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Rücknahme der Berufung per beA?

1.Die in einer formularmäßigen Strafprozessvollmacht enthaltene Ermächtigung des vom Angeklagten speziell für das Berufungsverfahren beauftragten (weiteren) Verteidigers zur Rücknahme von Rechtsmitteln ermächtigt als ausdrückliche Ermächtigung i.S.v. § 302 Abs. 2 StPO diesen zur Rücknahme einer (vom anderen Verteidiger zuvor eingelegten) Berufung.

2. Die Erklärung über die Rücknahme der Berufung kann vom Verteidiger wirksam durch per Telefax an das Gericht übermitteltes Schreiben erfolgen; eine Verpflichtung zur Übermittlung der Erklärung gemäß § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument besteht nicht. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.20221 Ws 312/22

I. Sachverhalt

Berufungsrücknahme…

Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen versuchter Nötigung und vorsätzlicher Gefährdung verurteilt worden. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt A., legte am 29.4.2022 fristgerecht unter Wahrung der Form des § 32d Satz 2 StPO gegen das Urteil Berufung ein. Nach Vorlage der Akten an das LG zeigte Rechtsanwalt B. am 4.7.2022 die Verteidigung des Angeklagten an und reichte nach Gewährung von Akteneinsicht mit am 8.8.2022 beim LG eingegangenem Schreiben die Kopie einer vom Angeklagten am 30.6.2022 unterzeichneten Vollmacht für das Berufungsverfahren vor, in welcher Rechtsanwalt B. ausdrücklich ermächtigt wurde, Rechtsmittel zurückzunehmen. Wenige Tage vor dem anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung erklärte Rechtsanwalt B. mit Telefax vom 5.10.2022, eingegangen beim Landgericht am 7.10.2022 (11.21 Uhr): „Nehmen wir namens und in Auftrag des Angeklagten die eingelegte Berufung zurück“.

… wird „korrigiert“

Nach Aufhebung des Hauptverhandlungstermins im Hinblick auf die Berufungsrücknahme, den Verteidigern mitgeteilt per Fax vom 7.10.2022 (12.35 Uhr), „korrigierte“ mit Fax vom 7.10.2022, Rechtsanwalt B. seine Erklärung wie folgt: „Der Beschuldigte nimmt die eingelegte Berufung nicht zurück. Der Beschuldigte wird vom Unterzeichner nicht weiter anwaltlich vertreten. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen, es gab ein Kommunikationsmissverständnis mit dem Mandanten.“ Mit Schreiben vom 14.10.2022 teilte Rechtsanwalt B. ergänzend Folgendes mit: „… wird nochmals klargestellt, dass der Verteidiger Rechtsanwalt B. vom Angeklagten nicht ausdrücklich zur Rücknahme beauftragt wurde. Der Unterzeichner ging fälschlicherweise davon aus, dass eine Berufungsrücknahme gewünscht sei. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall. Die Berufungsrücknahme erfolgte alleine durch einen Kanzleifehler des Verteidigers.“

LG stellt Wirksamkeit der Rücknahme fest

Das LG hat die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme und die Erledigung des Berufungsverfahrens festgestellt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde (§ 346 Ans. 2 StPO) hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Wirksame Ermächtigung zur Rücknahme

Das OLG geht von einer wirksamen Berufungsrücknahme durch Rechtsanwalt B. aus. Der habe als (damaliger) Verteidiger des Angeklagten mit beim LG am 7.10.2022 eingegangenem Schreiben unmissverständlich die Rücknahme der am 29.4.2022 eingelegten Berufung des Angeklagten erklärt. Der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung stehe nicht entgegen, dass Rechtsanwalt B. nur in der Strafprozessvollmacht die allgemeine Ermächtigung erteilt worden sei, Rechtsmittel zurückzunehmen. Denn Rechtsanwalt B. sei als Verteidiger erst am 30.6.2022 speziell für die Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt worden, weshalb die Ermächtigung als i.S.v. § 302 Abs. 2 StPO ausdrücklich auf die Berufung bezogen angesehen werden müsse. Diese Ermächtigung habe auch noch zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Erklärung von Rechtsanwalt B. über die Rücknahme der Berufung beim LG einging (7.10.2022, 11.21 Uhr); sie sei erst mit der am 7.10.2022 um 13.27 Uhr angezeigten Mandatsbeendigung erloschen.

Einheitliches Rechtsmittel

Die wirksame Rücknahme der Berufung durch einen Verteidiger habe – so das OLG – den Verlust des einheitlichen Rechtsmittels, auch soweit dieses von dem anderen Verteidiger eingelegt worden sei, zur Folge (BGH NStZ-RR 2019, 351). Die Rücknahme könne als Prozesshandlung weder widerrufen noch wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (BGHSt 10, 245, 247; BGHR StPO § 302 I Rücknahme 2 und § 302 II Rücknahme 6; BGH NStZ 2019, 548). Auch eine Wiedereinsetzung komme nach der rechtswirksamen Rücknahme nicht in Betracht (BGH NStZ-RR 2013, 381), da der Angeklagte (wegen ihm nicht zurechenbaren Verteidigerverschuldens) ja keine Frist versäumt habe, welche er einhalten wollte, aber nicht eingehalten habe.

Rücknahme durch Fax reichte

Die Rücknahme der Berufung habe auch wirksam durch von Rechtsanwalt B. unterzeichnetes und per Telefax an das Gericht übermitteltes Schreiben erfolgen können; eine Verpflichtung zur Übermittlung der Erklärung in der von § 32d Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form (über „beA“) bestehe nicht. Zwar strebe der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des Rechtsverkehrs“ v. 5.7.2017 (BGBl I, 2229) mit dem am 1.1.2022 in Kraft getretenen und mit „Pflicht zur elektronischen Übermittlung“ überschriebenen § 32d StPO ausdrücklich eine Übermittlung aller Dokumente in elektronischer Form an. Dass Satz 1 dennoch nur als Sollvorschrift ausgestaltet sei, sei darauf zurückzuführen, dass die strenge Nutzungspflicht nach Satz 2 auf Dokumente beschränkt bleiben sollte, bei denen von vornherein ausgeschlossen sei, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation abzugeben seien, in der die Infrastruktur für eine elektronische Einreichung nicht zur Verfügung stehe (BT-Drucks 18/9416, 50). Zwar könne die Erklärung über die Rücknahme der Berufung eine solche Sondersituation nicht für sich in Anspruch nehmen. Gleichwohl habe der Gesetzgeber die Möglichkeit der obligatorisch elektronisch vorzunehmenden Verfahrenshandlungen in § 32d Satz 2 StPO ausdrücklich und abschließend auf lediglich einzelne ausgewählte schriftliche Erklärungen beschränkt und auch andere Verfahrenshandlungen wie etwa den Einspruch gegen den Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 StPO), bei dem ebenfalls eine besonders eilbedürftige Situation auszuschließen sei, von dieser Verpflichtung – wegen seiner offensichtlichen praktischen Relevanz sicherlich nicht unbewusst – ausdrücklich ausgenommen. Mit der in § 32d StPO geschaffenen Regelung habe sich der Gesetzgeber – bewusst unvollkommen, gleichwohl abschließend – für bestimmte Prozesserklärungen entschieden, welche er in Satz 2 exklusiv der strengen Form als Voraussetzung ihrer Zulässigkeit unterwerfe.

Keine entsprechende Anwendung von § 32d StPO

Wortlaut und Systematik des § 32d StPO lassen nach Auffassung des OLG daher eine erweiterte Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass die Form der Rücknahme eines Rechtsmittels sich nach der für dessen Einlegung geltenden Form richte, nicht zu. Soweit die Rechtsprechung den Rechtsmittelverzicht und die Rücknahme eines Rechtsmittels in Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung grundsätzlich an die gleiche Form wie die Einlegung des Rechtsmittels binde (BGHSt 18, 257, 260; BGH NStZ 2009, 51; KG NStZ 2015, 236; BeckOK StPO/Cirener, 45. Ed. 1.10.2022, StPO § 302 Rn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022 § 302 Rn 7), gelte dies nur für Erklärungen des Angeklagten selbst. Dieser müsse – zum eigenen Schutz vor Abgabe einer übereilten oder nicht überprüften Erklärung – die Rücknahme eines Rechtsmittels schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären. Schutzbelange des Angeklagten seien aber nicht tangiert, wenn der vom Angeklagten hierzu ausdrücklich ermächtigte Verteidiger die Erklärung über die Rechtsmittelrücknahme nicht über „beA“, sondern per Telefax dem Gericht übermittele.

III. Bedeutung für die Praxis

Herrschende Meinung

1. Die Ausführungen des OLG zur Ermächtigung zu Rechtsmittelrücknahme entsprechen der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGHR StPO § 302 II Rücknahme 5; BGH NStZ 1998, 531; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 302 Rn 32 m.w.N.).

Zu Recht entsprechende Anwendung verneint

2. Interessant sind im Hinblick auf die Neuregelung in den §§ 32a ff. StPO die Ausführungen des OLG zur Anwendbarkeit des § 32d Satz 2 StPO auf die Rücknahme der Berufung. Sie ist danach auch weiterhin per Fax möglich. Zu Recht hat das OLG angesichts des eindeutigen Wortlauts der Regelung eine entsprechende Anwendung auf die Berufungsrücknahme verneint.

Gilt auch für andere Rechtsmittel

3. Die Auffassung des OLG gilt dann nicht nur für die Berufungsrücknahme, sondern auch für die Rücknahme einer Revision. Die Begründung des OLG gilt für dieses Rechtsmittel entsprechend. Sie gilt im Bußgeldverfahren dann auch für die Rücknahme der Rechtsbeschwerde.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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