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Grundwissen für die Verbraucherinsolvenz mit allen wesentlichen Neuerungen seit dem 1.1.2021

Grundwissen für die Verbraucherinsolvenz mit allen wesentlichen Neuerungen seit dem 1.1.2021

Immer noch „geistern“ die verschiedensten Insolvenzlaufzeiten durch die Anwaltskanzleien. Sind es 7, 6, 5 oder doch nur 3 Jahre?

Mit dem nachfolgenden Aufsatz möchte ich einerseits in groben Zügen den Ablauf insbesondere der Verbraucherinsolvenz erklären. Andererseits lasse ich auch alle wesentlichen Änderungen seit dem 1.1.2021 mit einfließen.

Insbesondere wegen der zu erwartenden auch pandemiebedingten erheblichen Zunahme von Privatinsolvenzen ist ein solides Grundwissen für die in der Zwangsvollstreckung tätigen Sachbearbeiter unerlässlich.

Am 1.1.1999 trat die Insolvenzordnung in Kraft und löste die Konkurs- und Vergleichsordnung der alten Bundesländer und die Gesamtvollstreckungsordnung der neuen Bundesländer ab. Bereits am 1.12.2001 wurde die Laufzeit von 7 Jahre auf 6 Jahre geändert. Rund 13 Jahre später, nämlich am 1.7.2014 wurde die Insolvenzordnung auf 3, 5 oder 6 Jahre geändert.

  • 6 Jahre für diejenigen, die vermögenslos waren,
  • 5 Jahre für die, die zumindest die Gerichtskosten von rund 2.000,00 EUR zahlen konnten und
  • 3 Jahre für die Personen, die neben den zu zahlenden Gerichtskosten den Gläubigern 35 % zurückgeben konnten.

In der Praxis gab es jedoch kaum Schuldner, die die 3-Jahres-Voraussetzungen erfüllen konnten.

Im Zuge der europäischen Vereinheitlichung wurde die Richtlinie EU 2019/1023 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Juni 2019 neben diversen anderen Richtlinien umgesetzt und führte durch das „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens“ vom 22.12.2020 somit zu einer Verkürzung des Verfahrens rückwirkend seit dem 1.10.2020 auf lediglich 3 Jahre.

3 Jahre ist die aktuelle Laufzeit, von der nicht nur unternehmerisch tätige Personen, sondern auch Verbraucher profitieren – für insbesondere auch durch Corona in Not geratene Personen eine echte Chance, für Gläubiger nahezu eine Katastrophe.

Den einschlägigen Fachzuschriften zum Insolvenzrecht nach, wird sich die Zahl der Verbraucherinsolvenzen nahezu verzehnfachen. Aus diesem Grund soll bis zum 30.6.2024 sach- und fachgerecht bewertet werden, wie sich die Zahlen der Verbraucherinsolvenzen erhöhen und ob es zum bewussten Schuldenmachen verleitet (Art. 107a Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung, BGBl I 2020, 3330).

Zu unterscheiden ist zwischen zwei verschiedenen Insolvenzverfahren:

  • Regelinsolvenz (Aktenzeichen IN)
  • Verbraucherinsolvenz (Aktenzeichen IK)

Die Regelinsolvenz gilt für:

  • a) Unternehmen (GmbH, KG usw.),
  • b) ehemals Selbstständige ab 20 Gläubiger oder weniger als 20 Gläubiger, wenn auch Krankenkassen oder Arbeitnehmer Gläubiger sind (§ 304 I InsO).

Das Verfahren endet mit:

  • bei a) Sanierung oder Zerschlagung
  • bei b) Restschuldbefreiung

Ein außergerichtlicher Vergleichsversuch ist hier nicht vorgeschrieben, kann jedoch durchgeführt werden.

Die Verbraucherinsolvenz gilt für natürliche Personen und früher Selbstständige mit überschaubaren Vermögensverhältnissen (§ 304 Abs. 2 InsO). Das Verbraucherinsolvenzverfahren endet mit der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO).

Insolvenzgründe sind:

  • Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO),
  • drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO),
  • Überschuldung (§ 19 InsO).

Bei der Verbraucherinsolvenz muss zwingend ein außergerichtlicher Vergleichsversuch unternommen werden. Er ist obligatorisch.

Praxishinweis:

Oftmals werden Nullpläne oder flexible Nullpläne vorgeschlagen.

Flexibler Nullplan bedeutet, dass, wenn der Schuldner zu Vermögenswerten kommt, der Gläubiger Zahlungen erhält. Wenn nicht, dann nicht. Diese Vorschläge bzw. Vergleichsangebote von 1 bis 10 % sind in der Regel inakzeptabel und gegenüber dem Mandanten nicht vertretbar. Bei Vorschlägen zwischen 10 bis 25 % sollte man zumindest drüber nachdenken.

Unterbreitet der Schuldner Angebote von 25 % oder höher, sollte der Gläubiger ernsthaft bedenken, dass solche Angebote bei Durchführung eines Insolvenzverfahrens kaum erreichbar sind.

Möglich ist allerdings auch, dass der Gläubiger ein Gegenangebot vorschlägt. In der Phase des außergerichtlichen Vergleichs ist alles frei verhandelbar.

Achtung:

Zu beachten ist aus Gläubigersicht allerdings, dass bei Zusendung der Forderungsaufstellung oder Unterbreitung eines Vergleichsgegenvorschlages des Gläubigers dieser in den Gefahrenbereich der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 130 ff. InsO kommt.

Nach § 130 Abs. 1 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, wenn sie in den letzten 3 Monaten vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden. Der Gläubiger muss positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners haben und dieses liegt mit Zusenden der Forderungsaufstellung vor.

Klappt der außergerichtliche Vergleich, ist die Sache beendet. Dieser Vergleich gilt aber nur mit den Gläubigern, die der Schuldner benannt hat. Hat der Schuldner einige Gläubiger vergessen und diese melden sich nach geraumer Zeit und machen Ansprüche geltend, muss der Schuldner auch mit diesen Gläubigern einen Vergleichsversuch unternehmen. Das Ganze beginnt somit von vorn.

Praxishinweis:

Die Gläubiger haben gegen den Schuldner leider keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihnen im Zusammenhang mit dem Schulden-Bereinigungsplan entstehen (§ 310 InsO)

Gebührenhinweis:

War die Einzugsangelegenheit wegen Uneinbringlichkeit jedoch abgeschlossen und liegen zwischen der seinerzeitigen Beendigung und dem jetzigen Vergleichsverfahren mehr als 2 Jahre, findet keine Anrechnung mehr auf frühere Gebühren Anwendung (§ 15 Abs. 5 S. 2 RVG) und es kann überlegt werden, ob für das Zusenden einer solchen Forderungsaufstellung gegenüber dem Mandanten u.U. eine Gebühr gemäß Nr. 2300 oder 2301 VV-RVG abgerechnet werden kann.

Erst wenn der Vergleich scheitert, kann der Eröffnungsantrag gemäß § 305 InsO gestellt werden. Gescheitert ist er, wenn der erste Gläubiger den Vergleichsvorschlag ablehnt oder wenn ein Gläubiger die Zwangsvollstreckung fortsetzt.

Scheitert die außergerichtliche Schuldenbereinigung, hat der Schuldner innerhalb von 6 Monaten ab Beginn des Scheiterns den Insolvenzantrag zu stellen. (Das Gericht kann auf Antrag noch einen gerichtlichen Vergleichsversuch unternehmen, bei dem Gläubiger allerdings überstimmt werden können.)

Sodann wird das Insolvenzverfahren eröffnet.

Jetzt müssen die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen zur Tabelle anmelden.

