In Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Gegen den Betroffenen war mit Bußgeldbescheid vom 22.2.2022 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 22 km/h eine Geldbuße von 120,00 EUR festgesetzt worden, was nach Rechtskraft des Bußgeldbescheides die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister zur Folge gehabt hätte
Verfahrensablauf
Der Verteidiger hat für den Betroffenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Mit einem weiteren Schreiben vom 18.3.2022 beantragte der Verteidiger Einsicht in diverse Aufzeichnungen und Unterlagen, u.a. in die Videoaufnahmen der Übersichts- und Identkameras im Originalformat, den öffentlichen Schlüsseln („Public Key“), die Statistikdatei, das Referenzvideo betreffend die Einrichtung der Messstelle, vorhandene Wartungs-. Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgeräts, die „Lebensakte“, die Gebrauchsanweisung des Messgeräts. Protokolldateien der Wechselverkehrszeichenanlage, die Baumusterprüfbescheinigung, Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung. Die Bußgeldbehörde hat dem Verteidiger die aus ihrer Sicht vorzulegenden Dokumente zur Verfügung gestellt, lehnte jedoch darüber hinaus die Übersendung weiterer Unterlagen ab. So sei insbesondere die Vorlage einer Konformitätserklärung nicht erforderlich, da das Gerät vom zuständigen Eichamt geeicht worden sei, was beweise, dass dieses der Bauartzulassung entspreche.
Der Verteidiger beantragte daraufhin gerichtliche Entscheidung. Noch bevor eine gerichtliche Entscheidung über den Antrag ergangen war, hat die Verwaltungsbehörde das Verfahren am 13.7.2022 über die Staatsanwaltschaft an das AG abgegeben, welches zunächst Termin zur Hauptverhandlung auf den 9.11.2022 bestimmte. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat es wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen und hat dem Betroffenen die Verfahrenskosten sowie dessen notwendige Auslagen aufgegeben.
Nachdem der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.8.2022 nochmals beantragt hatte, der Verteidigung die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, welche bereits Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 Abs. 1 OWiG waren, erhielt er ein weiteres Mal Akteneinsicht. Nach Rücksendung der Akte durch das AG an die Verwaltungsbehörde zur erneuten Stellungnahme wies diese darauf hin, dass die begehrten Unterlagen, soweit diese vorhanden seien, bereits zur Verfügung gestellt worden seien. Unterlagen oder Videodateien, die dort nicht existent seien, könnten auch nicht zur Verfügung gestellt werden.
Tätigkeiten des Verteidigers
Im Hauptverhandlungstermin am 9.11.2022 bestritt der Betroffene. vertreten durch Verteidiger in Untervollmacht, seine Fahrereigenschaft und gab unter Vorlage eines entsprechenden Fotos an, dass sein Bruder das Fahrzeug ebenfalls nutze. Zudem wurde der Verwertbarkeit des Messergebnisses widersprochen, ein „Einsichts- bzw. Aussetzungsantrag“ gestellt sowie ein Widerspruch gegen die Verwertung der Messfotos, des Messergebnisses, der Messdaten sowie der Geschwindigkeitsberechnung eingelegt. Ferner legte die Verteidigung ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten vor. Daraufhin setzte das AG das Verfahren aus und beauftragte sowohl ein anthropologisches als auch ein messtechnisches Sachverständigengutachten und beraumte nach erneuter Gewährung von Akteneinsicht einen neuen Hauptverhandlungstermin für den 21.2.2023 an, zu welchem neben den Sachverständigen und dem Messbeamten als Zeugen auch der Betroffene erneut persönlich und diesmal eine Verteidigerin in Untervollmacht erschienen waren. Nachdem sich der Betroffene in diesem Termin nunmehr schweigend verteidigt hatte, reichte die Unterbevollmächtigte erneut einen „Einsichts- und Aussetzungsantrag“ zu Protokoll. Nachdem das Gericht dennoch die Beweisaufnahme eröffnet hatte, beanstandete die Verteidigerin die Entscheidung des Gerichts und beantragte einen gerichtlichen Beschluss sowie die Aushändigung des gerichtlichen Beschlusses. Letztlich sprach das Amtsgericht den Betroffenen nach der anthropologischen Begutachtung durch die anwesende Dipl. Biologin frei. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Verteidiger beantragte mit Schriftsatz vom 11.4.2023 die Festsetzung der folgenden Gebühren und Auslagen gegenüber der Landeskasse, wobei er ausführte, dass aufgrund der besonderen Bedeutung für den Betroffenen und der Dauer des Termins vom 21.2.20203 (fast 1,5 Stunden) teilweise Gebühren oberhalb der Mittelgebühr in Ansatz gebracht worden seien. Im Einzelnen hat er angesetzt für die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 211,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 211,00 EUR, Terminsgebühr für Termin am 9.11.2022 Nr. 5110 VV RVG 280,50 EUR, Terminsgebühr für Termin am 16.2.2022 5110 VV RVG 336,00 EUR nebst Auslagen, wie z.B. Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgeld.
Der Bezirksrevisor hat zum Kostenfestsetzungsantrag dahingehend Stellung genommen, dass die Bestimmung der Gebührenhöhe unbillig sei. In einfach gelagerten Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten seien im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen anzusehen.
Das AG hat die Gebühren wie folgt festgesetzt: Gebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 105,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 136,00 EUR, Terminsgebühr 5110 VV RVG (9.11.2022) 170,00 EUR und Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG (21.3.2023) 225,00 EUR. Dagegen hat der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hatte keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt
Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimme der Rechtsanwalt – hier der Wahlverteidiger – bei den hier geltenden Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung sei nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Ob das der Fall sei, unterliegt im Kostenfestsetzungsverfahren und auch im Beschwerdeverfahren einer Wertung, wobei das grundsätzliche Gebührenbestimmungsrecht des Anwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden dürfe, dass eine Gebührenbemessung schon dann als unbillig korrigiert werden dürfe, wenn sie lediglich „gut bemessen“ sei. Da billiges Ermessen nicht positiv in dem Sinne bestimmt werden könne, dass jeweils nur ein konkreter Gebührenbetrag in Betracht kommt, sei lediglich eine negative Abgrenzung möglich, nämlich danach, ob eine konkrete Gebührenbestimmung außerhalb eines Bereichs liege, der noch vom billigen Ermessen abgedeckt sei (zu allem Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 26. Aufl. § 14 Rn 5).
Die Rechtspflegerin des AG habe in der angefochtenen Entscheidung – nach Stellungnahmen des Bezirksrevisors und der Verteidigung – jeweils differenzierte Betrachtungen für die einzelnen Gebührentatbestände angestellt, die auf das Rechtsmittel hin zu überprüfen seien. Dabei seien jeweils alle Umstände zu berücksichtigen, die für eine Erhöhung der Mittelgebühr und gleichfalls alle Umstände, die für eine Unterschreitung der Mittelgebühr sprechen können, wobei die Mittelgebühr in der Rechtspraxis als die konkret billige Gebühr in Normalfällen angesehen werde (Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 Rn 10). Die jeweils in der einen oder anderen Richtung relevanten Umstände – Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten und die Bedeutung der Angelegenheit – seien außerdem gegeneinander abzuwägen (Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 Rn 11). Schließlich sei – nach gerichtlicher Bemessung der jeweils angemessenen Gebühr – unter Achtung des dem Rechtsanwalt vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraums ein Überschreiten der von dem Gericht als angemessen erachteten Gebühr durch den Rechtsanwalt in einem gewissen Rahmen grundsätzlich zu tolerieren. Die Grenze dieses Rahmens, die sogenannte Toleranzgrenze (Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., Rn 12), zieht die Kammer bei 20 % und hat darüberhinausgehende Gebührenbestimmungen des Rechtsanwalts als unbillig angesehen.
