Einleitung
Bei der Strafzumessung müssen die Tatgerichte einen Eingriff des Revisionsgerichts nur fürchten, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wurde oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist dagegen ausgeschlossen. Stattdessen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (ständige Rechtsprechung, s. nur BGH, Urt. v. 6.11.2024 – 5 StR 276/24). Dennoch kommt es in der Praxis immer wieder zu Fehlern bei der Strafzumessung und in der Folge dann zu Urteilsaufhebungen.
Die nachfolgenden Ausführungen, die sich insbesondere mit der aktuellen Rechtsprechung des BGH befassen, geben einen Überblick über einige der häufigsten Fehlerquellen.
Begründungsmängel/unberücksichtigte Milderungsgründe
Ein häufiger Fehler bei der Strafzumessung sind Begründungsmängel: Viele Urteile leiden daran, dass bei der Strafzumessung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt werden.
1. Vorstrafenfreiheit
Dies gilt insbesondere für die Unbestraftheit eines Angeklagten, die einen gewichtigen Strafzumessungsgrund darstellt und folglich regelmäßig zu berücksichtigen ist (BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StRR 119/22), und zwar sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung (BGH, Beschl. v. 6.6.2023 – 4 StR 133/23, NStZ-RR 2023, 305).
Hier ist der BGH mitunter recht streng. So lässt er es nicht genügen, wenn lediglich erwähnt wird, dass der Angeklagte als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist, denn diese Erwägung bleibe hinter der gebotenen Berücksichtigung der Vorstrafenfreiheit zurück (BGH, Beschl. v. 27.9.2023 – 4 StR 211/23, StV 2024, 311). Das Urteil muss sich deshalb ausdrücklich dazu verhalten, dass die Vorstrafenfreiheit zugunsten des Angeklagten berücksichtigt wurde.
Aber auch im umgekehrten Fall, bei der strafschärfenden Berücksichtigung vorhandener Vorstrafen, können gewisse Darlegungsanforderungen zu beachten sein. Die bei der Strafzumessung zu berücksichtigenden Vorstrafen sind nämlich im Urteil in dem Umfang und in der Detailliertheit mitzuteilen, in denen sie für die getroffene Entscheidung von Bedeutung sind. In der Regel erforderlich sind Ausführungen zum Zeitpunkt der Vorverurteilungen, zum Schuldspruch, zu den erkannten Rechtsfolgen und zu einer etwaigen Verbüßung (BayObLG, Beschl. v. 20.9.2024 – 203 StRR 409/24).
Dies reicht allerdings häufig aus, weshalb die bei den Gerichten noch immer weitverbreitete Praxis, in den schriftlichen Urteilsgründen selbst nicht einschlägige, viele Jahre zurückliegende Vorverurteilungen mit geringem Unrechtsgehalt in allen Einzelheiten darzustellen, oft nicht sachgerecht ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.11.2021 – 4 StR 255/21, NStZ-RR 2022, 88). Erst wenn im Einzelfall aus den Vortaten und Vorstrafen gewichtigere Konsequenzen gezogen werden sollen, wie etwa die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB, ist es in der Regel sachlich-rechtlich geboten, ergänzend die früheren Taten mit einer zusammengefassten Sachverhaltsschilderung und gegebenenfalls auch mit relevanten früheren Strafzumessungserwägungen festzustellen und mitzuteilen (BayObLG a.a.O.).
2. Wirkstoffgehalt/Sicherstellung von Betäubungsmitteln
a) Wirkstoffgehalt
Werden dem Angeklagten Straftaten nach dem BtMG oder nach dem KCanG vorgeworfen, bedarf es regelmäßig genauer Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der tatgegenständlichen Betäubungsmittel, denn dieser ist grundsätzlich für die Bestimmung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat von Belang. Stehen die Drogen für eine Untersuchung nicht zur Verfügung, ist der Wirkstoffgehalt gegebenenfalls durch eine zahlenmäßige Schätzung unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes festzustellen (BGH, Beschl. v. 23.3.2021 – 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46 m.w.N.), es sei denn, es ist aufgrund der Einzelfallumstände ausnahmsweise ausgeschlossen, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß zugunsten des Angeklagten beeinflussen kann. Dies gilt insbesondere bei Kleinstmengen, da dann der Schuldgehalt der Tat durch die Qualität des Rauschgifts nicht wesentlich geprägt wird (KG, Beschl. v. 3.3.2023 – 161 Ss 212/22, StV 2023, 479).
b) Sicherstellung
Werden Drogen sichergestellt, ist das zwar nicht das Verdienst des Angeklagten, aber gleichwohl ein bestimmender Strafzumessungsgrund, der sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu beachten ist und demzufolge in den Urteilsgründen angeführt werden muss (BGH, Beschl. v. 7.1.2025 – 3 StR 305/24 und Beschl. v. 24.8.2023 – 2 StR 252/23). Dies gilt nicht nur beim Tatvorwurf des Handeltreibens, sondern auch beim Besitz von zum Eigenkonsum bestimmten Betäubungsmitteln, denn auch hier entfällt durch die Sicherstellung die stets bestehende abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit durch eine mögliche Weitergabe (BGH, Beschl. v. 24.10.2023 – 4 StR 62/23).
3. Drohender Bewährungswiderruf
Stand der Angeklagte zur Tatzeit unter laufender Bewährung und droht ihm deshalb der Widerruf der einst bewilligten Strafaussetzung, ist dies im Rahmen der Strafzumessung zu erörtern, wenn aufgrund des möglichen Widerrufs die gesamte Länge der zu verbüßenden Haft diejenige der neu verhängten Strafe beträchtlich übersteigt (BGH, Urt. v. 17.2.2021 – 2 StR 294/20).
