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Präsentismus: Über die Unsitte, krank zur Arbeit zu gehen

Stellen Sie sich vor, Sie kommen an einem nasskalten Herbstmorgen gut gelaunt zur Arbeit. Sie sind voller Elan, denn die letzte Arbeitswoche vor dem langersehnten Urlaub steht an. Zwei Wochen Bali. Endlich Sonne und Wärme. Und so sitzen Sie an diesem Morgen mit einem aromatischen Kaffee an ihrem Schreibtisch, geben sich etwas der Tagträumerei hin, haben sattgrüne Reisfelder und palmengesäumte Strände vor Augen, als sie unvermittelt in die Realität katapultiert werden. Ihre Sekretärin guckt zur Tür rein und will gerade “Guten Morgen!” wünschen, erleidet aber im selben Moment einen spontanen Hustenanfall, wendet sich kurz ab und putzt sich die Nase.

Sie ahnen Schreckliches. Doch sie kommt wieder rein, erkennt Ihren besorgten Gesichtsausdruck und winkt ab: “Ist nur ‘ne kleine Erkältung.”

“…nur ‘ne kleine Erkältung” hallt es in Ihrem Kopf nach. Die Sonnenschein-Laune ist dahin.

 

Sie grübeln:

Sah sie noch fit aus?

Ist es wirklich nur eine Erkältung?

Wie lang ist nochmal die Inkubationszeit?

Darf man erkältet Langstrecke fliegen?

Wie ist eigentlich die Krankenversorgung auf Bali?

 

Und dabei haben Sie fast ein schlechtes Gewissen, denn bei all der Grübelei – ob Ihre Mitarbeiterin ansteckend ist, wie wahrscheinlich es ist, dass Sie womöglich pünktlich zum Abflug erkranken etc. etc. – dreht sich Ihr Gedankenkarussell nur um sich, nicht um Ihre arme Sekretärin. Im Gegenteil, fast schon trotzig denken Sie: Selbst Schuld. Warum kommt sie auch halb krank zur Arbeit? …und reduzieren die persönlichen Kontakte mit ihr in den nächsten Tagen auf ein Minimum.

Aber, ganz ehrlich: Hätte Ihre Mitarbeiterin mit ein paar leichten Erkältungssymptomen schon zuhause bleiben sollen?

 

Wann ist man zu krank zum Arbeiten?

Darüber, wann man zu krank zum Arbeiten ist, scheiden sich die Geister. Ab wann man sich selbst als nicht mehr arbeitsfähig erachtet, hängt nicht bloß mit der Art der Symptome zusammen, sondern auch damit, welche Art von Arbeit man in welchem Umfeld erledigt und wie präsent man dabei sein muss. Mit Schnupfen oder Halskratzen werden vermutlich die Meisten noch zur Arbeit gehen. Wenn dann aber noch Kopfschmerzen, Müdigkeit und das klassische “Krankheitsgefühl” samt Abgeschlagenheit hinzukommen, bleiben sie hingegen eher zuhause. Dennoch gibt es in jedem Unternehmen einige, die sich auch noch halb krank zur Arbeit schleppen….

 

Das fieberhafte Bedürfnis nach Anerkennung

Dass viele Angestellte zur Arbeit erscheinen, obwohl sie eigentlich mit Tee ins Bett gehören, ist ein recht verbreitetes Phänomen. Es gibt dafür sogar einen Begriff: Präsentismus. Doch was ist der Grund dafür, dass viele Arbeitnehmer sich hustend, schnupfend, halsschmerzgeplagt und halb fiebrig zur Arbeit schleppen?

Die Furcht vor krankheitsbedingter Kündigung wird es nicht sein, denn das Arbeitsrecht legt diesbezüglich äußerst strenge Maßstäbe an. Auch die Angst, in ein oder zwei Wochen krankheitsbedingter Abwesenheit finanziellen Ruin zu erleiden, ist unbegründet: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sei Dank.

