1. Der Tatort wird im Bußgeldbescheid hinreichend allein mit der Angabe des (Anhalte-)Ortes und der Straße auch dann ohne Angabe einer Hausnummer beschrieben, wenn die Straße eine Gesamtlänge von nur 700 Metern hat.
2. Ein zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht hinsichtlich einer Drogenfahrt besteht auch dann, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Durchführung eines Drogenschnelltests zwar stark nervös ist und starkes Lidflattern aufweist, da das aus Sicht des kontrollierenden Beamten auch andere Gründe haben kann als den Konsum von Drogen.
3. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO löst ein Verwertungsverbot nur dann aus, wenn der verteidigte Betroffene einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Sachverhalt
Fahrlässige Drogenfahrt
Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er u.a. die Verletzung formellen Rechts rügt. Das Verfahren sei wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, weil der Bußgeldbescheid mangels hinreichend konkreter Tatortangabe (Fehlen einer Hausnummer) seine Umgrenzungsfunktion nicht erfülle. Zudem unterliege das Ergebnis der Blutprobenanalyse einem Beweisverwertungsverbot, weil der Betroffene vor dem Dogenschnelltest überhaupt nicht und vor der Blutprobenentnahme nicht vollständig über seine Rechte als Beschuldigter belehrt worden sei. Sein Verteidiger habe in der Hauptverhandlung der Verwertung der im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden insbesondere zur Entnahme der Blutprobe und den Ergebnissen von deren Analyse widersprochen. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Bußgeldbescheid erfüllt Umgrenzungsfunktion
Nach Auffassung des OLG erfüllt der Bußgeldbescheid seine Umgrenzungsfunktion. Er bilde damit eine tragfähige Grundlage für das gerichtliche Verfahren. Ein Bußgeldbescheid sei unwirksam, wenn im Fall des Einspruchs eine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung fehle. Das sei nur bei schwerwiegenden Mängeln der Fall. Demgegenüber sei ein Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage ausreichend, wenn er die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit zeitlich, örtlich und ihrem wesentlichen Inhalt nach hinreichend festlege und begrenze (OLG Hamm VRS 50, 58; 60, 50; OLG Frankfurt wistra 1985, 38; OLG Karlsruhe VRS 78, 296; Göhler/Bauer, OWiG, 19. Aufl. 2023, § 66 Rn 39). Entscheidend sei, dass nach dem Inhalt des Bußgeldbescheides kein Zweifel über die Tatidentität bestehen könne, wenn also feststehe, welcher Sachverhalt erfasst werde und geahndet werden solle (BayObLG VRS 78, 36 m.w.N.; NZV 1998, 515; OLG Köln DAR 2018, 338). Gemessen hieran erweist sich der Bußgeldbescheid als wirksam, denn schwerwiegende Mängel enthalte er nicht. Insbesondere beschreibt er den Tatort allein mit der Angabe des Ortes und der Straße hinreichend. Auch ohne Angabe einer Hausnummer, welche näher beschreiben würde, auf welcher Höhe der Straße sich der Betroffene zur Tatzeit befand, sei der Tatort angesichts der – vom Betroffenen selbst angegebenen – Gesamtlänge der Straße von nur 700 Metern hinreichend konkretisiert.
(Fehlende) Belehrung vor dem Drogenschnelltest
Auch die Rüge eines bestehenden Beweisverwertungsverbots aufgrund unterbliebener bzw. unvollständiger Beschuldigtenbelehrung gem. §§ 136, 163a StPO sei nicht erfolgreich. Vor Durchführung des Drogenschnelltests (sog. Drug Wipe Test) habe es keiner Belehrung des Betroffenen bedurft. Er sei in diesem Zeitpunkt nicht Beschuldigter i.S.d. genannten Vorschriften gewesen. Ob die zu vernehmende Person Beschuldigter sei, unterliege der pflichtgemäßen Beurteilung des Vernehmungsbeamten (BGHSt 51, 367, 371; BGH NJW 2019, 2627, 2630; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 163a Rn 4a). Hierfür seien hinreichend gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der Tat und des Täters erforderlich (BGH NJW 2019, 2627, 2630; BGH NStZ 2008, 48; BGH NStZ-RR 2012, 49; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Die Grenzen des Beurteilungsspielraums seien überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts willkürlich die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NJW 2019, 26327, 2630). Ein in diesem Sinne zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht habe zum Zeitpunkt der Durchführung des Drogenschnelltests nicht bestanden. Ausweislich der im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Aussage des Vernehmungsbeamten sei der Betroffene stark nervös gewesen und habe starkes Lidflattern gezeigt. Das habe aus Sicht des Beamten auch andere Gründe haben können als den Konsum von Drogen. Um dies zu klären, sei der Schnelltest durchgeführt worden. Damit habe man eine Vorermittlung durchgeführt zur Klärung der Frage, ob der Betroffene zu beschuldigten war oder nicht. Dass dieser zuvor nicht über seine Rechte als Beschuldigter belehrt worden sei, erweise sich sonach nicht als rechtswidrig.
Belehrung nach dem positiven Schnelltest erforderlich
Die Situation habe sich mit dem positiven Schnelltest geändert. Angesichts dieses Ergebnisses habe der Vernehmungsbeamte den Betroffenen nunmehr als Beschuldigten belehren müssen, und zwar gemäß § 136 Abs. 1 S. 2 StPO auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Letzteres habe der Zeuge unterlassen. Daraus folge grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 47, 172; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 47) mit der Folge, dass das Ergebnis der Blutprobenanalyse vorliegend wohl nicht zum Nachteil des Betroffenen zu Beweiszwecken habe herangezogen werden können. Zwar ziehe nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr sei die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele zu treffen (BGH, Beschl. v. 12.1.1996 – 5 StR 756/94). Ein Verwertungsverbot liege nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt sei, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich eines Verteidigers oder Beistands zu bedienen, gehöre zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGH, a.a.O.; BGHSt 38, 372, 374).
Verwertung aber nicht widersprochen
Gleichwohl bleibe der Verfahrensrüge der Erfolg versagt, weil der Betroffene der Verwertung der Blutprobe in der Hauptverhandlung nicht widersprochen habe. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO löse kein Verwertungsverbot aus, wenn der verteidigte Angeklagte/Betroffene einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen habe (vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.1996 – 5 StR 756/94; BGHSt 38, 214, 225 f.; 39, 349, 352). So liege der Fall hier. Durch das Hauptverhandlungsprotokoll sei aufgrund dessen aus § 274 StPO folgender Beweiskraft bewiesen, dass der Betroffene der Verwertung der Blutprobe nicht widersprochen hat. Der Betroffene habe allein der Einführung des Beweismittels im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO widersprochen, nicht aber der Beweisverwertung an sich.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung zeigt mal wieder: Fragen, deren Bedeutung man an sich mehr in der StPO sieht, können auch im Bußgeldverfahren eine entscheidende Rolle spielen.
Umgrenzungsfunktion
1. Das gilt nicht hinsichtlich der Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides, die zwar mit der Umgrenzungsfunktion der Anklage vergleichbar ist (siehe dazu Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 574 ff. m.w.N.), für die es aber eine umfangreiche Rechtsprechung gibt, auf deren Grundlage das OLG hier zutreffend entschieden hat (zum Bußgeldbescheid siehe Burhoff, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, Rn 261 ff.).
Belehrungsfragen
2. Aber es gilt für die Belehrungsfragen und für die aus der Verletzung einer Pflicht zur Belehrung zu ziehenden verfahrensrechtlichen Konsequenzen. Dabei habe ich Bedenken, ob die Ausführungen des OLG dahin, dass vor dem Drogenschnelltest eine Belehrung nicht erforderlich gewesen sei, zutreffend sind. Das hängt, was das OLG richtig erkennt, davon ab, ob der Betroffene zu dem Zeitpunkt schon Beschuldigter war und deshalb belehrt werden musste (zur Belehrung im OWi-Verfahren Gübner, in: Burhoff, OWi, Rn 175 ff. und zum Begriff des Beschuldigten im Strafverfahren Burhoff, EV, Rn 1150 ff. m.w.N.). Man wird m.E. aber kaum, wie es das OLG offenbar tun will, sagen können: vor dem Drogenschnelltest nie. Denn das hängt dann doch von den Umständen des Einzelfalls ab. Hier haben wir zumindest die Nervosität des Betroffenen und das Lidflattern, das andere Ursachen haben kann, aber welche? Dazu schweigt das OLG. Es wäre in dem Zusammenhang schön, wenn man mehr zu den Einzelumständen, vor allem der Anhaltesituation usw., erfahren hätte.
Widerspruchserfordernis
Aber letztlich kann die Frage dahinstehen, denn die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes scheitert letztlich daran, dass in der Hauptverhandlung der Verwertung der kontaminierten Beweise nicht widersprochen worden ist. Denn: Die sog. Widerspruchslösung des BGH (vgl. dazu Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl. 2025, Rn 4114 ff. m.w.N.) gilt auch im Bußgeldverfahren (Burhoff, OWi, Rn 583 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung der OLG). Der Verwertung des Ergebnisses der Blutprobe ist hier aber nicht widersprochen worden, sodass deren Ergebnis verwertet werden konnte; es hätte ausgereicht, wenn sich das OLG auf diesen Begründungsstrang beschränkt hätte.