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Die Herausforderung der Nachfolgeplanung in Anwaltskanzleien: Persönlichkeit, Pläne und Ziele im Fokus

Irgendwann steht sie an, die nächste Instanz. Aber nicht in einem Rechtsstreit, sondern im eigenen Leben, wenn der Anwalt den Staffelstab weiterreichen will. Die letzte Akte zuklappen, den Ruhestand planen. „Nach mir was Gutes?“ lautet die Frage dann. Aber selbst Juristen, deren täglich Brot Mediation und detailreiche Vertragswerke sind, haben oft kaum Vorstellungen von Müh’ und Leid bei der Suche nach Nachfolgern. Nicht selten werden Arbeitsaufwand und Risikofaktoren unterschätzt.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, nimmt sich diesem Thema an. Rechnet man nicht nur die Einzelkanzleien dazu, sondern auch die Nachfolgeregelungen in Sozietäten, hat Römermann über 100 Fälle davon begleitet und oft die Verträge vorbereitet. Römermann ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG in Hannover, Hamburg, Berlin, Erfurt und Mannheim, seit 1996 als Anwalt tätig und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Kanzleinachfolge.

Im Interview erklärt er die oft mühsamen Prozesse: Wünsche der Verkäufer zu erkennen, geeignete Kandidaten zu finden und den Verkauf risikoarm auf solide Weichen zu stellen.

 

Machen sich die meisten Anwälte rechtzeitig Gedanken, wer ihre Kanzlei übernehmen soll?

Das ist statistisch schwer zu greifen. Ich erlebe Anwälte, die schon im Alter von 50 ein konkretes Modell installiert haben. Dann wiederum gibt es andere, die schon 60 sind und bei denen keine Nachfolgelösung in Sicht ist. Die meisten Anwälte sind spät dran.

 

Wie oft kommt es zur Roben-Rotation, wenn die eigenen Kinder Juristen sind und die Kanzlei übernehmen sollen?

Das habe ich nur in einer Handvoll Fälle erlebt. Wenn die Kinder in Studium und Referendariat besonders erfolgreich waren, streben sie im Anwaltsbereich oft in Großkanzleien mit hohem Einkommen und Karriereaussichten.

 

Also überwiegen im Verhältnis Kinder zu fremden Dritten als Nachfolger …

… ganz klar die Dritten. Allgemein geht der Trend ja dahin, das extrem arbeitsintensive Dasein als Einzelunternehmer zu scheuen. Insoweit zeigt sich bei Anwälten und Steuerberatern dasselbe Bild wie bei anderen Berufen. Kanzleien von Anwälten sind zudem typischerweise stark von der Persönlichkeit des Inhabers geprägt, was eine Übergabe deutlich erschwert.

 

Wie meinen Sie das?

Es gibt Kanzleien, die wie Fabriken organisiert sind und wo es stärker auf Prozessabläufe ankommt als auf ganz persönliche Beratung. Das sind aber seltene Ausnahmen. In der Praxis lebt eine Anwaltskanzlei von der Persönlichkeit der beratenden Anwältin oder des beratenden Anwalts. Mandanten fassen Vertrauen und nehmen diese Juristen in Anspruch, weil sie zu ihnen eine menschliche Beziehung aufgebaut haben. Ich kann nicht die Anwälte austauschen und glauben, die Mandantschaft bliebe dieselbe.

 

Kanzleien werden häufig von Steuerberatungen bzw. Gesellschaften aufgekauft. Hat sich diese Tendenz verstärkt bzw. ist hier ein attraktiver Markt vorhanden?

Das ist meines Erachtens der Regelfall und hat in den letzten zwei Jahrzehnten durch große Ketten spürbar zugenommen. Der Markt ist für beide Seiten attraktiv: Dem Käufer ermöglicht er Wachstum, Synergieeffekte und eine Größe, die für Mandanten wie Mitarbeiter attraktiv wirkt. Der Verkäufer kann sein Lebenswerk versilbern, noch dazu steuerlich begünstigt in Form einer Betriebsaufgabe. Wer das 55. Lebensjahr vollendet hat und seinen Betrieb aufgibt, kann einen nennenswerten Freibetrag geltend machen und spart dadurch Steuern.

 

Wie unterschiedlich können die Motive von Anwälten sein, die verkaufen wollen?

