Eine Passantin deutet auf den Aushang im Schaukasten, den ich eben festmache. Inhalte: Die Ankündigung meiner nächsten Kurse („Deutsch für’s Büro“), die Veröffentlichung eines Berichts zu einer Studie, an der ich mitgewirkt habe, und die Erscheinungstermine zweier Neuauflagen von Werken unter meinem Namen.
Zugegeben, es ist schon schwer zu verstehen. Anwälte haben Fälle zu bearbeiten, zu und vor Gericht zu ziehen und viele Mandanten zu haben. Und ich? Ich habe da diese Anwaltskanzlei, schon seit mehr als fünfzehn Jahren, und muss doch scheinbar immer noch „woanders Geld dazuverdienen“. Das höre ich gelegentlich sogar von Kollegen!
„Der Fall ist nicht genug!“
Bei meiner Vereidigung habe ich mir still geschworen, nie ein Mandat oder einen Mandanten anzunehmen, nur weil mein Bankkonto das gerade lautstark forderte. Da war natürlich Kreativität gefragt, gerade am Anfang, um mir die kleinen Ideale, die Anwalt/Anwältin haben darf – haben sollte? – nicht gleich wieder abkaufen zu lassen. Ich gestehe also: In dieser ersten Zeit hätte der Vorwurf gegriffen.
Aber mein bunt gewundener Ausbildungsweg bot mir genug Alternativen. Ich suchte und bekam Chancen und probierte aus. Ich tue das heute noch.
„Die Akte ist nicht genug“
Längst liegt die Wahrheit also woanders: Ich hätte heute mehr als genug „anwaltlich“ zu tun, wenn ich es denn noch alles machen wollte (und könnte). Aber ich mag gar nicht mehr „nur“ klassisch-anwaltlich tätig sein. Ich bin gerne Anwältin, gerne Generalistin – aber eben nicht nur.
So sind unter dem Dach meiner Kanzlei mittlerweile viele einzelne Tätigkeiten vereint: klassische Rechtberatung und -vertretung für handverlesene Mandanten, die spannende Arbeit als freie Lektorin für vorwiegend juristische Fachbuchverlage, meine oben angesprochenen Dozenturen und Kursleitungen und meine sporadische Forschungstätigkeit. Sogar mein Hobby hat, wie Sie gerade lesen, mittlerweile seinen Platz im Beruf gefunden: meine „Schreiberei“ – öffentlich, unter Pseudonym und als Ghostwriterin.
Entsprechend bunt gemischt sind die Aushänge, die sich im Schaukasten finden: Lesungen, Kurstermine, Buch- und Studienveröffentlichungen und, ja, manchmal sogar Rechtliches.
Rechtschamäleon?
Wer genau liest, merkt schnell, dass die Breite meines Angebotes nichts mit Sprunghaftigkeit oder selbstempfundener „Alleskönnerei“ zu tun hat. Es ist die Universalität des Rechts und der anwaltlichen Tätigkeit, die sich da spiegeln. Wer viel hört, hat viel zu schreiben. Wenige ausgewählte Mandate lassen Platz für Lehr- und Forschungstätigkeiten. „Deutsch für’s Büro“ ist nichts als ein griffiger Titel für das Verstehen und Nutzen rechtssicherer Formulierungen im Büroalltag. Fachbuch und Rechtswissenschaft gehören zum Anwalt wie eine zweite Haut: „Nie weiß’e je alles“, hat ein rheinischer Ausbilder mir mal gesagt.
Ich bin also ein Rechtschamäleon: Ich bleibe immer dieselbe, nur in unterschiedlichen Schattierungen.
Die Antwort auf alle Fragen
Ich habe mir übrigens eine Antwort auf die titelgebende Frage zugelegt, die mein Gegenüber genauso verunsichert, wie mich damals die erste Frage dieser Art. Ich lege den Kopf schräg, denke sehr betont nach und sage dann im Brustton der Überzeugung: „Na, ich muss doch auch mal was machen, was ich kann.“