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Nutzungsausfall bei Erwerb eines Neufahrzeuges statt eines gleichwertigen Gebrauchtwagens

Erwirbt der Geschädigte bei einem wirtschaftlichen Totalschaden in Abkehr vom Wirtschaftlichkeitsgebot ein Neufahrzeug, kann er den Schaden gleichwohl konkret – beschränkt auf den Brutto-Wiederbeschaffungsaufwand nach Gutachten – abrechnen. Nutzungsausfall steht ihm dabei nur für die objektiv erforderliche Zeit der wirtschaftlich gebotenen Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtwagens zu.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2020 – 13 S 82/20

I. Sachverhalt

Die Klägerin begehrt restliche Nutzungsausfallentschädigung nach einem Verkehrsunfall vom 9.9.2019, für den die Beklagte dem Grunde nach vollumfänglich einstandspflichtig ist.

Laut Gutachten vom 10.9.2019 lag am klägerischen Fahrzeug Ford Grand C-Max ein wirtschaftlicher Totalschaden vor (Bruttoreparaturkosten 8.594,51 EUR, Wiederbeschaffungswert 6.150 EUR, Restwert 2.606 EUR). Die Wiederbeschaffungsdauer schätzte der Sachverständige auf 8 Tage. Die Klägerin bestellte am 14.9.2019 einen neuen Dacia Sandero Stepway (Kaufpreis 13.730 EUR), dessen voraussichtliche Lieferzeit ca. drei Wochen betragen sollte. Nach Lieferverzögerungen entschloss sich die Klägerin, ein von der Verkäuferin angebotenes Ersatzfahrzeug gleichen Fahrzeugtyps zu erwerben, welches nach weiteren Verzögerungen am 26.11.2019 auf sie zugelassen werden konnte.

Die Beklagte zahlte außergerichtlich an die Klägerin eine Nutzungsausfallentschädigung von 950 EUR (19 Tage x 50 EUR). Mit der Klage hat die Klägerin restliche Nutzungsausfallentschädigung von 3.000 EUR sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 250,97 EUR, jeweils nebst Zinsen, begehrt. Sie hat behauptet, im Hinblick auf die Ersatzbeschaffung in Form eines Neufahrzeugs konkret (begrenzt auf den Wiederbeschaffungsaufwand laut Gutachten) abgerechnet zu haben. Die Verzögerungen habe sie nicht zu vertreten, zumal eine zeitnahe Lieferung sowohl des zuerst gewählten als auch des Ersatzfahrzeugs wiederholt in Aussicht gestellt worden sei. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass es sich um eine fiktive Abrechnung gehandelt habe, da seitens der Klägerin kein gleichwertiger Gebrauchtwagen, sondern ein Neufahrzeug mit längerer Lieferzeit erworben worden war. Dann aber sei nur die objektiv erforderliche Nutzungsausfalldauer entsprechend der gutachterlichen Feststellung zuzüglich der Zeitspanne bis zum Eintreffen des Gutachtens sowie einer gewissen Überlegungsfrist geschuldet.

Das Amtsgericht war von einer fiktiven Abrechnung ausgegangen, hatte daher auf die objektiv erforderliche Nutzungsausfalldauer abgestellt und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

II. Entscheidung

Das LG bestätigte die erstinstanzliche Klageabweisung, folgte jedoch nicht dem Ansatz des Amtsgerichts, wonach es sich vorliegend um eine fiktive Schadensabrechnung handele.

Vielmehr sei vorliegend von einer konkreten Schadensabrechnung auszugehen, nachdem die Klägerin unstreitig ein Ersatzfahrzeug zum Preis von 13.730,01 EUR (brutto) erworben hatte. Weder der Umstand, dass die Klägerin ihrer Schadensabrechnung zunächst das Gutachten des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen zugrunde gelegt hatte, noch, dass sie ein Neufahrzeug einer anderen Fahrzeugmarke statt eines Gebrauchtwagens der gleichen Marke erworben hatte, ändere etwas an ihrer durch den Erwerb des Ersatzfahrzeuges zum Ausdruck gebrachten Entscheidung sowie der Möglichkeit, den Schaden konkret abzurechnen.

Das LG stellt im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH klar, dass mit der neben der Reparatur des Fahrzeuges als Möglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB anerkannten Anschaffung einer „gleichwertigen“ oder „gleichartigen“ Ersatzsache nicht gemeint sei, dass dem Eigentümer eines unfallbeschädigten Gebrauchtwagens die konkrete Ersatzbeschaffung durch Ankauf eines Neuwagens einer anderen Fahrzeugmarke verwehrt ist. „Vergleichbar“ sei vielmehr im Sinne gleicher Funktionserfüllung, also nicht im engen Sinne eines Fahrzeugs gleichen Alters oder Zustands zu verstehen, weshalb auch die Wiederbeschaffung durch ein Neufahrzeug oder durch Ersatz eines anderen Fahrzeugtyps erfolgen könne.

Hiervon zu unterscheiden sei die Frage, welche Art der Ersatzbeschaffung aus wirtschaftlicher Sicht zur Herstellung des früheren Zustands erforderlich war und deshalb als ersatzfähig i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen sei. Übersteigen, wie vorliegend, die Kosten der konkreten Ersatzbeschaffung die in dem Sachverständigengutachten ermittelten Kosten, so sei der Schadensersatzanspruch auch bei konkreter Schadensabrechnung auf den sich aus dem Sachverständigengutachten ergebenden, dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden (Brutto-)wert der Wiederherstellung begrenzt.

Das LG verweist insoweit auch auf die Entscheidung des BGH v. 5.2.2013 (VI ZR 363/11). Hier hatte der Geschädigte neben dem Betrag sachverständig ermittelter Reparaturkosten die bei einer tatsächlich vorgenommenen, kostenintensiveren Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer in der Höhe ersetzt verlangt, wie sie bei Durchführung der kostengünstigeren Wiederherstellung im Wege der Reparatur angefallen wäre, was aus Sicht des BGH keine unzulässige Kombination von konkreter und fiktiver Abrechnung darstelle, sondern eine konkrete Schadensabrechnung auf der Grundlage einer Ersatzbeschaffung. Nichts Anderes könne nach Auffassung des LG gelten, wenn beim Vorliegen eines wirtschaftlichen Totalschadens eines Gebrauchtwagens der Geschädigte statt eines anderen Gebrauchtfahrzeugs, das in etwa Alter, Laufleistung und Fahrzeugklasse des beschädigten Fahrzeugs entspricht, ein teureres Neufahrzeug erwirbt, sich bei der Schadensabrechnung aber auf den Brutto-Wiederbeschaffungsaufwand laut Gutachten beschränkt.

Bei Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des beim Unfall beschädigten Fahrzeuges und bei Vorliegen eines Nutzungswillens und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit könne für die erforderliche Ausfallzeit Nutzungsausfall gefordert werden. Für die erforderliche Ausfallzeit sei grundsätzlich die Art der vom Geschädigten gewählten Schadensabrechnung maßgeblich. Bei fiktiver Schadensabrechnung komme es maßgeblich auf die objektiv erforderliche Dauer an, während bei konkreter Schadensabrechnung der Nutzungsausfall grundsätzlich für die gesamte erforderliche Ausfallzeit zu leisten sei, also für die im konkreten Fall notwendige Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggf. einer angemessenen Überlegungszeit. Verzögerungen durch Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Einholung eines Sachverständigengutachtens müsse der Schädiger grundsätzlich im üblichen zeitlichen Rahmen ebenso hinnehmen wie Verzögerungen durch eine zunächst fehlgeschlagene Ersatzbeschaffung.

Die Grenze bilde hier jedoch ein Verstoß des Geschädigten gegen seine Schadensminderungspflicht. Dann sei die Nutzungsausfallentschädigung auf die objektiv erforderliche Zeitspanne zu begrenzen, welche für die Beschaffung eines nach dem Gutachten als wirtschaftlich vergleichbar anzusehenden Ersatzfahrzeugs erforderlich ist. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung sei zu berücksichtigen, dass der Geschädigte unter mehreren möglichen Wegen des Schadensausgleichs im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg zu wählen habe, was nicht nur für die eigentlichen Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten, sondern gleichermaßen für die Mietwagenkosten und ebenso für die Nutzungsausfallentschädigung gelte. Kauft der Geschädigte wie im vorliegenden Fall in frei gewählter Abkehr vom Wirtschaftlichkeitsgebot einen höherwertigen Neuwagen, obwohl er nach den Grundsätzen des Schadensrechts nur Anspruch auf die Reparatur oder die Kosten eines Gebrauchtwagens hat, so könne er Nutzungsausfall auch nur bis zu dem Zeitpunkt beanspruchen, der für eine Unfallreparatur oder die Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtwagens angefallen wäre.

Die durch die Bestellung des Neufahrzeuges mit einer von vornherein bestehenden Lieferzeit von drei Wochen gegenüber der Ersatzbeschaffung eines vergleichbaren Gebrauchtwagens verlängerte Wartezeit könne im vorliegenden Fall nicht zu Lasten des Schädigers gehen, weil sie auf der freien Disposition der Geschädigten beruhe. Dies müsse dann aber auch für Verzögerungen gelten, die sich an diese längere Wartezeit anschließen, unabhängig davon, ob dem Geschädigten diesbezüglich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorzuwerfen sei.

Daher stehe der Klägerin ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die erforderliche Ausfallzeit zu, d.h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggf. einer angemessenen Überlegungszeit. Bei der hier vorliegenden Begutachtungszeit von vier Tagen, einer gutachterlich ermittelten Wiederbeschaffungsdauer von acht Kalendertagen sowie einer angemessenen Überlegungszeit sei die seitens der Beklagten bereits erstattete Nutzungsausfalldauer von 19 Tagen jedenfalls nicht zu kurz bemessen, weshalb ein darüber hinausgehender Anspruch der Klägerin ausscheide.

III. Bedeutung für die Praxis

Im Ergebnis war die erstinstanzliche Klageabweisung nicht zu beanstanden. Das LG sah sich aber zu Recht veranlasst, noch einmal ausführlich auf die Abgrenzung zwischen fiktiver und konkreter Schadensabrechnung einzugehen, insbesondere auch auf deren Auswirkung auf die Dauer der zu erstattenden Nutzungsausfallentschädigung. Die Grenze bildet auch im vorliegenden Fall wie so oft die Schadenminderungspflicht des Geschädigten.

In der Praxis wird der hier vorliegende Sachverhalt nicht selten vorkommen, möglicherweise auch in der Variante, dass der Mandant für die Dauer der Ersatzbeschaffung einen Mietwagen benötigt. Der Mandant sollte dann frühzeitig über das bestehende Kostenrisiko aufgeklärt werden, damit der im Unterschied zum Nutzungsausfall spürbare Schaden in Form der vom Mandanten gezahlten Mietwagenkosten geringgehalten werden kann.

RA und FA für VerkehrsR Markus Schroeder, Velbert

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