Ist der Angeklagte nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis, beginnt das Fahrverbot nicht mit der Rechtskraft der Entscheidung, sondern einen Monat nach deren Rechtskraft.
(Leitsatz des Gerichts)
LG Osnabrück, Beschl. v. 6.11.2020 – 10 Qs 58/20
I. Sachverhalt
Das AG hat gegen den Verurteilten am 20.7.2020 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe verhängt und ihm gem. § 44 StGB ein Fahrverbot von zwei Monaten auferlegt. Das Urteil ist seit dem 28.7.2020 rechtskräftig. Auf Antrag des Verurteilten hat das AG mit Beschl. v. 29.9.2020 festgestellt, dass das Fahrverbot mit Eintritt der Rechtskraft am 28.7.2020 beginnt und dieses damit begründet, dass auch nach der Gesetzesänderung die alte Rechtslage fort gilt, dass das Fahrverbot in denjenigen Fällen, in denen der Verurteilte keine Fahrerlaubnis hat, sofort mit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel (§ 458 Abs. 1, § 462 Abs. 1 und Abs. 3, § 462a Abs. 2 S. 1 StPO) eingelegt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.
II. Entscheidung
Das LG hat den Beschluss des AG aufgehoben und festgestellt, dass das mit Urteil des AG vom 20.7.2020 angeordnete zweimonatige Fahrverbot einen Monat nach Rechtskraft des Urteils – nämlich am 28.8.2020 – wirksam geworden ist. Dazu führt das LG aus:
Die vom AG vertretene Rechtsauffassung entspreche der eindeutigen früheren Rechtslage, weil in § 44 Abs. 2 StGB a.F. ausdrücklich angeordnet war, dass das Fahrverbot mit Rechtskraft des Urteils wirksam wurde. Hierdurch sei im Zusammenspiel mit der Regelung des § 44 Abs. 3 StGB eindeutig zum Ausdruck gekommen, dass im Falle des Fehlens einer Fahrerlaubnis und somit des Fehlens der Möglichkeit, einen Führerschein in Verwahrung zu nehmen, die Verbotsfrist vom Tage der Rechtskraft an zu rechnen war (so bereits die Begründung des Entwurfes eines zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs zu der Vorläufervorschrift des § 37 StGB, BT-Drucks 4/651, S. 14 f.).
Durch die Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB durch Art. 1 Nr. 1b) des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 mit Wirkung zum 24.8.2017 (BGBl I 2017, 3202) sei die ausdrückliche Regelung, dass das Fahrverbot mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird, entfallen und nach dem Wortlaut der Neufassung werde das Fahrverbot wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft.
Zwar werde ein mit der früheren Rechtslage übereinstimmender Regelungsgehalt des § 44 StGB für Betroffene, die nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, auch für die Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB in der Kommentarliteratur vertreten (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 44 Rn 38 und MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber, 4. Aufl., § 44 Rn 26 insoweit ohne Begründung; Schönke-Schröder StGB, 30. Aufl., § 44 Rn 21 a.E. und Leipold u.a., Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl., § 44 Rn 61 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 10.10.2013 – 2 StR 377/13, wobei sich dieser Beschluss aber auf die frühere Gesetzesfassung mit einem von der Neufassung gerade abweichendem Wortlaut bezieht; ferner König in: Leipziger Kommentar, 13. Aufl., § 44 Rn 63 mit Nachweisen zur früheren Gesetzesfassung).
Diese Auslegung findet nach Auffassung des LG jedoch weder im Wortlaut noch in den Gesetzesmaterialien oder dem Zweck der Neuregelung eine Stütze.
Nach dem Wortlaut der Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB werde das Fahrverbot spätestens mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft wirksam, soweit nicht zuvor der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt ist. Eine Regelungslücke enthalte das Gesetz seinem Wortlaut nach nicht. Denn für Verurteilte, die nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, bedeute diese Regelung zwingend, dass das Fahrverbot mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird, weil sie naturgemäß keinen Führerschein in amtliche Verwahrung geben können. Durch diese Gesetzesfassung werde eine Ausnahme von dem allgemeinen Rechtsgrundsatz formuliert, dass eine Rechtsfolge – hier das Fahrverbot – regelmäßig mit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird.
Gegenteiliges lasse sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Die jetzige Gesetzesfassung intendierte – über das ursprünglich im Gesetzentwurf allein vorgesehene Hinausschieben der Wirksamkeit des Fahrverbots auf einen Zeitpunkt von einem Monat nach Rechtskraft hinaus – die Schaffung einer Dispositionsmöglichkeit für den Betroffenen, dem die Option eines früheren Eintretens der Wirksamkeit des Fahrverbots eröffnet werden sollte. Zu den Folgen dieser Dispositionsbefugnis in Fällen, in denen die Abgabe des Führerscheins durch den Verurteilten nicht möglich ist, wurde auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 25 Abs. 2a StVG verwiesen (BT-Drucks 18/12785, S. 45). Dieser Verweis auf das Ordnungswidrigkeitenrecht führe jedoch für die hier verfahrensgegenständliche Rechtsfrage der Berechnung des Beginns eines strafrechtlichen Fahrverbotes nicht weiter. Denn der Vergleich der Regelungsmechanismen von § 44 StGB einerseits und § 25 StVG andererseits ergebe, dass § 25 StVG in Abs. 2 eine generelle Regelung wie § 44 Abs. 2 StGB a.F. enthalte, dass nämlich das Fahrverbot mit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam werde, wobei Bußgeldbehörde bzw. Gericht gemäß § 25 Abs. 2a StVG die Befugnis eingeräumt wird, unter den dort genannten Voraussetzungen dem Betroffenen eine Dispositionsbefugnis einzuräumen. Werde dem Betroffenen eine Dispositionsentscheidung eingeräumt und stehen nach Bestimmung der Frist über das Wirksamwerden des Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 2a StVG einer Führerscheinabgabe rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegen, habe dies auf das Wirksamwerden des Fahrverbots und den Fristbeginn nach Maßgabe der getroffenen Bestimmung („spätestens mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft“) keinen Einfluss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., Rn 30 zu § 25 StVG).
Dieses Ergebnis entspricht nach Ansicht des LG auch am ehesten dem Gesetzeszweck. Die um einen Monat herausgeschobene Frist des Wirksamwerdens des Fahrverbots solle nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers der Vermeidung nicht beabsichtigter Härten dienen sowie auch einer möglichen vermehrten Einlegung taktischer Rechtsmittel zur Hinauszögerung des Fahrverbots entgegenwirken und es so dem Verurteilten ermöglichen, sich auf die Zeit des Fahrverbots einzustellen und Vorkehrungen zu treffen, dass er beruflichen und familiären Verpflichtungen auch ohne Fahrerlaubnis nachkommen kann (BT-Drucks 18/11272, S. 18). Diesem Zweck könne eher mit einer – großzügigen – weiteren Monatsfrist Rechnung getragen werden als mit einer Wochenfrist, die nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers in der Vergangenheit Anlass zu taktischen Rechtsmitteln gegeben hat.
III. Bedeutung für die Praxis
Eine Entscheidung, die schön mit der Intention des Gesetzgebers und der Neufassung begründet ist, getreu dem Grundsatz: Neues Spiel, neues Glück. Und die Entscheidung hat Auswirkungen auf die Frage, wie lange das Fahrverbot gilt. Nach Auffassung des LG länger als nach Ansicht der Kommentarliteratur.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg