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Wiedereinsetzung nach technischer (Neu)Installation des beA

Einem Angeklagten kann Wiedereinsetzung zu gewähren sein, wenn sein Anwalt technisch (noch) nicht in der Lage ist, fristgebundene Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) an das Gericht zu übermitteln.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 27.9.20225 StR 328/22

I. Sachverhalt

Revisionseinlegung nicht per beA

Das LG hat den Angeklagten verurteilt. Das Urteil wurde am 18.5.2022 in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers verkündet, Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt. Mit Schriftsatz vom 20.5.2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Angeklagte über seinen Verteidiger Revision eingelegt. Mit Beschl. v. 6.7.2022 hat das LG die Revision als unzulässig verworfen, weil die Revisionseinlegung nicht den Formvorschriften des § 32d Satz 2 StPO entspreche, wonach der Verteidiger die Revision als elektronisches Dokument übermitteln müsse. Gegen diesen dem Verteidiger am 14.7.2022 zugegangenen Beschluss richtet sich der am 15.7.2022 bei Gericht eingegangene „Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Revisionsgerichts“. In diesem trägt der Verteidiger mittels „eidesstattlicher Versicherung“ u.a. vor, im Zeitpunkt der Revisionseinlegung sei er aus technischen Gründen nicht in der Lage gewesen, die Revision über das besondere elektronische Anwaltsfach zu versenden, weil er dieses erst ab dem 4.7.2022 nach zeitaufwändiger vollständiger Neuinstallation des Computersystems nebst Konfiguration der Sicherungssoftware abschließend habe installieren können. Aus diesem Grund greife § 32d Satz 3 StPO. Der BGH hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

II. Entscheidung

BGH: Wiedereinsetzung von Amts wegen

Der BGH hat das Vorbringen des Verteidigers zum Anlass genommen, dem Angeklagten nach § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist zu gewähren. Das LG habe die Revision des Angeklagten zwar zu Recht als unzulässig verworfen, da die Formvorschrift des § 32d Satz 2 StPO nicht eingehalten worden sei (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 253 = StV 2022, 634, Beschl. v. 19.7.2022 – 4 StR 68/22). Die vorübergehende Unmöglichkeit aus technischen Gründen sei entgegen § 32d Satz 4 Hs. 1 StPO weder bei der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden, so dass die Ausnahmevorschrift des § 32d Satz 3 StPO nicht greife. Hinzu komme, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich für das Vorhalten der entsprechenden einsatzbereiten technischen Infrastruktur zu sorgen habe und eine Verzögerung bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs regelmäßig keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung darstelle (vgl. BT-Drucks 18/9416, S. 51; Radke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl., § 32d StPO Rn 16 m.w.N.).

Kein Verschulden des Angeklagten

Da der Verteidiger mit Schriftsatz vom 14.7.2022 aber die Glaubhaftmachung nach § 32d Satz 4 Hs. 1 StPO nachgeholt habe, nicht nach § 32d Satz 4 Hs. 2 StPO zur Nachreichung eines elektronischen Dokuments aufgefordert worden sei und es sich ersichtlich noch um technische Übergangsprobleme gehandelt habe, liege ein Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumnis fern.

III. Bedeutung für die Praxis

§ 32d Satz 4 Hs. 1 StPO beachten

1. Die Entscheidung zeigt noch einmal sehr schön, was der Verteidiger bei Problemen bei der elektronischen Übermittlung von Dokumenten tun muss, wenn Frist zu wahren sind, wie bei der Einlegung und/oder der Begründung der Revision. Nur, wenn § 32d Satz 4 Hs. 1 StPO beachtet worden ist, also die technischen Probleme entweder bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden sind, greift die Ausnahmevorschrift des § 32d Satz 3 StPO. Das war hier zwar nicht der Fall. Den Verteidiger hat aber gerettet, dass er die Glaubhaftmachung nachgeholt und ihn niemand zur Nachreichung des elektronischen Dokuments aufgefordert hat. Mir erschließt sich in dem Zusammenhang nicht, warum der BGH auf ein „fern liegendes Verschulden“ des Angeklagten hinweist. Das liegt/lag m.E. hier, zumindest nach dem im Beschluss mitgeteilten Sachverhalt, so fern, dass der Hinweis des BGH überflüssig ist. Oder will der 5. Strafsenat ernsthaft diskutieren/behaupten, dass in vergleichbaren Fällen ein eigenes Verschulden des Angeklagten, dem im Übrigen ja ein Verschulden des Verteidigers hier nicht zugerechnet wird, vorliegen kann?

Beginn der Revisionsbegründungsfrist

2. Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung ist der Revisionsverwerfungsbeschluss des LG vom 6.7.2022 gegenstandslos geworden. Da das LG hier bereits ein vollständiges und nicht nach § 267 Abs. 4 StPO nur ein abgekürztes Urteil abgefasst hatte, das zudem wirksam zugestellt worden ist, bedurfte es keiner Rückgabe der Akten vom BGH an das LG zur ggf. erforderlichen Ergänzung der Urteilsgründe (vgl. dazu BGHSt 52, 349) oder zur Zustellung des Urteils. Für den Verteidiger gilt im Übrigen: Die Frist zur Begründung der Revision beginnt nun mit der Zustellung des Wiedereinsetzung gewährenden Beschlusses (vgl. BGH, Beschl. v. 19.6.2019 – 5 StR 18/19).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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