Achtung:

Insolvenzgläubiger sind alle Gläubiger, die am Tage der Eröffnung einen begründeten Vermögensanspruch haben (§ 38 InsO).

Dann folgt nach ca. 6 bis 8 Wochen der Prüfungstermin. In diesem Termin werden die angemeldeten Forderungen der Gläubiger erörtert und eine Entscheidung über die Feststellung und Aufnahme der Forderung in die Insolvenztabelle getroffen.

Danach erfolgt die Masseverwertung. Sie soll bewirken, dass möglichst viel Kapital für die Gläubiger gebildet wird.

Nach der Masseverwertung erfolgt der Schlusstermin. Von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu diesem Termin kann der Insolvenzgläubiger Versagungsgründe nennen.

Dem Schuldner ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner (jetzt in Kurzform dargestellt)

  • zu einer Insolvenzstraftat §§ 283–283c StGB (Bankrott, besonders schwerer Bankrott, Verletzung Buchführungspflichten, Gläubigerbegünstigung) verurteilt wurde,
  • sich in den letzten 3 Jahren durch vorsätzliche oder grob fahrlässige falsche oder unvollständige Angaben Kredite oder Mittel aus öffentlichen Kassen erschwindelt hat,
  • in den letzten 3 Jahren vor Eröffnung vorsätzlich oder grob fahrlässig durch falsche Angaben unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet hat,
  • seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat,
  • in den vorzulegenden Verzeichnissen vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat,
  • seine Erwerbsobliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Gläubiger beeinträchtigt hat.

Liegen Versagungsgründe vor, muss der Gläubiger diese auch genau begründen und darlegen, dass ein messbarer Schaden entstanden ist (BGH, 03.12.09, IX ZB 89/09, FMP 10, 49).

Praxisfall:

Der Schuldner hat verschwiegen, dass er auf Mallorca eine Eigentumswohnung im Wert von ca. 160.000,00 EUR hat. Hier lag ein Fall des § 290 InsO vor. Die Gläubiger wurden wegen der nicht angegebenen Vermögenswerte schlechter gestellt.

Die Restschuldbefreiung war zu versagen.

Während der Wohlverhaltensphase hat der Schuldner gemäß § 295 InsO Obliegenheiten zu beachten, nämlich (jetzt in Kurzform dargestellt)

  • eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen,
  • Vermögen, welches er von Todes wegen erwirbt und Geldgeschenke zur Hälfte und Lotteriegewinne in voller Höhe herauszugeben,
  • jeden Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen,
  • keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil zu verschaffen, also keine Begünstigung eines einzelnen Gläubigers,
  • keine unangemessenen Verbindlichkeiten im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO zu begründen.

Verstößt der Schuldner gegen diese Obliegenheiten, versagt das Gericht die Restschuldbefreiung.

In der Tat ist es für den Gläubiger nicht ganz einfach, Versagungsgründe zu finden. Ein wichtiger Punkt ist allerdings die Erwerbsverpflichtung. Ein Schuldner, der lediglich eine Teilzeitbeschäftigung ausübt, hat sich im Rahmen der Erwerbsobliegenheit regelmäßig um eine angemessene Vollzeittätigkeit zu bemühen (BGH, 14.1.2010, IX ZB 242/06).

Erkennt der selbstständige Schuldner in der Wohlverhaltensperiode, dass er mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit nicht genug erwirtschaftet, um seine Gläubiger so zu stellen, als gehe er einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit nach, braucht er seine selbstständige Tätigkeit nicht sofort aufzugeben. Um den Vorwurf zu entkräften, schuldhaft die Befriedigung seiner Gläubiger beeinträchtigt zu haben, muss er sich dann aber nachweisbar um eine angemessene abhängige Beschäftigung bemühen und – sobald sich ihm eine entsprechende Gelegenheit bietet – diese wahrnehmen (BGH, 7.5.2009, IX ZB 133/07, MDR 09, 1192).