Die eigentlichen Gründe sind vielschichtig: übertriebenes Pflichtgefühl und Rücksichtnahme, fehlende Krankheitsvertretung, Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung, Termindruck, eine ohnehin schon angespannte Büroatmosphäre, Angst vor beruflichen Nachteilen oder eine von Ehrgeiz und Konkurrenzdenken geprägte Anwesenheits- und Unternehmenskultur.

 

STECK! MICH! NICHT! AN!

Die Kranken erhoffen sich die Wertschätzung und Anerkennung vom Chef; dafür, dass sie ja so viel Einsatz zeigen. De facto ist jedoch das Gegenteil der Fall: Chef und Kollegen sind selten begeistert von solch maladen Fleißbienchen, denn sie tragen eine ganze Batterie von Viren in die Büros. Und wenn sie nicht direkt die halbe Belegschaft anstecken, so stört es teilweise doch erheblich, wenn im Viertelstundentakt geniest, gehustet und geschneuzt wird. Zudem haben kränkelnde Mitarbeiter ohnehin nur eine begrenzte Aufnahme- und Leistungsfähigkeit, die durch fehlendes Auskurieren nur noch weiter in die Länge gezogen wird.

Ergo: das Erscheinen des kranken Arbeitnehmers hat (fast) nur Nachteile. Für die Firma, seine Kollegen und ihn selbst. Doch was kann man tun gegen so viel übertriebene Eifrigkeit?

 

Präsentismus vorbeugen

Ist Präsentismus in Ihrem Büro auch ein Thema? Ich gebe Ihnen ein paar hilfreiche Tipps mit auf den Weg. Wenn Sie Präsentismus in Ihrem Unternehmen vorbeugen wollen, sind vier Punkte essenziell:

  • Arbeitnehmerfreundliche Unternehmenskultur: Gesundheit und Wohlbefinden Ihrer Mitarbeiter sollten im Mittelpunkt stehen. Es gibt eine direkte Korrelation zwischen Mitarbeiterzufriedenheit, Mitarbeitermotivation und Leistungsfähigkeit. Wichtig in diesem Zusammenhang: nicht alle Mitarbeiter sind gleich. Leistungsfähigkeit und Bedürfnisse sind individuell unterschiedlich ausgeprägt und können sich auch im Laufe der Jahre ändern. Als guter Arbeitgeber sollten Sie dies erkennen und entsprechend berücksichtigen.
  • Vorbildliche Führung: Bestenfalls lebt der Chef die Werte des Unternehmens vor. Wenn er sich krank zur Arbeit schleppt, vermittelt das eine unausgesprochene Erwartungshaltung. Zur Vorbildfunktion gehört auch, dass ggf. offen kommuniziert wird, dass Mitarbeitende sich im Krankheitsfalle zuhause ordentlich auskurieren sollen.
  • Homeoffice-Arbeit normalisieren: Bei ersten Krankheitssymptomen sollten Mitarbeiter lieber zuhause arbeiten. Die Arbeit im Homeoffice sollte dabei nicht schlechter angesehen sein als Arbeit, die vor Ort im Büro geleistet wird. Anderenfalls tendieren Mitarbeiter im Homeoffice dazu, übermäßig viel zu arbeiten, weil sie meinen, ihre Abwesenheit kompensieren zu müssen.
  • Betriebliches Gesundheitsmanagement: Sensibilisieren Sie die Mitarbeiter dafür, auf ihre Gesundheit zu achten. Unterstützen Sie das mit bezahlten Entspannungskursen, Informationen zu Rückengesundheit oder gesunder Ernährung, Kooperationen mit Fitnessstudios oder einem entsprechenden Essensangebot in der hauseigenen Kantine.

 

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund! Und wenn doch mal die Erkältung naht, dann wissen Sie ja jetzt, was zu tun ist ….

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