Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob ein Elektroroller ein Kraftfahrzeug i.S. des StGB/StVG ist.
(Leitsatz des Verfassers)
BGH, Beschl. v. 2.3.2021 – 4 StR 366/20
I. Sachverhalt
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 32 Straftaten, u.a. mehrerer Straßenverkehrsdelikte verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg.
II. Entscheidung
Nach den Urteilsfeststellungen des LG führte der Angeklagte in zwei Fällen jeweils in dem Wissen, dass er die „zum Führen fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge erforderliche Fahrerlaubnis nicht mehr hatte“, einen „Elektroroller Scoody, FIN: XXX“ im öffentlichen Straßenverkehr. Das LG hat ihn deshalb wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG in zwei Fällen verurteilt.
Die Voraussetzungen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) waren nach Auffassung des BGH durch die landgerichtlichen Feststellungen nicht belegt. Dass es sich bei dem „Elektroroller Scoody“ um ein Kraftfahrzeug handelte, welches im öffentlichen Straßenverkehr nur mit einer Fahrerlaubnis geführt werden darf, könne der Senat aufgrund der vorgenannten Bezeichnung des Fahrzeugs nicht nachprüfen. Nähere Feststellungen zu Art und technischer Beschaffenheit, auf deren Grundlage beurteilt werden könnte, ob das Fahrzeug § 4 Abs. 1 Satz 1 FeV oder aber einem der Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 1 Satz 2 FeV unterfällt, enthalte das Urteil nicht.
In weiteren Fällen führte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen in alkoholisiertem Zustand im öffentlichen Verkehr einen „Elektroroller Sunny-E-Bike“, der ein Versicherungskennzeichen trug und mit dem ohne Einsatz menschlicher Kraft eine Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht werden kann. Dabei wies der Angeklagte in zwei Fällen jeweils eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 ‰ auf. Das LG hat diese Taten als fahrlässige Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 2 StGB bewertet.
Nach Auffassung des BGH tragen die Feststellungen die jeweiligen Verurteilungen nicht. Es fehle an Feststellungen zur fahrzeugtechnischen Einordnung des bei den Fahrten verwendeten Elektrorollers. Dem Senat sei es deshalb verwehrt, anhand der Urteilsgründe zu überprüfen, ob das LG zu Recht den für alkoholisierte Führer von Kraftfahrzeugen als unwiderleglichen Indizwert für die Annahme absoluter Fahrtüchtigkeit entwickelten Grenzwert der Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ (BGHSt 37, 89) seiner rechtlichen Bewertung der Taten zugrunde gelegt habe. Zwar ergebe sich aus den Feststellungen noch, dass mit dem Elektroroller ohne menschlichen Kraftaufwand eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h erreicht werden konnte, so dass es sich bei diesem um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne des § 1 eKFV gehandelt haben könnte. Fahrzeuge dieser Klasse zählen – so der BGH – zwar gemäß § 1 Abs. 1 eKFV straßenverkehrsrechtlich zu den Kraftfahrzeugen im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG. Allerdings seien in § 1 Abs. 1 eKFV verschiedene Fahrzeugarten zusammengefasst, denen zwar der elektrische Antrieb und die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit gemeinsam sind, die im Übrigen aber unterschiedliche technische Merkmale aufweisen. Ob und inwieweit die vor dem Aufkommen der Elektrokleinstfahrzeuge ergangene Rechtsprechung zu dem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern (BGHSt 37, 89) auch auf Nutzer dieser neuen Fahrzeugklasse übertragen werden kann (vgl. für E-Scooter bejahend BayObLG VRR 10/2020 15 = StRR 1/2021, 35; LG Stuttgart StraFo 2020, 460; LG Dortmund StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16; offenlassend LG Halle (Saale) zfs 2021, 161), sei höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Mangels näherer Feststellungen sowohl zu der Fahrzeugklasse des vom Angeklagten genutzten Elektrorollers als auch zu dessen technischen Merkmalen im Einzelnen könne der Senat die Rechtsfrage im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beantworten.
III. Bedeutung für die Praxis
Der BGH hat das Verfahren an das LG zurückverwiesen, damit dort die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zur Beschaffenheit des Fahrzeugs getroffen werden, um auf deren Grundlage dann den der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit zuverlässig zu bestimmen. Irgendwelche Hinweise, in welche Richtung die Einordnung gehen sollte/könnte gibt der BGH nicht, auch nicht in einem obiter dictum. Die h.M. in der Praxis geht allerdings derzeit dahin, dass es sich beim E-Scooter um ein Kraftfahrzeug handelt (vgl. dazu neben den o.a. Nachweisen noch Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn 3665 mit weiteren Nachweisen).
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg