Ein sog „verkehrsfeindlicher Inneneingriff“, der zur Annahme eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b StGB führt, kann auch durch einen Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs in Mittäterschaft begangen werden. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Verurteilung wegen versuchten Totschlags und schwerem gefährlichen Eingriff
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das LG folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Feststellungen des LG
Im Verlauf des Tatabends tauschten der Angeklagte und der Geschädigte im Rahmen zwischen ihnen bestehender Streitigkeiten massive Beschimpfungen aus. U.a. versandte der Angeklagte eine Sprachnachricht an den Geschädigten mit dem Wortlaut: „Ich weiß, dass du nicht mehr leben willst, dabei werde ich dir helfen“. Zu dem in der Folge verabredeten Treffpunkt in der B. Innenstadt fuhren der Angeklagte und sein Bruder mit einem Pkw, der auf die Lebensgefährtin des Angeklagten zugelassen war. Der Angeklagte befand sich auf der Rücksitzbank des Fahrzeugs und dirigierte seinen Bruder, der das Fahrzeug führte, zu dem Aufenthaltsort des Geschädigten.
In Ausführung des zuvor an diesem Abend mit dem Angeklagten gefassten Tatplans, den Geschädigten zu töten, beschleunigte der Bruder des Angeklagten das Fahrzeug, als sie den Geschädigten auf dem Bürgersteig vor einem Gebäude entdeckten. Der Bruder des Angeklagten fuhr sodann mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 bis 25 km/h in der Absicht auf den Geschädigten zu, diesen mit dem Fahrzeug zu erfassen bzw. gegen die nahegelegene Hauswand zu quetschen. Der Angeklagte und sein Bruder erkannten, dass der Geschädigte dabei möglicherweise tödliche Verletzungen erleiden könnte; sie nahmen dies jedoch mindestens billigend in Kauf. Der Geschädigte konnte auf die Motorhaube des Pkw springen und sich abrollen; er blieb unverletzt und ergriff die Flucht.
Angeklagte war Mittäter
Das LG hat den Angeklagten wegen seines erheblichen Tatinteresses und seines Tatbeitrages (Zur-Verfügung-Stellen des Fahrzeugs; Weitergabe des Standorts des Geschädigten an seinen Bruder; Anwesenheit im Fahrzeug) als Mittäter sowohl des versuchten Tötungsdelikts als auch des schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr angesehen. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg
II. Entscheidung
Verkehrsfeindlicher Inneneingriff und mittäterschaftliches Handeln
Die Verurteilung wegen des tateinheitlichen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) StGB hält nach Auffassung des BGH revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer sei zutreffend davon ausgegangen, dass auch im Falle eines sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriffs ein mittäterschaftliches Handeln im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB in Betracht kommen könne.
Bewusst zweckwidriger Einsatz des Kfz…
Ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 StGB könne auch mittels eines Kraftfahrzeugs im Rahmen von Verkehrsvorgängen im fließenden Verkehr verwirklicht werden (sog. Inneneingriff). Dies setze aber voraus, dass das Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig eingesetzt werde und der Täter das Fahrzeug mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbrauche. Erst dann liege eine über den Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende verkehrsatypische „Pervertierung“ eines Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB vor (st. Rspr.; BGHSt 48, 233, 237; BGH NStZ-RR 2023, 313).
… kein eigenhändiges Delikt
Ein verkehrsfeindlicher Inneneingriff könne auch durch einen Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs in Mittäterschaft begangen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – 4 StR 145/13, VRR 2013, 387; siehe auch OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.2017 – 4 RVs 159/16, NStZ-RR 2017, 224). § 315b Abs. 1 StGB stelle kein eigenhändiges Delikt dar, bei dem der Täter nur durch ein eigenes Handeln persönlich den Tatbestand erfüllen kann. Denn nach dem Wortlaut des § 315b Abs. 1 StGB könne die Sicherheit des Straßenverkehrs von jedermann beeinträchtigt werden. Die Tathandlungen der Nrn. 1 bis 3 knüpfen – anders als diejenigen des § 315c StGB – nicht an ein tatbestandlich umschriebenes Verhalten an, das nur eigenhändig verwirklicht werden könne (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.2017 – 4 RVs 159/16, NStZ-RR 2017, 224). Auch in der Fallkonstellation des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs setze § 315b Abs. 1 StGB allein die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale aus einer der Alternativen des § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB voraus. Der spezifische Unrechtsgehalt der Tat liege dabei darin, dass das Fahrzeug nicht (mehr) als Mittel der Fortbewegung diene, sondern im fließenden Verkehr – gleich einem Fremdkörper – zur Verletzung oder Nötigung eines anderen eingesetzt werde. Dies habe zur Folge, dass es für die Beschreibung des tatbestandlichen Unrechts auch nicht mehr darauf ankommen könne, ob der Täter das Kraftfahrzeug dabei eigenhändig führt.
Abgrenzung zu vorliegender Rechtsprechung
Diesem Verständnis stünden Entscheidungen des BGH nicht entgegen, die einen verkehrsfeindlichen Inneneingriff dahin umschreiben, dass ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 StR 240/20; Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22). Denn diese Ausführungen seien auf Konstellationen bezogen, in denen der Täter tatsächlich als Führer eines Kraftfahrzeugs am fließenden Verkehr teilgenommen habe; sie seien jedoch nicht im Sinne einer Beschränkung des tauglichen Täterkreises in Fällen des verkehrsfremden Inneneingriffs zu verstehen. Vielmehr komme auch der Beifahrer als tauglicher Täter eines verkehrsfremden Inneneingriffs in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 21.6.2016 ‒ 4 StR 1/16 zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB; Beschl. v. 6.7.1989 ‒ 4 StR 321/89 Rn 2 [Eingriff des Beifahrers in den Lenkvorgang]; Urt. v. 20.12.1968 ‒ 4 StR 489/68 Rn 15 [wuchtiges Werfen nach vorne und Griff in das Lenkrad]). In der Rechtsprechung sei im Übrigen anerkannt, dass (auch) ein Fußgänger den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklichen könne (vgl. BGHSt 41, 231, 234; siehe auch BGH, Beschl. v. 14.9.2021 ‒ 4 StR 21/21).
Annahme von Mittäterschaft berechtigt
Danach tragen unter den hier gegebenen Umständen die (rechtsfehlerfrei) getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten auch wegen des in Mittäterschaft begangenen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a), § 25 Abs. 2 StGB. Die Urteilsgründe belegen die Tatherrschaft des das Kraftfahrzeug nicht eigenhändig führenden Angeklagten, der das Tatfahrzeug zur Verfügung stellte, das Fahrziel vorgab, während der Tatausführung im Fahrzeug anwesend war und Einfluss auf die Handlungen seines Bruders nehmen konnte sowie ein erhebliches Tatinteresse aufwies, nachdem er zuvor mit dem Geschädigten Beleidigungen und Bedrohungen ausgetauscht hatte. Auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt; insbesondere sind der bedingte Schädigungsvorsatz des Angeklagten und seine Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen, rechtsfehlerfrei belegt.
III. Bedeutung für die Praxis
Konsequent
Der BGH führt seine Rechtsprechung zum „verkehrsfeindlichen Inneneingriff“ auch durch einen Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs konsequent fort. Die Ausführungen sind auf der Grundlage der dazu bereits vorliegenden Rechtsprechung zu § 315b StGB überzeugend.