Beitrag

Zuzahlung und „kommerzielle Zweitverwertung“ als Zumutbarkeitskriterium bei der Pauschgebühr

Zur – bejahten – Berücksichtigung einer Zuzahlung des Mandanten und von Einkünften aus „kommerzieller Zweitverwertung“ des Verfahrens bei der Zumutbarkeitsbeurteilung in Zusammenhang mit der Gewährung einer Pauschgebühr.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG München, Beschl. v. 29.4.20251 AR 392/24

I. Sachverhalt

Umfangreiche HV

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen ihn und einen Mitangeschuldigten Anklage zum LG zur Jugendkammer als Schwurgericht wegen des Vorwurfs gemeinschaftlichen Mordes in drei tateinheitlichen Fällen erhoben. Die Hauptverhandlung fand an insgesamt 80 Tagen statt. Der Pflichtverteidiger nahm an 79 Terminen teil, 24 davon dauerten zwischen fünf und acht Stunden, 12 über acht Stunden. Die beiden Angeklagten wurden verurteilt. Die Verteidiger legten gegen deren Verurteilung Revision ein, die inzwischen vom BGH verworfen ist.

OLG lehnt ab

Der Rechtsanwalt hat beantragt, ihm für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger in dem Verfahren anstelle der festgesetzten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 57.671 EUR eine Pauschvergütung in Höhe von 72.916 EUR zu bewilligen. Die „Frau Bezirksrevisorin“ (sic!) hat sich gegen die Bewilligung einer Pauschvergütung ausgesprochen. Das OLG hat dann durch den Einzelrichter die Gewährung einer Pauschvergütung abgelehnt.

II. Entscheidung

Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren

In seinem Beschluss referiert das OLG zunächst zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG. Es bejaht den besonderen Umfang des Verfahrens, verneint dann aber dennoch das Vorliegen der Voraussetzungen. Allein ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens reiche für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG nicht aus. Hinzukommen müsse, dass die gesetzlichen Gebühren dem Antragsteller unzumutbar seien. Das sei hier nicht der Fall. Die Pflichtverteidigergebühren würden sich auf 57.438 EUR belaufen. Dem Antragsteller sei darin zuzustimmen, dass ihm allein dieser Betrag wegen des besonderen Verfahrensumfangs nicht zuzumuten wäre. Bei gleicher Sachlage wie im Parallelverfahren zu dem korrespondierenden Antrag des weiteren Pflichtverteidigers hätte der Senat dem Antragsteller deshalb eine Pauschgebühr von insgesamt 64.018 EUR bewilligt.

Zuzahlung des Mandanten

Dieser Fall unterscheide sich allerdings insofern von dem Sachverhalt im Parallelverfahren, als hier der Rechtsanwalt zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren von Seiten des Mandanten ein Pauschalhonorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren in Höhe von 20.000 EUR erhalten habe. Diese Zahlung sei nach § 58 Abs. 3 RVG nicht auf die gesetzliche Vergütung angerechnet worden. Zahlungen, die ein beigeordneter Rechtsanwalt von dem Mandanten oder von Dritten für seine Tätigkeit in dem betroffenen Verfahren erhalten habe, sind aber bei der Prüfung, ob ihm die gesetzlichen Gebühren i.S.v. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG zumutbar seien, zu berücksichtigen, soweit sie nicht nach § 58 Abs. 3 RVG auf diese angerechnet wurden (OLG Hamm, Beschl. v. 16.10.2012 – II I– 5 RVGs 101/12, StRR 2013, 119 = RVGreport 2013, 144). Sei der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung dieses Betrags zumutbar vergütet, liegt ein auszugleichendes Sonderopfer nicht vor (Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Rn 25). So liege der Fall hier: Unter Berücksichtigung der dem Pflichtverteidiger zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren zugeflossenen Zahlung von Seiten des Mandanten über 20.000 EUR habe er (netto) insgesamt 77.438 EUR (bzw. nach eigener Darstellung 77.671 EUR) für seine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren erhalten. Diese sei damit auch unter Berücksichtigung des besonderen Verfahrensumfangs insgesamt zumutbar vergütet; sie liege nur geringfügig unter den einfachen Wahlverteidigerhöchstgebühren i.H.v. 84.186 EUR, die regelmäßig die Höchstgrenze für eine Pauschgebühr bilden (OLG Köln, Beschl. v. 10.4.2019 – 1 RVGs 15/19).

Einwand: Zuzahlung nur Honorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren

Der Einwand, die Zahlung des Mandanten müsse unberücksichtigt bleiben, weil es sich um ein Honorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren handele, der Pauschantrag sich aber ausschließlich auf das gerichtliche Verfahren beziehe, greife – so das OLG – nicht durch: Für die Bewertung, ob die gesetzlichen Gebühren zumutbar seien, sei eine Gesamtbetrachtung des Verhältnisses zwischen den vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten einerseits und den gesetzlichen Gebühren sowie etwaigen zusätzlichen Zahlungen des Mandanten oder Dritter an den Anwalt andererseits vorzunehmen. Dies gelte auch dann, wenn sich der Antrag nur auf einzelne Verfahrensabschnitte beziehe. Habe der Rechtsanwalt – wie hier – für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren ein Pauschalhonorar vom Mandanten erhalten, das die gesetzlichen Gebühren für jenen Verfahrensabschnitt um ein Vielfaches übersteigt, könne dieser Umstand bei der Zumutbarkeitsprüfung nicht deshalb ausgeblendet werden, weil ein Pauschantrag nur für die übrigen Verfahrensabschnitte gestellt werde. Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass der Rechtsanwalt für das Ermittlungsverfahren keine Vergütung gegenüber der Staatskasse geltend gemacht hat: Wäre ihm für das Ermittlungsverfahren kein Honorar vom Mandanten zugeflossen und hätte er daher den Pauschantrag auch auf seine diesbezügliche Tätigkeit erstreckt (dies wäre ggf. gemäß § 51 Abs. 1 S. 4, 48 Abs. 6 RVG möglich gewesen, obwohl seine Beiordnung erst am zweiten Hauptverhandlungstag, also nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgte), wäre – entsprechend der Handhabung im Parallelverfahren 1 AR 206/24 – die im vorliegenden Fall unzumutbar niedrige Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren i.H.v. 177 EUR (Nr. Nr. 4105 VV RVG) durch die fünffache Wahlverteidigerhöchstgebühr (5 x 362,50 EUR = 1.812,50 EUR) ersetzt worden und insgesamt eine Pauschgebühr i.H.v. 65.830,50 EUR zu bewilligen gewesen (= 1.812,50 EUR Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren + 64.018 EUR für die übrigen Tätigkeiten). Da der dem Rechtsanwalt tatsächlich für die Verteidigung zugeflossene Betrag von 77.671 EUR somit über der Summe liege, die ihm – ohne die Zahlung des Mandanten für das Vorverfahren – hypothetisch als Pauschvergütung zu bewilligen gewesen wäre, liegt kein ausgleichsbedürftiges Sonderopfer vor.

Kommerzielle Zweitverwertung

Das OLG führt dann weiter – nicht tragend (!) – aus: Da die Bewilligung einer Pauschgebühr aus den vorstehend erläuterten Gründen schon aufgrund des dem Rechtsanwalt zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren zugeflossenen Mandantenhonorars i.H.v. 20.000 EUR ausscheide, sei nur mehr ergänzend anzumerken, dass eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren i.S.v. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG hier auch deshalb zu verneinen wäre, weil der Rechtsanwalt seine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren zur Erzielung weiterer Einkünfte fruchtbar gemacht habe, die ohne seine Beteiligung an dem Verfahren nicht möglich gewesen wäre.

Erzielte weitere Einkünfte

Der Pflichtverteidiger gestalte allgemeinkundig gemeinsam mit einer Hörfunkmoderatorin eine Podcast-Serie unter dem Titel „Bayern3 True Crime“. In den einzelnen Folgen spreche er mit der Moderatorin über Kriminalfälle bzw. Gerichtsverhandlungen. Häufig handele es sich dabei um Fälle, an denen er selbst als Verteidiger mitgewirkt habe (Quelle: wikipedia.de). In insgesamt sechs Folgen zwischen August 2021 und März 2023 sei es dabei um das vorliegende Verfahren (sog. Dreifachmord von Starnberg) gegangen. Der Pflichtverteidiger habe darin ausführlich über Erkenntnisse aus dem bzw. Einblicke in das Verfahren, die nur Verfahrensbeteiligten zugänglich seien, berichtet. Darüber hinaus gestalte der Pflichtverteidiger gemeinsam mit einem Nachrichtensprecher Live-Veranstaltungen, in denen das hiesige Verfahren im Rahmen eines zwischen beiden ausgetragenen „unterhaltsamen Wettkampfs um die Stimmen des Publikums“ (Quelle: augsburger-­allgemeine.de) mit dem Pflichtverteidiger in der Rolle des Verteidigers und dem Nachrichtensprecher in der Rolle der Justiz „verhandelt“ werde. Dabei würden u.a. verpixelte Filmausschnitte und Originalaufnahmen aus der Mordnacht gezeigt (Quelle wie vorstehend). Da der Podcast, dessen einzelne Folgen unter anderem auf der kommerziellen Streaming-Plattform spotify.com abrufbar seien, seit 2020 mehr als 50 Millionen Aufrufe generiert habe und deutschlandweit im Jahr 2023 zu den Top Ten in der Kategorie „True Crime“ gehört habe (Quelle: wikipedia.de), liege es auf der Hand, dass der Rechtsanwalt aus seiner Mitwirkung daran in nicht unerheblichem Umfang Einkünfte bezogen habe. Dasselbe gelte für die Auftritte im Rahmen der Abendveranstaltungen mit dem Nachrichtensprecher, für die Eintrittskarten – wie Webseiten einschlägiger Anbieter zu entnehmen sei – aktuell zwischen 39,99 EUR und 99,99 EUR (sog. VIP-Paket) kosten.

Berücksichtigung

Einkünfte des Rechtsanwalts aus diesen Tätigkeiten seien für die Bewertung der Frage, ob ihm die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren i.S.v. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG zugemutet werden können, ebenfalls zu berücksichtigen, soweit die Podcasts bzw. Live-Veranstaltungen das hiesige Verfahren zum Gegenstand haben. Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Einkünfte bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge existiert – so das OLG – bislang nicht, was nach Ansicht des OLG unschwer damit zu erklären sein dürfte, dass Fälle, in denen Strafverteidiger Erkenntnisse aus Verfahren, an denen sie selbst beteiligt waren, medial zu Unterhaltungszwecken kommerzialisieren, singulär seien. Die Berücksichtigung von Einkünften aus einer derartigen kommerziellen Zweitverwertung von Pflichtverteidigungsmandaten bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge stehe sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem Sinn und Zweck von § 51 Abs. 1 S. 1 RVG im Einklang: Die Beschränkung von Pauschgebühren auf Fälle, in denen die gesetzlichen Gebühren dem Anwalt wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zuzumuten seien, solle den Ausnahmecharakter der Regelung zum Ausdruck bringen und den Anwendungsbereich auf Fälle beschränken, in denen die gegenüber den Gebühren eines Wahlverteidigers geringeren Pflichtverteidigergebühren dazu führen würden, dass der beigeordnete Anwalt durch seine Inanspruchnahme für öffentliche Zwecke ein Sonderopfer erleidet (BT-Drucks 15/1971, S. 201). Ein solches Sonderopfer liege aber nicht vor, wenn dem Pflichtverteidiger infolge seiner Beiordnung zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren weitere finanzielle Vorteile zugeflossen seien, die er ohne sie nicht hätte erzielen können. Gestützt werde diese Ansicht – so das OLG – durch den Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung im Schadenersatzrecht (dazu Oetker, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2022, § 249 Rn 235). Zwar gehe es im vorliegenden Fall nicht um einen Schadenersatzanspruch, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch. Wie erläutert sei § 51 Abs. 1 S. 1 RVG allerdings Ausdruck der Verpflichtung des Staates, zurechenbar von ihm verursachte Sonderopfer Privater auszugleichen (sog. Aufopferungsanspruch) und es sei anerkannt, dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch auf Aufopferungsansprüche anwendbar seien (vgl. Schenke, NJW 1991, 1777, 1785).

Folge für die Pauschgebühr

Für § 51 Abs. 1 S. 1 RVG folge daraus, dass die gesetzlichen Gebühren dem Pflichtverteidiger zugemutet werden können, wenn sie aufgrund des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens zwar für sich genommen außer Verhältnis zu dem mit der Verteidigung verbundenen Aufwand stehen, dem Antragsteller aber aus einer kommerziellen Zweitverwertung seiner Verteidigertätigkeit – wie hier durch die Mitwirkung an Unterhaltungsformaten, die tragend auf Einblicken in das Verfahren aus der Perspektive des Verteidigers beruhen – zusätzliche Einkünfte zugeflossen seien, durch die sich die Beiordnung für ihn bei einer wirtschaftlichen Gesamtschau „bezahlt gemacht“ habe. Denn derartige Einkünfte stünden in adäquat-kausalem Zusammenhang mit der Pflichtverteidigertätigkeit und ihre Berücksichtigung bei der Prüfung der Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren begründe weder eine unangemessene Entlastung der Staatskasse noch eine unbillige Belastung des Verteidigers i.S.d. oben genannten Kriterien für einen Vorteilsausgleich: Zwar beruhen solche Einkünfte auf einer Tätigkeit außerhalb des Verfahrens und seien mit zusätzlichem Arbeitsaufwand verbunden. Der Pflichtverteidiger werde durch ihre Berücksichtigung bei der Zumutbarkeitsprüfung gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG gleichwohl deshalb nicht unbillig belastet, weil sie ohne die Pflichtverteidigertätigkeit nicht möglich gewesen wären: Die Rolle des Rechtsanwalts sowohl bei den Podcasts als auch bei den Live-Veranstaltungen beschränke sich nicht auf die Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Fall, die auch einem nicht an dem Verfahren beteiligten Strafrechtler möglich wäre, sondern das Alleinstellungsmerkmal, das die Popularität beider Formate begründe, bestehe gerade darin, dass der Rechtsanwalt dem Publikum aus seiner Rolle als Verteidiger Einblicke in einen „echten“, aufsehenerregenden Kriminalfall aus der Praxis gewähre, die nur unmittelbaren Verfahrensbeteiligten zugänglich seien. So gehe der Rechtsanwalt in dem Podcast etwa dezidiert auf einzelne Beweismittel ein und erläutere ausführlich, weshalb diese aus seiner Sicht nicht geeignet seien, den Tatnachweis zu erbringen. Im Rahmen der Live-Veranstaltungen werden zusätzlich verpixelte Filmausschnitte und Originalaufnahmen aus der Mordnacht gezeigt.

Weitere Aufklärung zur Höhe der Einkünfte, die der Rechtsanwalt aus den genannten Tätigkeiten erzielt hat, war nach Auffassung des OLG nicht erforderlich, weil dem Pflichtverteidiger die gesetzlichen Gebühren bereits aus dem anderen erläuterten Grund zumutbar seien.

III. Bedeutung für die Praxis

Mal wieder ein Beschluss zum Ärgern: Die Entscheidung ist in meinen Augen in mehrfacher Hinsicht falsch.

Zuzahlung des Mandanten

Falsch ist es zunächst, die Zuzahlung des Mandanten bereits bei der Frage der Zumutbarkeit heranzuziehen und mit der Zuzahlung die Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren zu verneinen. Die Frage spielt vielmehr erst bei der Festsetzung der Pauschgebühr eine Rolle. Das macht das OLG Hamm (a.a.O.) zwar auch anders. Aber auch die Entscheidung ist falsch und entspricht nicht der m.E. h.M. in der Frage. Ich darf – vielleicht hilft es ja in zukünftigen Fällen – noch einmal wiederholen:

Die Frage, wo und wann anderweitige Zahlungen bei der Bewilligung einer Pauschgebühr zu berücksichtigen sind, wurde in Rechtsprechung und Literatur bis zur Entscheidung des OLG Hamm übereinstimmend anders gesehen (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl. 2023, § 51 Rn 39 und 65; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen; § 51 Rn 66; OLG Hamm JMBl NRW 1959, 44 = Rpfleger 1959, 2000; OLG Stuttgart Justiz 1983, 421; OLG Karlsruhe StraFo 2012, 290). Wer diese Hinweise sowohl im Beschluss des OLG Hamm als auch in dem des OLG München sucht, sucht vergeblich. Vergeblich sucht man auch eine eingehendere Begründung der von der h.M. abweichenden Ansicht. Man findet im Beschluss des OLG Hamm nur den Hinweis auf eine ständige Rechtsprechung des Senats des OLG Hamm. Leider findet man aber auch in den Beschlüssen kein Wort zur Rechtsansicht des OLG (s. die auf www.burhoff.de eingestellten Beschlüsse). Das OLG München verweist lediglich auf eine weitere von der o.a. h.M. abweichende Literaturstelle (s. Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Rn 25), die aber auch keine weitere/eigene Begründung für die Auffassung enthält.

Die Auffassung der beiden OLG überzeugt im Übrigen nicht. Ihr steht m.E. schon der Wortlaut des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG entgegen. Danach „ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind“. Maßstab für die Bewilligung der Pauschgebühr sind also die in den Teil 4 und 5 VV RVG bestimmten gesetzlichen Gebühren, die mit den vom Pflichtverteidiger erbrachten Tätigkeiten verglichen werden müssen. Bei diesem Vergleich haben Zuzahlungen des Angeklagten und/oder von Dritten keine Bedeutung. Diese sind nicht „gesetzliche Gebühren“. Zutreffend geht daher die o.a. h.M. davon aus, dass Zuzahlungen erst bei der späteren Festsetzung der Pauschgebühr, die an die Stelle der gesetzlichen Gebühren tritt, berücksichtigt werden (so vor allem auch OLG Hamm JMBl NRW 1959, 44 = Rpfleger 1959, 2000).

Pauschgebühr für einen Verfahrensabschnitt

Auch die Ausführungen des OLG zu dem nach seiner Ansicht unbeachtlichen Einwand, die 20.000 EUR seien für das Ermittlungsverfahren gezahlt worden, sind nicht zutreffend. Ist das der Fall und wird auch nur eine Pauschgebühr für die anderen Verfahrensabschnitte geltend gemacht, dann dürfen diese Zahlungen nach § 58 Abs. 3 RVG auch nur insoweit berücksichtigt werden. Das ergibt sich aus der zur Neufassung des § 58 Abs. 3 RVG vorliegenden Rechtsprechung (KG AGS 2017, 461 = RVGreport 2017, 415 = StraFo 2017, 172; OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.1.2023 – 2 Ws 165/22 (S); LG Berlin RVGreport 2016, 258; AG Osnabrück RVGreport 2019, 258), die das OLG mit keinem Wort erwähnt und zudem auch nicht darlegt, warum diese im Bereich des § 51 RVG nicht gelten soll. Auch insoweit steht m.E. der Wortlaut des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG entgegen, der gerade eine „verfahrensabschnittsweise“ Beantragung zulässt. Dann kommt es aber auch nur auf die Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren für diesen Verfahrensabschnitt an und kann aus den unter 1. dargelegte Gründen auch nur eine Zuzahlung für den Verfahrensabschnitt von Bedeutung sein. Das Argument „Gesamtbetrachtung“ kann sich zudem dann nur auf diesen Verfahrensabschnitt beziehen.

Kommerzielle Zweitverwertung

Völlig daneben liegen m.E. die Ausführungen zur kommerziellen Zweitverwertung. Abgesehen davon, dass auch diese Ausführungen m.E. dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 RVG widersprechen: Wo will man da die Grenzen ziehen, wenn die Berücksichtigung von kommerzieller Zweitverwertung richtig wäre? Sind durch eine gute Verteidigung gewonnene Folgemandate auch Zweitverwertung? Ist ein Aufsatz in einer Fachzeitschrift, der Verfahrensprobleme zum Inhalt hat und honoriert wird, auch Zweitverwertung (wenn ja, was macht man dann mit den vielen Aufsätzen richterlicher Kollegen, die ja auch honoriert werden?). Und wie will ich die Einnahmen aus der kommerziellen Verwertung ermitteln? Muss der Pflichtverteidiger ggf. seine EST-Erklärung vorlegen?

Im Übrigen gilt auch hier: Der Wortlaut § 51 Abs. 1 S. RVG ist eindeutig: Es ist eine „Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind“. Die gesetzlichen Gebühren müssen nicht zumutbar sein. Weitere Einnahmen spielen keine Rolle, zumal, wie das OLG selbst ausführt, insoweit ja vom Pflichtverteidiger – auch hier – zusätzliche Tätigkeiten erbracht werden und Arbeitszeit aufgewendet wird, die man ihm dann pauschgebührverhindernd bzw. ggf. -mindernd anrechnet. Mich würde schon interessieren, was das BVerfG dazu sagen würde. Nach dem Vorstehenden erschließt sich m.E. auch, warum bislang keine Rechtsprechung zur Anrechnung/Berücksichtigung der Einkünfte aus kommerzieller Zweitverwertung vorliegt. Das hat m.E. nicht, wie das OLG meint, damit zu tun, dass Fälle, in denen Strafverteidiger Erkenntnisse aus Verfahren, an denen sie selbst beteiligt waren, medial zu Unterhaltungszwecken kommerzialisieren, singulär sind, sondern damit, dass die Überlegungen falsch sind und daher von anderen OLG nicht angestellt worden sind.

Fraglich ist für mich an der Stelle im Übrigen auch, warum vom OLG München überhaupt die Ausführungen zur kommerziellen Zweitverwertung gemacht werden? Auf die kam es vom Standpunkt des OLG doch gar nicht an, da, worauf ausdrücklich hingewiesen wird, die Pauschvergütung ja schon aus anderen Gründen abgelehnt worden ist. Will man nur eine Diskussion an einer Stelle beginnen, wo sie zwar überflüssig wie ein Kropf ist, sich damit aber ein Denkmal setzen? Ich habe mal beim OLG Hamm gelernt, dass nichts entschieden wird, was man nicht entscheiden muss. Warum führt man also zu der Frage trotzdem und dann auch noch so umfassend aus? Für mich schimmert da irgendwie eine Neiddiskussion durch. Sind es die vielen Follower des Pflichtverteidigers oder dessen (vermutete) Einnahmen? Es mag jeder (Pflicht-)Verteidiger für sich entscheiden, ob er eine kommerzielle Zweitverwertung in der geschilderten Art und Weise betreibt, betreiben will oder eine solche gutheißt, jedenfalls ist es nicht Aufgabe der Justiz, das ggf. über die Gebühren zu sanktionieren.

Entscheidung des Einzelrichters

Und schließlich (mal wieder): Warum entscheidet nur der Einzelrichter des OLG? Bei weiterer Recherche hätte der m.E. nämlich unschwer feststellen können, dass der von ihm angeführte Beschluss des OLG Hamm im StRR 2013, 119 = RVGreport 2013, 144 jeweils mit ablehnenden Anmerkungen von mir veröffentlicht ist. Und man hätte auch feststellen können, dass es davon abweichende Rechtsprechung anderer OLG gibt (nämlich OLG Hamm JMBl NRW 1959, 44 = Rpfleger 1959, 200; OLG Karlsruhe StraFo 2012, 290 = AGS 2013, 173; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.5.2015 – 1 AR 2/15; OLG Stuttgart Justiz 1983, 421). Da wäre es sicherlich angebracht gewesen, „die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern … zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ zu übertragen, zumal auch das OLG Hamm, worauf schon hingewiesen ist, eine nachvollziehbare Begründung für seine Entscheidungen nicht gegeben hat.

Fazit

Mehr als ärgerlich, das Ganze. Man kann nur hoffen, dass andere OLG dem OLG München auf dem eingeschlagenen falschen Weg nicht folgen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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