1. Auch wenn das OWiG keine § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB entsprechende Vorschrift enthält, unterfallen § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG („Vorwurf, den der Täter trifft“) nicht nur die Umstände, die die Begehung der Ordnungswidrigkeit betreffen, sondern auch solche, die das Nachtatverhalten betreffen.
2. Erscheint ein von fehlender Unrechtseinsicht getragenes Nachtatverhalten im Kern nicht als Ausfluss der Selbstbelastungsfreiheit, kann es grundsätzlich bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden.
3. In einem solchen Fall muss der Tatrichter in den Urteilsgründen darlegen, ob das Verhalten des Betroffenen eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung belegt. Ist dies der Fall, rechtfertigt ein solches Verhalten eine angemessene, aber nicht mathematisch bestimmbare (vorliegend: 25 %) Erhöhung der Regelgeldbuße. (Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Ungebührliches Verhalten in der Anhaltesituation
Das AG hat den Betroffenen u.a. wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Tateinheit mit dem Nicht-bei-sich-Führen der Zulassungsbescheinigung I in zwei Fällen während einer Fahrt zu Geldbußen von 650 und 280 EUR verurteilt. Bei dem polizeilichen Anhalten verhielt sich der Betroffene zunehmend patzig und provokativ, diese sollten sich doch besser um die Demonstranten in der Sonnenallee kümmern, doch das würden die Zeugen sich nicht trauen. Sie, die Zeugen, würden „unschuldige Bürger ärgern“, „das könnt Ihr“, sie, die Zeugen, hätten „offenbar nichts anderes zu tun“. Dieses Verhalten hat das AG bußgelderhöhend jew. um 25 % berücksichtigt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat zu einer Herabsetzung der Bußgelder auf 580 bzw. 250 EUR geführt.
II. Entscheidung
Ausgangspunkt
Die Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidungen führe zu einer Anpassung der Geldbußen. Ausgangspunkt für die Bestimmung der Rechtsfolgen für Verkehrsordnungswidrigkeiten sei die BKatV. Die dieser Rechtsverordnung zu entnehmenden Regelsätze seien für das Gericht bindend und dienen der weitestmöglichen Gleichbehandlung gleichartiger Fälle. Sie stellten Zumessungsrichtlinien dar und gehen von gewöhnlichen Tatumständen und durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus, die als angemessen gelten (OLG Frankfurt NStZ-RR 2017, 94; OLG Hamm DAR 2020, 230 = VRR 12/2019, 15 [Deutscher]). Dem folgend sei das AG zutreffend von den in der BKatV ausgewiesenen Regelsätzen bei der Bestimmung der Geldbußen ausgegangen, hier von 260,00 EUR und 115,00 EUR und habe diese wegen Vorsatzes jeweils verdoppelt. Bei der Entscheidung über ein Abweichen von den Regelsätzen blieben auch unter dem Regime der BKatV die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG maßgeblich (KG NZV 2015, 355). Für die Zumessung seien nach § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, die sich grob in den Regelsätzen widerspiegelt, und der Vorwurf, der den Täter trifft, entscheidend. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 1.HS. OWiG spielten auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen eine Rolle. Demnach dürfe der Tatrichter nicht schematisch vorgehen, sondern hat die Umstände des Einzelfalls bei der Bemessung der Geldbuße zu beachten.
Nachtatverhalten kann grundsätzlich berücksichtigt werden
Der Einwand des Rechtsbeschwerdeführers, sein Nachtatverhalten hätte bei der Bestimmung der Geldbußen unberücksichtigt bleiben müssen, treffe in dieser Pauschalität nicht zu. Es sei allgemein anerkannt, dass unter das Tatbestandsmerkmal „der Vorwurf, der den Täter trifft“, nicht nur die Umstände fallen, die die Begehung der Ordnungswidrigkeit, sondern auch das Nachtatverhalten des Täters umfassen, auch wenn das Ordnungswidrigkeitenrecht anders als das Strafrecht in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB dies nicht ausdrücklich normiert hat. Demnach sei das vorliegende von fehlender Unrechtseinsicht getragene Nachtatverhalten des Betroffenen grundsätzlich geeignet, die Bestimmung der Geldbußen für die vorsätzlich begangenen Zuwiderhandlungen zu beeinflussen, es sei denn, es sei im Kern als Ausdruck seines Rechts, sich selbst nicht zu belasten und nicht zu seiner Überführung beizutragen zu müssen, zu bewerten. So dürfe z.B. ein (auch hartnäckiges) Leugnen der Zuwiderhandlung, Schweigen zum Vorwurf, zulässiges Prozessverhalten oder vergleichbares Verhalten nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt werden (BayObLG zfs 2023, 287; König DAR 2024, 367). Die Berücksichtigung sonstigem von fehlender Unrechtseinsicht getragenes Nachtatverhalten orientiere sich an dem anerkannten Zweck einer Geldbuße, den Betroffenen zur Respektierung der geltenden Rechtsordnung anzuhalten. Danach sei es angebracht, Tätern, die das Unrecht ihrer Handlung erkennbar einsehen mit einer entsprechenden milderen Geldbuße zu begegnen (OLG Oldenburg zfs 2019, 231), andernfalls auf eine erhöhte Geldbuße zu erkennen, sofern das Verhalten den Schluss auf eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung rechtfertigt (KG NZV 1992, 249; OLG Köln NZV 1995, 327). Dieser Maßstab erfordere vom Tatgericht eine zurückhaltende und differenzierte Berücksichtigung des auf fehlender Unrechtseinsicht basierendem Nachtatverhaltens.
