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Bemessung der Rahmengebühr im Berufungsverfahren

1. Für die Bemessung der festzusetzenden Gebührenhöhe ist die gegen einen Beschuldigten verhängte bzw. die ihm für die ihm vorgeworfene Tat drohende Strafe nicht der alleinige Anknüpfungspunkt. Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr auch der Umfang der rechtsanwaltlichen Tätigkeit und die Bedeutung der Sache für ihn.

2. Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf das Strafmaß rechtfertigt die Ermäßigung der Mittelgebühr nicht.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Cottbus, Beschl. v. 11.12.202422 Qs 188/24

I. Sachverhalt

Kurzfristige Rücknahme der Strafmaßberufung durch die StA

Der Angeklagte war durch Urteil des AG wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50 EUR verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Nachdem das LG die Berufungshauptverhandlung auf den 20.2.2024 terminiert hatte, bestellte sich der Rechtsanwalt zum Verteidiger und beantragte Einsicht in die Verfahrensakte, die ihm gewährt wurde. Einen Tag vor der terminierten Berufungshauptverhandlung nahm die Staatsanwaltschaft die Berufung zurück, woraufhin das LG den Termin zur Berufungshauptverhandlung noch am selben Tag aufhob und der Staatskasse die Kosten des Berufungsverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegte.

Bezirksrevisor votiert für geringe Gebühren

Der Verteidiger beantragte die Festsetzung der Gebühren und Auslagen des Wahlverteidigers in Höhe von insgesamt 704,48 EUR. Der Bezirksrevisor sah das als unbillig hoch an, da das Berufungsverfahren als unterdurchschnittlich anzusehen sei. Dafür spreche vor allem, dass die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch begrenzt gewesen sei, womit festgestanden habe, dass keine erneute Tatsachenverhandlung durchgeführt werde und die Berufungshauptverhandlung auf die Feststellung der Bemessung des Strafmaßes beschränkt sei. Daher seien sowohl der Umfang der Einarbeitung in das Berufungsverfahren als auch die Vorbereitung auf die Berufungshauptverhandlung ebenfalls auf das Strafmaß begrenzt gewesen. Angesichts der rechtzeitigen Aufhebung des Hauptverhandlungstermins, der unterdurchschnittlichen Schwierigkeit und des geringen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sei die Grundgebühr lediglich in Höhe von 100 EUR und die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV RVG in Höhe von 88 EUR als angemessen anzusehen. Das AG ist dem gefolgt. Dagegen hat der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde eingelegt, die beim LG vollen Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Allgemeine Kriterien des § 14 RVG

Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimme der Rechtsanwalt in Verfahren, für welche das VV RVG eine Rahmengebühr vorsehe, die Höhe der Gebühr innerhalb des vorgegebenen Rahmens unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Dabei seien insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der Sache, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers von Bedeutung. Sei die Gebühr von einem Dritten – hier der Staatskasse – zu ersetzen, sei die Bestimmung jedoch gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei. Dies sei hier weder im Hinblick auf die von dem Angeklagten geltend gemachte Grundgebühr noch die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren, deren Erhöhung der Angeklagte begehrt habe, der Fall. Für die Bemessung der festzusetzenden Gebührenhöhe sei die gegen einen Beschuldigten verhängte bzw. die ihm für die ihm vorgeworfene Tat drohende Strafe nicht der alleinige Anknüpfungspunkt. Von maßgeblicher Bedeutung seien vielmehr auch der Umfang der rechtsanwaltlichen Tätigkeit und die Bedeutung der Sache für ihn.

Konkrete Bemessung

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte für die Bemessung der Gebührenhöhe erachtet das LG die Geltendmachung der Grund- und Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren durch den Angeklagten jeweils in Höhe der Mittelgebühr nicht als unbillig. Denn es seien keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder Ermäßigung der Gebühren rechtfertigen, vielmehr entspreche die Verteidigung des Angeklagten im vorliegenden Verfahren dem Durchschnitt. So sei zwar die gegen ihn im erstinstanzlichen Verfahren wegen der Begehung einer Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verhängte Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50,00 EUR angesichts des Strafrahmens von § 223 StGB, der nicht nur die Verhängung einer Geldstrafe, sondern auch einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren für die Verwirklichung des Tatbestandes der Körperverletzung vorsehe, als niedrig anzusehen. Allerdings sei durch die Staatsanwaltschaft im amtsgerichtlichen Verfahren die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten beantragt worden, was in einer Berufungshauptverhandlung aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft ebenfalls zu erwarten gewesen sei und den Umstand der geringfügigen Strafe der Vorinstanz in gleicher Weise nivelliere wie die Tatsache, dass der Angeklagte bereits in einem anderen Verfahren u.a. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung vorbestraft sei.

Nicht unterdurchschnittlich

Im Gegensatz zur Auffassung des Bezirksrevisors sei die durch die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des AG eingelegte Berufung auch zu keinem Zeitpunkt auf das Strafmaß der amtsgerichtlichen Entscheidung beschränkt worden, wobei die Beschränkung eines Rechtsmittels auf das Strafmaß die Ermäßigung der Mittelgebühr ohnehin nicht rechtfertigen würde (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 26. Aufl. 2023, § 14 RVG Rn 41 m.w.N.). Zudem seien auch weder der Umfang der Sache selbst noch der Umfang ihrer Bearbeitung unterdurchschnittlich. Denn der Verteidiger des Angeklagten ist erstmals im Rahmen des Berufungsverfahrens nach Eingang der Berufungsbegründung bei der Berufungskammer des LG mit dessen Verteidigung beauftragt worden, sodass er sich erst nach der Anfang Februar 2024 gewährten Akteneinsicht in die zu diesem Zeitpunkt bereits 83 Blatt umfassende Verfahrensakte in die Sache einarbeiten konnte. Da die Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft am 19.2.2024 und damit erst nach der Berufungsbegründung und einen Tag vor dem Termin zur Berufungshauptverhandlung erfolgt sei, sei die umfassende Einarbeitung in die Sache durch den Verteidiger des Angeklagten zur Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung auch erforderlich gewesen. Dass diese letztlich aufgrund der kurzfristigen Berufungsrücknahme und der Aufhebung des Berufungsverhandlungstermins einen Tag vor dem anberaumten Termin nicht durchgeführt worden sei, führe nicht (mehr) zu einer Ermäßigung der Verfahrensgebühr, sondern lasse allein die Terminsgebühr für die Hauptverhandlung in Berufungssachen nach Nr. 4126 VV RVG entfallen.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend – Bemessung des Bezirksrevisors war unverschämt

Die Entscheidung ist – auf der Grundlage der im Beschluss mitgeteilten Verfahrensumstände – zutreffend. Denn der Verteidiger hat sich in die Akte einarbeiten müssen, da Berufungshauptverhandlungstermin anstand. Darauf hat eine etwaige Rechtsmittelbeschränkung keinen Einfluss. Zwar kann eine Beschränkung Einfluss haben (vgl. dazu LG Hannover JurBüro 2011, 304; LG Neuruppin, Beschl. v. 22.12.2011 – 11 Qs 72/11), aber sicherlich nicht in dem Maße, dass als Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG nur eine Gebühr in Höhe von 88 EUR festzusetzen wäre. Das wäre nur ein Viertel der Mittelgebühr. Dieser vom Bezirksrevisor ins Spiel gebrachte Ansatz ist schlicht eine Unverschämtheit (zur Gebührenbemessung bei allein von der Staatsanwaltschaft geführter und begründeter Strafmaßberufung, die kurz vor der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen wird, auch LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.1.2024 – 12 Qs 80/23, StraFo 2024, 119 = AGS 2024, 156 = JurBüro 2024, 79). Falsch ist auch der Hinweis des Bezirksrevisors auf die „rechtzeitige Aufhebung des Berufungshauptverhandlungstermins“, denn die Aufhebung lässt ja nicht nachträglich die Berücksichtigungsfähigkeit von vom Verteidiger im Rahmen der Vorbereitung des Termins erbrachten Tätigkeiten bei der Bemessung der Rahmengebühren entfallen. Die Staatsanwaltschaft mag sich ggf. rechtzeitig(er) überlegen, ob man (überhaupt) Berufung einlegt und ob man sie dann auch durchführt. Wenn man das nicht tut, kann das nicht zu Lasten des Verteidigers insofern gehen, dass er ggf. Einkommenseinbußen hinnehmen muss.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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