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Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch

1. Die horizontale Beschränkung eines Einspruchs auf die Rechtsfolgen ist zulässig, soweit der Bußgeldbescheid die in § 66 OWiG niedergelegten Voraussetzungen erfüllt, die Erklärung des Betroffenen zweifelsfrei und unbedingt erfolgt, im Fall der Vertretung eine wirksame Ermächtigung zur Abgabe der Einspruchsbeschränkung vorlag und die Erklärung dem erkennenden Richter vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung vorliegt.

2. Ein etwaig erteilter richterlicher Hinweise betreffend die Schuldform (hier: mögliche Verurteilung wegen einer Vorsatz-Tat) steht dem nicht entgegen, selbst wenn der Bußgeldbescheid keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Schuldform enthält, die vorgesehene Rechtsfolge sich aber innerhalb des Regelrahmens der Bußgeldkatalogverordnung bewegte und die vorgeworfene Schuldform (hier: Fahrlässigkeit) hieraus abgeleitet werden kann. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Jena, Beschl. v. 2.9.20241 ORbs 371 SsBs 96/24

I. Sachverhalt

Beschränkung als unbeachtlich behandelt

Der Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen seine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung. Im Bußgeldbescheid wurde gegen ihn eine Geldbuße von 320 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Auf seinen zunächst vollumfänglich erhobenen Einspruch wies das AG den Betroffenen darauf hin, dass wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise unter Erhöhung der Geldbuße und unter Ausdehnung des Fahrverbots in Betracht komme. Daraufhin wurde der Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt. Mit Beschluss wies das AG den Betroffenen darauf hin, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach dortiger Auffassung unwirksam sein dürfte. Das AG verurteilte den Betroffenen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 640 EUR. Daneben verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten. Auf seine Rechtsbeschwerde hat das OLG den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch des Bußgeldbescheids wiederhergestellt.

II. Entscheidung

Beschränkung ist zulässig …

Der auf eine vorsätzliche Tatbegehung lautende Schuldspruch durch das AG könne vorliegend keinen Bestand haben, weil dieser bereits aufgrund einer horizontalen Beschränkung des Einspruchs gegen den nur einen Fahrlässigkeitsvorwurf ausweisenden Bußgeldbescheid in Rechtskraft erwachsen war. Denn diese Beschränkung sei gem.§ 67 Abs. 2 OWiG wirksam. Eine Beschränkung des Einspruchs sei nach §§ 67 Abs. 2, 46 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 1 StPO grundsätzlich möglich, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht (OLG Rostock DAR 2022, 578 = NStZ-RR 2022, 257). Damit sei auch eine horizontale Beschränkung auf die Rechtsfolge in ihrer Gesamtheit zulässig, sofern der Bußgeldbescheid den vorgeworfenen Sachverhalt hinreichend konkretisiert umschreibt.

… unabhängig von der Schuldform …

Die Schuldform sei bei der Frage der Bemessung der Rechtsfolge zu berücksichtigen, soweit die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit – wie hier – auf vielgestaltig vorwerfbare Weise begangen werden kann. Das Gesetz knüpfe damit in Verbindung mit § 3 Abs. 4a BKatV an die Frage der vorsätzlichen Begehungsweise andere Rechtsfolgen als bei fahrlässiger Begehungsweise. Soweit sich der zugrunde liegende Sachverhalt ändert, würden entsprechende Auswirkungen auf die rechtlichen Folgerungen zu prüfen und ggf. zu knüpfen sein. Dies führe im Umkehrschluss jedoch nicht dazu, dass die Verbindung zwischen dem den Betroffenen treffenden Schuldvorwurf und der insoweit denkbaren Rechtsfolgen so eng wäre, dass es ausgeschlossen erscheint, ohne die vollinhaltliche Überprüfung von Art, Inhalt und Intensität des Vorwurfs eine Rechtsfolge festzusetzen. Vielmehr sei es dem Gericht schon aufgrund der Regelwirkung der Tatbestände ohne Weiteres möglich, die Rechtsfolge auch auf Grundlage der bereits im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit zu bestimmen. Zwar liege nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine vorsätzliche Begehungsweise bei hohen Geschwindigkeitsüberschreitungen von jedenfalls 40 % der zulässigen Geschwindigkeit nahe. Die Feststellung des vorgeworfenen Sachverhalts bleibe jedoch dennoch die originäre Aufgabe des Tatgerichts. Eine wirksame Beschränkung eines Rechtsmittels auf die Rechtsfolgenseite setze schon keine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung voraus (OLG Köln DAR 2003, 87 = NZV 2003, 100). Mit den in dem Bußgeldbescheid üblicherweise lediglich in einer Kurzform aus Tatort, Tatzeit und Tathandlung niedergelegten tatsächlichen Feststellungen gehe eine Schematisierung einher, die eine intensive Beweiswürdigung und Auseinandersetzung mit den verschiedenen Graden möglicher Vorwerfbarkeit nicht zulässt. Deswegen gehe zugunsten des Betroffenen in Bußgeldbescheiden in Verkehrssachen die Bußgeldbehörde häufig vom Regelfall der Fahrlässigkeit aus und bemisst daran die Rechtsfolgen. (Anschluss an OLG Rostock a.a.O.).

… auch nach Hinweis auf Vorsatz

Dass dies dem Betroffenen auch nach einem richterlichen Hinweis auf eine mögliche vorsätzliche Begehungsweise möglich sein muss, ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 67 Abs. 2 OWiG. Der Einspruch könne danach auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Diesbezügliche Ausnahmen für die horizontale Beschränkung seien dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Begrifflich handele es sich auch dann um eine Einspruchsbeschränkung i.S.d. § 67 Abs. 2 OWiG, wenn der zunächst unbeschränkt erhobene Einspruch erst nachträglich im Wege eines Verteidigerschriftsatzes im Vorfeld der Hauptverhandlung oder gar erst innerhalb der Hauptverhandlung teilweise zurückgenommen und damit zeitlich nachfolgend zu seiner Einlegung auf bestimmte Punkte beschränkt wird. Auch nach dem vom Gesetzgeber angestrebten Sinn und Zweck sowie die systematische Auslegung der Norm ist eine horizontale Beschränkung mit dem Ziel der Verhinderung einer Verschlechterung der Schuldform vereinbar (wird ausgeführt). Der Betroffene eines Bußgeldverfahrens müsse es wie auch sonst jeder potenzielle Rechtsmittelführer selbst in der Hand haben, ob und in welchem Umfang er den ergangenen Bußgeldbescheid rechtskräftig werden lässt, auch wenn er ihn zunächst oder ggf. sogar weiterhin inhaltlich für falsch hält (OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2023, 188 (189) = VRR 3/2023, 21 = StRR 5/2023, 34 [jew. Burhoff]). Hieran ändere sich auch durch einen etwaig zuvor erteilten Hinweis betreffend eine mögliche vorsätzliche Begehungsweise nichts. Die Hinweispflicht auf eine möglicherweise veränderte Bewertung gem. § 265 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG diene der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und damit der Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Die gegenteilige Rechtsauffassung würde hingegen bedeuten, dass der Betroffene aufgrund eines solchen richterlichen Hinweises ihm sonst zustehende prozessuale Rechte verliert und damit den Sinn und Zweck der Hinweispflicht in das Gegenteil verkehren (OLG Frankfurt/Main a.a.O.). Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Beschränkung damit zwangsläufig dazu führt, dass sich der Betroffene einer Verböserung des Schuldspruchs und damit regelmäßig auch der Rechtsfolgen entzieht. Zwar möge es zutreffen, dass der Betroffene bei vollständiger Anfechtung des Bußgeldbescheids eine nachteiligere Rechtsfolge zu erwarten gehabt hätte, als dies bei beschränkter Einlegung der Fall ist. Angesichts dessen, dass der Betroffene mit der Beschränkung seines Einspruchs den Schuldvorwurf aus dem Bußgeldbescheid jedoch grundhaft gegen sich gelten lässt, könne indes keine Rede davon sein, dass er das Verfahren mit Blick auf das im Fall eines unbeschränkten Einspruchs regelmäßig gegebene Ziel, vom Vorwurf freigesprochen zu werden, mit seiner Einspruchsbeschränkung ausschließlich auf ihn günstige Punkte des Tatgeschehens reduziert (OLG Rostock a.a.O.). Der Senat erachte die horizontale Beschränkung eines Einspruchs auf die Rechtsfolgen mithin grundsätzlich für nach Maßgabe des Leitsatzes 1 zulässig (OLG Oldenburg DAR 2016, 472) und schließe sich der Rechtsprechung der übrigen OLG an.

Folgen

Aufgrund der mithin wirksamen Einspruchsbeschränkung seien die in dem Bußgeldbescheid getroffenen tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen. Dies schließe die tatsächlichen Annahmen, welche die jeweilige Schuldform begründen, mit ein (vgl. BayObLG, Beschl. v. 22.2.2023 – 201 ObOWi 66/23, bei juris, Rn 3). Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, die nach Maßgabe der Bußgeldkatalogverordnung behandelt wurden, sei in der Regel vom Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen, soweit keine näheren Angaben zur Schuldform aufgenommen sind (vgl. OLG Hamm DAR 2012, 218). Das Tatgericht müsse in dieser Konstellation von der im Bußgeldbescheid – zumindest konkludent – zum Ausdruck kommenden Tatvariante ausgehen (vgl. OLG Rostock, a.a.O.) und dürfe diese nicht mehr abändern (vgl. OLG Bamberg DAR 2016, 470). Da der Schuldspruch infolge insoweit bereits eingetreten gewesener Rechtskraft des Bußgeldbescheids keinen Bestand haben konnte, unterliege die Rechtsfolgenentscheidung des AG ebenfalls der Aufhebung. Der Senat hat gem. §§ 354 Abs. 1a Satz 2 StPO, 79 Abs. 6 OWiG die Geldbuße und das Fahrverbot gem. den Vorgaben des BKat wie im Bußgeldbescheid festgesetzt.

III. Bedeutung für die Praxis

Im Kern nichts Neues

Das OLG Jena fasst in seinem ausufernden Beschluss die Grundsätze der Rechtsprechung der OLG zu diesem Themenkreis zusammen, ohne im Kern nennenswert Neues aufzuzeigen (zur nachträglichen Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nach Hinweis auf Vorsatz OLG Frankfurt und OLG Rostock a.a.O.). Dem ist nichts hinzuzufügen (eingehend zur Thematik Burhoff/Krenberger, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Auf. 2024, Rn 935 ff.). Zur Dauer des Fahrverbots weist das OLG zutreffend darauf hin, dass selbst bei vorsätzlicher Tat eine Verdoppelung der im BKat vorgegebenen Dauer des Fahrverbots nicht zulässig ist (OLG Koblenz VRR 2010, 229 [Burhoff]; allg. zur Dauer des Fahrverbots Burhoff/Deutscher, a.a.O., Rn 1627 ff.).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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