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Pflichtverteidiger nur im Vorführungstermin

Durch die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Verteidiger für die Wahrnehmung eines Termins wird ein eigenständiges, vollumfängliches öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Daraus folgt, dass der Rechtsanwalt alle Gebühren eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG geltend machen kann.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Braunschweig, Beschl. v. 27.9.20244 Ds 210 Js 8094/24 (33/24)

I. Sachverhalt

Beiordnung für den Vorführtermin

Rechtsanwalt E ist dem Beschuldigten am 13.6.2024 für die Verkündung eines Haftbefehls (§ 115 StPO) beigeordnet worden. Mit Beschluss des AG vom 4.7.2024 wurde dem Beschuldigten für das weitere Verfahren dann Rechtsanwalt M als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Rechtsanwalt E hat für die Vertretung im Termin der Haftbefehlsverkündung vor dem AG u.a. die Grundgebühr Nr. 4001 VV RVG, die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG und die Verfahrensgebühr, hier die Nr. 4107 VV RVG, nebst Auslagen und Umsatzsteuer geltend gemacht. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat nur die Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG festgesetzt. Dagegen wendet sich Rechtsanwalt E mit seiner Erinnerung. Diese hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Eigenständiges Beiordnungsverhältnis

Die Erinnerung sei zulässig und begründet. Dem Verteidiger stehen nach Ansicht des AG auch im Rahmen einer auf die Haftbefehlsverkündung gemäß § 115 StPO beschränkten Beiordnung sowohl die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG als auch die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG und die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG nebst Auslagenpauschale zu.

Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG regele die Vergütung des Verteidigers. Liege ein Verteidigungsverhältnis vor, mache es grundsätzlich keinen Unterschied, ob sich die Tätigkeit insbesondere auch in den Fällen des sog. Terminvertreters auf die Wahrnehmung eines einzelnen Termins beschränkt. Die Beiordnung auch für einen Termin begründe ein eigenständiges Beiordnungsverhältnis, in dessen Rahmen der Pflichtverteidiger die Verteidigung umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine gebührenrechtlich unterschiedliche Behandlung dieses Verteidigers gegenüber dem Hauptverteidiger ließe eine Entwertung des Instituts der Pflichtverteidigung und damit einhergehend des Rechts des Angeklagten auf eine effektive rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Verteidigung besorgen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2010 – 2 Ws 129/10; OLG München, Beschl. v. 23.10.2008 – 4 Ws 140(08), NStZ-RR 2009, 32 jeweils m.w.N.).

Diese Grundsätze gelten nach Ansicht des AG auch für die Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung nach § 115 StPO. Es bestehe kein sachlich gerechtfertigter Anlass, die Verteidigung im Verfahren nach § 115 StPO gebührenrechtlich anders zu beurteilen als eine solche im Rahmen der Hauptverhandlung. Die Freiheit des Betroffenen stelle ein Grundrecht dar. Der in seinem Grundrecht durch die Haftanordnung verletzte Betroffene habe ein Recht auf effektive Verteidigung sowohl hinsichtlich des Tatvorwurfs als auch hinsichtlich der Annahme der Haftgründe (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 24.1.2024 – 3 Ws 50/23, AGS 2024, 226; OLG Koblenz, Besch. v. 4.7.2024 – 2 Ws 412/24, AGS 2024, 357). Hier sei eine Erstberatung noch nicht erfolgt; daher sei – unabhängig von der später erfolgten Beiordnung eines Verteidigers für das Verfahren – eine umfassende Beratung zur Verteidigungsstrategie im Rahmen der Vorführung nach § 115 StPO zwingend geboten. Es sei zu entscheiden, ob der Beschuldigte sich durch eine Einlassung bereits zum frühen Zeitpunkt verteidigt und dadurch gegebenenfalls das Verfahren abkürzt oder sich eine geständige Einlassung auf die Frage einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls auswirken kann bzw. ob andere Umstände, hier: geringe Tatbeute, eine Außervollzugsetzung rechtfertigen. Die gewählte Vorgehensweise könne sich gegebenenfalls bestimmend für das Verteidigungsverhalten im weiteren Verfahrensverlauf auswirken.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

1. Die Entscheidung ist zutreffend und das AG reiht sich ein in die Reihe der Gerichte, die diese ebenso zutreffend entscheiden. Wir haben in der letzten Zeit häufiger über die Problematik berichtet (vgl. u.a. die Anmerkungen zu OLG Koblenz und OLG Köln, jeweils a.a.O.). Dem ist nichts hinzufügen.

Rechtsmittel zu erwarten

2. Wir werden in dieser Sache dann aber sicherlich bald etwas aus dem Bezirk Braunschweig hören. Denn man kann davon ausgehen, dass die Landeskasse diese Entscheidung nicht schlucken wird.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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