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VRR-Kompakt 2022-08

Gesetzesentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“

Im Jahr 2020 ist der damals vom Bundesland Hessen vorgelegte Gesetzesentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ (BR-Drucks 107/20), der allgemein abgelehnt worden ist, nicht weiter verfolgt worden. Nun hat aber der Bundesrat erneut einen Gesetzesentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ eingebracht (BT-Drucks 20/1545), der im Wesentlichen der früheren Gesetzesinitiative entspricht. Der Entwurf propagiert eine grundlegende Änderung des Bußgeldverfahrens. Man will weg von der Hauptverhandlung und will mehr Beschlussverfahren. Zudem sollen auch nicht die Anforderungen an die Beschlussbegründung reduziert und die Rechtsmittelmöglichkeiten eingeschränkt werden. Außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, einen Teilerlass der Geldbuße bei einem Rechtsmittelverzicht und sofortiger Zahlung zu erreichen.

Diese beiden Beispiele zeigen: Die „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ soll mal wieder auf dem Rücken der Betroffenen durch eine Reduzierung ihrer Rechte erreicht werden. Man kann nur hoffen, dass die Bundesregierung bei ihrer auch diesen Entwurf ablehnenden Haltung bleibt (vgl. BT-Drucks 20/1545, S. 32).

Vorfahrt: „Rechts vor links“ auf Parkplätzen

Fahrgassen auf Parkplätzen sind grundsätzlich keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewähren deshalb keine Vorfahrt. Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes bzw. eines Parkhauses, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitige Rücksichtnahme (§ 1 StVO), d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für den Straßencharakter können eine für den Begegnungsverkehr ausreichende Breite der Fahrgassen und andere leicht fassbare bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben sprechen. Fehlt es an solchen baulichen Merkmalen, muss die Ausgestaltung umso klarer durch die Fahrbahnführung und -markierung sein. Maßgeblich ist jedoch, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, auf der fraglichen Verkehrsfläche deutlich im Vordergrund steht. Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen ist daher keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist.

OLG Frankfurt, Urt. v. 22.6.2022 – 17 U 21/22

Beim Betrieb: Gegenstände auf der Fahrbahn

Werden aus einem geparkten Fahrzeug Gegenstände auf die Fahrbahn gelegt mit der Absicht, ein Hindernis für andere Verkehrsteilnehmer zu errichten, sind hieraus resultierende Schäden weder „bei dem Betrieb“ noch „durch den Gebrauch“ des Kraftfahrzeugs entstanden. Dies gilt auch dann, wenn es sich hierbei um Gegenstände handelt, deren Mitführung in dem Fahrzeug gesetzlich vorgeschrieben sind.

LG Rottweil, Urt. v. 17.6.2022 – 2 O 33/22

Kraftfahrzeugverkehr: Umfang der Haftung

§ 7 Abs. 1 StVG umfasst alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. Erforderlich ist ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als einer der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine.

OLG Koblenz, Urt. v. 16.5.2022 – 12 U 532/21

Aktive Nutzungspflicht: Zustellungsauftrag

§ 130d ZPO gilt für alle vorbereitenden Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen und damit im Zivilprozess umfassend für die gesamte schriftliche Kommunikation mit dem Gericht. Die Vorschrift umfasst nach der Begründung des Gesetzgebers nicht nur das Erkenntnisverfahren im ersten Rechtszug, sondern umfasst alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO, also auch Zustellungsaufträge.

AG Karlsruhe, Beschl. v. 22.6.2022 – 1 M 604/22

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter

Der für Führer von Kraftfahrzeugen anerkannte so genannte Beweisgrenzwert, ab dem die alkoholbedingte Fahrunsicherheit unwiderleglich („absolut“) besteht, gilt auch für Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen, namentlich für Nutzer von E-Scootern. Bei einem Regelfall kann die sonst erforderliche Gesamtabwägung der für oder gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechenden Umstände unterbleiben, und die tatrichterliche Prüfung kann sich darauf beschränken, ob ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen, die der Katalogtat die Indizwirkung nehmen könnten. Auch gegen einen alkoholbedingt fahrunsicheren Fahrer eines E-Scooters können die Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet werden.

