Beitrag

Rechtsprechungsübersicht zum Unerlaubten Entfernen vom Unfallort aus den Jahren 2019 – 2024

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) spielt in der Praxis eine große Rolle. Die Kenntnis von der aktuellen Rechtsprechung ist daher für den im Verkehrsstrafrecht tätigen Rechtsanwalt/Verteidiger von großer Bedeutung. Wir stellen daher nachfolgende die in den Jahren 2019 – 2024 ergangene Rechtsprechung in einem Überblick vor. Enthalten sind auch einige zivilrechtliche Entscheidungen; die Übersicht erhebt insoweit aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Zusammenstellung hat den Stand von Ende August 2024.

Übersicht 1: Begriff des Unfalls

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

BGH, Beschl. v. 19.8.2021 – 4 StR 137/21, VRS 140, 323

Es liegt kein Unfall im Straßenverkehr vor, wenn nach den Feststellungen der angeklagte Fahrzeugführer zwar mit der Stoßstange seines Kraftfahrzeugs gegen das Knie des Opfers fuhr, dieses jedoch weder Verletzungen noch Schmerzen erlitt.

KG, Beschl. v. 12.2.2021 – (3) 121 Ss 1/21 (5/21), NStZ 2022, 118 = StRR 6/2021, 31 = VRR 8/2021, 19

Das vom Angeklagten alkoholbedingt herbeigeführte Unfallgeschehen stellt dann keinen Unfall im Rechtssinne dar, wenn es am wirtschaftlichen Schaden fehlt.

OLG Naumburg, Beschl. v. 6.5.2024 – 1 ORs 38/24

1. Nicht jeder Unfall ist schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus. In dem „Verkehrsunfall“ müssen sich gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben.

2. Der erforderliche straßenverkehrsspezifische Zusammenhang ist auch dann gegeben, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat, die dadurch entsteht, dass sich ein Fußgänger auf einem Supermarktparkplatz im räumlichen Bereich der dort abgestellten Kraftfahrzeuge bewegt, etwa um zu seinem Fahrzeug zu gelangen.

4.AG Calw, Urt. v. 7.3.2024 – 8 Cs 33 Js 364/24, NJW 2024, 1283

Bei einem Schaden durch „panisches“ – hier: infolge einer schweren Arachnophobie getätigtes – Öffnen der Türe eines in einem Parkhaus stehenden, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs liegt ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinn von § 142 StGB fern, da sich in dem Ereignis keine straßenverkehrsspezifische Gefahr verwirklicht hat.

AG Dortmund, Beschl. v. 1.9.2020 – 723 Cs – 268 Js 1007/20 – 276/20, NZV 2021, 334

Ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB liegt mangels straßenverkehrsspezifischen Gefahrzusammenhangs in sog. „Einkaufswagen“-Fällen nicht vor.

Übersicht 2: Begriff des (öffentlichen) Unfallortes

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.11.2019 – 1 OLG 2 Ss 77/19, DAR 2020, 153 = VRR 5/2020, 16 = StRR 7/2020, 29

Der Umstand, dass ein im privaten Eigentum stehende und als Privatparkplatz gekennzeichnete Verkehrsfläche aufgrund eines Defektes an der Schrankenanlage „faktisch für die Öffentlichkeit zugänglich“ ist und dies vom Verfügungsberechtigten geduldet wird, genügt zur Begründung der für eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erforderlichen Öffentlichkeit der Verkehrsfläche insbesondere dann nicht, wenn die einzelnen Stellplätze vermietet sind.

OLG Naumburg, Beschl. v. 6.5.2024 – 1 ORs 38/24

Ein allgemein zugänglicher privater Parkplatz eines Supermarkts gehört zum räumlichen Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs.

LG Aachen, Beschl. v. 5.10.2020 – 60 Qs 43/20

1. Dem Schutzzweck der Norm entsprechend gehört zum Unfallort auch der räumliche Nahbereich der Unfallstelle, bei der noch ein räumlicher Bezug zum eigentlichen Unfallort dergestalt vorhanden ist, dass ein anderer Unfallbeteiligter den Täter nach Lage des Falles unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten erkennen oder als solchen jedenfalls noch vermuten kann; auch dabei ist auf die Erkennungsmöglichkeiten eines an der eigentlichen Unfallstelle zurückgebliebenen (anderen) Unfallbeteiligten abzustellen. Es genügt dabei bereits eine geringere Absetzbewegung, sofern sie nur zu einer gewissen räumlichen Trennung vom Unfallort geführt hat.

2. Äußert ein Unfallbeteiligter gegenüber dem Unfallgegner, dieser habe Schuld an dem Unfall und entfernt er sich sodann vom Unfallort, ehe er im Bereich einer etwa 40 Meter vom Kollisionsort entfernten Einfahrt wendet und zum Kollisionsort zurückkehrt, liegt ein vollendetes Sichentfernen vom Unfallort vor.

LG Flensburg, Beschl. v. 3.3.2023 – II Qs 9/23

Der Autozug „Sylt Shuttle“ ist öffentlicher Verkehrsraum (für § 316 StGB).

LG Lübeck, Beschl. v. 7.9.2021 – 4 Qs 164/21, zfs 2022, 589

Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfuhr, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Anschluss an BGH, Beschl. v. v. 15.11.2010 – 4 StR 413/10, NStZ 2011, 209).

Übersicht 3: Tathandlung Entfernen

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

LG Düsseldorf, Beschl. v. 27.7.2021 – 8 Qs 30/21, DAR 2021, 703

Der Tatbestand des § 142 StGB ist ausgeschlossen, wenn nur der Unfallverursacher selbst einen Schaden erleidet, insbesondere weil nur das in seinem Eigentum stehende Fahrzeug beschädigt worden ist. Hierunter fällt auch ein Leasingfahrzeug, wenn der Unfallverursacher als Leasingnehmer für den Schaden einzustehen hat. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor, wenn das Fahrzeug im Eigentum des Arbeitgebers steht. Es ist nicht ersichtlich, dass in einem solchen Fall der Unfallverursacher die Schäden an dem Pkw einem Eigentümer gleich selbst zu tragen hätte.

Übersicht 4: Wartepflicht

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

LG Aachen, Beschl. v. 10.1.2022 – 64 Qs 44/21

Auf Autobahnen besteht zwar zum einen das Verbot des § 18 Abs. 8 StVO, auf der Autobahn zu halten. Auf der anderen Seite gilt das Halte- und Wartegebot des § 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO und des § 142 StGB. Welches dieser Gebote bei einem Unfall auf der Autobahn den Vorrang hat, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

Übersicht 5: Geldstrafe/Freiheitsstrafe

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.12.2020 – 2 Ss 262/20; AG Idstein, Urt. v. 8.6.2020 – 9 Ds – 4442 Js 16805/18

Alleine die Flucht von einem Unfallort ist kein jugendtypisches Verhalten, sondern eine Reaktion, wie sie auch bei Verkehrsteilnehmern über 21 Jahren vorkommt, da die Flucht regelmäßig dazu dient, die Ursache des Unfalls, und/oder die Fahrereigenschaft zu vertuschen.

AG Kleve, Urt. v. 5.4.2023 – 12 Ds 56/23

Bei einer Strafzumessung wegen Straßenverkehrsdelikten wirkt es sich strafmildernd aus, wenn der Angeklagte inzwischen sein Alkoholproblem erkannt und sich in Behandlung begeben hat, und die Fahrt nicht im Rahmen einer „Spritztour“ vornahm, sondern letztlich im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit.

Übersicht 6: (Vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

BayVerfGH, Beschl. v. 15.2.2023 – Vf. 70-VI-21

1. Hat sich der angegriffene Hoheitsakt erledigt ist ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde nur dann weiter gegeben, wenn ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vorliegt. Eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO ist kein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff.

VerfGH Saarland, Beschl. v. 8.11.2022 – Lv 13/22

Das Vorliegen der Voraussetzungen der § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO, 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB haben Staatsanwaltschaft und Gerichte in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise zu prüfen. Denn auch vorläufige Eingriffe in Freiheitsrechte können nicht mit vagen Annahmen und nicht näher plausibilisierten oder angreifbaren Schätzungen von Strafverfolgungsbehörden gerechtfertigt werden, sondern bedürfen einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage.

BayObLG, Beschl. v. 17.12.2019 – 204 StRR 1940/19, DAR 2020, 268 = VRR 4/2020, 17 = StRR 4/2020, 28

Ein bei einem Verkehrsunfall verursachter Fremdschaden für Reparaturkosten in Höhe von 1.903,89 EUR netto stellt jedenfalls einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB dar, so dass ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegt.

KG, Urt. v. 10.12.2021 – (3) 161 Ss 113/21 (56/21)

1. Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben. Der bloße Zeitablauf vermag ein Absehen von der Anordnung einer Entziehung der Fahrerlaubnis nicht zu begründen.

2. Eine Anrechnung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf das Fahrverbot kann ausnahmsweise dann unterbleiben, wenn die Anordnung im Hinblick auf das Verhalten der Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist. Der Umstand, dass der Führerschein der Angeklagten erst rund zwei Monate nach der vorläufigen Entziehung einbehalten werden konnte, stellt jedenfalls ein solches Verhalten nicht dar.

KG, Beschl. v. 3.8.2021 – (3) 121 Ss 60/21 (32/21)

Der Umstand, dass sich ein Angeklagter in prozessordnungskonformer Weise verteidigt und die Tat leugnet, erlaubt nicht den Schluss auf eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen.

OLG Hamm DAR 2022, 398 = VRR 9/2022, 17 = StRR 7/2022, 24

Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 EUR.

2. Jedenfalls in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den Urteilsgründen näher darzulegen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob dieser tatsächlich ausschließlich Positionen enthält, die bei der Bewertung eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähig sind (also etwa nicht: Mietwagenkosten).

OLG Koblenz, Beschl. v. 23.3.2022 – 5 OLG 32 Ss 214/21, DAR 2023, 466

1. Für das subjektive Element des Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB reicht es aus, dass der Täter die objektiven Umstände erkennen konnte, die einen bedeutenden Sachschaden begründen (Anschluss LG Heilbronn, Beschl. v. 7.3.2017 – 8 Qs 8/17). Stellt das Gericht hierauf ab, müssen die Urteilsgründe die entsprechenden Feststellungen enthalten.

2. Die im Rahmen der Maßregelanordnung gebotene Abwägung muss alle Gesichtspunkte enthalten, die die Indizwirkung des Regelfalls entkräften können. Ist der Angeklagte Berufskraftfahrer und somit auf den Besitz einer Fahrerlaubnis für die Berufsausübung angewiesen, bedarf es Ausführungen zu den beruflichen Konsequenzen eines Fahrerlaubnisentzugs. Weiter ist vorliegend in der Abwägung zu berücksichtigen, dass seit der verfahrensgegenständlichen Tat bis zur Berufungshauptverhandlung gut 16 Monate vergangen waren, innerhalb derer keine Verkehrsverstöße des Angeklagten bekannt wurden.

OLG Zweibrücken, Urt. v. 14.6.2021 – 1 OLG 2 Ss 1/21, VRR 9/2021, 16 = StRR 1/2022, 16

1. Die Frage, ob der Tat aufgrund der vergleichsweise geringen Höhe des verursachten Fremdschadens Ausnahmecharakter beizumessen ist, bemisst sich nicht an dem Maß des Überschreitens eines Grenzwertes. Maßgebend ist vielmehr, dass sich der konkret verursachte Fremdschaden im Verhältnis zu den denkbaren Fällen der Fahrerflucht als verhältnismäßig niedrig erweist, mithin am Grad der Abweichung vom Durchschnittsfall

2. Zwar wird die Regelvermutung zumeist nur dann widerlegt sein, wenn abgesehen von der Schadenshöhe und der Verursachung einer Kollision außerhalb des fließenden Verkehrs die Voraussetzungen des § 142 Abs. 4 StGB gewahrt sind, der Täter also freiwillig innerhalb von 24 Stunden nach einem Unfall die erforderlichen Feststellungen nachträglich ermöglicht hat und lediglich ein Sachschaden eingetreten ist. Dadurch, dass der Täter (erst) einige Tage nach der Kollision seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Geschädigten angezeigt hat, ist aber die Annahme eines Ausnahmefalls nicht generell ausgeschlossen, wenn weitere Umstände vorliegen.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.10.2021 – 1 Ws 153/21, VRS 141, 108 = VRR 12/2021, 15 = StRR 7/2022, 26

1. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kann im Einzelfall auch sechzehn Monate nach Tatbegehung verhältnismäßig sein.

2. Resultiert die Verfahrensverzögerung aus der Sphäre der Verteidigung bzw. des Angeklagten, ist dies bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer erst später vorgenommenen Maßnahme nach § 111a StPO zu berücksichtigen.

3. Berücksichtigt man, dass der Angeklagte in den vergangenen sechzehn Monaten die jederzeitige Entziehung seiner Fahrerlaubnis befürchten musste, jedoch die ursprünglich vorgesehenen acht Monate Sperrzeit zwischenzeitlich bereits zweimal abgelaufen gewesen wäre, ist darüber nachzudenken, ob eine Verfahrensverzögerung durch „Abwarten und Bestreiten“ zielführend ist.

LG Berlin, Beschl. v. 1.4.2019 – 534 Qs 23/19, VRS 135, 266

Maßgeblich für die subjektive Voraussetzung der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist die Erkennbarkeit des bedeutenden Schadens für den Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tat. Die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten vor Ort ist in der Regel ein wichtiges Indiz dafür, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat subjektiv erkennen konnte, ob ein bedeutender Schaden entstanden war. Nur ausnahmsweise, wenn die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten vor Ort völlig abwegig ist, weil sie im krassen, auch für den technischen Laien erkennbaren Widerspruch zu dem Schadensbild steht, entfaltet die Einschätzung keine Indizwirkung

LG Berlin, Beschl. v. 26.2.2020 – 501 Qs 18/20

Auch nach der Änderung des § 44 Abs. 1 StGB und unter Berücksichtigung des Verbraucherpreisindexes besteht keine Veranlassung zur Anpassung der Wertgrenze für einen bedeutenden Fremdschaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB von 1.500 EUR auf 2.500 EUR (entgegen LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.8.2018 – 5 Qs 58/18, NZV 2020, 55).

LG Bielefeld, Beschl. v. 2.2.2024 – 10 Qs 51/24

Der Wert, ab welchem ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB anzunehmen ist, liegt bei 1.800,00 EUR.

LG Bochum, Beschl. v. 6.12.2022 – 1 Qs 59/22

Ob ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, ist nach den objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, um den das Vermögen des Geschädigten als unmittelbare Folge des Unfalls gemindert wird. Angemessen erscheint als Untergrenze für das Vorliegen eines bedeutenden Schadens im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ein Betrag von 1.750 EUR.

LG Darmstadt, Beschl. v. 6.2.2020 – 3 Qs 57/20, zfs 2020, 531

Die Wertgrenze des bedeutenden Sachschadens unterliegt ebenso wenig der Anpassung an die Lebenshaltungskosten wie etwa der Wert einer geringwertigen Sache im Sinne von § 243 Abs. 2 StGB. Es ist nach wie vor von einer Wertgrenze von 1.300 EUR auszugehen.

LG Dortmund, Beschl. v. 25.3.2019 – 32 Qs 35/19

Bei der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis ist für die Annahme des Regelbeispiels aus § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB) im Falle eines Sachschadens erforderlich, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass es sich um einen bedeutenden Schaden handelt. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn die Lichtbilder des beschädigten Pkws bei laienhafter Betrachtung eher für einen oberflächlichen Lackschaden sprechen und die hinzugerufene Polizei den Schaden lediglich mit 1.200 EUR beziffert, womit selbst eine Wertgrenze von (damals) 1.300 EUR nicht erreicht würde.

LG Dresden, Beschl. v. 7.5.2019 – 3 Qs 29/19, DAR 2019, 527; LG Dresden, Beschl. v. 6.4.2020 – 3 Qs 16/20, DAR 2020, 344

Der Grenzwert für einen bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt im Fall der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs bei 1.500 EUR brutto und bei einer Abrechnung auf Gutachterbasis bei 1.500 EUR netto.

LG Hamburg, Beschl. v. 9.8.2023 – 612 Qs 75/23; AG Duisburg, Beschl. v. 27.10.2020 – 204 Gs 146/20, VRR3/ 2021, 18 = StRR 4/2021, 29

Ein bedeutender Schaden an fremden Sachen im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist entstanden, wenn die Reparatur eines Kfz die Wertgrenze von 1.800 EUR überschreitet. Bei der Beurteilung eines Schadens als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sind auch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung zu berücksichtigen.

LG Hanau, Beschl. v. 26.3.2019 – 4b Qs 26/19

Ein bedeutender Sachschaden im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt ab einem Betrag von 1.600 EUR vor. Diese Anpassung der Wertgrenze nach oben ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren geboten.

LG Hannover, Beschl. v. 19.2.2020 – 46 Qs 11/20

Eine Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB setzt eine konkret-individuelle Betrachtung voraus. Eine konkret-generelle Betrachtung des Gerichts dahingehend, dass die einschneidenden Sanktionen der §§ 69, 69a StGB in Fällen des Aus- und Einparkens auf großen Parkplätzen unverhältnismäßig sind, reicht für eine entsprechende Abweichung nicht aus.

LG Hechingen, Beschl. v. 8.3.3024 – 3 Qs 13/24

Im Stadium zwischen erster und zweiter Instanz sind für die Beschwerdeentscheidung die Tatsachenfeststellungen und Wertungen im erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich hinzunehmen. Liegt zum Beschwerdezeitpunkt bereits ein erstinstanzliches Urteil vor, ist das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der größeren Sachnähe und der besseren Erkenntnismöglichkeit des Erstgerichts regelmäßig an dessen Feststellungen zur charakterlichen Eignung gebunden. Das gilt auch für die Feststellungen hinsichtlich des bedeutenden Fremdschadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 5.12.2019 – 5 Qs 73/19, DAR 2020, 217

Ein bedeutender Fremdschaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist ab einem Betrag von 2.500,– EUR netto gegeben

LG Stuttgart, Beschl. v. 4.8.2023 – 9 Qs 39/23, VRR 11/2023, 21 = StRR 11/2023, 24

Eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist unverhältnismäßig, wenn sie mehr als 13 Monate nach dem Unfallereignis erfolgt und die bisherige Sachbehandlung durch die Ermittlungsbehörde und das Gericht zudem eklatant gegen das Beschleunigungsgebot verstößt.

AG Gießen, Beschl. v. 2.6.2022 – 507 Gs – 804 Js 5325/22; AG Wuppertal, Beschl. v. 14.4.2022 – 27 Gs 15/22

Die Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass erhebliche Folgen eingetreten sind. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt, an dem der Beschuldigte die Unfallstelle verließ.

AG Wuppertal, Beschl. v. 14.4.2022 – 27 Gs 15/22

Ein atypischer Fall vor, der die Regelwirkung nicht zeitigt, liegt vor, wenn die Beschuldigte hat vor dem Entfernen vom Unfallort Kontakt mit einem Mitarbeiter einer Tankstelle gehabt hat, der sich ihr Kennzeichen notierte und dem sie mitteilte, kurz ihren Enkel wegbringen zu wollen und danach sofort zum Unfallort zurückzukehren, und. wenn die Beschuldigte eine halbe Stunde später wie angekündigt an den Unfallort zurück gekehrt ist.

AG Itzehoe, Beschl. v. 27.2.2024 – 40 Gs 579/24

1. Lässt sich aus der Verfahrensakte nicht ermitteln, wie die Schadenshöhe eines bei einem Verkehrsunfall verursachten Schadens ermittelt wurde, lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Schaden über der Erheblichkeitsgrenze liegt.

2. Hat sich der Beschuldigte zwar zunächst – ggf. aus Panik – vorn Unfallort entfernt, wurde dann aber die Leitstelle der Polizei sehr zeitnah über den Unfall informiert und hat sich der Beschuldigte zum Unfallort zurückbegeben und hat dort gegenüber der Polizei den Unfall und seine Beteiligung eingeräumt, liegt eine charakterliche Ungeeignetheit, die die Entziehung der Fahrerlaubnis notwendig macht, liegt nicht vor.

Übersicht 7: Konkurrenzen

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

BGH, Beschl. v. 28.4.2022 – 4 StR 88/22, NStZ-RR 2022, 258 (Ls.) = VRS 142, 223

Wenn der Täter im Bewusstsein, nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, seinen Pkw im öffentlichen Straßenraum führt, nachdem er vor Fahrtantritt an seinem Fahrzeug gestohlene Kennzeichen angebracht hat, um über die Identität des Fahrzeughalters zu täuschen, und er auf der Fahrt eine Kollision mit einem Lkw verursacht, wodurch dieser beschädigt wird, er sodann aus seinem Fahrzeug aussteigt und anschließend weiterfährt, nachdem er den entstandenen Schaden erkannt hat, ohne Feststellungen zu seiner Person zu ermöglichen, und er auf der fortgesetzten Fahrt er einen weiteren Verkehrsunfall verursacht, liegen keine selbstständigen Taten (§ 53 StGB) vor, sondern es besteht Tateinheit

BGH, Beschl. v. 13.9.2023 – 4 StR 48/23, NStZ-RR 2023, 386 = zfs 2024, 46

Alle Gesetzesverletzungen, die der Täter im Verlauf einer einzigen, ununterbrochenen Fluchtfahrt begeht, bilden eine Tat im Sinne des § 52 StGB.

KG, Beschl. v. 12.2.2021 – (3) 121 Ss 1/21 (5/21), NStZ 2022, 118 = StRR 6/2021, 31 = VRR 8/2021, 19

Zu einer Zäsur der Dauerstraftat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr wird es regelmäßig auch dann kommen, wenn ein alkoholbedingtes Unfallereignis nur deshalb keinen Unfall im Rechtssinne (§ 142 Abs. 1 StGB) darstellt, weil an dem gegnerischen Fahrzeug wegen Vorschäden keine zusätzliche Werteinbuße eingetreten ist. Fährt der Täter nach einem jedenfalls derart alkoholbedingten Zusammenstoß weiter, so wird dies regelmäßig aufgrund eines neuen Tatentschlusses des sich seiner Fahrunsicherheit nun bewusst gewordenen Fahrers geschehen.

OLG Naumburg, Beschl. v. 27.2.2023 – 1 ORbs 43/23

Eine Fahrtunterbrechung durch eine Polizeikontrolle, führt zur Aufspaltung in zwei selbstständige Taten, wenn der Täter nach der Kontrolle, durch die seine ursprüngliche Fahrt für einen längeren Zeitraum unterbrochen worden ist, die Fahrt fortsetzt (für Verstoß gegen § 24a Abs. 1 StVG).

LG Stade, Urt. v. 20.1.2021 – 201 KLs 150 Js 17938/20 (14/20)

Wer während der Flucht vor einem ihm mit eingeschaltetem Blaulicht, Martinshorn und Anhaltesignal folgenden Streifenwagen einen Verkehrsunfall (hier Zusammenstoß mit einem auf einem Parkplatz abgestellten Pkw mit einem Wiederbeschaffungswert von 7.900,– EUR) verursacht und seine Fahrt dennoch fortsetzt, verwirklicht nicht nur den Tatbestand der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs, sondern auch – tatmehrheitlich – den des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

Übersicht 8: Urteilsgründe

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

KG, Beschl. v. 3.8.2021 – (3) 121 Ss 60/21 (32/21)

Ist nicht bereits von vornherein ersichtlich, dass ein bedeutender Schaden im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden ist, müssen die Urteilsgründe nicht nur mitteilen, welche unfallbedingten Fremdschäden entstanden sind, sondern auch, wie diese wertmäßig zu beziffern sind.

OLG Hamm, Beschl. v. 5.4.2022 – 5 RVs 31/22, DAR 2022, 398 = VRR 9/2022, 17 = StRR 7/2022, 24

Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 EUR.

2. Jedenfalls in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den Urteilsgründen näher darzulegen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob dieser tatsächlich ausschließlich Positionen enthält, die bei der Bewertung eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähig sind (also etwa nicht: Mietwagenkosten).

Übersicht 9: Verfahrensfragen

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

KG, Urt. v. 10.12.2021 – (3) 161 Ss 113/21 (56/21)

Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage des Maßregelausspruchs nach §§ 69 ff. StGB ist dann nicht möglich, wenn im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht. In einer solchen untrennbaren Wechselwirkung stehen regelmäßig Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung.

OLG Bamberg, Beschl. v. 24.3.2022 – 1 Ws 135/22, NStZ-RR 2022, 317

Neben dem in der Anklage geschilderten eigentlichen Verkehrsunfallgeschehen unterliegt, selbst wenn es in der Anklage nicht beschrieben wird, auch das Rettungsverhalten des Unfallverursachers der Kognitionspflicht des erkennenden Gerichts nach § 264 StPO).

OLG Köln, Beschl. v. 20.7.2021 – III-1 RVs 123/21, NZV 2021, 590

1. Führt der Täter bei einer abgeurteilten Verkehrsunfallflucht Drogen mit sich, so steht einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Hinblick auf das zeitliche Zusammentreffen der Delikte das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs entgegen. Es handelt sich um eine Tat i.S.d. § 264 StPO.