Hieraus folgt indes nicht, dass der drohende Bewährungswiderruf im Urteil stets ausführlich erörtert werden muss oder gar immer zu einer Strafmilderung führt. Vielmehr kommt eine Milderung nach der Rechtsprechung des BGH im Gegenteil grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der mögliche Widerruf sich als Folge eines bewussten Bewährungsbruchs durch den Täter darstellen würde, was vor allem bei sorgfältig geplanten Vorsatztaten in Betracht kommt. In einem solchen Fall schadet es dem Bestand des Urteils nicht, wenn sich das Tatgericht nicht zu einem möglichen Widerruf verhält (BGH a.a.O., KG, Beschl. v. 3.3.2023 – 161 Ss 212/22, StV 2023, 479).
Anders kann nur beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen entschieden werden, etwa wenn sich der unter Bewährung stehende Täter alkoholbedingt oder aufgrund unmittelbar vorangegangener Provokation spontan zur Tat entschlossen hatte und somit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sich der über die Bestrafung hinausgehenden weiteren Nachteile zum Tatzeitpunkt nicht bewusst gewesen ist (BGH a.a.O.). Liegen derartige Umstände nicht vor, wird sich der Bewährungsbruch regelmäßig straferschwerend auswirken, insbesondere bei Intensiv- oder Serientätern, hoher Rückfallgeschwindigkeit oder einer Tat kurz nach einer Reststrafenaussetzung gem. § 57 StGB (KG a.a.O.).
4. Aufklärungshilfe
Insbesondere bei Rauschgiftdelikten kann, wenn die Voraussetzungen einer Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG oder § 35 KCanG erfüllt sind, eine Strafmilderung nach § 49 StGB oder gar ein Absehen von Strafe in Betracht kommen. Beides darf jedoch nicht vorschnell bejaht werden und vor der Abgabe einer Einlassung hat die Verteidigung sorgfältig zu prüfen, ob die Angaben des Angeklagten tatsächlich ausreichend sind. Denn für eine erfolgreiche Aufklärungshilfe genügt es nicht, wenn der Angeklagte lediglich seinen eigenen Tatbeitrag einräumt und womöglich noch ergänzende Angaben zu weiteren Beteiligten macht, sondern § 31 BtMG, § 35 KCanG setzen jeweils voraus, dass der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat nach den §§ 29 ff. BtMG, § 34 KCanG, die mit seiner eigenen Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte. Die Bestätigung bereits bekannter Erkenntnisse ist dagegen regelmäßig nicht ausreichend. Die Aufklärungshilfe muss zudem vor Eröffnung des Hauptverfahrens geleistet werden (§ 31 S. 3 BtMG i.V.m. § 46b Abs. 3 StGB).
Zudem müssen der Aufklärungserfolg und die ihm zugrunde liegende richterliche Überzeugung im Urteil konkret und nachprüfbar dargestellt werden. Dazu gehört es, dass die Angaben des Angeklagten jedenfalls in ihrem tatsächlichen Kern, der Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden und etwaige durch die Angaben veranlasste Strafverfolgungsmaßnahmen dargelegt werden (BGH, Urt. v. 14.8.2024 – 5 StR 424/23).
Äußern sich mehrere Tatbeteiligte zu ihrem Wissen über gemeinsame Taten, kommt eine Vergünstigung in der Regel nur demjenigen Mittäter zugute, der als erster einen über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehenden Aufklärungsbeitrag leistet und damit die Möglichkeit der Strafverfolgung im Hinblick auf bereits begangene Taten nachhaltig verbessert. Eine zeitlich nachfolgende Aussage, die die bereits bekannten Erkenntnisse wiederholt und darüber hinaus lediglich unwesentliche Randdetails des Tatgeschehens schildert, kann nur dann noch einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag darstellen, wenn erst durch diese Aussage den Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt wird, dass die bisherigen Erkenntnisse zutreffen (BGH a.a.O.).
5. Höchst- und Mindeststrafe
Trotz des dem Tatgericht zustehenden Spielraums bei der Festsetzung der konkreten Strafe können sich im Einzelfall besondere Begründungspflichten ergeben, etwa wenn der Strafrahmen trotz vorhandener Milderungsgründe weitgehend oder gar vollständig ausgeschöpft wird oder wenn umgekehrt die Strafe trotz gegebener Straferschwerungsgründe im untersten Bereich liegt oder sich gar der Mindeststrafe nähert.
Nach dem BGH bedürfen Strafen, die sich der oberen Strafrahmengrenze nähern oder sie sogar erreichen, einer Rechtfertigung in den Urteilsgründen, die das Abweichen vom Üblichen vor dem Hintergrund der Besonderheiten des jeweiligen Falles verständlich macht (BGH, Beschl. v. 20.2.2024 – 3 StR 466/23, NStZ-RR 2024, 137). Maßstab sind das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut und der Grad seiner schuldhaften Beeinträchtigung (BGH, Urt. v. 20.10.2021 – 1 StR 136/21, NStZ-RR 2022, 75). Zu beachten ist aber, dass das Vorliegen von Milderungsgründen der Verhängung der Höchststrafe keineswegs zwingend entgegensteht, sofern den vorgenannten Begründungserfordernissen genüge getan ist (BGH, Beschl. v. 5.9.2023 – 3 StR 217/23, StV 2024, 427).
Dies gilt entsprechend auch für die Mindeststrafe, auch deren Verhängung bedarf einer tragfähigen Begründung. Die Mindeststrafe ist zwar nicht nur denkbar leichtesten Fällen vorbehalten, sondern auf sie darf auch erkannt werden, wenn Strafzumessungsgesichtspunkte vorliegen, die den Angeklagten belasten. Dies setzt aber eine eingehende Begründung und Abwägung der wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände voraus (BGH, Urt. v. 21.2.2024 – 6 StR 541/23).
6. Gesamtstrafenbildung
Ist eine Gesamtstrafe zu bilden, wird in der tatgerichtlichen Praxis häufig auf die bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen genannten Strafzumessungsgesichtspunkte Bezug genommen oder auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Taten verwiesen.
Solche Formulierungen lösen bei dem einen oder anderen Revisionssenat zwar gelegentlich ein gewisses Grummeln aus und werden dann als floskelhaft (BGH a.a.O.) oder formelhaft (BGH, Beschl. v. 28.4.2022 – 2 StR 77/20, NStZ-RR 2023, 155; OLG Dresden, Beschl. v. 12.8.2014 – 1 OLG 13 Ss 191/14) gerügt, sind aber in einfach gelagerten Fällen unbedenklich (BGH, Urt. v. 4.5.2022 – 6 StR 542/21, NStZ-RR 2022, 204). Es verspricht deshalb häufig keinen Erfolg, wenn der Revisionsführer lediglich die Bezugnahme auf die der Einzelstrafenfestsetzung zugrunde liegenden Erwägungen beanstandet.
Anders verhält es sich aber, wenn das Tatgericht die Einsatzstrafe deutlich erhöht (s. z.B. BGH, Beschl. v. 1.8.2023 – 2 StR 217/23, NStZ-RR 2023, 366: Einsatzstrafe ein Jahr neun Monate, Gesamtstrafe sechs Jahre). Eine solche Erhöhung bedarf besonderer Begründung, sofern sich diese nicht aus den getroffenen Feststellungen von selbst ergibt (BGH a.a.O.; Beschl. v. 13.2.2018 – 4 StR 585/17, NStZ-RR 2018, 171). Gerade bei Taten, zwischen denen ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht, hat die Erhöhung der Einsatzstrafe in der Regel niedriger auszufallen, um dem für die Bemessung der Gesamtstrafe in erster Linie maßgeblichen Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts gerecht zu werden (BGH, Beschl. v. 1.8.2023 – 2 StR 217/23). Wird in einer solchen Konstellation dennoch die Einsatzstrafe deutlich erhöht, müssen die hierfür maßgeblichen Gründe im Urteil umfassend dargelegt werden.
7. § 47 StGB
Eine insbesondere in der Rechtsprechung der AG und der Kleinen Strafkammern verbreitete, geradezu klassische Fehlerquelle ist die unzureichende Begründung einer kurzen Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten.
Insbesondere wird häufig verkannt, dass die Verhängung einer solchen Strafe nach § 47 Abs. 1 StGB nur ausnahmsweise in Betracht kommt, die kurze Freiheitsstrafe ist Ultima Ratio (KG, Beschl. v. 17.4.2020 – 161 Ss 34/20). Sie darf nur verhängt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters vorliegen, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. „Unerlässlich“ bedeutet dabei mehr als geboten, sinnvoll, angebracht usw. (Fischer, StGB, 72. Aufl., § 47 Rn 7). Derartige Formulierungen können bereits den Bestand des Urteils gefährden, denn sie lassen besorgen, dass die vorgenannten Maßstäbe verkannt wurden. Dies gilt natürlich erst recht, wenn kurze Freiheitsstrafen verhängt werden, ohne § 47 StGB auch nur zu erwähnen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.4.2024 – 5 StR 40/24, NStZ-RR 2024, 225).
Denn es muss aus den Urteilsgründen hervorgehen, dass sich das Gericht des Ausnahmecharakters der kurzen Freiheitsstrafe bewusst war. Auch muss dargestellt werden, aufgrund welcher konkreten, die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände sich ihre Verhängung als unerlässlich erweist (BGH, Beschl. v. 19.9.2023 – 6 StR 398/23, NStZ-RR 2023, 172). Fehlt es an einer solchen Gesamtwürdigung, unterliegt das Urteil der Aufhebung (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2023 – 1 StR 16/23, NStZ 2024, 476).
Der häufig anzutreffende pauschale Verweis auf die strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten vermag die erforderliche Gesamtabwägung nicht zu ersetzen (KG, Beschl. v. 22.5.2017 – 161 Ss 44/17; OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.11.2019 – 53 Ss 133/19). Gleichwohl sind Vorstrafen, insbesondere wenn sie einschlägiger Natur sind und noch nicht lange zurückliegen, grundsätzlich durchaus geeignet, die Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe zu begründen, erst recht, wenn der Angeklagte zur Tatzeit auch noch unter Bewährung stand (vgl. KG a.a.O.; OLG Koblenz, Beschl. v. 22.1.2024 – 2 ORs 4 Ss 120/23). Voraussetzung ist dann aber, dass die Vorstrafen im Urteil in ausreichendem Umfang dargestellt werden, denn der bloßen Tatbezeichnung lässt sich nicht entnehmen, ob dem Angeklagten dort von den Umständen und der Gewichtigkeit vergleichbare Sachverhalte zur Last lagen (BayObLG, Beschl. v. 30.10.2024 – 206 StRR 373/24). Darüber hinaus kann die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten sein, etwa bei der Begehung von mehreren gleichgelagerten Straftaten in zeitlich rascher Abfolge (BayObLG, Urt. v. 20.9.2023 – 207 StRR 208/23, NStZ-RR 2023, 366).
Ausnahmsweise können nähere Ausführungen zu § 47 StGB aber dann entbehrlich sein, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass dessen Voraussetzungen auf der Hand liegen (KG, Beschl. v. 17.4.2020 – 161 Ss 34/20). Dies kann etwa der Fall sein bei einer eng zusammenhängenden umfangreichen Serie von Vermögensdelikten (BGH, Urt. v. 8.4.2004 – 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554) oder wenn der Angeklagte zur Tatzeit (ggf. sogar mehrfach) unter Bewährung stand und bereits in den Jahren oder gar Jahrzehnten zuvor immer wieder durch einschlägige Straftaten aufgefallen ist und bereits mehrfach Haft verbüßt hat. Allerdings kann dem Angeklagten auch bei wiederholter Tatbegehung nicht ohne Weiteres eine „rechtsfeindliche Gesinnung“ angelastet werden, wenn seine Schuldfähigkeit erheblich vermindert war (BGH, Beschl. v. 20.2.2024 – 2 StR 409/23, NStZ-RR 2024, 175).
Fehlerhafte Strafschärfungserwägungen
Eine weitere häufige Fehlerquelle ist die straferschwerende Heranziehung von Umständen, die hierfür nicht herangezogen werden dürfen.
1. Doppelverwertungsverbot
Besonders häufig sind Verstöße gegen das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot, wonach Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden dürfen.
a) Sexualstraftaten
Auffällig oft unterlaufen den Tatgerichten im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot Fehler, wenn dem Angeklagten Delikte vorgeworfen werden, die als besonders verwerflich erscheinen, wie etwa Sexualstraftaten insbesondere zum Nachteil von Kindern. Es ist jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten, die besondere Verwerflichkeit bestimmter Verhaltensweisen bei der Festsetzung des jeweiligen Strafrahmens zu berücksichtigen, während es den Gerichten verwehrt ist, zu Ungunsten des des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldigen Angeklagten zu werten, dass er durch sein Verhalten „die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes“ gefährdet habe. Denn deren Schutz ist gerade der Grund dafür, dass die entsprechenden Strafvorschriften geschaffen wurden (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2018 – 4 StR 320/18). Gleichfalls unzulässig ist es deshalb, dem Angeklagten anzulasten, er habe mit der Geschädigten als „völlig unbedarftem Kind als erste Missbrauchshandlung den Oralverkehr vorgenommen“ (BGH, Beschl. v. 26.9.2023 – 2 StR 336/23).
Auch darf nicht zur Begründung einer Strafschärfung herangezogen werden, dass die Geschädigten für den Angeklagten „nur Sexualobjekte“ seien, „deren von ihm erkannten entgegenstehenden Willen er rücksichtslos beiseiteschiebt“. Denn derartige Erwägungen beziehen sich auf Tatumstände, die zum Tatbild einer Sexualstraftat gehören, und können daher den Unrechtsgehalt einer Tat nicht erhöhen (BGH, Beschl. v. 21.6.2022 – 5 StR 110/22).
Beanstandet hat der BGH auch die strafschärfende Heranziehung des Umstands, dass der Täter einer Vergewaltigung ein von ihm mitgeführtes Messer „in unmittelbarer Zugriffsnähe“ getragen habe, obwohl dieser Umstand die Qualifikation des § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB erst begründet hat (BGH, Beschl. v. 31.1.2024 – 5 StR 2/24, NStZ-RR 2/24).
Zulässig ist es aber, tatsächlich eingetretene Schäden wie etwa erhebliche psychische Beeinträchtigungen beim Tatopfer strafschärfend zu würdigen. In diesem Fall verstößt die Strafzumessungserwägung, der Angeklagte habe „durch seine Taten eine unbefangene sexuelle Entwicklung der Geschädigten verhindert“, nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (BGH, Beschl. v. 6.9.2022 – 6 StR 274/22).
b) Rauschgiftdelikte
Ein weiterer Bereich, in dem ein fehlerhafter Umgang mit dem Doppelverwertungsverbot immer wieder für Urteilsaufhebungen sorgt, ist das Betäubungsmittel- bzw. Cannabisstrafrecht. Hier darf im Falle des Handeltreibens nicht straferschwerend herangezogen werden, dass die Drogen auch tatsächlich in Umlauf gelangt seien. Denn der Handel erfasst typischerweise den Verkauf an andere Personen und damit auch, dass die Drogen in den Verkehr geraten (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22). Auch die straferhöhende Berücksichtigung des Umstands, dass der Angeklagte selbst an Drogengeschäften partizipiert hat, stellt sich als rechtsfehlerhaft dar, da schon der Tatbestand des Handeltreibens voraussetzt, dass der Täter im Sinne eigennützigen Handelns von einem Streben nach Gewinn geleitet wird (BGH, Beschl. v. 14.3.2024 – 2 StR 49/24).
c) Sonstige Delikte
Darüber hinaus kommt es auch bei anderen Straftaten immer wieder zu Verstößen gegen das Doppelverwertungsverbot. So ist es etwa rechtsfehlerhaft, wenn bei einer Verurteilung wegen Totschlags zum Nachteil der Lebensgefährtin strafschärfend herangezogen wird, dass der Angeklagte durch seine Tat der gemeinsamen Tochter die Mutter genommen habe, denn hierdurch wird das mit nahezu jeder Tötung einhergehende Leid der Angehörigen berücksichtigt, was, sofern es sich nicht um besondere Auswirkungen der Tat handelt, keinen Strafschärfungsgrund darstellt (BGH, Beschl. v. 23.5.2023 – 2 StR 428/22, NStZ-RR 2024, 125).
Ebenso fehlerhaft ist es, wenn der Angeklagte des verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gesprochen und ihm straferschwerend angelastet wird, dass er „die von der Polizei verfolgte Fahrt über eine erhebliche Fahrstrecke innerorts mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit führte“, denn der Tatbestand setzt gerade voraus, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt hat, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StRR 119/22).
Auch ist es mit § 46 Abs. 3 StGB unvereinbar, wenn der wegen Bandendiebstahls verurteilten Angeklagten angelastet wird, sie habe sich „an organisierter Kriminalität beteiligt“. Denn hierdurch wird der bereits für die Verurteilung wegen einer Bandentat ausschlaggebende Grund nochmals verwertet (BGH, Beschl. v. 25.8.2021 – 6 StR 329/21).
d) Tatbegehung an sich
Darüber hinaus darf es dem Angeklagten auch nicht strafschärfend angelastet werden, dass er die Tat überhaupt begangen hat, ohne dass Besonderheiten vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das Unrecht der Tat straferhöhend zu werten (BGH, Beschl. v. 3.8.2021 – 2 StR 217/21, StV 2022, 224). Es ist deshalb unzulässig, dem des versuchten Totschlags schuldigen Täter anzulasten, er habe die Tat „ohne erkennbaren Anlass für den Geschädigten“ begangen bzw. „ohne erkennbares Motiv zugestochen“ (BGH, Beschl. v. 4.10.2023 – 6 StR 387/23). Ebenso wenig darf es dem Angeklagten zum Nachteil gereichen, dass er „an einer schwerwiegenden körperlichen Erkrankung leidet, die ihn aber nicht davon abgehalten hat, die vorliegende Tat zu planen und auszuführen“ (BGH, Beschl. v. 5.11.2024 – 5 StR 483/24).
e) Allgemeiner Teil
Schließlich ist das Doppelverwertungsverbot auch bei deliktsübergreifenden strafbarkeitsbegründenden Umständen aus dem Allgemeinen Teil des StGB zu beachten (BGH, Beschl. v. 26.4.2022 – 4 StR 34/22, NStZ 2022, 736). Deshalb dürfen Umstände, die eine Garantenstellung i.S.d. § 13 Abs. 1 StGB erst begründen, nicht straferschwerend gewürdigt werden (BGH a.a.O.) und es verbietet sich auch, Tatbeiträge des Angeklagten, auf die das Tatgericht bereits die täterschaftliche Tatbegehung gestützt hat, zur Erhöhung der Strafe heranzuziehen (BGH, Beschl. v. 14.3.2023 – 2 StR 49/24).
2. Fehlende Milderungsgründe
Ein weiterer und, wie die zahlreichen Beanstandungen zeigen, auch recht häufiger Strafzumessungsfehler ist die strafschärfende Berücksichtigung fehlender Strafmilderungsgründe.
Zwar ist dem Angeklagten eine Strafmilderung zu versagen, wenn ein Milderungsgrund wie z.B. ein Geständnis nicht gegeben ist; wenn er Unrechtseinsicht und Reue vermissen lässt, kann sich dies für ihn zwar negativ auswirken, jedoch nur dahingehend, dass er sich einen Strafmilderungsgrund verbaut. Zu einer Strafschärfung darf fehlendes Bedauern dagegen nicht führen (OLG Hamm, Beschl. v. 27.4.2023 – 3 RVs 16/23). Denn es ist rechtsfehlerhaft, wenn es als straferschwerend gewertet wird, dass ein Grund zur Milderung nicht besteht.
Es ist deshalb unzulässig, es einem Betäubungsmittelhändler straferschwerend anzulasten, dass er selbst kein BtM-Konsument ist und er dementsprechend nicht durch eine Abhängigkeitsproblematik zur Finanzierung des eigenen Konsums zur Tatbegehung bewegt wurde. Das Motiv, Drogen erworben zu haben, um eigenen Konsum zu finanzieren, kann zwar Grund für eine Strafmilderung sein, weil Suchtdruck oder Angst vor Entzugsfolgen das Handeln des Täters beeinflussen können. Eine fehlende Abhängigkeit bzw. ein nicht gegebener akuter Suchtdruck dürfen aber nicht strafschärfend gewertet werden (BGH, Beschl. v. 7.7.2022 – 4 StR 50/22, NStZ-RR 2022, 343; Beschl. v. 14.3.2023 – 4 StR 475/22).
Ähnlich verhält es sich, wenn der Angeklagte die Tat (Handeltreiben mit BtM) „keineswegs aus einer Augenblickssituation heraus, sondern mit einem erkennbaren zeitlichen Vorlauf und nach sorgfältiger Überlegung“ begangen hat (BGH, Beschl. v. 21.7.2022 – 4 StR 213/22). Zwar darf es zugunsten des Angeklagten gewürdigt werden, wenn es sich um eine Spontantat handelt; ist dies nicht der Fall, darf hierauf aber keine Strafschärfung gestützt werden. Schließlich darf auch nicht strafschärfend gewertet werden, dass es sich bei dem gehandelten Betäubungsmittel nicht um eine sog. weiche Droge gehandelt hat (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22; Beschl. v. 14.2.2024 – 2 StR 493/23).
Rechtlich bedenklich ist es auch, wenn dem Täter einer gefährlichen Körperverletzung strafschärfend angelastet wird, er habe dem Geschädigten nach der Tat „keine wirksame Hilfe“ zukommen lassen (BGH, Beschl. v. 21.5.2024 – 4 StR 121/24) bzw. keine Hilfe gerufen, sondern den Tatort verlassen (BGH, Beschl. v. 1.8.2024 – 4 StR 2/24, NStZ-RR 2024, 344). Gleiches gilt, wenn die Tat aus „absolut nichtigem Anlass“ begangen wurde und ihr auch keine Provokation vorausgegangen war (BayObLG, Beschl. v. 22.11.2023 – 202 StRR 86/23) oder wenn der Täter Möglichkeiten zu einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch ungenutzt lässt (BGH, Beschl. v. 23.5.2023 – 2 StR 428/22, StV 2024 [Ls.]). Schließlich darf bei einem Vermögensdelikt nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden, dass er nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt (BGH, Beschl. v. 14.9.2022 – 5 StR 194/22, NStZ 2023, 103) oder den Schaden nicht wiedergutgemacht hat (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.2.2024 – 1 ORs 340 SRs 86/24).
3. Gesinnung
§ 46 Abs. 2 StGB erlaubt es, bei der Strafzumessung auch die Gesinnung des Täters zu berücksichtigen. Jedoch darf dem Angeklagten keine allgemeine „Lebensführungsschuld“ angelastet werden und es darf auch keine generelle Strafschärfung gegenüber Angeklagten geben, die einer bestimmten politischen oder religiösen Einstellung anhängen oder die bestimmten Szenen (Extremisten, Rocker, Hooligans usw.) angehören. Die strafschärfende Berücksichtigung der Gesinnung des Angeklagten ist deshalb nur dann rechtsfehlerfrei, wenn seine Tat hierzu in einem inneren Zusammenhang steht und Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulässt oder Einblick in seine innere Einstellung zu seiner Tat gewährt. Dieser Zusammenhang ist in den Urteilsgründen darzulegen und beweiswürdigend zu belegen.
Hiervon ausgehend hat es der BGH beanstandet, wenn einem bislang nicht vorbestraften und nunmehr wegen Betäubungsmittelikten sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilten Angeklagten ohne hinreichende Darlegungen zu dem erforderlichen Tatzusammenhang strafschärfend angelastet wird, es handele sich bei ihm um einen „Nazi-Verblendeten“ (BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 6 StR 9/23, NStZ 2023, 409).
Bei anderen Straftaten wie etwa Aggressions- und Gewaltdelikten wird sich der Zusammenhang allerdings möglicherweise aus dem Tatbild ergeben können (vgl. BGH a.a.O.). Dies wird insbesondere bei Taten, deren rechtsextremistische oder antisemitische Motivation auf der Hand liegt (etwa bei Übergriffen auf jüdische Einrichtungen) in Betracht kommen, wobei auch bei einer menschenverachtenden Gesinnung nicht auf die Feststellung eines inneren Zusammenhangs zur Tat verzichtet werden darf (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn 15c).
4. Generalprävention
Gerade bei Taten, die im öffentlichen Raum begangen werden oder jedenfalls auf großes öffentliches Interesse stoßen, ist in Strafurteilen immer wieder die strafschärfende Wertung zu lesen, dass die Tat das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit gefährdet habe.
Solche Formulierungen sind zwar nicht generell unzulässig, aber regelmäßig bedenklich, denn sie können im Einzelfall besorgen lassen, dass sich das Tatgericht rechtsfehlerhaft von generalpräventiven Erwägungen zur Verteidigung der Rechtsordnung leiten ließ und ihm damit der erforderliche Bezug zur konkreten Tat aus dem Blick geraten ist (BGH, Beschl. v. 13.10.2022 – 4 StR 174/22, NStZ-RR 2022, 368). Die von einem Strafgesetz bezweckte generalpräventive Wirkung kommt aber in erster Linie der Strafdrohung des Gesetzes zu (BayObLG, Beschl. v. 22.11.2023 – 202 StRR 86/23).
Allerdings kann eine Straferhöhung gerechtfertigt sein, wenn eine gemeinschaftsgefährliche, außergewöhnliche Zunahme von Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt werden kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine derartige Zunahme in den Urteilsgründen durch Tatsachen belegt wird, etwa unter Darstellung statistischen Materials (BGH u. BayObLG jew. a.a.O.).
5. Sachfremde Erwägungen
a) Strafe
Das Tatgericht hat sich bei der Bemessung der Strafe an den in § 46 StGB aufgeführten anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zu orientieren. Moralisierende Erwägungen sind dagegen nichtssagend und überflüssig und haben deshalb zu unterbleiben, da andernfalls die Annahme naheliegt, das Gericht habe sich von unklaren, weil gefühlmäßig bestimmten oder von sachfremden Gründen leiten lassen (BGH, Beschl. v. 22.10.2020 – 2 StR 232/20, NStZ-RR 2021, 103; Beschl. v. 3.8.2021 – 2 StR 217/21, StV 2022, 224). Verfehlt ist es daher, wenn dem Angeklagten nach einem Gewaltdelikt vorgeworfen wird, er sei in Kenntnis der Eskalation in den Konflikt gezogen und die Beteiligten seien nicht nur tatsächlich, sondern „auch im metaphorischen Sinn“ immer weiter in eine Sackgasse geraten, an deren Ende „nur eine Schlacht“ habe stehen können (BGH, Beschl. v. 13.10.2022 – 4 StR 174/22, NStZ-RR 2022, 368). Ebenso gefährdet es den Bestand des Strafausspruchs, wenn ein stark drogenabhängiger Angeklagter nach einer Beschaffungstat als „hartnäckiger Rechtsbrecher, der sich nur schwer beeindrucken lässt“, bezeichnet wird (BGH, Beschl. v. 23.11.2023 – 2 StR 403/23, StV 2024, 561).
b) Maßregeln der Besserung und Sicherung
Die vorgenannten Grundsätze gelten auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 69, 69a StGB kann daher nicht auf moralisierende Erwägungen, die keinen konkreten Bezug zur Frage der Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen erkennen lassen, gestützt werden (BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StRR 119/22).
„Falsche“ Milderungsgründe
Die Strafzumessung kann jedoch nicht nur zu Ungunsten des Angeklagten fehlerhaft sein, sondern auch zu seinen Gunsten. Hier gerät mitunter aus dem Blick, dass nicht nur zulasten des Angeklagten, sondern auch zur Begründung von Strafmilderungen nur anerkannte Strafzumessungsgesichtspunkte herangezogen werden dürfen. Dies gilt auch bei der Frage, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder nicht. Eine günstige Legalprognose kann daher nicht auf die Erwägung gestützt werden, dass die Strafvollstreckung für die Familie des Angeklagten einschneidende Folgen hätte (BayObLG, Urt. v. 15.9.2023 – 202 StRR 47/23, NStZ 2024, 743).
1. Untersuchungshaft
Ein geradezu klassisches Beispiel für einen unzutreffenden Strafmilderungsgrund ist die vom Angeklagten erlittene Untersuchungshaft. In nahezu jeder Haftsache weist die Verteidigung spätestens im Schlussvortrag darauf hin, dass sich der Mandant nun seit einigen Monaten in Untersuchungshaft befinde, und selbst zahlreiche Staatsanwälte wollen dies strafmildernd berücksichtigt sehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist erlittene Untersuchungshaft aber regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil sie nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird (BGH, Urt. vom 19.11.2024 – 5 StR 401/24; KG, Urt. v. 18.10.2024 – 3 ORs 70/24).
Selbst beim erstmaligen Vollzug von Untersuchungshaft kommt ihr eine mildernde Bedeutung nur zu, wenn im Einzelfall besondere Umstände, die in den Urteilsgründen darzustellen und zu belegen sind, hinzutreten, die über die üblicherweise mit Untersuchungshaft verbundenen Beeinträchtigungen hinausgehen (s. nur BGH, Beschl. v. 15.8.2024 – 4 StR 79/24 m.w.N.).
Solche besonderen Umstände kommen etwa dann in Betracht, wenn der Angeklagte Ausländer ist und über keine familiären Bindungen in Deutschland verfügt oder soziale Kontakte durch fehlende Kenntnisse der deutschen bzw. einer sonst verbreiteten Sprache erschwert werden (BGH a.a.O.), wenngleich derartige Umstände jedenfalls bei Tätern, die bewusst ihre Familien im Ausland zurücklassen und ausschließlich zur Begehung von Straftaten nach Deutschland einreisen, jedenfalls nicht überbewertet werden dürfen.
Zulässig ist es überdies auch, bei der Bemessung der ausgeurteilten Strafe zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist (BGH, Beschl. v. 1.2.2024 – 4 StR 287/23). Dies stellt keine unzulässige Berücksichtigung der erlittenen Untersuchungshaft dar. Auch darf an dieser Stelle mildernd gewürdigt werden, wenn der 72 Jahre alte Angeklagte an diversen Krankheiten leidet und deshalb vom Strafvollzug stärker beeinträchtigt ist als jüngere, gesunde Personen (BGH, Urt. v. 6.11. 2024 – 5 StR 276/24).
2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen
Ganz ähnlich verhält es sich mit möglichen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Verurteilung. Auch diese werden immer wieder strafmildernd berücksichtigt. Mit der Rechtsprechung des BGH vereinbar ist dies jedoch häufig nicht, denn hiernach sind derartige Folgen der Tat grundsätzlich keine bestimmenden Strafmilderungsgründe, es sei denn, es treten im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzu, welche die Beendigung des Aufenthalts im Inland als besondere Härte erscheinen lassen. Dies kann etwa bei sogenannten faktischen Inländern, also in Deutschland geborenen Ausländern, der Fall sein (BGH, Beschl. v. 25.1.2022 – 1 StR 482/21, NStZ 2022, 353).
3. Polizeiliche Tatbeobachtung/Observation
Insbesondere in Betäubungsmittelstrafverfahren wird von der Verteidigung immer wieder Strafmilderung verlangt, wenn einzelne oder gar alle Taten aufgrund von Observationsmaßnahmen unter polizeilicher Beobachtung/Überwachung begangen wurden. Dies wird manchmal von Gerichten übernommen und dann eine Strafmilderung bewilligt, beispielsweise mit der Begründung, dass „die Taten unter laufender Observation begangen wurden, sodass zumindest eine Einschreitensmöglichkeit der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestanden hätte“.
Dies ist jedoch regelmäßig rechtsfehlerhaft, da allein eine Observation und die deshalb denkbare Möglichkeit eines Einschreitens der Ermittlungsbehörden nach gefestigter Rechtsprechung des BGH für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund darstellt (BGH, Beschl. v. 26.4.2023 – 5 StR 122/23 m.w.N.). Zudem geht auch der immer wieder gegen die Ermittlungsbehörden erhobene Vorwurf, sie seien zu spät eingeschritten und hätten jedenfalls die weiteren dem Angeklagten vorgeworfenen Taten verhindern können, regelmäßig fehl, denn ein Straftäter hat keinen Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern (ständige Rechtsprechung des BGH, s. nur Urt. v. 6.1.2022 – 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140 m.w.N.).
Im Einzelfall kann es jedoch einen über die Sicherstellung etwa der Tatbeute hinausgehenden Strafmilderungsgrund darstellen, wenn die polizeiliche Überwachung der Tat mit dem Wegfall einer Gefahr für Rechtsgüter des Tatopfers verbunden ist. Dies resultiert aus dem Gewinn an Sicherheit, den eine derartige Überwachung schon während der Tatbegehung bewirkt, indem sie bereits von Beginn an die Möglichkeit für eine spätere Sicherstellung schafft und so eine tatsächliche Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter ausschließt; insoweit reduziert die Überwachung das Handlungsunrecht zusätzlich gegenüber Fällen, in denen eine Sicherstellung trotz fehlender Überwachung letztlich gelingt (BGH, Beschl. v. 21.11.2023 – 2 StR 447/23, NStZ 2024, 738). In BtM-Fällen muss hierfür allerdings eine tatsächliche Gefährdung der Volksgesundheit durch das Rauschgift sicher ausgeschlossen werden können (BGH, Urt. v. 22.6.2022 – 5 StR 9/22, NStZ-RR 2022, 283).
4. Täter-Opfer-Ausgleich
Gelingt es dem Täter, mit seinem Opfer einen Ausgleich zu erzielen, kann ihm der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a StGB zugutekommen. Allerdings genügt hier nicht jedwede Vereinbarung zwischen dem Angeklagten und dem Opfer, und zwar auch dann nicht, wenn der Geschädigte eine ihm angebotene Zahlung als ausgleichende Maßnahme akzeptiert. Denn derartige Umstände entbinden das Gericht nicht von der ihm obliegenden eigenverantwortlichen Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB tatsächlich vorlagen. Für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs darf nicht allein auf die subjektive Bewertung von Täter und Opfer abgestellt werden (BGH, Urt. v. 4.1.2024 – 5 StR 540/23, StV 2024, 298 [Ls.]).
Stattdessen ist vorrangig zu prüfen, ob die konkret erbrachten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können (BGH a.a.O.). Dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können (BGH, Urt. v. 7.12.2005 – 1 StR 287/05, NStZ 2006, 275).
Sind durch die Straftat mehrere Opfer betroffen, müssen die Voraussetzungen des § 46a StGB hinsichtlich jedes Geschädigten erfüllt sein (BGH, Urt. vom 19.11.2024 – 5 StR 401/24; OLG Hamm, Urt. v. 19.9.2024 – 5 ORs 37/24).
5. Fehlen einschlägiger Vorstrafen
Ist der Angeklagte bereits vor der Tat strafrechtlich in Erscheinung getreten, stellt dies einen Strafschärfungsgrund dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um einschlägige Vorstrafen handelt (s. nur BGH, Urt. v. 4.1.2024 – 5 StR 540/23 m.w.N.). Aber auch nicht einschlägige Vorstrafen dürfen zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden, weil sie belegen, dass der Angeklagte sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen (BayObLG, Beschl. v. 20.9.2024 – 203 StRR 409/24). Manche Gerichte werten jedoch auch die fehlende Einschlägigkeit von Vorstrafen als strafmildernd und auch mancher Verteidiger weist gerne auf diesen Umstand hin. Richtig ist dies nicht, denn so wird in unzulässiger Weise das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes zugunsten des Angeklagten herangezogen (BGH a.a.O.).
Revision
Wer die Strafzumessung vom Revisionsgericht überprüfen lassen will, muss hierzu grundsätzlich keine besonderen Darlegungsanforderungen beachten. Stattdessen genügt die Erhebung der allgemeinen Sachrüge, um eine Überprüfung der Strafzumessung durch das Revisionsgericht herbeizuführen.
In die Überlegungen zur Vorgehensweise im Revisionsverfahren einzubeziehen ist jedoch, dass es sich bei einer fehlerhaften Strafzumessung nicht um einen absoluten Revisionsgrund handelt und auch nicht regelmäßig oder gar in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen wird, dass das angefochtene Urteil i.S.d. § 337 S. 1 StPO auf dem Rechtsfehler beruht. Vielmehr erringen Revisionsführer in der Praxis relativ häufig lediglich einen Pyrrhussieg, wenn das Revisionsgericht zwar zu dem Ergebnis kommt, dass die Strafzumessung auf rechtlich bedenkliche oder gar fehlerhafte Erwägungen gestützt wurde, das Rechtsmittel dann aber gleichwohl verwirft, da das Urteil nicht auf dem Fehler beruhe. Erst wenn das Revisionsgericht nicht ausschließen kann, dass die verhängte Sanktion bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung milder ausgefallen wäre, kommt es zur Urteilsaufhebung.
Wann trotz fehlerhafter Strafzumessung ein Misserfolg droht, ist für den Revisionsführer oftmals kaum vorhersehbar, insbesondere weil die Rechtsprechung der Revisionsgerichte hier stark einzelfallabhängig bzw. uneinheitlich ist: So kann das Urteil Bestand haben, wenn sich die verhängte Strafe trotz des Fehlers als „überaus maßvoll“ darstellt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2022 – 4 StR 213/22) oder sich angesichts der Tatfolgen am „unteren Ende des gerade noch Vertretbaren“ bewegt (KG, Urt. v. 21.12.2023 – 121 Ss 165/22) oder wenn das Tatgericht trotz mehrerer im Urteil hervorgehobener Strafschärfungsgründe eine milde Strafe verhängt. In einem solchen Fall hat der BGH ausgeschlossen, dass ohne Rechtsfehler eine noch mildere Strafe verhängt worden wäre (BGH, Beschl. v. 21.5.2024 – 4 StR 121/24; vgl. auch BGH, Beschl. v. 6.9.2022 – 6 StR 274/22 und BGH, Beschl. v. 13.10.2022 – 4 StR 174/22, NStZ-RR 2022, 368: Es liegen derart gewichtige Erschwerungsgründe vor, dass die Verhängung niedrigerer Strafen ausgeschlossen erscheint).
Wo genau die Grenze liegt, ab deren Überschreiten ein Beruhen des Urteils jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen werden kann, ist aber häufig unklar, zumal die Begründungen häufig recht knapp ausfallen; oftmals muss sich der Revisionsführer mit einem knappen Verweis etwa auf das Tatbild oder auf die „Strafbemessung in ihrer Gesamtheit“ (BGH, Beschl. v. 19.3.2024 – 6 StR 504/23) begnügen. Auch hat der BGH Revisionen u.a. mit dem Hinweis darauf verworfen, dass mit Blick auf weitere Zumessungserwägungen nicht davon auszugehen sei, dass „maßvolle“ Strafen auf einem Strafzumessungsfehler beruhen (Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22; Beschl. v. 21.5.2024 – 4 StR 180/24, NStZ-RR 2024, 252), wohingegen in anderer Sache auch eine „keineswegs unangemessene“ Strafe das Urteil nicht zu retten vermochte (BGH, Beschl. v. 24.8.2023 – 2 StR 252/23).
Hiervon ausgehend kann es sich im Einzelfall empfehlen, nicht nur die allgemeine Sachrüge zu erheben, sondern zu den Strafzumessungsfehlern konkret vorzutragen und dabei insbesondere darzulegen, dass der Fehler von einem solchen Gewicht ist, dass das Tatgericht, wäre ihm der Fehler nicht unterlaufen, zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre.