Wir haben in VRR 5/2021, 3 ff. und in VRR 6/2021, 4 ff. über die vergütungsrechtliche Rechtsprechung in Verkehrszivilsachen zum Paragrafenteil des RVG und zu den Teilen 1 bis 3 und 7 VV RVG aus den letzten Jahren berichtet. An diese Übersicht schließt die nachfolgende Übersicht zu den Teilen 4 und 5 VV RVG an. Sie hat den Stand von Ende Dezember 2021. Die mit § 14 RVG zusammenhängenden Entscheidungen sind hier nicht enthalten und werden gesondert behandelt.
I.Paragrafenteil des RVG
Norm | Gericht/Fundstelle | Inhalt |
§ 3a RVG | BGH AGS 2020, 161 = RVGreport 2020, 211 = RVGprofessionell 2020, 100 = NJW 2020, 1811 | 1. Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, welche eine Mindestvergütung des Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsieht, ist jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betrifft und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsieht. 2. Die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, welche den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen, benachteiligt den Mandanten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. |
3. Sieht eine Vergütungsvereinbarung ein Zeithonorar für Sekretariatstätigkeiten vor und eröffnet sie dem Rechtsanwalt die an keine Voraussetzungen gebundene Möglichkeit, statt des tatsächlichen Aufwandes pauschal 15 Minuten pro Stunde abgerechneter Anwaltstätigkeit abzurechnen, gilt insoweit die gesetzliche Vergütung als vereinbart. | ||
LG Karlsruhe, Urt. v. 19.1.2021 – 6 O 213/18, AGS 2021, 259 | 1. Die vereinbarte Abrechnung in 5-Miunten-Einheiten bei einer formularmäßigen Vereinbarung eines Zeithonorars ist zulässig. Eine solche Klausel benachteiligt den Mandanten nicht unangemessen gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Äquivalenzprinzip wird hier noch ausreichend gewahrt. 2. Reisezeit ist keine spezifische anwaltliche Dienstleistung. Jedenfalls stellt sie keine Zeit der allgemeinen Beratung durch den Rechtsanwalt dar und ist nicht als Tätigkeit mit dem dafür vereinbarten Stundenhonorar zu vergüten. 3 Der Rechtsanwalt ist für den Umfang der abrechenbaren Tätigkeit darlegungs- und beweisbelastet. Der Honoraranspruch ist erst einforderbar, wenn der abgerechnete Zeitaufwand nach Tätigkeitsmerkmalen aufgeschlüsselt dargestellt wird. | |
AG Waldkirch, Urt. v. 4.8.2021 – 1 C 214/20 | 1. Ein Zeittakt von fünf Minuten in einer Vergütungsvereinbarung ist nicht zu beanstanden. 2. Ist in einer Vergütungsvereinbarung keine Abrechnung nach Zeittakt vereinbart worden, muss der Rechtsanwalt minutengenau abrechnen. | |
§ 4 RVG | LG Bremen AGS 2021, 23 | 1. Ein Anwalt kann unter dem Gesichtspunkt „Interessenwegfall“ seinen Vergütungsanspruch verlieren, wenn er in einem schwierigen Mandatsverhältnis seinem Mandanten bei Nichtzahlung eines Vorschusses vor der Kündigung keine Kündigungsandrohung unter Verdeutlichung der Folgen zukommen lässt. 2. Schreiben des Mandanten ohne Einschaltung seines Anwaltes an das Gericht können nur in Ausnahmefällen als schwerwiegende Pflichtverletzungen angesehen werden. |
§ 4b RVG | OLG München AGS 2020, 211 = MDR 2020, 249 = NJW-RR 2020, 243 = JurBüro 2020, 72 | 1. Eine Erfolgshonorarvereinbarung eines Rechtsanwalts mit einem Mandanten ist grundsätzlich nicht gemäß § 134 BGB nichtig, auch wenn sie gegen §§ 49b Abs. 2 BRAO, 4a RVG verstößt, weil § 4b RVG insoweit eine den § 134 BGB verdrängende Sondernorm darstellt. 2. Etwas anderes gilt jedoch für eine Vereinbarung des Rechtsanwalts mit einem Vermittler von Klienten bzw. Prozessfinanzierer für die Klienten, wonach von dem Vermittler/Prozessfinanzierer vereinnahmte Erfolgshonorare teilweise an den Rechtsanwalt weitergereicht werden sollen, und der Rechtsanwalt dieses Geld zusätzlich zu den von seinen Klienten ihm gegenüber geschuldeten gesetzlichen Gebühren erhält. In diesem Fall wird § 134 BGB nicht von § 4b RVG verdrängt. |
