichsverhandlung, gescheitert. Richterin nimmt´s zum Spruch und sagt auch gleich, wie der nach Aktenlage ausfallen wird. Füruns. Nur ohne Spektakel.

Wir sind bis heute befreundet, der Mandant und ich, und mein Mandant ist er auch immer noch. Als ich ihm – bei einem Kaffee auf meine Einladung hin – erkläre, warum er so enttäuscht ist, fängt er an zu lachen. Erst glucksend, dann immer lauter. Über sich selbst. „Mensch“, sagt er dann, „wird dir das eigentlich nie langweilig mit uns?“

Nein. Auch im Jahre 2021 ist es nicht langweilig. Vor allem die Kommunikation mit MandantInnen ist es nicht. Heute allerdings läuft sie geschliffener als damals. Ich weiß jetzt, dass ich MandantInnen die „Brüllaffen-und-Gewitterziegen“-Vorstellungen aberziehen muss, bevor wir vor´s Zivilgericht gehen. Dass ich offen erkläre, wieviel Arbeit im Hintergrund läuft, statt sie nur still zu machen.

Meine Dienstleistung muss, soll und darf sichtbar werden, weil mit ihrer Sichtbarkeit die Akzeptanz für meine Rechnung einhergeht. Genauso muss, soll und darf ich transportieren, dass ich das emotionale Engagement meines Mandanten/meiner Mandantin nach außen hin nicht teilen möchte und warum: ihnen ist mit einer sachlichen Rechtsvertretung besser gedient. Brillanz kommt nicht von Brüllen.


„Brüllaffen und Gewitterziegen“-Vorfall

Mokiert sich ein Mandat darüber, dass ich mich im Innenverhältnis lautstark mit ihm aufrege, um nach außen scheinbar feige stillzuhalten, präsentiere ich mein bestes Beispiel für die Folgen einer allzu großen emotionalen Beteiligung. Es ist zugleich einer der (wenigen!) „Brüllaffen und Gewitterziegen“-Vorfälle, die ich in den folgenden Jahren dann doch noch erleben durfte:

Mann stritt um eine Krankenhausrechnung, die seine Frau erhalten hatte. Die Verhandlung zog sich, die Argumente waren längst ausgetauscht, der betreffende Kollege drohte für (und bei?) seiner Frau den Kürzeren zu ziehen. Angeschlagen platzte ihm in Richtung Richter der Kragen: „Sie wissen doch, was auf so einer Station liegt! Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen“ – eine theatralisch ausgestreckte Hand zur einzigen Robenträgerin im Saal – „die Kollegin kennt das doch alles!“

Was er da gerade gebrüllt hatte, wurde ihm (und mir!) erst klar, als auf die betroffene männliche Totenstille im Saal ein mahnendes Hüsteln des Richters folgte. Der Kollege verlor Farbe und Fassung und stürmte wortlos aus dem Saal, der Richter unterbrach die Verhandlung und ich verbiss mir mühevoll das Lachen.

Der Kollege hat sich übrigens schon fünf Minuten später entschuldigt – mit Blumenstrauß und Worten. Verloren hat er trotzdem. Den Fall und eine gute Portion Selbstachtung.

Ne bis in idem, Herr Kollege, falls Sie das hier lesen sollten. Verjährt und vergeben. Ich habe meine Lehren daraus gezogen. Nicht brüllen, brillieren.

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