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Corona vs. Zwangsvollstreckung geht in die nächste Runde

Während sich die Politik auf die nächste Corona-Welle im Herbst einstellt und neue Maßnahmen beschließt, möchten wir die Gläubiger nicht alleine lassen und auf eine gläubigerfreundliche Entscheidung rund um die Corona-Problematik im Rahmen der Räumungsvollstreckung hinweisen. Es ist leider davon auszugehen, dass auch in der Zwangsvollstreckung Corona weiterhin dafür genutzt werden wird, sich der Vollstreckung zu entziehen bzw. diese hinauszuzögern.

I.

Landgericht Berlin, Beschl. v. 19.4.2022, 51 T 152/22

Leitsatz:

Ein positiver Testnachweis auf eine Infektion des SARS-CoV2-Erregers führt nicht zu einer Sittenwidrigkeit der Zwangsräumung und damit zur Einstellung der Zwangsvollstreckung i.S.d. § 765a ZPO.

Sachverhalt:

Der Schuldner wendet sich mit einem Vollstreckungsschutzantrag gegen eine Räumungsvollstreckung und beantragte Gewährung von Räumungsschutz. Diesen Vollstreckungsschutzantrag begründet der Schuldner einerseits mit einem ärztlichen Attest, wonach allgemein bescheinigt wird, der Schuldner sei aufgrund psychischer Probleme nicht in der Lage eine neue Wohnung zu finden und auch zu einem Umzug nicht in der Lage. Ferner stützt der Schuldner seinen Vollstreckungsschutzantrag auf einen positiven Testnachweis auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 793, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Amtsgericht hat den Antrag des Schuldners vom 6.4.2022 auf Gewährung von Räumungsschutz im Ergebnis zutreffend als jedenfalls unbegründet zurückgewiesen. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung sowie des Nichtabhilfebeschlusses vom 19.4.2022 Bezug genommen.

Entgegen der erstinstanzlich vertretenen Auffassung wurde der Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz rechtzeitig gestellt. Nach § 765a Abs. 3 ZPO ist der Antrag auf Gewährung von Räumungsschutz nach § 765a Abs. 3 ZPO spätestens 2 Wochen vor dem angesetzten Räumungstermin zu stellen. Der Räumungstermin ist hier auf den 20.4.2022 bestimmt. Der Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz musste somit bis zum Ablauf des 6.4.2022 beim Vollstreckungsgericht eingehen (vgl. Zöller/Seibel, ZPO, 3. Auflage, § 721 Rn 8 und Rn 20 m.w.N.), was vorliegend ausweislich des Transfervermerks zum Eingang von Schriftstücken per beA vom 6.4.2022 geschehen ist.

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Zutreffend hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass die bevorstehende Räumung keine sittenwidrige Härte i.S.d. § 765a ZPO darstellt.

Nach dieser Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift genügen die normalerweise mit einer Zwangsräumung verbundenen Härten nicht. Vielmehr müssen ganz besondere Umstände, die mit der Art oder dem Zeitpunkt der Zwangsvollstreckungsmaßnahme zusammenhängen, hinzutreten. Anzuwenden ist § 765a ZPO auch nur dann, wenn im Einzelfall die Maßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (BGH NJW 2005,1859 m.w.N.; LG Lübeck Rechtspfleger 2004, 435).

Im Falle der Geltendmachung drohender Gesundheits- oder Lebensgefahr hat das Vollstreckungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu berücksichtigen. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall erheblich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und des Grundrechts des Schuldners aus Art. 1 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen.

Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden ist, kann aber eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der Interessen des Betroffenen mit den – nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO voll zu würdigenden – Schutzbedürfnissen des Gläubigers. Bei dieser Interessenabwägung ist zu beachten, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte, insbesondere den Schutz seines Eigentums nach Art. 14 Satz 1 GG berufen kann. Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger wirksam zu seinem Recht zu verhelfen. Dem Gläubiger dürfen nicht die Aufgaben aufgebürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen.

Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Gesundheits- oder Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob diese Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung begegnet werden kann. Nicht zuletzt ist aber auch der Gefährdete selbst gehalten, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Falle der Vollstreckung bestehen, zu verringern. Dazu kann gehören, fachliche Hilfe – gegebenenfalls auch durch einen stationären Klinikaufenthalt – in Anspruch zu nehmen, um die Gesundheits- oder Lebensgefahr auszuschließen oder zu verringern (BGH NJW 2005,1859 m.w.N.).

Eine Gesundheits- oder Lebensgefahr begründet nicht als solche eine sittenwidrige Härte, sondern sie ist nur ein gewichtiger Umstand, der in die Abwägung der gegenläufigen Interessen einzubeziehen ist. Ferner sind das sonstige Verhalten des Schuldners in der Zwangsvollstreckung und – im Interesse des Gläubigers – die Dauer des bisherigen Verfahrens zu berücksichtigen (OLG Köln NJW 1993, 2248).

Es obliegt dem Schuldner, die tatsächlichen Voraussetzungen für den begehrten Räumungsschutz darzulegen. Der Schuldner muss die Gesundheitsgefährdung und den Kausalzusammenhang zwischen der anstehenden Zwangsräumung und seiner Gefährdung substantiiert darlegen und die hinreichende Wahrscheinlichkeit dieser Voraussetzung beweisen (LG Lübeck Rechtspfleger 2004, 435). Die behauptete Gefahr muss für das Vollstreckungsgericht anhand objektiv feststellbarer Merkmale mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können (OLG Köln NJW 1993, 2248). Dazu ist bei Gesundheits- und Lebensgefahren in der Regel ein fachärztliches Attest notwendig, dass aussagekräftig ist und für das Gericht nachvollziehbar macht, aufgrund welcher Zusammenhänge ein Risiko besteht, wie hoch die Gefahr von dessen Realisierung einzuschätzen ist und welche Schritte zur Risikoverringerung möglich sind und was der Betroffene bisher dazu unternommen hat.

Im vorliegenden Fall belegt das Attest vom 5.4.2022 schon keine durch die Räumung bedingte schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Schuldners. Weder beinhaltet es eine konkrete Diagnose, sondern bescheinigt dem Schuldner nur aufgrund psychischer Probleme nicht in der Lage zu sein und eine neue Wohnung zu finden und zu einem Umzug in der Lage zu sein. Konkrete Angaben zur Art und Umfang der Gesundheitsgefährdung, zu deren Wahrscheinlichkeit im Falle der Räumung sowie zu möglichen Maßnahme, wie der Gefährdung zu begegnen sei, verhält sich das Attest nicht.

Auch der positive Testnachweis auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger führt nicht zur Sittenwidrigkeit der Räumung, zumal die notwendige Isolation auch in einer anderen Unterkunft durchgeführt werden kann. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass wegen der Infektion z.B. eine Kontaktaufnahme mit dem Sozialamt per Telefon oder E-Mail nicht möglich gewesen ist.

Soweit der Antrag darauf gestützt wird, dass die bevorstehende Räumung negative Auswirkungen auf die Tochter des Schuldners haben könnte, reicht dies nicht aus, um von einer sittenwidrigen unbilligen Härte auszugehen. Der Schuldner trägt schon nicht vor, unter welchen psychischen Problemen die Tochter leiden soll. Der Umstand, dass ein Umzug mit dem Verlust des bisherigen Freundeskreises einhergehen kann, reicht jedenfalls für die Gewährung von Räumungsschutz nicht aus. Ärztliche Bescheinigungen für die Tochter fehlen ebenfalls.

II.

Praxisauswirkungen dieser Entscheidung

Die Deutlichkeit dieser Entscheidung mag auf den ersten Blick im Hinblick auf die sonst in der Vergangenheit in Bezug auf Corona politisch an den Tag gelegte Panik- und Vorsichtsstrategie einigermaßen verwundern. Auf den zweiten Blick ist diese Entscheidung jedoch eine Punktlandung und der richtige Schritt zur Normalität.

Geht man davon aus, dass ein positiver Corona-Test nicht ansatzweise etwas darüber aussagt, ob der Betroffene überhaupt Symptome oder lediglich leichte Symptome zu beklagen hat, so dürfte nach der Rechtslage vor Corona Einigkeit dahingehend bestehen, dass grippeähnliche Erkrankungen – natürlich abhängig von der Schwere der tatsächlichen Symptome – sicherlich nicht zur Einstellung einer Zwangsräumung geführt hätten. Weshalb sollte also ein positiver Corona-Test ohne Darlegung schwerwiegender Krankheitssymptome zur Einstellung führen?

Aufgrund der erprobten Schutzmaßnahmen, wie Masken, Impfungen, Lüften und Abstand, ist es auch für die an der Räumung beteiligten Personen (Gläubiger, Gerichtsvollzieher, Spedition) möglich, diese durchzuführen. Zahlreiche Räumungen werden zumeist gerade in Abwesenheit eines Schuldners durchgeführt, weil dieser zum Zeitpunkt der Räumung sich nicht mehr im Mietobjekt befindet. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass derzeit offenbar diskutiert wird, trotz eines positiven Corona-Tests die Arbeitsstätte aufzusuchen, wäre es geradezu absurd auf dieser Basis die Zwangsräumung einzustellen.

Besonders hervorzuheben ist die vom Landgericht Berlin vorgenommene Interessenabwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerbelangen. Nach unserer Erfahrung findet diese meist nur in der Theorie statt. Eine Vielzahl von Einstellungen erfolgen aufgrund eines „Bauchgefühls“, eines gewissen menschlichen Mitleids für den Schuldner oder aus Angst vor einer Falschentscheidung, ohne auch nur einen Gedanken an die verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers zu verschwenden. Insoweit ist zu begrüßen, dass das Landgericht Berlin mit aller Deutlichkeit einerseits den Schutz des Eigentums als Grundrecht des Gläubigers und anderseits die Aufgaben des Staates herausgearbeitet hat sowie darüber hinaus klargestellt hat, dass das Sozialstaatsprinzip nicht auf den einzelnen Gläubiger abzuwälzen ist.

Auch hat sich das Landgericht Berlin umfangreich mit der praxisrelevanten Frage beschäftigt, welche Anforderungen an ein fachärztliches Attest im Rahmen eines Vollstreckungsschutzantrages zu stellen sind, nämlich

  • die Darstellung der Zusammenhänge, bei welchen ein Risiko besteht (Kausalität),

  • wie hoch die Gefahr von dessen Realisierung eingeschätzt wird und

  • welche Schritte zur Risikoverringerung möglich sind

  • und schließlich was der Schuldner selbst bislang unternommen hat, um dieses Risiko zu verringern.

Eine Vielzahl der im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages vorgelegten Atteste dürften nicht ansatzweise diesen Anforderungen genügen. Zum Teil werden nicht einmal fachärztliche Atteste, sondern bestenfalls Atteste des Hausarztes vorgelegt. Gleichwohl werden diese Anforderungen von zahlreichen Gerichten im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages negiert. Hier gilt es auf Seiten des Gläubigers, sich detailliert mit dem vorgelegten Attest auseinanderzusetzen und auf die fehlenden Kriterien hinzuweisen.

Fazit:

Insoweit bietet diese Entscheidung für den Gläubiger erhebliche Angriffsmöglichkeiten im Hinblick auf einen Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners.

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