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Grenzwert für den bedeutenden Fremdschaden

Ein bei einem Verkehrsunfall verursachter Fremdschaden für Reparaturkosten i.H.v. 1.903,89 EUR netto stellt jedenfalls einen bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB dar, so dass ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegt.

(Leitsatz des Gerichts)

BayObLG,Beschl. v.17.12.2019–204 StRR 1940/19

I. Sachverhalt

Das AG hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt und ihr die Fahrerlaubnis entzogen (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB). Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte als Fahrerin eines Pkw beim Einparken den abgestellten Pkw des Geschädigten streifte, wodurch an dessen Fahrzeug ein Reparaturschaden i.H.v. 1.903,89 EUR (ohne Mehrwertsteuer) entstand. Die Angeklagte hat dagegen Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, da der bei dem Unfall am Kfz des Geschädigten entstandene Sachschaden i.H.v. 1.903,89 EUR netto kein „bedeutender Schaden“ i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sei, so dass kein Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis vorliege. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Das BayObLG hat die Beschränkung der Revision der Angeklagten auf die angeordnete Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis als zulässig angesehen. Wie die Berufung (§ 318 StPO) könne auch die Revision grds. auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 344 Rn 4; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn 4 ff.). Eine Beschränkung in diesem Sinne sei grds. zulässig und als solche wirksam, wenn sich als Gegenstand der Anfechtung ein Teil der Entscheidung darstellt, der losgelöst von den nicht angegriffenen Entscheidungsteilen eine in sich selbstständige Prüfung und Beurteilung zulässt, wenn also lediglich Beschwerdepunkte angegriffen werden, die rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (BGHSt 29, 359, 364; 47, 32, 35; KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 344 Rn 6). Das sei hier der Fall, da der Strafausspruch von der Maßregel nicht beeinflusst werde.

Die Revision sei jedoch – so das BayObLG – unbegründet, denn das AG sei zu Recht davon ausgegangen, dass der bei dem Unfall verursachte Fremdschaden i.H.v. 1.903,89 EUR netto einen bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstelle, so dass ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorliege. Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, für den Umfang des bedeutenden Schadens starre Schadensgrenzen festzulegen. Es handelt sich vielmehr um eine veränderliche Grenze, die als solche abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung, insb. der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung ist (OLG Stuttgart StRR 9/2018, 22). Seit dem Jahr 2002 werde in gefestigter Rechtsprechung auch der OLG die Wertgrenze, ab der von einem bedeutenden Schaden auszugehen ist, bei etwa 1.300 EUR gezogen (vgl. OLG Dresden NJW 2005, 2633; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.7.2013 – III-3 Ws 225/13; OLG Hamburg zfs 2007, 409; OLG Hamm NZV 2011, 356; OLG Jena NStZ-RR 2005, 183). Zum Teil werde diese Wertgrenze auch noch in jüngerer Zeit vertreten (vgl. u.a. OLG Hamm StRR 2015, 112). Eine zunehmende Zahl von Beschwerde- und Berufungsgerichten nehme jedoch inzwischen mit Rücksicht auf die allgemeinen Preissteigerungen einen bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erst bei höheren Beträgen an und halte es aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung unter Berufung auf den Verbraucherindex für angebracht, die Schadensgrenze erst bei 1.400 EUR (LG Frankfurt StV 2009, 649) bzw. 1.500 EUR beginnen zu lassen (vgl. etwa LG Braunschweig DAR 2016, 596; LG Dresden DAR 2019, 527; LG Hamburg VRR 2007, 403, DAR 2008, 219). Vereinzelt werde die Wertgrenze in der jüngsten Rechtsprechung auch noch höher angesetzt, etwa auf 1.600 EUR (so LG Hanau DV 2019, 68, juris Rn 7; AG Stuttgart, Beschl. v. 8.8.2017 – 203 Cs 66 Js 36037/17 jug; offen gelassen von OLG Stuttgart StRR 9/2018, 22, juris Rn 30), da nach dem aktuell geltenden Verbraucherpreisindex für Deutschland mit dem Basisjahr 2010 der Wert von 1.300 EUR aus dem Jahre 2002 unter Zugrundelegung einer Preissteigungsrate von 25,73 % bis zum Jahr 2018 auf 1.634,49 EUR gestiegen sei (LG Hanau a.a.O.). In erheblichem Maße hiervon abweichend sprächen sich das LG Nürnberg-Fürth, das schon seit dem Jahr 2008 eine Wertgrenze von 1.800 EUR für zutreffend hielt (Beschl. v. 11.4.2008 – 5 Qs 61/08), ebenso wie bereits seit längerem das LG Landshut nunmehr für deren Anhebung auf 2.500 EUR aus (LG Nürnberg-Fürth VD 2018, 276; StRR 1/2019, 4; LG Landshut DAR 2013, 588).

Obwohl nach Auffassung des BayObLG für eine Anhebung zwar sprechen könnte, dass es sich bei der Wertgrenze für das Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB grds. um eine veränderliche Größe handelt, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist, kann sich das OLG nicht dazu durchringen, die Frage abschließend zu entscheiden und eine neue Wertgrenze konkret festzulegen. Der vorliegende Fremdschaden von 1.903,89 EUR (ohne Mehrwertsteuer) überschreite nämlich sowohl die seit dem Jahr 2002 in gefestigter Rechtsprechung angenommene Wertgrenze von 1.300 EUR als auch die neuerdings von zahlreichen LG und AG sowie beachtlichen Stimmen der Kommentarliteratur befürwortete Wertgrenze von 1.500 EUR erheblich und liege auch nicht unerheblich über den in den vereinzelten landgerichtlichen Entscheidungen (soweit solche veröffentlicht bzw. zitiert wurden) für zutreffend gehaltenen Wertgrenzen von 1.600 EUR und 1.800 EUR. Etwas anderes folgt für das BayObLG auch nicht aus der zitierten Rechtsprechung des LG Nürnberg-Fürth: Diese habe zur Begründung die Änderung des § 44 Abs. 1 StGB genannt und die damit seit dem 24.8.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu sechs Monaten zum Anlass genommen, diese Wertgrenze nochmals deutlich auf 2.500 EUR netto anzuheben, und dies damit begründet, dass im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren andererseits im Interesse der Rechtssicherheit, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden, eine großzügige Anpassung der Wertgrenze nach oben geboten sei. Sie habe hierbei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert, die sich im Anstieg der Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6 % ebenso widerspiegelt wie in der Steigerung des Reallohnindex von lediglich 7,8 % und in den deutlichen Preissteigerungen für ein Standard-Bergungsfahrzeug zwischen den Jahren 2006 und 2016 von 35,5 %. Diese Erwägungen rechtfertigen nach Auffassung des BayObLG die Anhebung jedoch nicht. Denn aus den gesetzlichen Änderungen lasse sich nicht ableiten, dass der Gesetzgeber mit der zeitlichen Ausdehnung des Fahrverbots auch nur mittelbar auf eine Steigerung der unfallbedingten Reparaturkosten reagieren wollte und demgemäß der „bedeutende Schaden“ i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB höher anzusetzen wäre als vor dieser Neuregelung.

III. Bedeutung für die Praxis

Leider eine der typischen revisionsrechtlichen Entscheidungen, in denen sich das Revisionsgericht nicht festlegt, getreu der revisionsrechtlichen Maxime: Wir entscheiden nichts, was wir nicht müssen. Das mag zwar aus revisionsrechtlicher Sicht richtig, vielleicht auch verständlich sein, denn man weiß ja nie, wann einem die Entscheidung dann später mal entgegenhalten wird, wenn man es nun gar nicht gebrauchen kann. Aber aus Sicht der Praxis ist diese Vorgehensweise zumindest unschön. Denn man hätte sich ja schon mal gerne das Wort eines OLG gewünscht, wo denn nun die Grenze liegt. Daran hatte sich schon das OLG Stuttgart „vorbeigemogelt“, nun also auch das BayObLG. Schade. Allerdings: Eins kann man dann aus der Entscheidung dann doch ableiten. Die 2.500 EUR, die die LG Landshut und Nürnberg-Fürth ins Spiel gebracht haben, sind dem BayObLG offensichtlich zu hoch. Die Grenze liegt jedenfalls bei 1.903,89 EUR netto. Und darunter? Nun, die Frage ist offen. Sind es die (sicherlich) veralteten 1.300 EUR, die dann jetzt schon fast 20 Jahre angewendet werden, oder doch vielleicht wenigstens die 1.500 EUR oder doch schon 1.600 EUR oder gar die 1.800 EUR des LG Nürnberg-Fürth? Wie gesagt, alles ist offen und dem Verteidiger bleibt nicht viel, als immer wieder zu versuchen mit Rechtsmitteln die Grenze nach oben zu schieben. Wenn man sieht, wie schnell sich andere Dinge ändern, dann ist man schon erstaunt, wie schwer sich die Rechtsprechung an dieser Stelle tut. Aber: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ja, die Hoffnung auf den BGH, der ja vielleicht doch mal in einer Sache Gelegenheit bekommt, zu der Frage etwas zu sagen. Es ist dann aber auch zu hoffen, dass er sich nicht auch vor einer klaren Entscheidung drückt.

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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