§ 5 RVG | LG Lübeck, Beschl. v. 22.6.2021 – 7 T 280/21, NJW-RR 2021, 1071 = JurBüro 2021, 428 | Wird ein ehemaliger Rechtsanwalt zum Abwickler seiner eigenen Kanzlei bestellt und wird dieser ehemalige Rechtsanwalt in einem Rechtsstreit durch den Abwickler vertreten, fällt keine anwaltliche Vergütung an, die der Prozessgegner im Unterliegensfall zu erstatten hätte. Insbesondere kommt eine Vergütung über § 5 RVG, berechnet nach dem RVG, nicht in Betracht. |
§ 9 RVG | BGH, NJW 2019, 1458 RVGreport 2019, 208 = AGS 2019, 170 = RVGprofessionell 2019, 130 = JurBüro 2019, 241 | 1. Der Rechtsanwalt ist nach Kündigung des Mandats vertraglich verpflichtet, erhaltene Vorschüsse abzurechnen. 2. Der Rechtsanwalt ist vertraglich verpflichtet, erhaltene und nicht verbrauchte Vorschüsse nach Kündigung des Mandats an den Mandanten zurückzuzahlen. 3. Der Rechtsanwalt ist nicht allein deshalb zur Rückzahlung geforderter und erhaltener Vorschüsse verpflichtet, weil er pflichtwidrig keine den gesetzlichen Anforderungen genügende Rechnung erstellt und dem Mandanten mitgeteilt hat. |
LG Bremen, Urt. v. 29.5.2020 – 4 S 102/19, AGS 2021, 23 | 1. Ein Anwalt kann unter dem Gesichtspunkt „Interessenwegfall“ seinen Vergütungsanspruch verlieren, wenn er in einem schwierigen Mandatsverhältnis seinem Mandanten bei Nichtzahlung eines Vorschusses vor der Kündigung keine Kündigungsandrohung unter Verdeutlichung der Folgen zukommen lässt. 2. Schreiben des Mandanten ohne Einschaltung seines Anwaltes an das Gericht können nur in Ausnahmefällen als schwerwiegende Pflichtverletzungen angesehen werden. | |
§ 33 RVG | BGH, Beschl. v. 9.8.2021 – GSZ 1/20, NJW 2021, 3191- zfs 2021, 642 | Über einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim BGH nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 1 RVG durch den Einzelrichter zu entscheiden. |
BGH RVGreport 2019, 431 = StRR 9/2019, 28 = RVG professionell 2020, 5; BGH, Beschl. v. 18.8.2021 – 1 StR 363/18 | Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Angeklagten auf die Abwehr der Einziehung. Maßgeblich ist der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Es kommt nicht darauf an, ob ggf. wegen Vermögenslosigkeit des Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen. | |
§ 45 RVG | AG Osnabrück, Beschl. v. 11.10.2021 – 202 Ds (211 Js 11318/21) 235/21 | Die Aufhebung des Beschlusses über die Pflichtverteidigerbestellung hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf bereits entstandenen Gebühren. |
§ 46 RVG | Unterlässt es der Verteidiger, die Erforderlichkeit der Notwendigkeit seiner Auslagen vor Entstehen dieser durch das Gericht feststellen zu lassen, steht dies einer Anerkennung der Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren als notwendig nicht entgegen. | |
LG Neuruppin, Beschl. v. 15.3.2021 – 11 Ks 22/20, StV 2021-S 2021, 65 | 1. Die Landeskasse hat die Kosten für einen Dolmetscher zu tragen, den der Pflichtverteidiger hinsichtlich des schriftlichen Austauschs zwischen ihm und dem Beschuldigten (Verteidigerpost) mit den dabei anfallenden Übersetzungsarbeiten beauftragt, ohne dass es jeweils einer allgemeinen gerichtlichen Ermächtigung im Pflichtverteidigerbestellungsbeschluss oder einer konkreten gerichtlichen Ermächtigung im Einzelfall bedürfte. 2. Im Kernbereich des Verteidigungsverhältnisses in Gestalt der vertraulichen Kommunikation zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten haben Forderungen nach einer Darlegung der Notwendigkeit einzelner – vom Pflichtverteidiger in Grundsatz geheim zu haltender – Kommunikationsvorgänge prinzipiell zu unterbleiben. | |