2. Eine Finalbeziehung von Fahrt und Drogenbesitz liegt auch vor, wenn einem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln eine Verkehrsunfallflucht anlässlich einer Polizeikontrolle nachfolgt, um den Besitz des unmittelbar zuvor unter den Augen der Polizei zum Zwecke des Handeltreibens erworbene Haschischs zu sichern und aufrechtzuerhalten; Unfall und Unfallflucht können dann nicht sachgerecht als bloßes Verkehrsgeschehen bewertet werden.

LG Itzehoe, Beschl. v. 2.11.2023 – 14 Qs 160/23

Droht dem Beschuldigten im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis der Verlust des Arbeitsplatzes und wäre er daran gehindert, den ausgewählten Beruf bis zu einem etwaigen Wiedererwerb der Fahrerlaubnis auszuüben, wiegt die zu erwartende Rechtsfolge schwer, so dass dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.6.2022 – 5 Qs 40/22, zfs 2022, 529 = VRR 8/2022, 18 = StRR 9/2022, 21

Der Halter eines Kraftfahrzeuges ist vor einer polizeilichen Befragung zur Fahrereigenschaft im Rahmen von Unfallfluchtermittlungen grundsätzlich als Beschuldigter zu belehren, soweit seine Fahrereigenschaft nicht aufgrund anderer Erkenntnisse ausgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Durchführung einer sogenannten „informatorischen Befragung“ regelmäßig ermessensfehlerhaft. Entsprechend gewonnene Erkenntnisse aus einer polizeilichen Befragung des Halters ohne vorherige Beschuldigtenvernehmung sind in diesem Fall unverwertbar.

AG Dortmund, Beschl. v. 1.8.2022 – 729 Cs – 266 Js 575/22 – 42/22, NZV 2023, 45

Verzichtet eine nicht vorbelastete Angeklagte nach Unfallflucht mit Sachschaden auf ihre Fahrerlaubnis, so kann das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt werden

Übersicht 10: Sonstiges

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

OVG des Saarlandes, Beschl. v. 13.12.2023 – 1 B 154/23

U.a. eine zumindest objektiv verwirklichte Unfallflucht eines Kommissaranwärters ist als außerdienstliches Verhalten hinreichend bedeutsam, um seitens des Dienstherrn negative Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit als Polizeibeamter, von dem ein gesetzestreues Verhalten in besonderer Weise erwartet werden kann, ziehen zu dürfen.

Übersicht 11: Exkurs: Zivilrechtliche Frage

Entscheidung

Leitsatz/Sachverhalt

OLG Celle, Urt. v. 25.4.2019 – 8 U 210/18, zfs 20219, 392 = NJW-RR 2019, 857 = NZV 2019, 534

Das sich aus § 18 Abs. 8 StVO ergebende Halteverbot auf Autobahnen kann bei einem Schutzplankenschaden der Annahme einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit aus E.1.1.3 AKB 2015 entgegenstehen.

OLG Dresden, Beschl. v. 21.8.2023 – 4 U 476/23, zfs 2024, 34

§ 142 StGB stellt kein Schutzgesetz zugunsten des Kaskoversicherers dar.

OLG Hamm, Urt. v. 4.5.2022 – I-30 U 200/21, zfs 2022, 688

Dass die nicht erfolgte Benachrichtigung der Polizei nach einem Touchieren der Leitplanke während einer Autobahnfahrt Einfluss auf den Umfang der Leistungspflicht der Kaskoversicherung für einen Mietwagen hatte oder die Regulierung bei Benachrichtigung einen anderen Verlauf genommen hätte, muss erstinstanzlich dargelegt werden. Allein der pauschale Vortrag, es sei nachträglich nicht mehr möglich, sämtliche Tatsachen am Unfallort im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall von der Polizei als neutraler Instanz feststellen zu lassen, ist hierfür nicht ausreichend.

OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.8.2020 – 12 U 53/20, zfs 2020, 568 = VRR 11/2020, 13-15 = NZV 2021, 154

1. Es stellt keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.1.3, 1. Spiegelstrich AKB 2015 dar, wenn der Versicherte nach einem schweren Verkehrsunfall ohne Fremdbeteiligung und bei klarer Haftungslage zur Nachtzeit im Januar auf einer Landstraße in dörflicher Gegend, bei dem er sich eine blutende Kopfverletzung zugezogen hatte, trotz eines verursachten Fremdschadens von ca. 200 EUR den Unfallort zur ärztlichen Abklärung seines Gesundheitszustandes ohne Einhaltung einer Wartezeit verlässt. Jedenfalls ist in einem solchen Fall das Entfernen von der Unfallstelle berechtigt.

2. Mit der telefonischen Unterrichtung der Polizei am nächsten Morgen wird in diesem Fall einer etwaigen Obliegenheit zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen noch genügt

OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.1.2022 – 12 U 267/21, zfs 2022, 210

Selbst wenn nach einem spätabendlichen Unfall mit eindeutiger Haftungslage eine unverzügliche nachträgliche Ermöglichung von Feststellungen entsprechend § 142 Abs. 2 StGB im Einzelfall noch annehmen kann, wenn der Unfallbeteiligte die Feststellungen bis zum frühen Vormittag des darauf folgenden Tages ermöglicht (Anschluss OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.2.2016 – 5 U 75/14, zfs 2016, 211), überschreitet das Warten bis zum übernächsten Tag die Grenze der Unverzüglichkeit deutlich.

OLG Koblenz, Beschl. v. 11.12.2020 – 12 U 235/20, NJW-RR 2021, 162 = zfs 2021, 211

Ein Versicherungsnehmer, der nach einer Kollision mit der Leitplanke auf der Autobahn die Unfallörtlichkeit verlässt, anschließend auf einem Rastplatz die Beschädigungen an seinem Auto in Augenschein nimmt und seine Fahrt fortsetzt, ohne die Polizei und/oder seine Kaskoversicherung zu informieren, verletzt die Wartepflicht aus E.1.3 der AKB und verwirklicht den objektiven Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

LG Berlin, Urt. v. 10.5.2023 – 46 S 58/22

Die pauschale Annahme, dass in Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort stets Arglist vorliegt, ist unzulässig. Erforderlich ist die Betrachtung des Einzelfalls, wobei es auf den Zeitpunkt der Obliegenheitsverletzung ankommt (§ 28 VVG)

LG Kassel, Urt. v. 24.8.2021 – 5 O 37/21, DAR 2021, 632 = zfs 2022, 214

Eine Pflicht, vor Verlassen des Unfallorts stets die Polizei zu rufen, wenn innerhalb der Wartefrist des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB keine feststellungsbereiten Personen eintreffen, besteht nicht.

LG Magdeburg, Urt. v. 8.10.2019 – 11 O 1063/19, zfs 2020, 389

Ein den Verbleib an der Unfallstelle gebietender Fremdschaden liegt nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer von der Straße in einen Graben fährt und dabei von einem Baum etwas Rinde abschabt. Dies gilt jedenfalls, wenn die Lebenserwartung des Baumes dadurch nicht beeinträchtigt ist.

LG Potsdam, Urt. v. 24.5.2022 – 13 S 18/21, zfs 2022, 512

Bei dem Verlassen einer Unfallstelle ohne Hinzuziehen der Polizei ist grundsätzlich von einer bedingt vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht i.S.v. Nr. E 1.2 AKB auszugehen. Das Hinterlassen eines Zettels mit den Daten der Erreichbarkeit an der Windschutzscheibe schließt die Obliegenheitsverletzung nicht aus. Auch führt die Einstellung des Strafverfahrens wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB durch die Staatsanwaltschaft für sich genommen noch nicht dazu, dass der Vorsatz für die Aufklärungspflichtverletzung ausgeschlossen ist

AG Erkelenz, Urt. v. 2.3.2023 – 8 C 19/22, SVR 2023, 313

Begeht der Versicherte eine Unfallflucht und trinkt anschließend eine nicht unerhebliche Menge Alkohol, so dass die Kfz-Haftpflichtversicherung keine objektiven Feststellungen mehr dazu treffen kann, ob der Versicherte bei dem Unfall unter Alkoholeinfluss stand und seine Fahrtüchtigkeit hierdurch eingeschränkt war, dann geht dies im Rahmen des Regressprozesses der Versicherung zu Lasten des Versicherten; dieser kann sich in einem solchen Fall nicht auf einen Kausalitätsgegenbeweis berufen.

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…