Eine Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG kommt – zumindest bei Fortbestand der Beiordnung – auch für abgeschlossene Verfahrensabschnitte nur nach Eintritt der Rechtskraft in Betracht. Dass die Regelung des § 51 Abs. 1 S. 1 und S. 3 RVG auch die Möglichkeit vorsieht, eine Pauschgebühr für einzelne Verfahrensabschnitte zu bewilligen, ändert daran nichts.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Freispruch
Der Angeklagte ist am 8.10.2024 vom Vorwurf der Vergewaltigung, des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Eine Entscheidung des BGH steht noch aus.
Pauschgebührantrag
Der Rechtsanwalt hat als Pflichtverteidiger am 23.10.2024 die Bewilligung einer Pauschgebühr beantragt. Der Bezirksrevisor hält diesen Antrag für verfrüht. Auch die Voraussetzungen zur Bewilligung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr (§ 51 Abs. 1 S. 5 RVG) lägen nicht vor. Der Rechtsanwalt ist dem entgegengetreten. Eine auf die erstinstanzliche Tätigkeit beschränkte Pauschgebühr könne bewilligt werden, sobald diese Instanz abgeschlossen sei. Das OLG hat den Antrag abgelehnt.
II. Entscheidung
Zu frühe Antragstellung
Der Antrag sei abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 51 RVG derzeit nicht vorliegen. Eine Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG komme – zumindest bei Fortbestand der Beiordnung – auch für abgeschlossene Verfahrensabschnitte nur nach Eintritt der Rechtskraft in Betracht. Dass die Regelung des § 51 Abs. 1 S. 1 und S. 3 RVG auch die Möglichkeit vorsehe, eine Pauschgebühr für einzelne Verfahrensabschnitte zu bewilligen, ändere daran nichts (KG, Beschl. v. 15.4.2015 – 1 ARs 22/14, StraFo 2015, 307 = AGS 2015, 386; OLG Bamberg, Beschl. v. 7.6.2017 – 10 AR 30/16, RVGreport 2018, 51 = NStZ-RR 2017, 392 = JurBüro 2017, 631; OLG Celle, Beschl. v. 16.6.2016 – 1 ARs 34/16 P, RVGreport 2016, 416 = StRR 10/2016, 21; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.12.2005 – III-3 (s) RVG 154/05; AGS 2007, 75; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 2.7.2024 – 2 ARs 12/24, JurBüro 2024, 637 ). Diese Rechtsprechung sei verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschl. v. 8.8.2024 – 1 BvR 1680/24, NJW 2024, 3431 = AGS 2024, 551) und folge daraus, dass der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr – insoweit abweichend von § 8 Abs. 1 S. 2 RVG – erst mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens fällig wird (KG a.a.O.; OLG Celle a.a.O. Rn 4; OLG Düsseldorf a.a.O.). Denn zuvor sei die gebotene Gesamtbetrachtung des gesamten Verfahrens nicht möglich (KG a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.). Die Annahme einer Fälligkeit des Anspruchs auf Bewilligung einer Pauschgebühr bereits im Zeitpunkt des § 8 Abs. 1 S. 2 RVG könnte zudem in Konflikt mit potenziellen Anträgen gemäß § 42 Abs. Abs. 1, Abs. 2 S. 2 RVG treten, die erst nach Rechtskraft der Kostenentscheidung zulässig seien (§ 42 Abs. 2 S. 1 RVG). Denn zuvor könne jedenfalls nicht beurteilt werden, ob der Angeklagte gegen die Staatskasse einen Erstattungsanspruch habe (vgl. § 52 Abs. 2 RVG).
Auch kein Vorschuss
Die begehrte Pauschgebühr könne auch nicht als Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr (§ 51 Abs. 1 S. 1 und 5 RVG) bewilligt werden. Unabhängig davon, dass kein „Vorschussantrag“ (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, § 51 Rn 100) gestellt sei, lägen jedenfalls die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Vorschusses nicht vor. Denn ein solcher sei nur zu bewilligen, wenn eine Pauschgebühr nicht nur mit Sicherheit zu erwarten sei und das Verfahren lange gedauert habe/dauern werde, sondern dem Verteidiger zudem nicht zugemutet werden könne, die endgültige Festsetzung abzuwarten (BVerfG, Beschl. v. 1.6.2011 – 1 BvR 3171/10, NJW 2011, 3079 = RVGreport 2011, 378). Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG a.a.O.; Beschl. v. 10.1.2007 – 2 BvR 2592/06, NJW 2007, 1455) sei für das letztgenannte Erfordernis eine detaillierte Einnahmen-Ausgaben-Aufstellung der Kanzlei zu verlangen, weil das Gericht sonst nicht prüfen könne, ob und in welcher Höhe ein Vorschuss notwendig ist, um die Einbußen auszugleichen, die auf der Übernahme der Pflichtverteidigung beruhen. Daran fehle es.
III. Bedeutung für die Praxis
RVG nennt keinen Zeitpunkt
1. M.E. hätte man auch anders entscheiden können. Denn das RVG nennt keinen Zeitpunkt für die Stellung des Pauschgebührantrags. Es ist zwar richtig, dass der Pauschgebührantrag grds. erst gestellt werden kann, wenn die zu vergütende Tätigkeit abgeschlossen ist und die gesetzliche Gebühr gem. § 8 RVG fällig ist. I.d.R. wird das dann sein, wenn zumindest die Instanz abgeschlossen ist (so die allgemeine Meinung in der Literatur, s. u.a. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2021, § 51 Rn 48; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, § 51 Rn 130 ff.; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, § 51 Rn 75, aus der älteren Rechtsprechung OLG Bamberg JurBüro 1990, 1282; OLG Düsseldorf JurBüro 1993, 538). Die h.M. in der OLG-Rechtsprechung (siehe die o.a. Zitate des OLG) sieht das aber leider anders. Also empfiehlt es sich, mit einem Pauschgebührantrag zu warten, bis der BGH entschieden hat. Das erspart doppelte Antragstellung. In der Zwischenzeit sollte der Pflichtverteidiger seine gesetzlichen Gebühren geltend machen und dann ggf. überlegen, Kostenerstattung für den Mandanten zu beantragen.
Vorschuss
2. Zum Vorschuss ist hier nur anzumerken: Ob die Rechtsprechung des BVerfG zu den Anforderungen an den Vorschussantrag nach § 51 Abs. 1 S. 5 RVG zutreffend ist, darf man bezweifeln. Aus dem Gesetz ergeben sich diese hohen Hürden, die letztlich den Vorschuss auf Ausnahmen beschränken, nicht.