1. Ein Rechtsmittel ist unzulässig, wenn die Rechtsmittelschrift zwar von einem Rechtsanwalt auf einem sogenannten sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird, aber weder einfach noch qualifiziert elektronisch signiert wurde.
2. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken. (Leitsätze des Gerichts/des Verfassers)
I. Sachverhalt
Berufungseinlegung per beA am letzten Tag der Frist
Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Mietvertrag gegen die Beklagte geltend. Das LG hat die Beklagte mit Urt. v. 2.8.2023 teilweise zur Zahlung verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte am 4.9.2023 durch einen unter dem Briefkopf der Anwaltskanzlei „pp.“ verfassten, durch die Rechtsanwältin pp. persönlich auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem beA eingereichten Schriftsatz Berufung eingelegt. In gleicher Form erfolgte die am 22.9.2023 eingegangene Berufungsbegründung, mit der das Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt wird.
Keine Namensnennung der Prozessbevollmächtigten
Die beiden Schriftsätze enden jeweils mit der Zeile „(Rechtsanwältin)“. Ein Name oder eine Unterschrift finden sich oberhalb dieser Zeile nicht. In den Transfervermerken zu den Schriftsätzen findet sich jeweils die Angabe „Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“ sowie in dem Feld „Qualifiziert signiert nach ERVB“ die Angabe „nein“.
Wiedereinsetzungsantrag
Die Beklagte ist nach Eingang der Berufungserwiderung vom 8.11.2023 mit Verfügung vom 10.11.2023 darauf hingewiesen worden, dass Bedenken betreffend die formgerechte Einlegung und Begründung ihrer Berufung bestünden, weil die Anforderungen des § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO nicht erfüllt seien. Dazu hat sie Stellung genommen und – unter Beifügung von jeweils mit dem Zusatz „gez. pp. (Rechtsanwältin)“ versehenen Exemplaren der Berufungseinlegungsschrift und Berufungsbegründung – vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Im Übrigen hat sie die Auffassung vertreten, dass sowohl die Schriftsätze bezüglich Berufungseinlegung als auch Berufungsbegründung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen seien. Denn die Namensnennung im Briefkopf sei angesichts ihrer Tätigkeit als Einzelanwältin als einfache Signatur anzusehen; zudem sei ein sicherer Übermittlungsweg gewählt worden. Sie sei ohne Sonderwissen und Beweisaufnahme als verantwortliche Person zu erkennen. Jedenfalls sei ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da das Gericht ihr den angeblichen Formmangel jeweils noch vor Fristablauf hätte anzeigen können. Die in der diesbezüglichen Unterlassung liegende gerichtsinterne Verzögerung habe sie nicht zu verantworten.
Das OLG hat die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.
II. Entscheidung
Einreichung auf sicherem Übermittlungsweg genügt nicht
Entgegen der Ansicht der Beklagten genügt nach Auffassung des OLG für eine formgerechte Berufungseinlegung nicht, dass der Schriftsatz vom 4.9.2023 auf einem sicheren Übermittlungsweg, dem beA, eingereicht wurde. Denn es fehle dem eingereichten Schriftsatz die zusätzlich notwendige einfache Signatur der für das Schreiben verantwortlichen Person. Die einfache Signatur erfordere eine Wiedergabe des Namens am Ende des Schriftsatzes, beispielsweise in Form eines maschinenschriftlichen Namenszugs oder einer eingescannten Unterschrift (vgl. dazu BAG NJW 2020, 3476, m.w.N.; BSG NJW 2022, 1334). Denn der Schriftsatz ende nur mit der Bezeichnung „(Rechtsanwältin)“ ohne weitere Namensangabe.
Name durfte nicht fehlen
Das Fehlen einer Namensangabe sei auch nicht unschädlich. Denn die Berufungsschrift lasse sich keiner bestimmten Person zuordnen, die Verantwortung für ihren Inhalt übernommen hat, da sie lediglich mit der nicht durch eine Namensangabe ergänzten Zeile „(Rechtsanwältin)“ versehen sei und zudem nicht einfach signiert wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten ausweislich ihres Briefkopfes als Einzelanwältin tätig sei. Denn nach der Rechtsprechung des BGH könne auch bei dieser Sachlage nicht ausgeschlossen werden, dass eine im Briefkopf nicht aufgeführte Rechtsanwältin die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen habe (BGH NJW 2022, 3512; siehe auch: BAG NJW 2020, 3476). Auch die Verwendung des Briefbogens der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten genüge nicht, da allein hieraus nicht folge, dass sie für den Inhalt der Berufungsschrift Verantwortung übernehmen wolle. Auch lasse sich dem nicht entnehmen, ob die als Absender ausgewiesene Person identisch ist mit der den Inhalt des Schriftsatzes verantwortenden Person (vgl. BAG NJW 2020, 3476).
Wiedereinsetzungsantrag
Der Wiedereinsetzungsantrag sei zurückzuweisen, da die Versäumung der Notfrist nicht unverschuldet sei (§ 233 Satz 1 ZPO). Die Beklagte muss sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
Verschulden eines Rechtsanwalts
Ein Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Erfordernisse sei regelmäßig nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des BGH müsse ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Selbst wenn die Rechtslage zweifelhaft sei, müsse der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen. Von einem Rechtsanwalt sei zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu bestehe umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handele, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlange. Ein Rechtsirrtum sei nur ausnahmsweise als entschuldigt anzusehen, wenn er auch unter Anwendung der erforderlichen Sorgfaltsanforderungen nicht vermeidbar war (vgl. BGH, Beschl. v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22; NJW 2019, 2230 m.w.N.). Ein etwa vorliegender Irrtum der Prozessbevollmächtigten der Beklagten über die Notwendigkeit einer einfachen Signatur sei nicht unvermeidbar. Denn aus der vorliegenden Kommentarliteratur und Rechtsprechung sei grundsätzlich bekannt, dass die einfache Signatur darin bestehe, einen Namen unter das Dokument zu setzen, gleich ob man ihn tippt oder eine eingescannte Unterschrift einfügt. Hierüber habe sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht ohne Verletzung ihrer anwaltlichen Sorgfaltspflichten hinwegsetzen dürfen Zudem sei im Zeitpunkt der Einreichung der Berufung bereits Rechtsprechung des BAG und des BGH veröffentlicht, wonach das Wort „Rechtsanwalt“ als Abschluss des Schriftsatzes nicht genüge (BAG NJW 2020, 3476 und BGH NJW 2022, 3512).
Fürsorgesorgepflicht verletzt?
Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass das Gericht seine ihr gegenüber bestehende prozessuale Fürsorgepflicht und damit das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren verletzt habe, mit der Folge, dass ein in der eigenen Sphäre der Partei liegendes Verschulden hinter das staatliche Verschulden zurücktritt. Aus dem „allgemeinen Prozessgrundrecht“ auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folge die Verpflichtung des Richters zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten prozessualen Situation. Es sei ihm untersagt, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die betroffenen Prozessparteien abzuleiten (BVerfG, Beschl. v. 14.11.2018 – 1 BvR 433/16; Beschl. v. 17.1.2006 – 1 BvR 2558/05). Der Anspruch auf ein faires Verfahren könne eine gerichtliche Hinweispflicht auslösen, wenn ein Rechtsmittel nicht in der vorgesehenen Form übermittelt worden sei. Eine Partei könne erwarten, dass dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt werde und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden. Unterbleibt ein gebotener Hinweis, sei der Partei Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen können und müssen, dass es der Partei noch möglich gewesen wäre, die Frist zu wahren. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folge aber keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken (BGH, Beschl. v. 21.3.2017 – X ZB 7/15; s. auch BVerfG, Beschl. v. 17.1.2006 – 1 BvR 2558/05; BAG, Beschl. v. 5.6.2020 – 10 AZN 53/20).
Keine Fürsorgepflichtverletzung des Senats
Unter Berücksichtigung des Interesses der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung als auch dem Interesse der Justiz am Schutz ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (vgl. BAG, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 20.4.2011 – VII ZB 78/09) sei dem Senat bei der Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung keine Fürsorgepflichtverletzung vorzuwerfen. Die Annahme der Beklagten, das OLG hätte auf die am letzten Tag der Notfrist, den 4.9.2023, 10:13 Uhr, übermittelte Berufungsschrift noch im Laufe des Tages darauf hinweisen müssen, dass die Voraussetzungen des § 130a ZPO nicht erfüllt sind, überspanne die gerichtliche Überprüfungspflicht. Zwar dürfe eine Frist bis zum Ende ausgeschöpft werden; allerdings gelte dann ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab, der insbesondere auch die Überprüfung der Form der Rechtsmittelschrift durch den Rechtsanwalt umfasse. Eine Pflicht des Gerichts, an der Heilung von Form- und Fristmängeln durch außerordentliche Maßnahmen außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs mitzuwirken, bestehe nicht (vgl. BGH NJW 2013, 236; NJW-RR 2014, 2). Dass der ordnungsgemäße Geschäftsgang nicht vorsehe, dass vom zuständigen Spruchkörper innerhalb weniger Stunden von eingehenden Berufungen Kenntnis genommen wird, um auf mögliche Formmängel hinzuweisen, bedürfe keiner weiteren Ausführungen.
Normaler Geschäftsgang
Im normalen Geschäftsgang sei das Berufungsverfahren durch die Eingangsgeschäftsstelle nach dem bestehenden Turnussystem dem 9. Zivilsenat zugeteilt worden. Im Anschluss daran hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Verfügung vom 7.9.2023 die Eingangsformalien erledigt und das Verfahren wegen Urlaubs des Vorsitzenden der Stellvertreterin zur Kenntnis vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt habe eine rechtzeitige Berufungseinlegung durch die Beklagte nicht mehr erfolgen. Ein Verschulden von Seiten des Gerichts sei daher nicht gegeben.
III. Bedeutung für die Praxis
Formwirksamkeit
1. Die Ausführungen des OLG zur Formwirksamkeit entsprechen der dazu vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, die teilweise davon ausgeht, dass auch die einfache Signatur des der sog. Einzelanwalts eine Wiedergabe des Namens am Ende des Schriftsatzes erfordert (vgl. z.B. OLG Braunschweig, Beschl. v. 9.6.2023 – 1 ORBs 22/23, NStZ 2023, 639 m.w.N.; a.A. BAG, Beschl. v. 25.8.2022 – 2 AZN 234/22, NJW 2022, 3028).
Wiedereinsetzung
2. Auch den Ausführungen des OLG kann man im Ergebnis zustimmen. Zwar haben Entscheidungen, in denen die Gerichte über eigenes Verschulden befinden (müssen), immer einen faden Beigeschmack, das das Gericht ja auch zum „Richter in eigener Sache“ wird. Aber das wird hier dadurch aufgefangen, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit der Berufungseinlegung bis kurz vor Fristablauf gewartet hat. Dann kann sie aber nicht davon ausgehen, dass sie noch so rechtzeitig vor Fristablauf auf Formmängel aufmerksam gemacht wird, dass sie diese noch rechtzeitig in der noch nicht abgelaufenen Rechtsmittelfrist reparieren könnte.