1. Für die Verwertbarkeit von EncroChat-Dateien ist es erforderlich, dass die von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt angeordnete Übermittlung der in Frankreich erlangten EncroChat-Daten in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zulässig gewesen wäre (insoweit Abkehr von BGH, Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 = NJW 2022, 1539 = StRR 4/2022, 22 [Burhoff]).
2. In Fällen, die zu dem Zeitpunkt der Europäischen Ermittlungsanordnung als Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar waren, heute aber lediglich § 34 Abs. 1 und 3 KCanG unterfallen, war die Informationsübermittlung auf der Grundlage der erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung und ist die anschließende Beweisverwertung rechtmäßig.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Sachverhalt
Freispruch wegen Unverwertbarkeit von EncroChat-Daten
Das LG hat den Angeklagten am 3.5.2024 wegen mehrfachen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Wegen weiterer Taten wurde er freigesprochen, da das LG davon ausging, dass die Verwertung von einschlägigen EncroChat-Dateien unzulässig ist. Die Revision der StA gegen den Teilfreispruch war erfolgreich.
II. Entscheidung
Ausgangspunkt
Die StA beanstande zu Recht als Verstoß gegen § 261 StPO, dass die Strafkammer in der Hauptverhandlung erhobenes Beweismaterial nicht verwertet hat, obwohl insoweit kein Beweisverwertungsverbot besteht. In Fällen wie dem vorliegenden ergebe sich für von Frankreich an Deutschland übermittelte EncroChat-Daten kein Beweisverwertungsverbot daraus, dass zur Tatzeit nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbare Taten des Handeltreibens mit Cannabisprodukten in nicht geringer Menge nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes zum 1.4.2024 lediglich nach § 34 Abs. 1 und 3 KCanG strafbar sind, diese Strafvorschrift aber nicht vom Katalog des § 100b Abs. 2 StPO erfasst wird (ebenso OLG Hamburg, Beschl. v. 13.5.2024 – 1 Ws 32/24, NStZ 2024, 549 = StRR 7/2024, 22 [Hillenbrand]); OLG Celle, Beschl. v. 9.7.2024 – 3 Ws 55/24; gegen eine Verwertbarkeit KG, Beschl. v. 30.4.2024 – 5 Ws 67/24, NStZ 2024, 548 = StRR 6/2024, 19 [Hillenbrand]). Der Senat referiert die Entscheidungen zur Verwertbarkeit von EncroChat-Dateien (BGH, Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 = NJW 2022, 1539 = StRR 4/2022, 22 [Burhoff]; Nichtannahmebeschl. d. BVerfG v. 1.11.2024 – 2 BvR 684/22, NStZ-RR 2025, 25 = StRR 1/2025, 18 [Deutscher]; EuGH, Urt. v. 30.6.2024 – C-670/22, StRR 8/2024, 14 [Deutscher]).
Teilweise Änderung von BGHSt 67, 29
Allerdings sei aufgrund der Entscheidung des EuGH gem. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA über den genannten Beschluss des BGH erforderlich, dass die von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt angeordnete Übermittlung der in Frankreich erlangten EncroChat-Daten in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zulässig gewesen wäre (wird ausgeführt). Aufgrund der für ihn verbindlichen Entscheidung des EuGH zu den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA beim Erlass einer auf die Anforderung bereits vorliegender Daten gerichteten Europäischen Ermittlungsanordnung ändere der Senat seine Rechtsprechung in diesem Punkt.
Innerstaatliche Verwendungsbeschränkungen
Liegen aufgrund staatlicher Beweiserhebung bereits Beweismittel bei Behörden oder Gerichten vor, könne die Staatsanwaltschaft diese in einem innerdeutschen Fall im Rahmen eines von ihr geführten Ermittlungsverfahrens auf der Rechtsgrundlage von § 161 Abs. 1 StPO anfordern. Dies gelte auch, soweit sich das Verfahren noch gegen Unbekannt richtet, also noch kein spezifischer Verdacht gegen eine konkrete Person besteht. Abzustellen sei auf die Verdachtslage im Anordnungszeitpunkt, wobei die in Rede stehenden Daten Berücksichtigung finden können (vgl. BGH, Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn 70). Verwendungsbeschränkungen wie §§ 161 Abs. 3, 479 Abs. 2 und 100e Abs. 6 StPO könnten auch schon für die Entscheidung über eine Datenanforderung mit dem Ziel der Zweckumwidmung Relevanz haben (BVerfG, Beschl. v. 1.11.2024 – 2 BvR 684/22 Rn 85). Zwar seien diese Vorschriften nicht direkt anwendbar, weil es sich bei der von Frankreich in eigener Kompetenz durchgeführten Ermittlungsmaßnahme nicht um eine solche nach deutschem Recht handelt und sie angesichts unterschiedlicher verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Regelungen auch keine direkte Entsprechung im deutschen Prozessrecht hat. Im vorliegenden Fall mache der Senat aber, wie bislang auf der Ebene der Beweisverwendung in der Hauptverhandlung geprüft, zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes diejenige Verwendungsbeschränkung im Rahmen der Prüfung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA fruchtbar, die dem Gewicht der ausländischen Ermittlungsmaßnahme am ehesten gerecht wird und – auch um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen – das höchste Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) ausweist (BVerfG a.a.O.).
Trotz Gesetzesänderung verwertbar
Die auf Beweismittelanforderung und -transfer bezogene Prüfung nach dem Grundgedanken des § 100e Abs. 6 StPO ergebe, dass in Fällen, die zu dem Zeitpunkt der Europäischen Ermittlungsanordnung als Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar waren, heute aber lediglich § 34 Abs. 1 und 3 KCanG unterfallen, die Informationsübermittlung auf der Grundlage der erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung rechtmäßig war. Denn abzustellen sei dabei auf den Rechtszustand zum Zeitpunkt der Datenanforderung und -übermittlung. Zum damaligen Zeitpunkt sei das KCanG noch nicht in Kraft gewesen, sodass die Daten wegen des Verdachts einer von § 100b Abs. 2 StPO erfassten Straftat (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) angefordert und übermittelt wurden. Verstöße gegen den Kernbereichsschutz sind im vorliegenden Fall ebenso wenig ersichtlich wie in dem Fall, der der Entscheidung des Senats vom 2.3.2022 zugrunde lag. Wie die hier rechtmäßig erlangten Daten im weiteren Verlauf des deutschen Strafverfahrens verwertet werden dürfen, bleibe dem nationalen Recht vorbehalten. In der Rechtsprechung sei dabei anerkannt, dass strafprozessual rechtmäßig erlangte und damit rechtmäßig in das konkrete Strafverfahren eingeführte Daten uneingeschränkt als Beweismittel genutzt werden können, auch wenn sich im Laufe der Ermittlungen der zu ermittelnde Sachverhalt letztlich nicht als Katalogstraftat, sondern als anderer Straftatbestand darstellt; dies gilt auch, wenn sie aus einer Ermittlungsmaßnahme außerhalb des Strafprozessrechts stammen (BGH, Beschl. v. 15.12020 – 2 StR 352/18 Rn 20 m.w.N., StV 2020, 805). Eine Änderung der rechtlichen Bewertung derselben prozessualen Tat habe bei einer rechtmäßigen Datenerhebung oder -übermittlung also nicht ohne Weiteres Auswirkungen auf die Zulässigkeit anschließender Beweisverwertung. Zudem stellten Straftaten wie die angeklagten Taten auch nach heutiger Wertung Straftaten von Gewicht dar, da das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG jeweils erfüllt wäre.
Auswirkungen des § 2 Abs. 3 StGB
Das durch die Entscheidung des EuGH gebotene Abstellen auf den Zeitpunkt des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung werde auch den Besonderheiten gerecht, die sich im vorliegenden Fall nach § 2 Abs. 3 StGB aus einer möglichen Anwendung von § 34 Abs. 1 und 3 KCanG auf die angeklagten Taten ergeben. Eine Anwendung von § 34 Abs. 1 und 3 KCanG auf die angeklagten Taten käme nur in Betracht, wenn sich diese Vorschrift bei konkreter Betrachtung im Einzelfall als milder als das Tatzeitrecht erweist (BGH, Urt. v. 10.8.2023 – 3 StR 412/22 Rn 70, NZWiSt 2024, 187). Würde das Tatgericht vom Strafrahmen des § 34 Abs. 3 S. 1 KCanG ausgehen, weil das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG erfüllt ist, gleichzeitig aber – etwa weil insbesondere lediglich der Handel mit einer „weichen Droge“ in Rede steht – einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG (Tatzeitrecht) annehmen, wären beide Strafrahmen identisch, sodass es zur Anwendung des Tatzeitrechts und einer Verurteilung nach § 29a BtMG käme. Diese Straftat sei aber von § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b StPO erfasst. Es wäre aber weder sinnvoll noch geboten, die Frage der Zulässigkeit der Beweisverwertung trotz Rechtmäßigkeit der Beweiserlangung von einer solchen, der Schlussberatung vorbehaltenen Strafzumessungsentscheidung abhängig zu machen. Solches folge auch nicht aus dem Sinn und Zweck des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB). Derartige Änderungen der materiell-rechtlichen Bewertung lassen die Rechtmäßigkeit während der Geltung des früheren Rechtszustandes zutreffend angewandten Prozessrechts unberührt (vgl. zur Unanwendbarkeit des Meistbegünstigungsprinzips auf das Prozessrecht auch BGH, Beschl. v. 19.2.1969 – 4 StR 357/68, BGHSt 22, 321).
III. Bedeutung für die Praxis
Überschaubare Auswirkungen
1. Leitsatz 2 ist lediglich für Altfälle des Handeltreibens mit Haschisch in nicht geringer Menge von praktischer Bedeutung. Allerdings bleibt abzuwarten, ob und ggf. in welchem Umfang das KCanG (Stichwort: gut gemeint, schlecht gemacht) infolge des Regierungswechsels noch bestehen bleiben wird. Leitsatz 1 ist wegen der teilweisen Änderung der Leitentscheidung BGH, Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 = NJW 2022, 1539 = StRR 4/2022, 22 [Burhoff] beachtenswert.
BGH, Urt. v. 13.2.2025 – 5 StR 491/23
2. Ergänzend ist auf BGH, Urt. v. 13.2.2025 – 5 StR 491/23 hinzuweisen. Hiernach besteht eine Verwertbarkeit von EncroChat-Dateien gemäß den Grundsätzen der hier besprochenen Entscheidung auch dann, wenn die Daten bei einer prozessualen Tat nicht zu einer Anklage wegen Handeltreibens in nicht geringer Menge führt, sondern wegen der Nichtkatalogtat Geldwäsche (§ 261 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 StGB a.F.). Eine zweckändernde Verwendung von Daten liegt hiernach nur dann vor, wenn die Erkenntnisse in einem anderen Strafverfahren angefallen sind, den Verdacht wegen einer weiteren, von jenem Verfahren losgelösten Straftat begründen und daher in einem gesonderten neuen Strafverfahren verfolgt werden sollen.