1. Beauftragt der Verurteilte einen Dritten, der nicht Verteidiger ist, mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels, so hat er die Einhaltung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu überwachen; andernfalls ist die verspätete Rechtsmitteleinlegung grundsätzlich nicht unverschuldet im Sinne von § 44 Satz 1 StPO.
2. Ebenso wenig unverschuldet handelt, wer seinen Verteidiger erst kurz vor Fristablauf mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels beauftragt, ohne auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen. (Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Sofortige Beschwerde verspätet
Dem inhaftierten Verurteilten wurde am 24.4.2023 ein Beschluss zugestellt. Diesen hat er – der Zeitpunkt ist nicht bekannt – per Post an seinen Vater gesandt. Dieser hat der Verteidigerin des Verurteilten am Sonntag, den 30.4.2023, per WhatsApp mitgeteilt, dass ein Beschluss vorliege und ihr ein Foto der letzten Seite des Beschlusses übersandt. Diese legte die sofortige Beschwerde erst am 3.5.3023 ein. Der Verurteilte hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das OLG hat die sofortige Beschwerde und den Wiedereinsetzungsantrag des Verurteilten als unzulässig verworfen.
II. Entscheidung
Sofortige Beschwerde unzulässig
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des LG war nach Auffassung des OLG unzulässig. Die (Wochen-)Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§§ 460, 462 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO) habe mit der Zustellung an den Verurteilten am 24.4.2023 begonnen. Diese Frist sei versäumt, da die sofortige Beschwerde unter Berücksichtigung des Feiertags am 1.5.2023 spätestens bis 2.5.2023 beim LG hätte eingehen müssen. Eingegangen sei die sofortige Beschwerde aber erst am 3.5.2023. Maßgeblich für den Beginn der einwöchigen Beschwerdefrist sei auch die am 24.4.2023 an den Verurteilten bewirkte Zustellung. Dieser sei eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen. Eine Anwendung des § 37 Abs. 2 StPO komme nicht in Betracht. Eine förmliche Zustellung an die Verteidigerin des Verurteilten sei ausweislich der Zustellungsverfügung nicht beabsichtigt gewesen und sei auch tatsächlich nicht bewirkt worden. Die erfolgte formlose Übersendung einer Beschlussabschrift an die Verteidigerin beruhe auf der Regelung des § 145a Abs. 3 Satz 2 2. Hs. StPO und sei nicht geeignet, eine Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen.
Wiedereinsetzungsantrag
Der Antrag des Verurteilten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde sei – so das OLG – unzulässig, weil er nicht den Anforderungen der §§ 44, 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO entspreche. Gemäß § 44 S. 1 StPO sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert gewesen sei, eine Frist einzuhalten. Dementsprechend habe der Antragsteller einen Sachverhalt vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließe. Dabei müsse der Antrag Angaben über die versäumte Frist, den Hinderungsgrund und den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten. Die Begründung des Antrags erfordere deshalb eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und dem Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumnis gekommen ist. Beauftrage ein Verurteilter einen Dritten, der nicht Verteidiger sei, mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels, so habe er die Einhaltung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu überwachen; andernfalls sei die verspätete Rechtsmitteleinlegung grundsätzlich nicht unverschuldet im Sinne von § 44 S. 1 StPO. Ebenso wenig unverschuldet handele, wer seinen Verteidiger erst kurz vor Fristablauf mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels beauftrage, ohne auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen.
Unzureichender Vortrag
Hier habe der Verurteilte im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags lediglich vorgetragen, dass der ihm am 24.4.2023 zugestellten Beschluss – wann auch immer – per Post an seinen Vater gesandt habe; der Vater des V habe der Verteidigerin am 30.4.2023 per WhatsApp wiederum mitgeteilt, dass ein Beschluss vorliege und ihr ein Foto der letzten Seite des Beschlusses übersandt. Hätte die Verteidigerin ein Problembewusstsein bezüglich einer Zustellung des Beschlusses zeitlich vor dem 26.4.2023 entwickelt, hätte die sofortige Beschwerde noch rechtzeitig eingelegt werden können. Entgegen den eingangs dargestellten Begründungserfordernissen fehle es vorliegend aber an jeglichem Vortrag dazu, ob der Verurteilte überhaupt – und wenn ja, welche – Vorkehrungen bei der postalischen Versendung des angefochtenen Beschlusses an seinen Vater getroffen habe, dass der angefochtene Beschluss seine Verteidigerin noch innerhalb der laufenden einwöchigen Beschwerdefrist erreicht und dass seine Verteidigerin über die sich bei der gewählten Übermittlung des angefochtenen Beschlusses durch seinen Vater geradezu aufdrängenden Gefahr einer Fristversäumnis – etwa durch einen Hinweis auf das Zustellungsdatum – informiert worden sei. In Anbetracht dessen stelle sich der Wiedereinsetzungsantrag bereits als unzulässig dar, da der Vortrag im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags die Überprüfung des Gerichts, ob der Verurteilte durch eigenes Verschulden zur Fristversäumnis seiner Verteidigerin beigetragen habe, nicht zulasse.
III. Bedeutung für die Praxis
Auf zwei Punkte ist hinzuweisen.
Unvollständiger Vortrag
1. Wird ein Dritter, der nicht Verteidiger ist, mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels beauftragt, so hat er selbst weiterhin die Einhaltung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu überwachen; andernfalls ist die verspätete Rechtsmitteleinlegung grundsätzlich nicht unverschuldet im Sinne von § 44 S. 1 StPO (BGH, Beschl. v. 13.9. 1995 – 3 StR 393/95, OLG Frankfurt am Main NJW 2001, 1589 [Ls., Ehefrau]; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 242 [Bewährungshelfer]; LG Würzburg DAR 2001, 231 [Arbeitgeber]). Das ist hier ebenso wenig geschehen wie dann später zur Frage der Überwachung im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen worden ist. Der zweite Fehler liegt dann darin, dass die Verteidigerin auch (zu) spät mit der Einlegung des Rechtsmittels beauftragt worden ist. Auch insoweit fehlte aber erforderliche Vortrag, der es dem OLG ermöglicht hätte, zu prüfen, ob die Verspätung des Rechtsmittels ggf. nicht doch auf einer zu späten Reaktion der Verteidigerin beruht hat. Deren Verschulden wäre dann dem Verurteilten nicht zugerechnet worden.
Verteidigerverhalten
2. Nicht recht nachvollziehbar ist das Verteidigerverhalten, obwohl es sich nicht abschließend beurteilen lässt. Jedenfalls hat der Vater des Verurteilten der Verteidigerin noch am 30.4.2023 den Beschluss übersandt. Es erschließt sich nicht, warum diese dann nicht noch umgehend Rechtsmittel eingelegt hat, zumal sie ja über die Zustellung an den Verurteilten informiert worden war. Die Rechtsmittelfrist lief ja wegen des Maifeiertages erst am 2.5.2023 ab. Aber auch dazu war von der Verteidigerin nicht ausreichend vorgetragen.