Man muss sich schon genauer mit den Plänen und Zielen auseinandersetzen, die der Inhaber eigentlich hat. Manchmal geht es um „Legacy“, also darum, der Welt etwas zu hinterlassen. Zum Beispiel seinen speziellen Beratungsansatz, seine Leitlinie oder Philosophie. Manchmal ist es die Fürsorge gegenüber Mandanten und Mitarbeitern, von denen manche schon lange der Kanzlei angehören bzw. sich vielleicht über Jahrzehnte dort beraten ließen. Dann wiederum kann es um namensmäßige Präsenz gehen, also um den Fortbestand des eigenen Namens in der Firma einer Kanzlei – in einigen Fällen über viele Jahrzehnte. Und manchmal geht es natürlich klar ums Geld.

 

Unabhängig von den Zielen werden aber immer aussagekräftige Zahlen, was Wert und Wirtschaftlichkeit der Kanzlei angeht, benötigt?

Stimmt. Ich mache zunächst eine überschlägige Bewertung der Kanzlei. Die ist nicht sehr detailliert, weil sich das meines Erachtens nicht lohnt. Letztlich geht es ja nicht um ein möglichst ausgeklügeltes und allen Theorien gerecht werdendes Gutachten. Sondern es geht darum, zu ermitteln, was voraussichtlich am Markt erzielt werden kann. Man geht von dem Umsatz der letzten drei Kalenderjahre aus, das jüngste Jahr doppelt, ermittelt dann einen gewichteten Jahresumsatz. Man legt einen Multiplikator an, zum Beispiel 0,8 x Jahresumsatz oder 1,3-fach. Woraus der Multiplikator bestimmt wird, legen Gutachter fest. Kriterien sind dabei etwa das Alter der Kanzlei, ihr Ruf, Spezialisierung und Qualifikation der Mitarbeiter, die Zusammensetzung der Mandantschaft usw.

 

Welche Summen man tatsächlich erzielen kann, hängt von der Marktsituation ab?

Das ist richtig, es entscheidet nicht ein theoretischer Wert auf einem vielleicht hundertseitigen Gutachten, sondern das, was der Markt zu zahlen bereit ist. Dazu müssen zum Beispiel Stärken und Schwächen analysiert werden. Dann beginnt die Suche am Markt, wobei in meinen Fällen der Verkäufer oft schon potenzielle Käufer im Auge hatte.

Anschließend wird ein Datenraum zusammengestellt mit – abgestuft und sukzessive zugänglich – Daten, Fakten, Dokumenten über die Kanzlei, wobei natürlich die anwaltliche Schweigepflicht respektive die der Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer gilt. Dann finden die ersten Gespräche mit potenziellen Käufern statt, der sogenannte „Letter of Intent“. So werden die unverbindlichen Absichtserklärungen bezeichnet, die Käufer und Verkäufer im Rahmen von Verhandlungen abgeben. Diese Erklärungen bilden häufig auch die Grundlage des späteren Kaufvertrags.

 

Wie wichtig ist die Zahl potenzieller Kandidaten, wenn ein Verkauf ansteht?

Wenn irgend möglich, sollten tatsächlich mehrere Bieter da sein, da Verkäufer nur dann eine ernsthafte Verhandlungsposition haben. Dem Letter of Intent schließt sich die Due Diligence an, also die Prüfung der Finanzen, Steuerpflichten usw. der Kanzlei. Risiken können insoweit sein, dass später, wenn der Käufer schon Inhaber geworden ist, eine Betriebsprüfung ansteht und dann vom Käufer erhebliche Nachzahlungen aus der Zeit des Verkäufers gefordert werden.

Dann folgt das erste Angebot. Ich versuche, es erst nach der Due Diligence dazu kommen zu lassen, wenn ich den Käufer berate, da erst danach überhaupt eine sinnvolle Einschätzung möglich ist. Dann werden weitere Teile des Datenraums zugänglich gemacht, weitere Angebote und Gespräche folgen bis zum finalen Vertragsschluss. Je nach vertraglicher Regelung folgt dann weitere Arbeit des Inhabers bezüglich der Überleitung der Mandate.

 

Wie umfassend sind diese Verträge?

Abstrakt gesprochen, muss alles Notwendige geregelt sein. Schwerpunkt der Diskussion ist die Überleitung der Mandate und wie man da berufsrechtlich und datenschutzrechtlich korrekt vorgeht. Diese Ebene ist gar nicht so einfach. Aufgrund der berufsrechtlichen Schweigepflicht dürfte theoretisch über die Mandate gar nicht gesprochen werden.

In der Praxis interessiert sich ein Käufer aber nicht für das Inventar, sondern ausschließlich für den Mandantenstamm und immer öfter auch für das Personal. Hier macht sich der dramatische Fachkräftemangel natürlich jetzt auch bemerkbar.

 

Welche externe Expertise zieht man hinzu, wenn die Verträge vorbereitet werden?

Beteiligt sind Gutachter und Steuerberater. Sachverständige sind beispielsweise gefragt, wenn es Gegenstände von größerem Wert gibt, eine IT-Infrastruktur oder gelegentlich einen wertvollen Markennamen. Steuerberater leisten Zuarbeit, indem sie die bisherigen Jahresabschlüsse prüfen und steuerliche Risiken identifizieren.

 

Wie werden die Kaufkandidaten geprüft?

Die Prüfung der Kandidaten hängt von der Zielsetzung des Verkäufers ab. Nehmen wir den Fall, dass es nur um einen möglichst attraktiven Kaufpreis geht, dann wird die Bonität geprüft, z.B. durch Bankbestätigung. Wenn es um Legacy geht: Das kann dann auch bedeuten, dass der Verkäufer sich verpflichtet, seinen „guten Namen“ über längere Zeiträume oder ohne zeitliche Begrenzung der Kanzlei zur Verfügung stellt.

In der Praxis sind Steuerberater und Anwälte längst nicht so zahlenorientiert, wie es mitunter dargestellt wird. Vielfach entscheiden weiche Kriterien oder auch die Fürsorge gegenüber Mitarbeitern und Mandanten, die dem Verkäufer über sein Ausscheiden hinaus sehr am Herzen liegt. Bei den Gesprächen sind wir oft erst in einer zweiten Phase dabei. Leider schließen die Parteien gelegentlich vorher einen Letter of Intent und wir müssen dann mit den schon getroffenen Festlegungen umgehen, auch wenn unser Mandant sie womöglich schon längst bereut.

 

Welche Risiken und Schwierigkeiten können Käufern beim Übergang begegnen?

Der Nachfolger tritt oft voll in das Haftungsrisiko ein, was zum Teil schon zum Scheitern der Verhandlungen geführt hat. Durch eine Umwandlung zum Beispiel in eine GmbH vor Veräußerung kann man das etwas in den Griff bekommen. Scheitern kann man aber immer noch, weil Haftungsfälle auch den Ruf schwer beschädigen können. Problematisch ist oft die Phase, in welcher Verkäufer und Käufer gleichzeitig in der Kanzlei sind. Im Grunde ist das ja schön und notwendig für eine gelungene Überleitung der Mandate. Wenn die Parteien aber sich nicht mehr verstehen, kann es sehr mühsam werden. Der Verkäufer lehnt dann zuweilen jede Mitwirkung kategorisch ab und der Käufer erscheint wie ein unbekannter Dritter bei der Klientel.

In einigen Fällen verabreden die Parteien „Beraterverträge“ mit dem Ausgeschiedenen, wollen sie aber so, wie es im Vertrag steht, gar nicht umsetzen, sondern versuchen, durch Tricksereien Steuern zu sparen. Das ist keine besonders gute Idee und wenn man sich später streitet, droht dann auch noch eine strafrechtliche Verfolgung.

Außerdem gilt: Je mehr Beteiligte, desto komplexer. Nachfolgeregelungen in Sozietäten sind oft schwierig und wir führen dazu regelmäßig mehrtägige Workshops mit Einzel- und Gruppengesprächen durch. Die können auch schon mal mehrere Wochen dauern, mit jeweils einzelnen Verhandlungstagen. Dabei werden Probleme gelöst wie etwa der Wert eines Anteils aus der Perspektive des Verkäufers respektive aus jener des Käufers. Ein schwieriger, von Erwartungen und Hoffnungen, von Optimismus oder Realitätssinn, von Starrsinn oder Flexibilität geprägter Prozess.

 

Die Kanzleinachfolge als Soloshow?

Manche Juristen wollen das Ruder der Kanzlei-Nachfolge eigenhändig führen. Wer die einzelnen Schritte dieses komplexen Prozesses im Alleingang bewältigen will, gerät dabei schnell in unsichere Gewässer. Der Münchener Rechtsanwalt Dr. Johannes Fiala kennt solche Odysseen und bekam mit, wie ein Anwalt sogar in die Privatinsolvenz rutschte, da der Kaufvertrag über die Kanzlei mangelhaft ausgestaltet war. Der verkaufende Anwalt bekam kein Geld, war aber weiterhin an Fristen und Zahlungen gebunden. Horror-Szenarien, die oft keine großen Kreise ziehen, denn viele Anwälte verschweigen eine missglückte Übergabe. „In der Praxis ist das Thema Kanzleinachfolge oft ganz weit weg und Anwälte gehen den Gedanken an das Ausscheiden aus dem Beruf, Vorsorge und Tod ebenso aus dem Weg wie viele andere“, meint Fiala. Wer seine Kanzlei abgeben will, sollte sich daher frühzeitig sachkundige Hilfe an Bord holen.

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