Liegen keine Versagungs- oder Obliegenheitsverletzungen vor, erteilt das Gericht dem Schuldner gemäß § 300 InsO die Restschuldbefreiung. Sie wirkt gemäß § 301 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderung nicht angemeldet haben.

Neu seit dem 1.1.2021 (rückwirkend ab 1.10.2020) ist zusammengefasst folgendes:

  • Verkürzung der Laufzeit der Insolvenz auf 3 Jahre (§ 287 Abs. 2 InsO),
  • ein erneuter Insolvenzantrag kann erst in 11 Jahren gestellt werden (§ 287a Abs. 2 S. 1 InsO),
  • die erneute Insolvenz hat eine Dauer von 5 Jahren (§ 287a Abs. 2 InsO),
  • Geldgeschenke sind zur Hälfte, Lotteriegewinne in voller Höhe auszuhändigen (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO),
  • wenn der Schuldner selbstständig tätig ist, kann er die an den Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder abzuführenden Beträge vom Insolvenzgericht verbindlich feststellen lassen. Die Beträge sind kalenderjährlich bis zum 31.1. des Folgejahres zu leisten (§ 295a Abs. 1 InsO).

Geplant war, die Eintragungen z.B. in der Schufa auf 6 Monate zu begrenzen. Dieses ist nicht geändert worden. Nach der erteilten Restschuldbefreiung nach 3 Jahren steht der Schuldner noch weitere 3 Jahre in den Wirtschaftsauskunfteien.

Von der Restschuldbefreiung nicht erfasste Forderungen ergeben sich aus § 302 InsO.

Von der Erteilung der Restschuldbefreiung werden nicht berührt:

  • Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung,
  • aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, oder aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach §§ 370 (Steuerhinterziehung), 373 (gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel) oder 374 (Steuerhehlerei) der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist; der Gläubiger hat die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO anzumelden,
  • Geldstrafen und die diesen gleichgestellten Verbindlichkeiten des Schuldners,
  • Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt worden sind.

Hat ein Gläubiger eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, muss er diese Forderung auch als solche zur Insolvenztabelle anmelden. Wichtig ist dabei, dass sie ausdrücklich als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung angemeldet wird.

Wichtiger Hinweis:

Immer wieder melden Gläubiger lediglich Forderungen aus unerlaubten Handlungen an. Das ist fehlerhaft und kann zu Regressansprüchen gegen den Anwalt führen. Eine unerlaubte Handlung ist z.B. ein Verkehrsunfall. Von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen sind aber gemäß § 302 InsO nur Forderungen aus vorsätzlich unerlaubten Handlungen.

Fall aus der Praxis:

Der Mandant wurde wegen eines Banküberfalls strafrechtlich vertreten. Er erbeutete über 80.000,00 EUR, wurde inhaftiert. Während der Haft stellte der Mandant InsO-Antrag. Das Verfahren wurde eröffnet. Die Versicherung beglich den Schaden gegenüber der Bank. Der Anwalt der Versicherung meldete auf dem Anwaltskopfbogen die Forderung von 80.000,00 EUR als Forderung aus unerlaubter Handlung an. Der Schuldner erhielt eine Restschuldbefreiung gemäß § 300 InsO. Da das Wort „vorsätzlich“ fehlte hatte der Anwalt einen Regressfall vorliegen.

Immer wieder muss festgestellt werden, dass diesem kleinen Wort „vorsätzlich“ keinerlei Bedeutung beigemessen wird – mit großen haftungsrechtlichen Folgen.

Zu beachten ist gläubigerseits auch, dass die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung mit umfassender Begründung bis spätestens zum Schlusstermin zu erfolgen hat (BGH, Urt. v. 19.12.2019, IX ZR 53/18, ZVI 3/20, 96).

Welch große Bedeutung die Vorschrift des § 302 InsO für den Gläubiger im Rahmen der Zwangsvollstreckung hat, damit befasst sich die nächste Ausgabe.

Es wird spannend.

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