Ein Screenshot vom PC-Bildschirm kann als Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO ein taugliches Mittel zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO darstellen. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Berufungsbegründungsfrist einmal verlängert
Die Parteien streiten um die Rechtsfolgen des von dem Kläger erklärten Widerrufs seiner auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Das LG hat die abgewiesen. Der Kläger hat gegen das Urteil am 22.9.2022 Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist auf Antrag des Klägers bis zum 24.11.2022 verlängert worden.
Weiterer Verlängerungsantrag am Tag einer BeA-Störung
Am 24.11.2022 um 22:18 Uhr hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwei Schriftsätze nebst einem Screenshot per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt. Mit dem ersten dieser Schriftsätze hat sie mitgeteilt, dass aufgrund von Störungen derzeit überhaupt keine Verbindung zu ihrem beA) aufgebaut werden könne. Auf der Seite der BRAK sei angegeben, dass seit ca. 14:06 Uhr die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stehe und mit Hochdruck an der Störungsbeseitigung gearbeitet werde. Da aufgrund der Größe des Schriftsatzes ein weiteres Zuwarten nicht mehr angezeigt sei, werde der beigefügte Fristverlängerungsantrag per Fax eingereicht. Mit dem zweiten Schriftsatz ist beantragt worden, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einvernehmen der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals um einen Monat zu verlängern. Beide Schriftsätze hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zudem unaufgefordert am 25.11.2022 per beA an das Berufungsgericht übermittelt.
OLG vermisst ausreichende Glaubhaftmachung
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 30.11.2022 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass der Berufungssenat beabsichtigte, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der bis zum 24.11.2022 verlängerten Frist begründet worden sei und die an diesem Tag per Telefax eingereichten Schriftsätze nicht den Anforderungen des § 130d ZPO genügten, weil die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen nicht gemäß § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft gemacht worden sei.
Wiedereinsetzungsantrag
Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 8.12.2022 eine Berufungsbegründung vorgelegt und mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag die Richtigkeit des am 24.11.2022 geschilderten Sachverhalts unter Bezugnahme auf ihre Berufspflichten anwaltlich versichert sowie vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt.
OLG verwirft Berufung als unzulässig
Das OLG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil der Kläger die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt habe. Für die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO fehle allerdings die nach § 130d Satz 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, die beim BGH Erfolg hatte.
II. Entscheidung
Wiedereinsetzung nicht geprüft
Die Rechtsbeschwerde sei begründet. Das OLG habe zu Unrecht nicht geprüft, ob dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren sei.
Kläger dürfte auf zweite Verlängerung vertrauen
Der BGH weist zunächst darauf hin, dass der Kläger darauf vertrauen durfte, dass sein am 24.11.2022 per Telefax übermittelter Antrag, die bis zu diesem Tag verlängerte Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Einverständnis mit der Beklagten erneut zu verlängern, nicht abgelehnt werde. Denn bei Einwilligung des Gegners sei auch das Vertrauen in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt (BGH NJW 2023, 1449 und Beschl. v. 31.7.2023 – VIa ZB 1/23). Im Übrigen habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers zusätzlich einen konkreten Grund für den Antrag – starke Arbeitsüberlastung – angegeben.
Fristverlängerungsantrag auch wirksam gestellt
Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische – und damit formgerechte – Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei hier zwar nicht erfolgt. Allerdings seien entgegen der Auffassung des OLG die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2, 3 ZPO erfüllt. Noch zutreffend sei das OLG davon ausgegangen, dass die am 24.11.2022 bestehende Störung des beA, die dazu führte, dass mehrere Stunden lang keine Verbindung zum beA aufgebaut werden konnte, eine vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO begründete und dass der Schriftsatz vom 24.11.2022 eine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen enthält. Allerdings überspanne das OLG die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet habe, ohne den vorgelegten Screenshot zu berücksichtigen.
Vorlage des Screenshots reicht
Die Vorlage dieses Screenshots, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handele (OLG Jena GRUR-RR. 2019, 238 Rn 15; BeckOK ZPO/Bach, 50. Edition, Stand: 1.9.2023, § 371 Rn 3), sei im vorliegenden Fall geeignet gewesen, die behauptete Störung glaubhaft zu machen. Denn sein Inhalt stimme überein mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der BRAK (www.brak.de/fileadmin/02_fuer_anwaelte/bea/beA-Störungsdokumentation_ 02.pdf, Stand 14.9.2023 mit Störungen vom 7.12.2018 bis zum 14.9.2023) und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den Zeitraum Juli – Dezember 2022 portal.beasupport.de/ fileadmin/user_upload/pdfs/Archiv_Portalmeldungen_2HJ2022.pdf), nach denen vom 24.11.2022, 14:06 Uhr, bis zum 25.11.2022, 3:33 Uhr eine Störung des beA-Systems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung gestanden und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich gewesen sei. Unter diesen Umständen könne dahinstehen, ob das OLG die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers geschilderte Störung angesichts der auf der Internetseite der BRAK verfügbaren Informationen als offenkundig (§ 291 ZPO) hätte behandeln können (vgl. BGH, Beschl. v. 19.5.2023 – V ZR 14/23 – und vom 24.3.2023 – VII ZB 69/21, WM 2023, 1428).
III. Bedeutung für die Praxis
Nachsichtiger BGH
Eine weitere Entscheidung in der Reihe der Entscheidungen des BGH aus der letzten Zeit, in denen sich der BGH mit dem beA befasst hat bzw. befassen musste. Hier ist der BGH m.E. erneut nachsichtig und hat der Prozessbevollmächtigten des Klägers aus der Klemme geholfen, in die sie letztlich nicht von ihr, sondern mal wieder vom beA verursacht gekommen ist. Denn sauber und rund läuft das beA eben nicht. Die Entscheidung passt ganz gut zu dem BGH, Urt. v. 25.7.2023 – X ZR 51/23, in dem der BGH für den Fall, dass das beA nicht läuft, entschieden hat, dass die Glaubhaftmachung einer technischen Störung auch dann noch rechtzeitig ist, wenn sie am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingeht. Aber man kann als Anwalt nicht immer auf die Nachsicht des BGH hoffen und sollte daher die Fristen nicht bis zum Schluss ausreizen, Arbeitsbelastung hin oder her.