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„Musiker aus einem Vertrag heraus zu verhandeln, ist sehr schwierig“

Rechtsanwalt Philipp Beck ist seit 2006 als Rechtsanwalt zugelassen und betreibt eine Kanzlei in Flensburg. Er berät sowohl Unternehmer als auch Privatpersonen. Zu seinen Mandanten aus der Kreativbranche zählen vor allem Musiker. Seine juristische Unterstützung besteht vor allem darin, Verträge mit Musiklabels zu prüfen und bezüglich Verwertungsrechte zu beraten. Ein Gespräch über den noch jungen Typus des selbstvermarktenden Musikers, wieso man beim Wort Künstleraufbau weit im Buch der Musikgeschichte zurückblättern muss und warum das neue Urheberrecht ein paar Fragen offenlässt.

Bevor die Norweger Band a-ha Mitte der Achtzigerjahre ihren ersten Hit hatte, war das Stück kurz zuvor schon zweimal erfolglos veröffentlicht worden. Erst ein dritter Anlauf gekoppelt mit einem damals nicht billigen Trickfilm-Video brachte den Durchbruch. Sind solche Karrierestarts heute noch möglich?

Ich bin jetzt seit 15 Jahren dabei und als ich anfing, war MySpace sehr populär, ein soziales Netzwerk, das heute kaum noch jemand kennt. Mit diesem öffneten sich Musikern neue Möglichkeiten, mit Fans zu interagieren und ihre Musik über das Internet anzubieten. Man muss klar sagen: Das, was man den klassischen Künstleraufbau nennt, gab es schon zu dieser Zeit nicht mehr. So etwas machte die Musikindustrie in den Achtziger- und vielleicht noch Neunzigerjahren, also das Geld in die Hand nehmen, um einen Künstler ins Geschäft einzuführen. Da nahm man durchaus auch einmal kommerzielle Misserfolge hin. Heute gibt es das nicht mehr, eine Produktion muss möglichst sofort Geld einspielen – kostenintensive Vorarbeit möglichst vermieden werden. Idealerweise bringt der Künstler seine Popularität bzw. seine Follower auf TikTok oder Instagram gleich mit. Mit anderen Worten: Mehrere Versuche plus kostspieliges Video würden große Labels heute kaum mehr unternehmen.

Das war also schon weit vor dem Aufstieg der sozialen Netzwerke so?

Natürlich haben sich die Netzwerke seitdem geändert, es gab weder die Menge noch deren Reichweiten wie heute. Gleichzeitig ist es nun möglich, dass man über Apps wie TikTok mit seinen Songs virale Hits landet und dann sehr erfolgreich bis in die Streamingdienste und Charts klettern kann. Und damit dann auch für Labels interessant wird. Grundsätzlich war es aber schon damals so: Ein Label ist auf Künstler zugegangen, die populär oder schon präsent waren. Und schon damals wurden die Produktionskosten vorfinanziert, der Künstler liefert das Produkt ab und vielleicht gibt es einen Vorschuss.

Wie hat man sich das genau vorzustellen?

So ein Vorschuss war und ist nichts Anderes als ein Darlehen, das dann später an das Label wieder zurückgezahlt werden muss. Das bringt dem Künstler vielleicht etwas Liquidität, um sich während der Produktionszeit finanzieren zu können, aber die Vorschüsse werden immer verrechenbar gezahlt. Kommen dann später die Einnahmen, sieht der Künstler erst einmal nichts davon und das kann auch sehr lange so gehen, wenn der Vorschuss hoch war oder die Verkaufszahlen nicht besonders gut ausfallen. Wie gesagt rede ich hier von den großen Majorlabels, nicht den vielen kleinen Independent-Labels, die noch anders an Produktion und Zusammenarbeit mit Künstlern herangehen.

Sind dabei einige nicht auch schnell in die Schuldenfalle gerutscht?

In einem Fall hatte ein Mandant von mir tatsächlich intensiv in die musikalische Zukunft investiert. Da wurde das Auto verkauft, Sparbücher wurden angezapft, und das floss dann alles in die Karriere, also auch in die Musikproduktion. Ich habe Mandanten, die lassen eine Platte für bis zu 40.000 EUR produzieren, dann wiederum habe ich welche, die machen das mittels Heimaufnahmen daheim ohne Studio. Extreme Fälle, wo sich Künstler durch einen schlechten Deal verschuldet haben, hatte ich bislang nicht. Einige hatten zwar einen engen finanziellen Spielraum und mussten abzahlen, aber es gab keine Bankrottfälle. Das war dann eher Corona, was viele Künstler zuletzt in die Arbeitslosenhilfe getrieben hat. Gerade im sogenannten Independent-Bereich sind die Einnahmen aus Musik so verschwindend gering, dass die meisten sich über Konzerte und dort verkaufte Fanartikel und Tonträger finanzieren.

Wann wenden sich Musiker an Sie?

Ein häufiges Problem ist, dass man nicht nachprüfen kann, ob ein Label oder eine beauftragte Agentur sich wirklich so intensiv um Werbestrategien und Promotion kümmert wie vereinbart. Wenn dann zugesagt wird, dass man über viele Kanäle, E-Mail-Verteiler und digitale Netzwerke das Marketing professionell übernimmt, kann man nur schwer nachprüfen, ob das in diesem Umfang auch alles so geschehen ist. Im Nachhinein lässt sich dann juristisch schlecht beweisen, dass die Arbeit ungenügend war und man sein Geld zurück möchte. Es gibt im Prinzip keine Überprüfungsmöglichkeiten.

Der gerichtliche Konflikt wird dann oft gescheut?

Grundsätzlich wird im Musikgeschäft wenig geklagt. Das ist eine kleine, überschaubare Welt und man muss wirklich Acht geben, mit wem man es sich verscherzt. Wenn ein Label oder bekannter Manager und ein Künstler sich verkrachen, dann geht schnell eine Schmutzkampagne hinter den Kulissen los, und dann ist der Künstler verbrannt. Aufgrund dieses schiefen Machtgefüges überlegen sich Musiker dann genau, ob sie jetzt wirklich klagen oder eher die Haltung haben: das war es, zu einem großen Label gehe ich nicht mehr, ich mache das jetzt mit neuen Partnern oder gleich selbst.

Ist das aber nicht ein großes zusätzliche Arbeitsvolumen für den Musiker?

Viele Künstler unterschätzen, wie viel Arbeit zusätzlich dahintersteckt, wenn man sich erfolgreich selbst vermarkten will, Social Media Kanäle bespielen muss und seine Musik bewirbt.

Eigene Kanäle, wo Fans monatlich direkt an den Künstler zahlen, um Musik und exklusive Konzerte zu haben, das funktioniert nur bei bekannten Künstlern. Als die britische Band Radiohead 2007 ihr neues Album kostenlos bzw. im Rahmen des Zahle-was-Du-willst-Modells anboten, wurde das als innovativ und zukunftsweisend beschrieben. Die Band war allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits etabliert und konnte sich das Experiment vielleicht eher leisten, als ein Künstler, der bei null beginnt und nicht weiß, was die Leute für seine Musik bezahlen werden.

Wollen Künstler auch häufig aus ihrem Vertrag heraus?

Das passiert nicht selten, dass ich einen Musiker aus seinem Vertrag heraus verhandeln muss. Das läuft aber im seltensten Fall auf eine Klage hinaus, es ist einfach zu teuer und dauert zu lange. Großes Problem dabei sind die die Juristerei begleitenden Erfolgsaussichten. Ich kann meinen Mandanten dann erklären, welche Kriterien es gibt, wie die Rechtsprechung aussieht – aber das ist ganz selten 1:1 auf den jeweiligen Einzelfall übertragbar. Die Prognosen sind also nicht klar, der Künstler hat eine Unsicherheit, muss Geld in einen Rechtsstreit stecken und auch noch warten, was oft bedeutet: er kann gar nicht arbeiten, weil er noch in einem Vertrag steckt, der ihn an sein Label bindet. Manche Bindungsregelungen sind so ausgestaltet, dass man erst aus dem Vertrag rauskommt, wenn man eine gewisse Anzahl von Aufnahmen veröffentlicht hat. Und das Label kann dabei noch entscheiden, ob es eine Aufnahme veröffentlicht oder nicht.

Eine schnellere juristischere Lösung gibt es nicht?

Als häufige Alternative handelt man Auflösungsvereinbarungen aus, die zwar entsprechend was kosten, der Künstler dann aber auch Rechtssicherheit hat. Beispiel: Der Rechtsstreit würde 4.000 EUR kosten, eine Vertragsauflösung vielleicht knapp 7.000 EUR. Ich sage dann: ja, das ist jetzt teurer für Dich, aber dafür bist Du zu klaren Bedingungen und auch sofort aus dem Vertrag raus, ohne einen vielleicht langen Prozessausgang abwarten zu müssen.

Man kommt also besser vor einem Vertragsschluss zu Ihnen?

Ideal ist das natürlich, wenn man beratend einsteigen kann und der Vertragsentwurf auf dem Tisch liegt, den man sich in Ruhe mit dem Mandanten anschauen kann. Ist es ein eher unbekanntes Label, kann man Kontakte zu deren anderen Künstlern aufnehmen und fragen, wie zufrieden sie sind. Praktische Tipps sind oft erst einmal wichtiger als der Vertrag selbst. Verträge sind schlecht, wenn die Prozentzahlen nicht stimmen, oder sie die schon erwähnten Bindungsfristen mit Exklusivität enthalten, bei denen man nicht mehr rauskommt. Bei einigen Verträgen ist das Standard, ich versuche solche Klauseln dann herauszunehmen. Problematisch sind abgetretene Zukunftsrechte, damit ist dann alles abgedeckt, also vielleicht auch Einnahmequellen, die man zum Zeitpunkt des Vertrages noch gar nicht auf dem Schirm hatte, weil sie technisch oder aus sonstigen Gründen noch gar kein Geld bringen. Ich vertrat einmal eine Band mit einem Vertrag aus den Siebzigerjahren, da stand die Frage im Raum, ob digitale Downloads vertraglich erfasst sind oder nicht. Eine spannende Sache, so was war eben damals nicht geregelt, heute nimmt man solche Entwicklungen gleich vorweg.

Wie beurteilen Sie das neue Urheberrecht?

Gut gemeint ist nicht gleich gut, das neue Gesetz packt ein paar Sachen an, stellt ein paar Dinge auch auf klarere Grundlagen. Viel Klärungsbedarf sehe ich aber beispielsweise bei der Frage, wie man mit Remixes und Samples umgeht. Das ist wirklich nicht glücklich formuliert. Remixes sind ein wichtiges Feld im Musikgeschäft, bei denen Originalspuren verwendet werden. Hier wollen Künstler oder Label die Kontrolle behalten wollen. Der EuGH hat hierzu ja auch vor zwei Jahren entschieden, am Ende war es so, dass Samples zulässig sind, wenn man sie nicht mehr heraushören kann. Was bringt aber ein Sample, das man am Ende nicht mehr hören soll?

Bieten Musikproduktionen für Videospiele oder Streaming-Serien neue Einnahmequellen?

Auch das ist eher ernüchternd, man kommt ja nur begrenzt in die Netflix- oder Gamesbranche hinein und dort will man auch eher etablierte, schon bekannte Künstler als Newcomer, die dann die Film- oder Videospielmusik schreiben. Für Musiker ist tatsächlich im Moment das Touren die entscheidende Einnahmequelle sowie zu schauen, dass man über die sozialen Netzwerke eng bei den Fans bleibt und sich hier etwas aufbaut. Perspektivisch neue, besondere Einnahmequellen sehe ich derzeit nicht.

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