Beitrag

Ist Leivtec XV3 noch ein standardisiertes Messverfahren?

1. Die Tatsache, dass bei einem bisher als „standardisiertes Messverfahren“ der Geschwindigkeit anerkanntem Messverfahren ein besonderer Messaufbau unzutreffende Messergebnisse liefert, spricht nicht gegen die Annahme eines sogenannten standardisierten Messverfahrens, wenn bei gleichem Versuchsaufbau stets gleiche Messergebnisse erzielt werden.

2. Bei dem Messverfahren mit dem Gerät Leivtec XV3 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren auch unter Berücksichtigung des Abschlussberichts der Überprüfungen durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt vom 9.6.2021.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Schleswig, Beschl. v. 17.8.2021 – II OLG 26/21

I. Sachverhalt

Das AG hat die Betroffene wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Die Messung erfolgte mit dem Messgerät Leivtec XV3, Die PTB kam laut Abschlussbericht vom 9.6.2021 zu dem Ergebnis, dass es zunächst bei der Bauartprüfung bei vielen tausend Testfahrten kein einziger Fall einer unzulässigen Messwertabweichung aufgetreten sei. Nur mit speziell präparierten Fahrzeugen und weiteren über tausend Messfahrten ließen sich unzulässige Messwertabweichungen feststellen. Dabei war allen Fällen unzulässiger Messwertabweichung gemein, dass es sich um sog. Rechtsmessungen handelte, also das Messgerät in Fahrtrichtung des gemessenen Fahrzeugs am linken Fahrbahnrand aufgestellt war, das Nummernschild nicht vollständig im Messfeldrahmen enthalten war und die Länge der Messstrecke weniger als 12,2 Meter betrug. Die zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen war erfolglos.

II. Entscheidung

Die Feststellung des AG, dass es sich bei dem Messverfahren Leivtec XV3 um ein standardisiertes Messverfahren handelt und daher kein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit der gemessenen Geschwindigkeit einzuholen war, sei nicht zu beanstanden. Nach den vom BGH (BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321) vorgegebenen Maßstäben handele es sich bei den Laser-Messgeräten vom Typ Leivtec XV3 um ein standardisiertes Messverfahren. Das Messverfahren sei am 2.7.2009 von der PTB nach umfangreicher Prüfung für den innerstaatlichen Betrieb zugelassen. Gegen die Qualifizierung der Messgeräte vom Typ Leivtec XV3 als standardisiertes Messverfahren spreche nicht, dass es offenbar Sachverständigen und letztendlich auch der PTB gelungen ist, unter den o.g. bestimmten Bedingungen und mit anhand von Reflektoren im Innenraum präparierten Fahrzeugen Abweichungen bei den Messwerten zu erreichen, die über den zuvor von der PTB überprüften Toleranzwerten lagen. Auch bei solchen präparierten Fahrzeugen sei unter gleichen Messbedingungen nämlich mit den gleichen Messergebnissen zu rechnen. Daher ist es nachvollziehbar, dass die PTB bei entsprechendem Versuchsaufbau die Messwertabweichungen letztendlich nachstellen konnte. Die Tatsache, dass es gelingen kann, bei bestimmten Versuchsanordnungen fehlerhafte Messungen zu erzeugen, spreche nicht grundsätzlich gegen die Einordnung eines Messverfahrens als sog. standardisiertes Messverfahren. Es sei nämlich nachvollziehbar, dass ein Hersteller bestimmte Messbedingungen definiert, unter denen das von ihm hergestellte Messgerät zutreffende Messergebnisse liefern soll, so z.B. Anweisungen in Bezug auf die Aufstellung des Messgerätes, die klimatischen Bedingungen und ähnliches. Werden die angegebenen Messbedingungen nicht eingehalten, sei mit fehlerhaften Messungen zu rechnen. Es sei offenkundig, dass der Hersteller eines Messgerätes dabei nur die Messbedingungen einer typischen Messung im Straßenverkehr definiert. Ebenso sei es nachvollziehbar, dass die PTB das Messgerät auch nur unter solchen, typischerweise im Straßenverkehr anzutreffenden Bedingungen auf Verlässlichkeit überprüft. So habe die PTB ihrer Auskunft nach viele tausend Versuchsdurchfahrten im Rahmen der erstmaligen Bauartprüfung durchgeführt, ohne Messwertabweichungen außerhalb des Toleranzbereiches festzustellen. Es sei nachvollziehbar, dass die PTB damals hierfür offenbar handelsübliche Kfz einsetzte, welche nicht mit speziellen Reflektoren im Innenraum präpariert waren. Soweit die PTB festgestellt hat, dass die Fehlmessungen nach ihren Feststellungen bisher nur dann auftraten, wenn die Messung links in Fahrtrichtung erfolgte, die Messstrecke weniger als 12,2 Meter betrug und das Kennzeichen nicht vollständig im Messfeldrahmen enthalten war, sei davon auszugehen, dass der Hersteller künftig die Benutzer des Messgerätes anweisen wird, solche Messungen nicht mehr vorzunehmen, bzw. nicht mehr zu verwerten. Dementsprechend sei dem Senat auch nicht bekannt, dass die PTB die Bauartzulassung für das Messgerät widerrufen hätte.

Die zu dieser Frage bisher veröffentlichten obergerichtlichen Entscheidungen (OLG Celle zfs 2021 469; OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.4.2021 – 2 Ss (OWi) 92/21 und v. 19.7.2021 – 2 Ss (OWi) 170/21, VRR 9/2021, 19) überzeugten in ihrer Argumentation nicht. Beide Obergerichte gingen davon aus, dass es sich bei dem Messverfahren nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren handele, weil aufgrund der im Abschlussbericht der PTB mitgeteilten Tatsachen zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde nicht mehr garantiert sei, dass die ermittelten Messwerte richtig seien. Schließlich sei es auch bei Einhaltung der Bedienungsanleitung zu relevanten Messwertabweichungen gekommen. Diese Argumentation verkenne, dass für die Einordnung als standardisiertes Messverfahren nicht erheblich ist, ob es mit speziell präparierten Fahrzeugen zu Messwertabweichungen kommen kann. Maßgeblich sei vielmehr, ob das Messverfahren bei gleichen Messbedingungen auch stets verlässlich gleiche – ggf. unzutreffende – Messergebnisse liefert. Es seien aber keine Erkenntnisse bekannt, dass das Messgerät Leivtec XV3 bei gleichem Versuchsaufbau nicht auch stets die gleichen Messergebnisse liefern würde. Es seien also keine Fälle bekannt, bei denen ein speziell präpariertes Fahrzeug bei mehrfacher Messung mit gleichbleibender Geschwindigkeit und bei gleichen Messumständen unterschiedliche Messwerte produziert hätte. Erst dann stünde fest, dass das Gerät keine verlässlichen Messwerte liefern kann, sondern sich bei identischem Versuchsaufbau bei mehrfachen Messungen beliebige Messwerte ergeben. Genau diese Zuverlässigkeit der gleichen Messergebnisse bei gleichen Messbedingungen unterscheide aber das standardisierte Messverfahren von anderen Messverfahren, z.B. der Messung durch Hinterherfahren. Selbst wenn also ein Messgerät bei einem präparierten Fahrzeug unter den weiteren von der PTB festgestellten Voraussetzungen ein falsches Messwertergebnis liefert, welches aber für den gleichen Versuchsaufbau stets gleich ist, handele es sich immer noch um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der o.g. Definition des BGH. Das AG sei daher nicht gehalten gewesen, die Zuverlässigkeit der Messung weiter aufzuklären, da es sich eben um ein standardisiertes Messverfahren handelte.

Der Senat sieht sich nicht gehalten, die Sache dem BGH nach § 121 Abs. 2 GVG vorzulegen, da der Senat nicht von der zitierten einschlägigen Rechtsprechung des BGH zur Definition eines standardisierten abweicht.

III. Bedeutung für die Praxis

Diese Entscheidung lässt mich in mehrfacher Hinsicht ratlos zurück. Es geschieht nahezu niemals, dass Obergerichte ein Messverfahren nicht mehr als standardisiert ansehen. Die OLGe Celle und Oldenburg a.a.O. haben dies bei Leivtec XV3 mit guten Gründen jüngst getan (zuvor offengelassen von OLG Oldenburg DAR 2021, 345 m. Anm. Kabus; s.a. AG Bad Saulgau DAR 2021 348; zur technischen Seite DAR 2021, 231; weiter Simon NZV 2021, 385 Stückmann SVR 2021, 241). Gerade wenn die nicht eben als änderungsfreudig (s. § 55 MessEG) bekannte PTB, deren Feststellungen von den Obergerichten gerne als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ angesehen werden, auf die Unzuverlässigkeit eines Messgeräts wie hier hinweist, muss dies Anlass genug sein, von der weiteren Annahme eines standardisierten Messverfahrens i.S. des BGH abzurücken. Dies mit der Begründung abzulehnen, die abweichenden, von der PTB durchgeführten Konstellationen führten auch zu stets gleichen, wenn auch falschen Messergebnissen, ist schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar. Der Hinweis darauf, jene Konstellationen könnten zukünftig im Rahmen der Bedienungsanleitung ausgeschlossen werden, geht schon deshalb fehl, weil das bei den bislang entschiedenen Fällen eben nicht geschehen ist (vgl. OLG Celle zfs 2021, 469, 471) und der Hersteller dies ausweislich seiner Mail vom 5.7.2021 an seine Kunden auch nicht beabsichtigt (vgl. Simon NZV 2021, 385, 388). Vollends unverständlich ist die Ablehnung einer Vorlage an den BGH, der sich mit diesem Messgerät noch nicht befasst hat. Zudem hat das OLG Celle a.a.O. das Verfahren nicht wie andere Gerichte zuvor nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, sondern das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Spätestens hierdurch ist die entscheidungserhebliche Divergenz offensichtlich.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…