Interessenkonflikte bedeuten für jede Anwaltskanzlei ein erhebliches Risiko. Sie entstehen, wenn die Interessen von Mandant/innen oder Anwält/innen in Widerspruch zueinander stehen und sind manchmal gar nicht auf Anhieb zu erkennen.
Klar ist es z.B., dass Sie als Anwalt/Anwältin nicht zwei Mandant:innen vertreten können, die im Rechtsstreit gegeneinander vorgehen. Ein anderes Beispiel wäre aber auch, dass ein/e neue/r Mandant/in gegen eine/n ehemalige/n Mandant/in vorgehen möchte, insbesondere wenn Ihre Kanzlei vertrauliche Informationen über den/die ehemalige/n Mandant/in besitzt, die relevant für den aktuellen Fall sind. Weitere mögliche Interessenkonflikte können z.B. auftreten durch eine persönliche Beziehung zu einem/r Mandant/in, durch eine Beteiligung an einem Unternehmen, das im Rechtsstreit verwickelt ist oder durch familiäre Konflikte.
Bei einem Interessenkonflikt ist immer die Unparteilichkeit fragwürdig und dadurch die Vertraulichkeit gefährdet. Daher sollten Sie sich am besten intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und systematisch daran gehen, Interessenkonflikte zu vermeiden. Nur so können Sie sowohl die Kanzlei als auch Ihre Mandant/innen schützen. Was gilt es also zu beachten?
Welche Strategien und Maßnahmen gibt es zur Vermeidung von Interessenkonflikten?
Strategien und Maßnahmen gibt es zahlreich. Wenn Sie allein die 6 Nachfolgenden beachten, schützen Sie sich und Ihre Kanzlei hinlänglich.
Etablierung einer ordentlichen Konfliktprüfung
Bevor Sie einen Fall annehmen, sollten Sie ihn immer einer ordentlichen Prüfung unterziehen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten, die Sie beide nutzen sollten:
Elektronische Konflikt-Check-Systeme: Es gibt mehrere elektronische Konflikt-Check-Systeme, die speziell für Kanzleien entwickelt wurden, um Interessenkonflikte frühzeitig zu erkennen und effizient zu managen. Solche Systeme helfen dabei, die Einhaltung berufsrechtlicher Vorschriften zu gewährleisten, indem sie Mandant/innen, Parteien und relevante Informationen analysieren. Gängige Lösungen bieten z.B. iManage Conflicts Manager, Intapp Conflicts, Aderant Experts Conflicts oder LexisNexis Interaction.
Insgesamt sind elektronische Konflikt-Check-Systeme unerlässlich, um in modernen Kanzleien Risiken zu minimieren und die Einhaltung der rechtlichen und ethischen Verpflichtungen zu gewährleisten.
Manuelle Überprüfung: So fortschrittlich die heutige Technologie auch ist: Die menschliche Beurteilung sollte immer ein kritischer Bestandteil der Konfliktprüfung bleiben. Daher ist es sehr sinnvoll, eine manuelle Überprüfung durch einen erfahrenen Partner oder spezialisierte Teams durchführen zu lassen. Diese sind in der Lage, auch weniger offensichtliche Konflikte zu identifizieren. Mindestens aber sollten Sie potenzielle neue Mandant/innen immer mit Ihrem gesunden Menschenverstand prüfen.
Sorgfältige Mandatsannahme und transparente Kommunikation
Jedes Mandat, das Sie annehmen, sollte wohlüberlegt sein. Zusätzlich ist eine transparente Kommunikation der Schlüssel zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Informieren Sie Ihre Mandant/innen von Anfang an, sobald die kleinste Gefahr eines solchen Konflikts besteht, um Missverständnisse zu vermeiden. Zusätzlich hilft eine fortlaufende Kommunikation, das Vertrauen zu erhalten und ermöglicht es Ihren Mandant/innen, zeitnahe Entscheidungen zu treffen. Informieren Sie sie daher regelmäßig über den Fortschritt ihrer Angelegenheiten, insbesondere wenn sich potenzielle Konflikte abzeichnen.
Sollte ein unlösbarer Interessenkonflikt bestehen, lehnen Sie das Mandat ab. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen keine konkrete Einwilligung der betroffenen Parteien eingeholt werden kann. Der Verzicht auf ein Mandat kann in solchen Fällen der beste Weg sein, um die Integrität Ihrer Kanzlei zu wahren. Je transparenter Sie von Anfang an mit Ihren Mandant/innen sprechen, desto weniger besteht die Gefahr, dass diese sich hinterher vor den Kopf gestoßen fühlen.
Chinesische Mauern (Chinese Walls)
„Chinesische Mauern“ (auch „Chinese Walls“ genannt) beschreiben eine organisatorische und rechtliche Maßnahme innerhalb einer Kanzlei, die darauf abzielt, den Informationsfluss zwischen verschiedenen Abteilungen oder Anwält/innen zu unterbinden, um Interessenkonflikte zu vermeiden.
Dazu zählen z.B. eine physische Trennung. Anwält/innen, die unterschiedliche Mandant/innen betreuen, sollten in unterschiedlichen Büros oder sogar Abteilungen sitzen. Sie können zusätzliche IT-Sperren einrichten, sodass alle Anwält/innen nur auf Informationen ihrer eigenen Mandant/innen zugreifen können. Außerdem können Vertraulichkeitsvereinbarungen und Kommunikationsbeschränkungen helfen, die Sie mit Ihren Anwält/innen treffen und in denen sich alle Beteiligten verpflichten, keine Informationen über den Fall eines/r anderen Mandant/in preiszugeben.
Fortlaufende Weiterbildung und Aktualisierung der Regeln
Halten Sie alle Mitarbeiter/innen, inklusive aller nicht-juristischer Angestellten in Ihrer Kanzlei auf dem aktuellen Stand. Regelmäßige Schulungen sind notwendig, um ein Bewusstsein für potenzielle Interessenkonflikte zu schaffen und sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter/innen in der Lage sind, diese zu erkennen und entsprechend zu handeln.
Zudem ändern sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ständig. Überprüfen Sie die internen Richtlinien Ihrer Kanzlei daher regelmäßig und halten Sie sie aktuell, um mit allen externen Entwicklungen Schritt zu halten.
Externe Beratung und Unterstützung und Ethikkommission
In komplexen Fällen kann die Hinzuziehung externer Berater hilfreich sein, um sicherzustellen, dass alle potenziellen Interessenkonflikte identifiziert und angemessen behandelt werden. Nutzen Sie diese Chance, um sich selbst auf Ihre wesentlichen Themen fokussieren zu können.
Zusätzliche Sicherheit kann Ihnen die Einrichtung einer internen Ethikkommission bieten. Das gilt vor allem für besonders komplexe oder sensible Fällen. Ein solches Gremium kann eine unabhängige Bewertung vornehmen und sicherstellen, dass die Kanzlei in Übereinstimmung mit den höchsten ethischen Standards handelt.
Dokumentation
Im Ernstfall sollten Sie in der Lage sein, nachweisen zu können, dass Sie und Ihre Kanzlei alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben. Eine sorgfältige Dokumentation aller Schritte zur Konfliktprüfung und -vermeidung ist daher unumgänglich. Gleichzeitig stärkt eine gute Dokumentation die Position der Kanzlei im Falle von Streitigkeiten und trägt zur Wahrung der Integrität bei.
Führen Sie zusätzlich zu Ihren regulären Dokumentationen ein zentrales Register über alle identifizierten Interessenkonflikte und deren Behandlung. Das ist ein wichtiges Instrument zur langfristigen Überwachung. Ein solches Register sollte regelmäßig überprüft und aktualisiert werden, um sicherzustellen, dass keine Konflikte übersehen werden.
Insgesamt bedeutet eine dauerhafte Auseinandersetzung mit dem Thema Interessenkonflikte einen gewissen Aufwand für Sie und Ihre Kanzlei. Je besser der zu beachtende „Workflow“ einmal festgelegt und von den Mitarbeiter/innen verinnerlicht ist, desto effizienter werden Sie das Thema nachhaltig für sich lösen können. Daher lohnt es sich, das Thema mindestens einmal in allen Facetten unter die Lupe zu nehmen.