§ 47 RVG | OLG Celle RVGreport 2020, 337 = JurBüro 2020, 356 = Nds.Rpfl 2020, 284 = Rpfleger 2020, 539 = StRR 2/2021, 35 | 1. Ein geleisteter Vorschuss für entstandene Auslagen eines Pflichtverteidigers ist zurückzufordern, wenn sich herausstellt, dass dieser zu Unrecht gezahlt wurde. 2. Die Rückforderung eines gezahlten Vorschusses wegen entstandener Fahrtkosten ist auch dann veranlasst, wenn die Feststellung, dass ein Auslagenerstattungsanspruch nicht besteht, allein auf einer geänderten rechtlichen Beurteilung der Angemessenheit der Fahrtkosten beruht. 3. Die Rückforderung eines zu Unrecht gezahlten Vorschusses darf dergestalt durchgesetzt werden, dass der Betrag von einer anderweitig veranlassten Vorschusszahlung in derselben Sache in Abzug gebracht wird. |
§ 48 RVG | OLG Bremen, RVGreport 2020, 298 = JurBüro 2020, 481 = AGS 2020, 470 = StRR 10/2020, 35 = RVGprofessionell 2020, 215 | Nach Einführung der § 1 Abs. 3 RVG durch das 2. KostRMoG vom 23.7.2013 ist eine Beschwerde gegen eine Erstreckungsentscheidung unzulässig. |
LG Leipzig, Beschl. v. 19.1.2021 – 13 Qs 8/21, AGS 2021, 73 = JurBüro 2021, 522; LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 5.8.2020 – 5/17 KLs 4/20, StV-S 2021, 23, StV-S 2021, 23 (Ls.) | Die Antragstellung ist auch noch nach Verfahrensabschluss zulässig, da es sich um eine rein vergütungsrechtliche Frage handelt. | |
LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 5.8.2020 – 5/17 KLs 4/20, StV-S 2021, 23, StV-S 2021, 23 (Ls.) | 1. Für die Erstreckung ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. 2. Eine (nachträgliche) Erstreckung ist dann angezeigt, wenn der Verteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren tätig geworden ist, dort seine Beiordnung hätte erfolgen können und der Gegenstand des eingestellten Verfahrens in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen ist. | |
§ 52 RVG | OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2021 – 2 Ws 267/20, AGS 2021, 162 | 1. Die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren, wozu auch die Pauschgebühr gehört, sind nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG insgesamt auf die Wahlverteidigergebühren anzurechnen, die der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten verlangen kann. 2. Es kommt nicht in Betracht, die jeweils vorteilhaften Elemente aus dem Gebührenrecht des Pflichtverteidigers und des Wahlverteidigers im Sinne einer Meistbegünstigung selektiv herauszugreifen und miteinander zu kombinieren („Rosinentheorie“). |
OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.11.2021 – 1 Ws 99721 (S) | Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten im Sinn des § 52 RVG sind die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung. | |
LG Darmstadt, Beschl. v. 21.5.2021 – 2 Qs 134/21 | Eine Erklärung des Pflichtverteidigers hinsichtlich der Pflichtverteidigergebühren nur „im Falle der Festsetzung der beantragten Gebühren“ ist ausreichend, um eine Doppelbelastung der Staatskasse zu vermeiden. | |
§ 55 RVG | OLG Saarbrücken, JurBüro 2020, 75 = RVGreport 2020, 116 | 1. Bei einem elektronisch gestellten Antrag auf Festsetzung der Beratungshilfevergütung, dem der Berechtigungsschein als eingescanntes Dokument beigefügt ist, ist die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins dann erforderlich, wenn das Festsetzungsorgan sie zur Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs der Beratungsperson für erforderlich hält. 2. Der Berechtigungsschein ist kein Schuldschein im Sinne von § 371 BGB. |
LG Münster, Beschl. v. 4.9.2020 – 20 Qs 9/20 | Im Einzelfall kann bei Abrechnung von Kopierkosten (hier: i. H. von 6.591,85 EUR für 43.000 Blatt Kopien) über die anwaltliche Versicherung hinaus weitere Glaubhaftmachung verlangt werden (§§ 55 RVG, 104 ZPO). | |
§ 56 RVG | LG Zweibrücken AGS 2021, 81 | Für Rechtsmittel gegen Kostenentscheidungen besteht grundsätzlich kein Verschlechterungsverbot. |
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg