1. Für Rechtsmittel gegen Kostenentscheidungen besteht grundsätzlich kein Verschlechterungsverbot.
2. Das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde endet spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verteidiger mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert hat.
3. Wird das Verfahren nach § 47 OWiG eingestellt, weil die Verwaltungsbehörde Informationen bzw. Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt hat, die der Verteidiger angefordert hatte, reicht das aus, um den Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu rechtfertigen.
4. Ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der Kosten eines privat beauftragten Sachverständigen setzt grundsätzlich voraus, dass alle prozessualen Mittel zur Erhebung des gewollten Beweises ausgeschöpft worden sind und dass sich der Betroffene nicht mehr anders verteidigen konnte. Nach diesen Maßstäben liegt Erstattungsfähigkeit i.d.R. nur vor, wenn der Betroffene einen Beweisantrag gestellt und er ggf. Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung vorgebracht hat.
(Leitsätze des Verfassers)
LG Zweibrücken, Beschl. v. 2.12.2020 – 1 Qs 33/20
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt hat den Betroffenen im Bußgeldverfahren verteidigt. Das ist vom AG nach § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Landeskasse, der auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt worden sind, eingestellt worden. Die vom Rechtsanwalt geltend gemachten Gebühren sind nur zum Teil festgesetzt worden. Dagegen hat der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde eingelegt. Die hat in der Sache zur Festsetzung eines gegenüber dem angefochtenen Beschluss geringeren Betrages geführt.
II. Entscheidung
Das LG weist darauf hin, dass ein Verschlechterungsverbot, das der Verringerung des festgesetzten Betrages ggf. entgegenstehen könnte, nicht bestehe. Für Beschwerde, sofortige Beschwerde und weitere Beschwerde sei, anders als für Berufung, Revision und Wiederaufnahme in den §§ 331, 358 Abs. 2, § 373 Abs. 2 StPO ein Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch die Beschwerdeentscheidung weder in der StPO noch in den Kostengesetzen und dem RVG gesetzlich geregelt. Ein Verschlechterungsverbot sei auch keine zwingende Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGHSt 9, 324; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 331 Rn 1 m.w.N.). Ausnahmen von der Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes im Beschwerdeverfahren habe die Rechtsprechung, weil grundsätzlich allein der Gesetzgeber darüber zu bestimmen habe, wann einem Rechtsmittelführer die Rechtswohltat des Verbotes der Schlechterstellung zukommen soll (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 331 Rn 1; vor § 304 Rn 5), zu Recht bisher nur in geringem Umfang zugelassen. Im Bereich der Kostenentscheidungen bestehe eine entsprechende verfestigte Rechtsprechung zu Ausnahmen von der grundsätzlichen Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes im Beschwerdeverfahren nicht. Eine solche Ausnahme werde vielmehr sogar für mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Kostengrundentscheidungen abgelehnt (vgl. BGHSt 5, 52). Für mit der „einfachen“ Beschwerde anfechtbare Kostenfestsetzungsbeschlüsse gelte nach zutreffender h.M. ein Verbot der Schlechterstellung ebenfalls nicht (vgl. ausdrücklich Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464b Rn 8 m.w.N.; OLG Hamburg, Beschl. v. 5.5.2010 – 2 Ws 34/10).
Auf der Grundlage hat das LG dann die vom AG festgesetzt Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG abgesetzt. Bei dieser handele es sich um die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Nach Vorbem. 5.1.2 VV RVG gehöre zu dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde auch das Verwarnungsverfahren und das Zwischenverfahren (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht. Die Sache sei mit Verfügung vom 7.6.2019 von der Verwaltungsbehörde an das AG abgegeben worden. Damit sei das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde beendet, eine Verfahrensgebühr für das dortige Verfahren habe nicht mehr anfallen können. Das Verfahren ende spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 S. 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme (Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, VV Vorb. 5.1.2 Rn 3 m.w.N.). Die Verteidigerin habe sich jedoch erst mit Schriftsatz v. 19.11.2019 gegenüber dem AG bestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde jedoch bereits beendet gewesen. Daher habe eine Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG nicht mehr anfallen könne. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Verteidigerin mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert habe. Nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens könne dieses nicht durch erneute Korrespondenz wieder in das vorhergehende Stadium zurückversetzt werden. Sogar eine Zurückverweisung von Seiten des Gerichts an die Verwaltungsbehörde lasse grundsätzlich eine erneute Verfahrensgebühr für das Tätigwerden vor der Verwaltungsbehörde nicht entstehen (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 5.1.2 Rn 4). Erst recht müsse dies gelten, wenn von Seiten der Verteidigung ohne Zurückverweisung mit der Verwaltungsbehörde korrespondiert werde. Der erhöhte Aufwand könne freilich im Rahmen des § 14 RVG Berücksichtigung finden.
Entgegen der Auffassung des AG sei aber die zusätzliche Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG festzusetzen. Die erneute Hauptverhandlung sei jedenfalls auch – was ausreiche – durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich geworden. Das AG habe den Termin vom 13.2.2020 ausgesetzt. Im Anschluss hieran habe es das Verfahren nach § 47 OWiG eingestellt. Zur Begründung hat das AG auf die Nichtvorlage von Informationen bzw. Unterlagen abgestellt, die die Verteidigerin angefordert, welche ihr aber von Seiten der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellt worden seien. Dies reiche aus, um den Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu rechtfertigen.
Nicht festgesetzt hat das LG hingegen die Kosten einer eingeholten gutachterlichen Überprüfung einer Messung durch einen privaten Sachverständigen. Die Kosten privater Ermittlungen seien nicht erstattungsfähig. weil die damit verbundenen Auslagen regelmäßig nicht notwendig seien. Es sei Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, den Sachverhalt zu ermitteln. Da die StPO einem Betroffenen bzw. Angeklagten die Möglichkeit gebe, Beweisanträge zu stellen und die Aufnahme von Ermittlungen anzuregen, seien eigene Ermittlungen grundsätzlich nicht erforderlich. Ausnahmsweise komme allerdings eine Erstattung der Kosten in Betracht, wenn das Privatgutachten zur Verteidigung trotz der bestehenden amtlichen Aufklärungspflicht erforderlich sei. Dabei beurteile sich die Frage, ob ein Privatgutachten erforderlich gewesen sei, aus einer Beachtung „ex ante“ aus der Sicht des jeweiligen Betroffenen bzw. Angeklagten zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung, hier also der Gutachtenbeauftragung. Beweiserhebungen seien aufgrund des geltenden Amtsermittlungsprinzips Sache der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. Vorrangig sind daher insbesondere Beweisanträge zu stellen (vgl. KG StraFo 2012, 380; OLG Celle StV 2006, 32; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 127; LG Duisburg RVGreport 2013, 156; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464a Rn 7; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 464a Rn 16). Deshalb setze ein Erstattungsanspruch grundsätzlich voraus, dass alle prozessualen Mittel zur Erhebung des gewollten Beweises ausgeschöpft worden seien und dass sich der Betroffene nicht mehr anders verteidigen konnte (vgl. u.a. KG StraFo 2012. 380). Nach diesen Maßstäben liege – so das LG – keine Erstattungsfähigkeit vor. Der Betroffene habe keinen Beweisantrag gestellt, er habe auch keine Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung vorgebracht. Keineswegs habe sich der Verurteilte deshalb nicht mehr anders verteidigen können als mit der Einholung einer privaten gutachterlichen Stellungnahme bzw. eines Privatsachverständigengutachtens. An der Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Mittel mangele es.
III. Bedeutung für die Praxis
Der Entscheidung ist teilweise zu widersprechen.
1. Zutreffend sind die Ausführungen des LG zum Verschlechterungsverbot und zu den Verfahrensgebühren Nr. 5103, 5115 VV RVG. Diese sind entstanden bzw. nicht entstanden. Dass das Verschlechterungsverbot im Kostenfestsetzungsverfahren nicht gilt, entspricht der h.M.
2. Unzutreffend sind m.E. die Ausführungen zur Erstattungsfähigkeit der Kosten des privaten Sachverständigengutachtens. Offenbar hat es sich um die Überprüfung einer mit einem standardisierten Messverfahren erfolgten Geschwindigkeitsmessung gehandelt. Insoweit war aber schon vor der Entscheidung des BVerfG v. 12.11.2020 (2 BvR 1616/18, NZV 2021, 41; dazu Niehaus VRR 1/2021, 4 ff.) in der Rechtsprechung (teilweise) anerkannt, dass die insoweit entstandenen Kosten dem Betroffenen zu erstatten sind (LG Wuppertal AGS 2016, 38; Beschl. v. 8.2.2017 – 26 Qs 214/17, RVGreport 2018, 223). Denn wie soll der Betroffene als Laie die von der Rechtsprechung für einen Beweisantrag geforderten konkreten Einwände gegen die Messung ermitteln können? Und wenn die Rechtsprechung erhöhte Anforderungen an die Darlegung einer konkreten Fehlmessung bei Verwendung eines standardisierten Messverfahrens stellt und verlangt, dass konkrete Anhaltspunkte für eine technische Fehlfunktion der standardisierten Messeinrichtung vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen, dann muss andererseits die Beauftragung eines Privatsachverständigen bereits mit Zustellung des Bußgeldbescheides für den Betroffenen notwendig erscheinen, ohne dass der Betroffene einen Beweisantrag stellen muss. Denn das Sachverständigengutachten bereitet doch gerade diesen Beweisantrag, den die Rechtsprechung von ihm verlangt vor. Das LG Zweibrücken macht hier erneut einen Teufelskreis aus, in dem sich der Betroffene befindet: Du muss einen Beweisantrag stellen. Wenn du dir dafür benötigten Informationen bei einem Sachverständigen besorgst, werden die dadurch entstehenden Kosten aber nicht erstattet. Damit wird/würde an der Stelle zudem der vom BVerfG (a.a.O.) normierte Informationsanspruch des Betroffenen ad absurdum geführt. Denn was nutzen dem Betroffenen ggf. erhaltene Informationen, wenn er diese, weil er dazu nicht selbst in der Lage ist, nicht von einem Sachverständigen überprüfen lassen kann bzw. die dadurch entstehenden Kosten nicht ersetzt bekommt?
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg