Für das Entstehen der Terminsgebühr ist nicht unbedingt der Aufruf der Sache erforderlich. Ausreichend ist, wenn vom Gericht unmissverständlich kundgetan wird, dass über die Sache verhandeln werden soll. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
In mehrere Strafverfahren Hauptverhandlung
Gegen den Angeklagten waren mehrere Strafverfahren anhängig. Mit Verfügung vom 7.6.2023 wurde dann im Verfahren Az_1 ein ursprünglich auf den 14.7.2023 bestimmte Termin verlegt auf den 11.7.2023 um 9.00 Uhr. Mit Verfügung vom 14.6.2023 wurde im Verfahren AZ_2 dann Termin zur Hauptverhandlung bestimmt ebenfalls auf den 11.7.2023 um 9.00 Uhr.
Geschehen im Termin
Im Hauptverhandlungstermin vom 11.7.2023 wurde nach Feststellung der Anwesenheit, Vereidigung eines Dolmetschers und Erhebung der Personalien des Angeklagten durch den Vorsitzenden festgestellt, dass die Anklage vom 5.5.2023 aus dem Verfahren Az_1 mit Eröffnungsbeschluss vom 6.6.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden war. Weiter stellte der Vorsitzende fest, dass im Verfahren Az_2 ein Strafbefehl vom 9.3.2023, zugestellt am 13.3.2023, vorliege und am 21.4.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden war. Sodann verlas die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Anklagesatz und den Strafbefehl. Im Anschluss wurde das Verfahren Az_2 zum führenden Verfahren Az_1 durch Beschluss verbunden.
2. Terminsgebühr wird nicht festgesetzt
Nach Beendigung des Verfahrens hat der als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt auch im Verfahren Az_2 die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 4109 VV RVG beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Rechtsanwalt mit seiner Erinnerung. Die Erinnerung hatte Erfolg.
II. Entscheidung
Förmlicher Aufruf nicht notwendig
Nach Auffassung des AG war auch die Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG festzusetzen, weil sie mit (zumindest konkludent erfolgtem) Aufruf der Sache auch im Verfahren AZ_23 angefallen sei. Unabhängig von der Frage, ob der Aufruf der Sache eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstellt, liege ein solcher hier jedenfalls vor. Zwar enthalt das von der Hauptverhandlung unter dem Aktenzeichen Az_1 gefertigte Protokoll lediglich den undifferenzierten Vermerk, dass die Hauptverhandlung mit dem Aufruf zur Sache begonnen habe. Nach Feststellung der Anwesenheit, der Vereidigung des Dolmetschers und Erhebung der Personalien des Angeklagten habe der Vorsitzende festgestellt, dass die Anklage vom 5.5.2023 mit Eröffnungsbeschluss vom 6.6.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden sei. Weiter habe er festgestellt, dass ein Strafbefehl vom 9.3.2023, zugestellt am 13.3.2023, vorliege und am 21.4.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden sei. Sodann habe die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Anklagesatz und den Strafbefehl verlesen. Erst im Anschluss daran sei das Verfahren AZ_2 zum führenden Verfahren Az_1 durch Beschluss verbunden worden.
Damit habe der Vorsitzende bereits vor Verbindung der Verfahren unmissverständlich kundgetan, dass er nicht nur über die Anklage im Verfahren Az_1, sondern auch über den Strafbefehl im Verfahren Az_2 verhandeln wolle. Sodann seien sowohl die Anklageschrift als auch der Strafbefehl verlesen worden. Im Zeitpunkt der Verbindung sei damit mit der Verhandlung in beiden Verfahren bereits begonnen worden und die Terminsgebühr bereits angefallen.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist zutreffend. Festzuhalten ist:
Entstehen der Hauptverhandlungsterminsgebühr
Das RVG regelt in Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG nur das Entstehen der Terminsgebühr. Voraussetzung ist die Teilnahme des Rechtsanwalts an der Hauptverhandlung. Nicht geregelt wird, (ab) wann eine Hauptverhandlung vorliegt, an der der Rechtsanwalt teilnimmt (zur Terminsgebühr Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4 VV Rn 64). Insoweit gilt: Nach § 243 Abs. 1 S. 1 StPO beginnt die Hauptverhandlung i.d.R. mit dem Aufruf der Sache. es ist aber verfahrensrechtlich unbestritten, dass für den Aufruf der Sache ein „förmlicher“ Aufruf nicht erforderlich ist, sondern, wenn ein ausdrücklicher Aufruf unterbleibt, als Beginn der Hauptverhandlung die Handlung anzusehen ist, die als erstes erkennbar macht, dass die Strafsache nun verhandelt werden soll (Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 1948).
Diese Grundsätze werden auch für den Anfall/das Entstehen der Terminsgebühr angewendet (OLG Frankfurt am Main AGS 2015, 568 = RVGreport 2015, 462 = NStZ-RR 2016, 128; LG Dortmund RVGreport 2017, 261). Danach wir hier aber im Verfahren Az_2 mit der Hauptverhandlung begonnen worden. Die Feststellung der Anwesenheit, die Vereidigung des Dolmetschers und die Erhebung der Personalien des Angeklagten reichen bei weitem aus, um nach außen deutlich zu machen, dass jetzt „die Sache verhandelt“ wird.
Keine Verbindungsproblematik
Die somit entstandene Hauptverhandlungsterminsgebühr ist nicht dadurch wieder entfallen, dass nach Beginn der Hauptverhandlung auch im Verfahren Az_2 dieser Verfahren zum Verfahren Az_1 hinzuverbunden worden ist. Denn bis dahin haben zwei selbstständige Strafverfahren vorgelegen, in denen alle Gebühren, also auch die Terminsgebühr im Verfahren Az_2, entstehen konnten (vgl. dazu und ähnlich LG Kiel, Beschl. v. 21.6.2023 – 2 Qs 41/23, StraFo 2023, 334 = AGS 2023, 451). Auch die fast zeitgleiche Terminierung der beiden Verfahren hat nicht zu einer Verbindung mit der Folge, dass danach nur noch ein Verfahren vorgelegen hätte und im (früheren) Verfahren AZ_2 keine eigenständigen Gebühren mehr entstehen konnten, geführt (LG Hanau RVGreport 2005, 382; LG Potsdam JurBüro 2013, 587 = RVGreport 2014, 68).
Durch die später erfolgte Verbindung der beiden Verfahren ist die im Verfahren Az_2 bereits entstandene Terminsgebühr auch nicht nachträglich wegfallen. Das folgt aus dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG. Die spätere Verbindung hat auf bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss (zu den Verbindungsfragen auch Burhoff AGS 2022, 433).
Erinnerung des Vorsitzenden
Auch wenn ein förmlicher Aufruf für das Entstehen der Terminsgebühr nicht erforderlich ist, sollte der Verteidiger den gebührenrechtlich sichersten Weg gehen und darauf achten und den Vorsitzenden erinnern, dass er ggf. förmlich aufruft und das auch im Protokoll der Hauptverhandlung festhält. Das erspart unnütze Diskussionen und Rechtsmittel wie die vorliegende Erinnerung. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass hier mal wieder unverständlich ist, dass die Urkundsbeamtin die Terminsgebühr nicht festgesetzt hat. Die bereits zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorliegende (obergerichtliche) Rechtsprechung ließ m.E. keinen Zweifel daran zu, dass die Terminsgebühr festzusetzen war.