Im konkreten Fall
Vorliegend habe das Tatgericht ohne die erforderliche differenzierte Bewertung und damit fehlerhaft das gesamte Nachtatverhalten des Betroffenen als bußgelderhöhend bewertet. Seine Äußerung „Sie, die Zeugen, würden „unschuldige Bürger ärgern“ mache zwar die fehlende Einsicht in sein Verhalten deutlich, komme aber dem Leugnen seines Fehlverhaltens gleich (BayObLG zfs a.a.O.) und dürfte keine nachteilige Berücksichtigung finden. Hinsichtlich der weiteren Äußerungen des Betroffenen gegenüber den Zeugen sei den Urteilsgründen die Begründung für die bußgelderhöhende Bewertung nicht ausreichend zu entnehmen. Diese Fehler führe aber nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache. Denn den Urteilsgründen seien sowohl die Umstände des Nachtatverhaltens als auch das Verhalten gegenüber den Zeugen hinreichend zu entnehmen und der Senat mache daher von der Möglichkeit Gebrauch macht, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 79 Abs. 6 1. Var. OWiG). Der Senat habe eine umfassende Gesamtschau der weiteren Äußerungen und dem Auftreten des Betroffen gegenüber den Zeugen vorgenommen und bewerte dies als bußgelderhöhendes Nachtatverhalten. Dabei habe er durchaus bedacht, dass eine Verkehrskontrolle eine Ausnahmesituation darstellen kann, die den Betroffenen zu unbedachten und von seinem Gegenüber hinzunehmende Äußerungen verleitet haben kann (König DAR 2024, 367), auch wenn den persönlichen Verhältnissen zu entnehmen sei, dass ihm das Begehen von Verkehrsverstößen, die vorliegend nicht mehr bußgelderhöhend bewertet werden durften, nicht fremd ist. Das längere Nichtbefolgen der Aufforderung, den Motor abzustellen, um damit das Gespräch mit den Zeugen zu erschweren, das rechtmäßige Vorgehen der Polizeibeamten dadurch grundlos nachhaltig in Frage zu stellen, ihnen sowohl ihre fachliche wie persönliche Kompetenz abzusprechen, ihnen die fehlerhafte Handhabung des Opportunitätsgrundsatzes zu unterstellen, das Verfolgungsinteresse des Staates repräsentiert durch die Zeugen zu negieren, zeigten nicht nur ein distanzloses, unangemessenes, die Zeugen herabwürdigendes Verhalten, sondern lasse den Schluss – auch unter Berücksichtigung der widerholten vorsätzlichen Missachtung der innerstädtischen Geschwindigkeitsregeln während der Fahrt – auf eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung des Betroffenen zu und dass er sich durch eine niedrigere Geldbuße nicht wird beeindrucken lassen, sich zukünftig regelkonform zu verhalten. Dieses Nachtatverhalten stelle ein Abweichen vom Regelfall dar, dessen bußgelderhöhende Berücksichtigung allerdings nicht – entgegen der Ansicht des Tatgerichts – durch eine mathematische Berechnung der Erhöhung der Regelsätze (hier jeweils 25 %) zu erfolgen habe (Thoma, in: Göhler, OWiG, 19. Aufl. 2024, § 17 Rn 28j m.w.N.). Der Senat erhöhe die Geldbußen angemessen und setzt die Geldbuße für die Handlung zu 1) auf 580,00 EUR und für die Handlung zu 2) auf 250,00 EUR fest.
III. Bedeutung für die Praxis
Zwiespältig
§ 17 Abs. 3 OWiG ist zur Bußgeldbemessung deutlich spartanischer formuliert als § 46 Abs. 2 StGB für die Strafzumessung. Anders als im Strafrecht gibt es hier für den dominanten Bereich der Verkehrsverstöße die bindenden Regelsätze der BKatV (s. § 1 Abs. 2 BKatV; zur Erhöhung der Regelgeldbuße wegen Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem SUV OLG Frankfurt/Main DAR 2023, 47 = VRR 12/2022, 21 [Deutscher]). Zur Berücksichtigung des Nachtatverhaltens als bußgelderhöhend entspricht der Ansatz des KG der Rechtsprechung (s. Zitate). Maßgeblich ist hier die Abgrenzung von zulässigem, wenn auch ggf. offensiv formulierten Leugnen der Tat zu darüberhinausgehendem Verhalten. das berücksichtigt werden darf. Angesichts der Ausnahmesituation einer unerwarteten Verkehrskontrolle ist dabei allerdings Zurückhaltung geboten. Nicht jedes unbedachte, wenn auch nicht strafbare Wort und Verhalten des Betroffenen lässt auf eine grundsätzliche Missachtung der (Verkehrs-)Rechtsordnung schließen. Von daher ist der Beschluss des KG zwiespältig und ist letztlich deshalb nachvollziehbar, weil sich der Betroffene nicht nur ungemessen verhalten hat, sondern dies in Kombination damit zu sehen ist, dass er zuvor zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen während einer Fahrt begangen hat. Letztlich ist eine solche Bewertung eine Tatfrage. Erforderlich sind jedenfalls entsprechende Feststellungen und Bewertungen des Tatgerichts.