Festsetzung des AG angemessen
Das LG sieht die vom AG unter den Mittelgebühren festgesetzten Gebühren als angemessen an, auch der Ermessensspielraum des Verteidigers von 20 % sei ausreichend inkludiert.
Bedeutung der Sache/Einkommensverhältnisse
Die vom AG festgesetzten Gebühren bewegen tragen nach Auffassung des LG der Bedeutung der Sache für den Betroffenen hinreichend Rechnung. Dies gelte insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass die angesetzte Geldbuße auf 120,00 EUR festgesetzt worden war und damit einhergehend die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister im Raum gestanden habe, weshalb die Angelegenheit bei den bestehenden Voreintragungen und im Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde als nicht ganz unerheblich für den Betroffenen einzustufen gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei jedoch einschränkend zu berücksichtigen, dass gegen den Betroffenen kein Fahrverbot verhängt worden sei, die unmittelbaren Folgen sich als nicht gravierend und möglicherweise berufsbeeinträchtigend darstellten. Auch dass die Regelgeldbuße gemäß § 17 OWiG i.V.m. § 3 BKatV wegen einer oder mehrerer Voreintragungen im Fahreignungsregister auf insgesamt 120,00 erhöht worden sei, lasse mangels dahingehenden Vortrags eine finanzielle Notlage und dadurch eine gesteigerte Bedeutung für den Betroffenen nicht erkennen. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Betroffenen ergebe sich aus der Akte lediglich, dass dieser als selbstständiger Gastronom tätig sei und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebe.
Schwierigkeit der Sache
Das AG sei zudem bei der Festsetzung der zu erstattenden Gebühren zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Sach- und Rechtslage und ihrer Schwierigkeit als deutlich unter dem Durchschnitt der Bußgeldverfahren liegend anzusehen sei. Denn Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit wie auch des zeitlichen Aufwands seien nicht isoliert Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern es sei das gesamte Spektrum an Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen, die von den Gebührensätzen, die im Vergütungsverzeichnis vorgesehen sind, abgedeckt werden. Um zu spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen etwa auf dem Gebiet des Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerrechts, die einerseits erhebliche Bußgelder vorsehen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden seien, eine angemessene Relation herzustellen, könnten bei Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten daher im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
So liege der Fall auch hier. Es habe sich der Sache nach um einen äußerst einfach gelagerten Fall gehandelt, in dem es um einen Geschwindigkeitsverstoß mit einem Lichtbild als Beweismittel ging. Den Einspruch habe der Verteidiger im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht begründet. Den in der Folge entstandenen Besonderheiten – es wurde ein gerichtliches Verfahren nach § 62 OWiG eingeleitet sowie ein zweiter Hauptverhandlungstermin durchgeführt, in dem ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde – sei durch die Erhöhung der Mindestgebühren angemessen Rechnung getragen worden. Ansonsten könne allenfalls von einem für Verkehrsordnungswidrigkeiten durchschnittlichen Aufwand ausgegangen werden. Der Betroffene habe seine Fahrereigenschaft sowie – nach Vorlage eines Privatgutachtens – die Richtigkeit der Messung bestritten.
Darüber hinaus habe der Verteidiger wiederholt die Unvollständigkeit der zur Verfügung gestellten Messdaten und -unterlagen gerügt und die Übersendung diverser Dateien und Dokumente beantragt. Dies sei zunächst jedoch ebenfalls durch pauschale Aufzählung sämtlicher ein Messverfahren betreffender Unterlagen erfolgt. Bei der dann folgenden – auf den ersten Blick umfangreichen – Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG habe es sich offenkundig um allgemeine Textbausteine nebst beigefügten gerichtlichen Entscheidungen gehandelt. Überdies sei in dem gesonderten Verfahren 2 OWi 57/22 eine eigenständige Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen worden, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhöhten Gebühren wegen der Einleitung eines solchen Verfahrens verlangt werden können, da sich im Falle des dortigen Obsiegens die Auslagen für den konkreten Aufwand des Verfahrens nach § 62 OWiG für die Staatskasse „doppelt“ niederschlagen würden, obgleich diese nur einmal angefallen seien.
Soweit daneben die Einarbeitung in das „neue“ Messgerät VKS 4.5 zu einem überdurchschnittlichen Aufwand geführt haben soll, so sei dies zum einen mit der überdurchschnittlichen und antragsgemäßen Festsetzung der Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG) von 110.00 EUR hinreichend berücksichtigt. da diese Gebühr gerade für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall gewährt werde. Zum anderen dürfte zweifelhaft sein, ob für den konkret vorliegenden Fall – mit welchem der Verteidiger erstmals im März 2022 befasst war – eine umfassende Einarbeitung in die Funktionsweise des neuen Messgerätes erfolgen musste. So finde sich auf der Internetpräsenz des Verteidigers ein ausführlicher Artikel mit dem Titel „Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen mit VKS 4.5 – neue Verteidigungsansätze“, der auf den 27.1.2022 datiere und sich umfassend mit den Verteidigungsstrategien bei dem genannten Messverfahren beschäftige.
Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Akte zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs einen Umfang von 41 Seiten hatte. Zwar gebe es auch Bußgeldakten, die im Anfangsstadium noch bei der Bußgeldstelle deutlich weniger Seiten aufweisen. Gleichwohl sei dieser Aktenumfang in Verfahren, die den Tatvorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Form eines Geschwindigkeitsverstoßes zum Gegenstand haben, als durchschnittlich anzusehen, da oftmals – und so auch hier – zunächst Ermittlungen zur Identifizierung des verantwortlichen Betroffenen durch Ausgabe von Zeugenfragenbögen bzw. Halteranhörungen seitens der Bußgeldbehörde anzustellen seien. Der Aktenumfang bis zur Beendigung des Verfahrens stelle sich zwar als überdurchschnittlich dar. Dies resultiere jedoch insbesondere aus einer Vielzahl seitens der Verteidigung schriftlich gestellter und oftmals inhaltsgleicher oder -ähnlicher Anträge.
Verfahrensgebühren Nr. 5103, 5109 VV RVG
Neben vorstehenden Erwägungen gelte – so das LG – im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG zudem ebenfalls, dass die Höhe der Geldbuße im Bußgeldverfahren maßgebliches Kriterium für die Gebührenhöhe sei, was der Gesetzgeber hier durch die Bestimmung eines Wertrahmens zum Ausdruck gebracht habe, Anderenfalls hätte es einer Gebührenstaffelung für verschiedene Geldbußen gerade nicht bedurft. Hier liege die verhängte Geldbuße mit 120,00 EUR am untersten Rand der Staffelung (60,– bis 5.000,– EUR), was den Ansatz von Mittelgebühren ebenfalls nicht zwingend nahe lege. Generell sei auch hier der anzusetzende Vergleichsmaßstab nicht innerhalb verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu suchen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Frage, ob es sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Bußgeldverfahren handele, ein Vergleich zwischen Verkehrsordnungswidrigkeiten einerseits und spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen andererseits anzustellen.
Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG
Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 5110 VV RVG) für die Termine am 9.11.2022 und am 21.2.2023 sei ebenfalls zunächst auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Die Dauer des Hauptverhandlungstermins am 21.2.2023 gehe aus dem Protokoll mangels Angabe des Sitzungsendes nicht hervor. Der Umstand, dass dieser Termin für Bußgeldangelegenheiten aber offenbar vergleichsweise lange andauerte und ein Zeuge sowie eine Sachverständige gehört worden sind, sei vom Amtsgericht (das sogar von zwei Sachverständigen ausgegangen ist, obwohl ein Gutachter im Termin offenbar nicht zu Wort kam) hinreichend berücksichtigt worden. Im Übrigen seien die in den jeweiligen Terminen durch die Unterbevollmächtigten vorgelegten „Einsichts- bzw. Aussetzungsanträge“ wortgleich. Der Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung und auf gerichtliche Entscheidung beziehe sich in der knappen Begründung erneut auf die bereits seitens der Vereidigung zuvor dargestellte Problematik der umfassenden Einsicht in alle Unterlagen und Dateien der Messung, bedurfte mithin keiner erneuten Einarbeitung.
III. Bedeutung für die Praxis
Wenn man es liest, mag man kaum glauben, dass ein LG so viel gebührenrechtlich Falsche zusammenschreiben kann. Aber leider ist das der Fall. Und leider scheint das, das das LG an verschiedenen Stellen auf eigene Rechtsprechung – andere kennt man offenbar nicht – Bezug nimmt – „herrschende Meinung“ in der Kammer zu sein.
Retourkusche?
1. Vorab: Der Entscheidung insgesamt ist m.E. anzumerken, dass das LG mit dem Beschluss die Verteidigungsstrategie und das Verteidigungskonzept des Verteidigers abstrafen will, um nicht das Wort „Retourkutsche“ zu gebrauchen. Nur dabei übersieht es, dass der Verteidiger im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG in 2 BvR 1167/20 in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nicht nur alles beanstanden darf, sondern sogar beanstanden muss, wenn es um das Messverfahren geht. Anders hat er – vor allem auch im Hinblick auf die Rechtsprechung der OLG – kaum eine Chance, die Ordnungsgemäßheit einer Messung zu beanstanden. Und das geht, wenn die Verwaltungsbehörden und zunächst wohl auch das AG „bockig“ sind, eben nur mit ggf. wortgleichen Anträgen und Textbausteinen, die ein Verteidiger ebenso wie ein AG bzw. LG zur Verfügung hat. Das kann man ihm also nicht „vorhalten.
2. Darüber hinaus ist auf folgende Punkte hinzuweisen
Falscher Ansatz
a) Schon der Ansatz des LG, im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren in der Regel von Gebühren unterhalb der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch, wird aber leider – nicht nur vom LG Koblenz – immer wieder gewählt (vgl. zu der Problematik Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 55). Dieser gebührenrechtliche Nonsens, für den sich im RVG kein Anknüpfungspunkt findet, wird aber leider immer wieder vertreten. Auch spielt die Höhe der Geldbuße bei der Bemessung der Gebühr keine Rolle mehr. Der Bemessungsumstand ist durch die Einordnung der Gebühr in die jeweilige Gebührenstufe verbraucht (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O., Vorbem. 5 Rn 57 m.w.N.). Es besteht ein gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot. Für die Abweichung bleibt das LG eine nachvollziehbare Begründung schuldig.
Hinzu kommt, dass nicht ganz klar ist, von welcher Bemessungsgrundlage das LG im Nachgang zum AG überhaupt ausgeht. Man hat den Eindruck, dass man von den „Mindestgebühren“ ausgegangen ist und die dann angemessen (?) erhöht und geprüft hat, ob die Mittelgebühr angemessen ist. Das ist jedoch vollkommen falsch, denn Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung ist (immer) die Mittelgebühr, die dann unter Berücksichtigung aller gebührenerhöhenden und -ermäßigenden Umstände zu erhöhen oder zu erniedrigen ist (vgl. nur Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O., Teil A Rn 1793 ff.). Das sollte auch in Koblenz bekannt sein.
Falsche Gewichtung
b) Zur Wertung der einzelnen Umstände durch das AG ist nur anzumerken, dass diese m.E. – zumindest teilweise – falsch gewichtet werden, war ersichtlich damit zusammenhängt, dass man offensichtlich die Verteidigungsstrategie „nicht mag“ und wohl abstrafen will. In dem Zusammenhang soll nur darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um einen „äußerst einfach gelagerten Fall“ handelt, wenn Fahrereigenschaft und Ordnungsgemäßheit der Messung im Streit sind. Das zeigt sich allein schon daran, dass im Verfahren insgesamt wohl drei Sachverständigengutachten erstattet worden sind. Man fragt sich, wenn das LG Koblenz von einem „schwierigen Verfahren“ ausgehen will.
3. Insgesamt: Gewogen und (viel) zu leicht befunden.