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Verbotenes Rennen

Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen werden nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein. Tatbestandsrelevant sind vielmehr nur solche Handlungen, die objektiv und subjektiv aus der Menge der bußgeldbelegten Geschwindigkeitsverstöße herausragen.

(Leitsatz des Verfassers)

KG,Beschl. v.20.12.2019–(3) 161 Ss 134/19 (75/19)

I. Sachverhalt

Der Angeklagte befuhr am Sonntag, dem 22.7.2018 gegen 20:15 Uhr mit seinem Pkw in Berlin mehrere Straßen mit überhöhter Geschwindigkeit, sodass sich zwei Polizeibeamte entschlossen, ihm mit einem Zivilfahrzeug der Berliner Polizei zu folgen. Während dieser Verfolgungsfahrt wechselte der Angeklagte mehrfach – jeweils ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers – auf den linken Fahrstreifen, um Fahrzeuge auf dem rechten Fahrstreifen zu überholen, und anschließend wieder in den rechten Fahrstreifen zurück, um die nun auf dem linken Fahrstreifen stehenden Fahrzeuge zu überholen. Außerdem überfuhr der Angeklagte eine durchgezogene Linie und überholte drei weitere vorausfahrende Fahrzeuge unter Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit. Teilweise fuhr der Angeklagte mit mindestens 89 km/h. Auf der gesamten Strecke war die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h. Das AG hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt. Die dagegen gerichtete Sprungrevision hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das KG sieht die Regelung des in § 315d Abs. 1. Nr. 3 StGB nicht wegen nicht genügender Bestimmtheit als verfassungswidrig an (Art. 103 Abs. 2 GG). Es hält aber an seiner Auffassung fest, dass mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz eine zurückhaltende Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geboten sei (KG, VRR 9/2019, 15 = StRR 11/2019, 21). Den vor allem gegen die Verwendung des subjektiven Tatbestandsmerkmals der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, geltend gemachten Bedenken (vgl.Franke, Stellungnahme zum Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes Strafbarkeit nicht genehmigter Kraftfahrzeugrennen im Straßenverkehr, vgl. BT-Drucks 18/10145; zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD [Ausschussdrucksache 18 (6)360] und zum Antrag BT-Drucks 18/12558, S. 3;Pegelin MK-StGB 3. Aufl., § 315d Rn 26;Oehmichenin Knierim/Oehmichen/Beck/Geisler „Gesamtes Strafrecht aktuell“, 1. Aufl., 11 Rn 5;KudlichJA 2019, 631;Fischer, StGB 66. Aufl., § 315d Rn 18), hat sich das KG nicht anschließen können. Ohne Verwendung allgemeiner Begriffe, die einer Auslegung durch den Richter bedürfen, könne der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens nicht Rechnung tragen.

Nach Auffassung des KG tragen jedoch die tatsächlichen Feststellungen des AG die Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB solle nach dem Willen des Gesetzgebers im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdeliktes diejenigen Fälle erfassen, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstelle (vgl. BT-Drucks 18/12964, S. 5). Ausgehend von dieser Prämisse seien bei der Auslegung dieser Tatbestandsvariante die Gesichtspunkte, aus denen die besondere Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugrennen herrührt, in den Blick zu nehmen. Demnach sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein (vgl. BT-Drucks 18/12964, § 6). Tatbestandsrelevant seien vielmehr nur solche Handlungen, die objektiv und subjektiv aus der Menge der bußgeldbelegten Geschwindigkeitsverstöße herausragen. Um dem Erfordernis des Renncharakters auf Tatbestandsebene Ausdruck zu verleihen, fordere die Regelung, dass der Täter mit der Absicht handeln muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Die Urteilsgründe müssen somit konkrete Feststellungen zu den Umständen sowie dem Vorstellungsbild des Täters enthalten, die sein Verhalten von bloßen bußgeldbewehrten Verkehrsverstößen abheben und diesen den Charakter eines nachgestellten Kraftfahrzeugrennens geben.

Die Feststellungen vermisst das KG im amtsgerichtlichen Urteil. Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit auszugehen sei, sei entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden könne, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt (vgl.JansenNZV 2019, 285 m.w.N.). Die Regelung knüpfe insoweit an § 3 Abs. 1 StVO an (vgl.HeckerJus 2019, 596). Gemeint sei mithin ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist (vgl.Kulhanekin BeckOK StGB 43. Edition, § 315d Rn 35). Darüber hinaus richte sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeuges. Dazu stelle das AG nichts fest.

Darüber hinaus trügen – so das KG – die Feststellungen ein grob verkehrswidriges und rücksichtloses Verhalten des Angeklagten nicht. Da die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung – auch wenn sie erheblich sei – nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein solle (vgl. OLG Stuttgart NJW 2018, 2213;KulhanekJA 2018, 561), müsse sich der Täter darüber hinaus grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegen. Beide Tatbestandsmerkmale seien in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BT-Drucks 18/12964, S. 5; 25;Hegerin Lackner/Kühl, StGB 29. Aufl., § 315d Rn 5;Kulhanekin BeckOK StGB, a.a.O., Rn 36).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die lesenswerte Entscheidung nimmt umfassend zu allen Fragen in Zusammenhang mit einem verbotenen Rennen i.S.d. § 315d Abs. 1. Nr. 3 StGB Stellung. Sie geht hinsichtlich des sog. Absichtsmerkmals des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ebenso wie das OLG Stuttgart (VRR 9/2019, 16 = StRR 11/2019, 23) davon aus, dass die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, zwar nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund sein müsse, dieses subjektive Tatbestandsmerkmal aber doch der Abgrenzung zu bloßen, wenn auch erheblichen, Geschwindigkeitsüberschreitungen diene.

2. Für die neue Hauptverhandlung weist das KG darauf hin, dass, wenn das AG nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht die Überzeugung gewinnen sollte, dass sich der Angeklagte nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gemacht habe, es seine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortung zu prüfen habe, wobei hier insbesondere Verstöße gegen §§ 5 Abs. 4a sowie 3 Abs. 1 StVO in Betracht kommen. Die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten sei im Übrigen noch nicht verjährt (vgl. KG, Beschl. v. 6.2.2002 – (3) 1 Ss 392/01 [11/02]).

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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