KG, Beschl. v. 31.5.2022 – 3 Ss 13/22

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter

Auch bei einem Fahrzeugführer eines Elektrokleinstfahrzeugs (hier sog. Elektroscooters) ist davon auszugehen, dass er ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,10 ‰ (absolut) fahruntauglich im Sinne von §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a), 316 Abs. 1 StGB ist.

KG, Urt. v. 10.5.2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21)

Rotlichtverstoß: Überholen auf Rechtsabbiegerspur im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich

Ein Fahrzeugführer, der auf einer Rechtsabbiegerspur bei Rotlicht (schwarzer Pfeil nach rechts) in den Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich einfährt, begeht auch dann einen Rotlichtverstoß, wenn er nicht nach rechts abbiegen will, sondern die Rechtsabbiegerspur nur zum Überholen eines auf der Geradeausspur, für die der Verkehr freigegeben ist, fahrenden Fahrzeugs benutzt und anschließend geradeaus weiterfährt. Dies gilt aber nur dann, wenn er sich im Zeitpunkt des Einfahrens in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich zumindest noch teilweise auf der Rechtsabbiegerspur befindet.

BayObLG, Beschl. v. 7.6.2022 – 202 ObOWi 678/22

Aktive Nutzungspflicht: Bevollmächtigter des Betroffenen

Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach §§ 32d Satz 2 StPO, 111c OWiG gilt (nur) für Verteidiger und Rechtsanwälte. Einem Bevollmächtigten des Betroffenen ist es hingegen möglich, Rechtsbeschwerde nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 341 Abs. 1 StPO formgerecht per Telefax einzureichen.

KG, Beschl. v. 25.3.2022 – 3 Ws (B) 71/22

Elektronisches Dokument: Eigenschaften

Ein elektronisches Dokument ist ein Text, eine Zahlentabelle, ein Bild oder eine Folge oder Kombination von Texten, Tabellen oder Bildern, die durch Digitalisieren (Umwandlung in einen Binärcode) in Dateiform angelegt oder überführt wurden. Dokumente, die im Wege des Telefaxes, insbesondere auch des Computerfaxes, übermittelt werden, zählen deshalb zu den schriftlichen, nicht zu den elektronischen Dokumenten, auch wenn sie elektronisch über das Internet oder ein Web-Interface übertragen werden.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.6.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 149/22

Geschäftsablauf beim AG: Eingang eines Schriftsatzes

Die Geschäftsabläufe eines Amtsgerichts müssen gewährleisten, dass ein Schriftsatz, der per Fax gut drei Stunden vor einer Hauptverhandlung über den allgemeinen Anschluss des Gerichts eingeht und den Hinweis „Eilt! Termin heute!“ enthält, bis zum Beginn der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle erreicht.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.6.2022 – 1 OWi 2 SsRs 85/21

beA: Wiedereinsetzung

Die bloße Erklärung des Verteidigers, dass eine Übermittlung der Berufung als elektronisches Dokument vorübergehend aus technischen Gründen nicht möglich ist, rechtfertigt keine Ersatzeinreichung. Ein Verteidiger muss vorgetragen, dass er über eine einsatzbereite technische Infrastruktur verfügt, und ob eine Störung im Bereich der Hardware oder der Software oder in anderen Umständen begründet ist. Es ist ferner darzulegen, seit welchem Zeitpunkt die Störung besteht, und ob bzw. wann sich der Verteidiger mit der gebotenen Sorgfalt um die (Wieder-)Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen bemüht hat.

LG Arnsberg, Beschl. v. 6.7.2022 – 3 Ns-360 Js 24/21-73/22

Bußgeldbescheid: Unpräzise Tatbeschreibung

Zwar können unpräzise oder gar unrichtige Angaben des Tatorts in einem Bußgeldbescheid unter Umständen unschädlich sein mit der Folge, dass den Verteidigungsinteressen des Betroffenen mit der Hinweispflicht des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO Genüge getan ist. Dies erfordert indes die Möglichkeit, die konkrete Tat anderweitig so präzise umschreiben zu können, dass diese eindeutig von möglichen anderen Taten unterschieden werden kann.

AG Maulbronn, Beschl. v. 15.6.2022 – 4 OWi 11 Js 4247/22

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Endgültige Einstellung

Die Einstellung nach § 154 Abs. 1 oder 2 StPO ist einer endgültigen Einstellung gleichzusetzen.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 6.7.2022 – 12 KLs 503 Js 1439/14

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