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Anforderungen an das Verwerfungsurteil

Das AG muss im Urteil, mit dem der Einspruch eines Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens verworfen wird, die vom Betroffenen bzw. dessen Verteidiger vorgebrachten Gründe, die diese vom Erscheinen in der Hauptverhandlung abgehalten haben, mitteilen, da anderenfalls das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen kann, ob der Tatrichter bei der Würdigung des Entschuldigungsvorbringens von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen und damit die Verwerfungsentscheidung zu Recht ergangen ist.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Jena , Beschl. v. 6.11.20241 ORbs 132 SsBs 134124

I. Sachverhalt

Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG

Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen einen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem der Betroffene im Hauptverhandlungstermin nicht erschienen und auch nicht von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der er rügt, dass der Verhandlungstermin trotz entsprechenden Antrags nicht verlegt worden sei. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Die zulässige Verfahrensrüge sei auch begründet.

Lückenhafte Begründung des Verwerfungsurteils

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils beschränken sich auf die Mitteilung, der Betroffene sei trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung ohne genügende Entschuldigung dem Hauptverhandlungstermin ferngeblieben. Die vom Betroffenen bzw. dessen Verteidiger vorgebrachten Gründe, die diese vom Erscheinen in der Hauptverhandlung abgehalten haben, würden nicht mitgeteilt, obgleich hierzu grundsätzlich Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen ebenso erforderlich seien wie die hierzu vom Tatgericht angestellten Erwägungen (OLG Oldenburg, Beschl. v. 31.8.2010 – 2 SsRs 170/10). Denn nur dann könne das OLG prüfen, ob der Tatrichter bei der Würdigung des Entschuldigungsvorbringens von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen und damit die Verwerfungsentscheidung zu Recht ergangen ist (BayObLG, Beschl. v. 31.10.2001 – ObOWi 433/01; OLG Oldenburg a.a.O.). Enthalte das angefochtene Urteil keine Ausführungen hierzu, so unterliege es bereits deshalb der Aufhebung, es sei denn, die vorgebrachten Entschuldigungsgründe wären von vornherein offensichtlich ungeeignet, ein Fernbleiben zu entschuldigen (OLG Oldenburg, Beschl. v. 31.8.2010 – 2 SsRs 170/10).

Anspruch auf Rechtsanwalt des Vertrauens auch im OWi-Verfahren

Nachdem hier jegliche Ausführungen zu den vorgebrachten Entschuldigungsgründen und den hierzu angestellten Erwägungen in dem Urteil des AG fehlen, könne der Senat nicht feststellen, ob die erforderliche Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen an einer Terminsverlegung und demjenigen an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens überhaupt vorgenommen worden seien (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.6.2015 – III-3 RBs 200/15). Das angefochtene Urteil sei daher bereits wegen dieses Darstellungsmangels aufzuheben (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.). Denn auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 137 Abs. 1 S. 1 StPO): Dies bedeute zwar nicht, dass die Bußgeldhauptverhandlung bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers nicht durchgeführt werden könne und dem Betroffenen ein Erscheinen ohne seinen Verteidiger grundsätzlich nicht zumutbar und sein Ausbleiben ohne Weiteres als entschuldigt anzusehen wäre, vielmehr komme es darauf an, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Terminsverlegung geboten hätte (OLG Hamm a.a.O.). Anträge auf Terminsverlegung habe der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu bescheiden (vgl. KG, Beschl. v. 31.1.2003 – 2 Ss 10/03 – 3 Ws (B) 39/03); OLG Hamm a.a.O.), was vorliegend gerade nicht ersichtlich werde.

Vorherige Ablehnung des Terminsverlegungsantrags ändert nichts

Etwas anderes folge auch nicht aus der vorherigen Ablehnung des Terminsverlegungsantrags durch das AG, da Entscheidungen über Terminsverlegungsanträge die Entscheidung über eine Einspruchsverwerfung als solche nicht ersetzen können (OLG Oldenburg a.a.O.). Für letztere Entscheidung habe das AG vielmehr in der Hauptverhandlung und ohne Bindung an eine vorangegangene Ablehnung eines Verlegungsgesuches erneut zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Einspruchsverwerfung vorliegen, und das Ergebnis dieser Prüfungen in den Urteilsgründen mitzuteilen (OLG Oldenburg a.a.O.). Die hier vorgebrachten Entschuldigungsgründe – Erkrankung des Verteidigers – seien auch nicht offensichtlich unbegründet, sodass der Darstellungsmangel auch hierdurch nicht überwunden werde.

Beruhen

Das OLG hatte auch keine Probleme mit der Beruhensfrage: Dass der Betroffene sich ohne seinen Verteidiger ausreichend hätte verteidigen können, verstehe sich angesichts der Sach- und Rechtslage nicht von selbst, da zwar vorliegend lediglich eine Verkehrsordnungswidrigkeit im Raum stehe, jedoch ein beigebrachtes Sachverständigengutachten ebenso zu würdigen sei wie eine angesichts der beträchtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht kommende Möglichkeit der Verurteilung wegen Vorsatzes (vgl. KG a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Ferner drohe dem Betroffenen die Verhängung eines Fahrverbots.

III. Bedeutung für die Praxis

Mal wieder ein „schlampiges“ AG

Ich bin immer wieder erstaunt, wie flott AG Einsprüche nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen – hier trotz geltend gemachter Erkrankung des Verteidigers –, sich dann aber nicht die Mühe machen, das Verwerfungsurteil vernünftig, d.h. entsprechend den Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung zu begründen. Zudem erstaunt, wie man mit Terminsverlegungsanträgen der Verfahrensbeteiligten umgeht: Im Zweifel werden sie – allerdings ohne tragfähige Begründung – abgelehnt. So auch hier, sodass die Entscheidung des OLG zu begrüßen ist. Sie bringt zwar nichts wesentlich Neues, legt aber noch einmal den Finger in die Wunde und schreibt dem AG ins Gedächtnis (hoffentlich), worauf es ankommt (zu den Terminierungsfragen Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 4597 ff.; Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl. 2025, Rn 3159 ff; Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, Rn 2535; zur Verwerfung des Einspruchs Burhoff, EV, Rn 1591 ff.; Burhoff, HV, Rn 1543 ff.; Burhoff, OWi; Rn 2398 ff., jeweils m.w.N.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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