Die auf Förderung gerichtete anwaltliche Mitwirkungshandlung i.S.d. 4141 VV RVG muss weder ursächlich noch mitursächlich für die Einstellungsentscheidung des Gerichts gewesen sein.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Gegenvorstellung gegen Festsetzung der Nr. 4141 VV RVG
Der Verteidiger hat den Beschuldigten in einem Strafverfahren als Pflichtverteidiger verteidigt. Das Verfahren ist eingestellt worden, ohne dass ein von dem Pflichtverteidiger verfasster und abgesandter Einstellungsschriftsatz zur Akte gelangt ist. Der Verteidiger hat bei der Gebührenfestsetzung auch die Festsetzung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG beantragt. Diese ist schließlich vom LG festgesetzt worden. Dagegen hat der Bezirksrevisor Gegenvorstellung erhoben, die das LG zurückgewiesen hat.
II. Entscheidung
Verteidigerschriftsatz nicht angekommen …
Die Gegenvorstellung sei zwar, so das LG, zulässig, gebe jedoch in der Sache keinen Anlass, den angegriffenen Beschluss abzuändern. Denn dessen Gründe treffen nach Auffassung des LG nach wie vor zu. Die Kammer sei bereits im angegriffenen Beschluss davon ausgegangen, dass der Verteidigerschriftsatz nicht zur Akte gelangt ist und damit eine (Mit-)Ursächlichkeit dieses Schriftsatzes für die Einstellung des Verfahrens ausgeschlossen werden könne. Durchgreifende Zweifel an der Existenz dieses Schriftsatzes, dessen Zugang der Verteidiger durch Übersendung des Zustellnachweises nachgewiesen habe, bestünden auch nach dem Vorbringen der Gegenvorstellung nicht.
… aber ohne Bedeutung
Es könne vorliegend auch dahinstehen, ob der Einstellungsschriftsatz bei der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sei. Denn die Kammer halte an der Rechtsauffassung des angegriffenen Kammerbeschlusses fest. Danach müsse die auf Förderung gerichtete anwaltliche Mitwirkungshandlung i.S.d. 4141 VV RVG weder ursächlich noch mitursächlich für die Entscheidung des Gerichts gewesen sein (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.10.2002 – 2 Ws 261/02, NStZ-RR 2003, 31 zu § 84 BRAGO; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.3.2010 – 2 Ws 29/10, AGS 2010, 202 = RVGreport 2010, 263; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl. 2021, VV 4141 Rn 11).
Die Bestimmung der Nr. 4141 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG übernehme den Grundgedanken der Regelung des § 84 Abs. 2 BRAGO (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 227 zu Nr. 4141 VV). Diese sei geschaffen worden, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten (vgl. BT-Drucks 12/6962, S. 106). Die Neuregelung in Nr. 4141 VV RVG habe diesen Ansatz aufgegriffen, indem dem Rechtsanwalt in den dort genannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt werde. Die Zusatzgebühr solle wie die Vorgängerregelung den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und damit zu weniger Hauptverhandlungen führen (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 227 f. zu Nr. 4141 VV; BGH, Urt. v. 18.9.2008 – IX ZR 174/07).
Nach dem Wortlaut der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entstehe die Gebühr jedoch nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich sei, während es im ursprünglichen Regierungsentwurf (BT-Drucks 12/6962, S. 41) geheißen habe, dass der Rechtsanwalt die Gebühr nicht erhält, wenn seine Mitwirkung für die Einstellung oder Erledigung nicht ursächlich war. Vor diesem Hintergrund sei der Wortlaut dahingehend auszulegen, dass keine Ursächlichkeit im Sinne einer conditio sine qua non zwischen anwaltlicher Mitwirkung und Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung, sondern lediglich eine Tätigkeit, die auf die Förderung des Verfahrens ausgerichtet gewesen sei, zu verlangen sei. Das Verfassen eines auf Einstellung des Verfahrens gerichteten Schriftsatzes sei ersichtlich eine solche Tätigkeit.
Eine gebührenauslösende Tätigkeit des Verteidigers habe somit bereits im Verfassen und Absenden des Einstellungsschriftsatzes, dessen Zugang bei der Staatsanwaltschaft durch Übersenden des Zustellnachweises nachgewiesen worden sei, vorgelegen.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
Die Entscheidung ist zutreffend. Denn die Tätigkeit des Rechtsanwalts – die Mitwirkung i.S.d. Nr. 4141 VV RVG – muss nach überwiegender Auffassung nicht ursächlich für die Einstellung oder die Rücknahme des Rechtsmittels gewesen sein. Es reicht jede auf die Förderung der Erledigung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit aus (so zutreffend BGH AGS 2008, 491 = JurBüro 2008, 639 = DAR 2009, 56 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2008, 431; OLG Stuttgart AGS 2010, 202 = RVGreport 2010, 263; LG Arnsberg JurBüro 2007, 82; LG Dresden RVGreport 2010, 69 = StRR 2010, 239; LG Düsseldorf AGS 2007, 36 = JurBüro 2007, 83; LG Hamburg AGS 2008, 59 = DAR 2008, 611; LG Köln AGS 2007, 351 = StraFo 2007, 305; LG Oldenburg RVGreport 2013, 320 = AGS 2013, 408; LG Saarbrücken AGS 2016, 171 = RVGreport 2016, 254; LG Stralsund AGS 2005, 442 = RVGreport 2005, 272; LG Verden, Beschl. v. 29.10.2020 – 4 KLs 461 Js 23425/20 (9/20), AGS 2021, 26; AG Köln AGS 2010, 75 = JurBüro 2010, 137; AG Waldbröl AGS 2018, 119 = RVGreport 2018, 61; AG Zossen AGS 2009, 72 [für Nr. 5115 VV]; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, VV 4141 Rn 30). Teilweise wird das aber auch anders gesehen und verlangt, dass die Mitwirkung zumindest mitursächlich gewesen sein müsse (KG RVGprofessionell 2007, 79 m.w.N.; KG RVGreport 2012, 110 = JurBüro 2012, 466; OLG Frankfurt am Main RVGreport 2017, 419 = AGS 2017, 505; [inzidenter] LG Potsdam AGS 2014, 17 = JurBüro 2013, 586 = RVGreport 2014, 71 = Rpfleger 2013, 648; AG Bad Kreuznach AGS 2017, 322 = RVGreport 2017, 263; AG Betzdorf JurBüro 2008, 589, wonach es nicht ausreicht, wenn die Einlassung des Verteidigers noch vor der Erhebung der Anklage erfolgt und das Gericht die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen beschließt; AG Köln AGS 2010, 75 = JurBüro 2010, 137 für den Hinweis auf Verfolgungsverjährung im Bußgeldverfahren; nicht eindeutig BGH AGS 2011, 128 m. teilw. abl. Anm. N. Schneider = RVGreport 2011, 182 = VRR 2011, 118 = StRR 2011, 201). Die sich daraus ergebenden Unterschiede zur herrschenden Meinung sind allerdings nicht groß. Die herrschende Meinung verzichtet zwar auf eine (Mit-)Ursächlichkeit. Sie verlangt aber eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete und zur Verfahrensbeendigung „objektiv geeignete“ Tätigkeit des Rechtsanwalts. Das ist inzidenter im Grunde auch „mitursächlich“, denn, ist die Tätigkeit nicht „objektiv geeignet“, hat sie nicht mitgewirkt und war mithin auch nicht ursächlich (auch KG a.a.O.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4141 Rn 11).