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VRR-Kompakt 2022_09

Reparaturkostenersatz: Bedeutung des sog. „Werkstattrisikos“

Hatte der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an die Fachwerkstatt zur Instandsetzung übergeben, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu dem, was für eine entsprechende Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind. Das Werkstattrisiko verbleibt damit wie bei § 249 Abs. 1 BGB – auch im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB – im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger.

BGH, Urt. v. 26.4.2022 – VI ZR 147/21

Verdienstausfall: Falsche Krankschreibung

Dem Geschädigten steht gegenüber dem Schädiger kein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verdienstausfall zu, wenn er im berechtigten Vertrauen auf eine objektiv falsche Krankschreibung nicht arbeitet und deshalb einen Verdienstausfall erleidet. Der Geschädigte muss vielmehr nachweisen, dass er tatsächlich objektiv arbeitsunfähig war.

OLG Dresden, Urt. v. 13.7.2022 – 1 U 2039/21

Unfallmanipulation: Ersatzpflicht

Ein von den Beteiligten unter Einschluss des Geschädigten vorsätzlich herbeigeführtes gestelltes bzw. manipuliertes Unfallgeschehen löst keine Ersatzpflicht des vermeintlichen Schädigers und seines Haftpflichtversicherers aus, wobei die Darlegungs- und Beweislast für diese Einwendung, dass der Geschädigte mit der Verletzung seines Rechtsguts einverstanden gewesen ist, beim (vermeintlichen) Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer liegt.

OLG Bremen, Beschl. v. 1.7.2022 – 1 U 24/22

E-Scooter: Entziehung der Fahrerlaubnis

Angesichts gravierender Unterschiede zwischen einem Kraftfahrzeug und einem E-Scooter, auch der unterschiedlichen Wahrnehmung des E-Scooters in der Öffentlichkeit, spricht manches dafür, schon die Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB als solche in Frage zu stellen. Jedenfalls ist aber der Umstand, dass es sich bei dem Fahrzeug, mit dem der Angeklagte eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB begangen hat, ggf. ein „Elektrokleinstfahrzeug“ war, maßgeblich heranzuziehen bei der Frage, ob hier nicht eine Ausnahme von der Regelwirkung begründet ist.

LG Leipzig, Urt. v. 24.6.2022 – 9 Ns 504 Js 66330/21

E-Scooter: Entziehung der Fahrerlaubnis

Bei E-Scootern ist die Indizwirkung nach den §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 StGB insbesondere deswegen abzulehnen, weil E-Scooter gegenüber einspurigen Kraftfahrzeugen eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufweisen und angesichts ihres Gewichts und der erreichbaren Geschwindigkeit vielmehr mit der Gefährlichkeit eines Pedelecs oder eines konventionellen Fahrrads zu vergleichen sind.

LG Chemnitz, Beschl. v. 9.8.2022 – 4 Qs 283/22

Drogenfahrt: Fahruntüchtigkeit

Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern. Will das Tatgericht in einem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen erblicken, muss eine Annahme tragende Beweiswürdigung den Urteilsgründen zu entnehmen sein.

BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 231/22

Drogenfahrt: Fahruntüchtigkeit

Eine mit der 1,1 Promillegrenze nach Alkoholgenuss vergleichbare Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit nach Cannabiskonsum ist medizinisch-naturwissenschaftlich nicht begründbar. Für eine Verurteilung nach § 316 Abs. 1, 2. Alternative StGB muss daher vielmehr ein erkennbares äußeres Verhalten des Fahrzeugführers festgestellt werden, das auf seine durch den Cannabiskonsum hervorgerufene Fahruntüchtigkeit hindeutet.

AG Münster, Beschl. v. 9.8.2022 – 112 Cs 15//22

Geschwindigkeitsüberschreitung: Vorsatz

Geht es um eine im absoluten Maß vergleichsweise niedrige Geschwindigkeitsüberschreitung – hier von 22 km/h – ist nicht ohne weiteres und stets anzunehmen, der Fahrer habe die Übertretung anhand der äußeren Kriterien (Motorengeräusche, sonstige Fahrgeräusche, Fahrzeugvibration und Schnelligkeit der Änderung in der Umgebung) zwanglos erkannt.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.7.2022 – 1 OWi 2 SsBs 39/22

Geldbuße: Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse

Macht der vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen keine Angaben, können weitere Ermittlungen des Tatgerichts auch dann entbehrlich sein, wenn beabsichtigt ist, ein die Regelbuße überschreitendes Bußgeld oberhalb von 250 EUR zu verhängen. Eine weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen wird hier regelmäßig nur im Falle der beabsichtigten Verhängung höherer Geldbußen, namentlich solcher im vierstelligen Bereich, veranlasst sein, wobei dies bereits im Rahmen der Bescheidung eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG zu berücksichtigen ist.

OLG Köln, Beschl. v. 15.7.2022 – 1 RBs 198/22

Verfolgungsverjährung: Unterbrechung

Der Erlass eines neuen (inhaltlich abweichenden) Bußgeldbescheids ohne vorherige Aufhebung eines zuvor ergangenen Bußgeldbescheids in derselben Sache unter dem Datum des früheren Bußgeldbescheids ist nichtig und daher nicht geeignet, die Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen. Die Verfolgungsverjährungsfrist wird durch die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung im Hinblick auf den Betroffenen nicht unterbrochen, wenn zuvor keine vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO erfolgt ist.

AG Landstuhl, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 OWi 4211 Js 8465/22

Elektronische Übermittlung eines Dokuments: Bedienfehler beim beA

Eine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes aus technischen Gründen liegt nicht vor, wenn die fristgemäße Übermittlung aufgrund eines Anwendungs- bzw. Bedienungsfehlers scheiterte. In diesem Fall liegt ein menschlicher und kein technischer Grund für das Scheitern der fristgemäßen elektronischen Übermittlung vor.

Bay VGH, Beschl. v. 1.7.2022 – 15 ZB 22.286

Fahrtenbuchauflage: Feststellung des Halters

Wer im Sinne des Straßenverkehrsrechts Halter eines Fahrzeugs und richtiger Adressat einer Fahrtenbuchauflage ist, beurteilt sich nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte kann die Bußgeldbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass die im Fahrzeugregister als Zulassungsinhaber eingetragene Person auch tatsächlich der Halter ist, und sich zum Zwecke einer Anhörung des Halters im Rahmen eines verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens auf die Anhörung dieser Person beschränken.

OVG Münster, Beschl. v. 8.8.2022 – 8 B 691/22

Eilverfahren Fahrtenbuchauflage: Gegenstandswert

In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend Fahrtenbuchauflagen ist regelmäßig die Hälfte des im Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Betrags (400,– EUR für jeden Monat der Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage) anzusetzen (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

OVG Münster, Beschl. v. 15.8.2022 – 8 E 561/22

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