Beitrag

Cannabisgesetz (CanG) – Auswirkung auf die RVG-Verteidigervergütung

Am 1.4.2024 ist das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) in Kraft getreten (BGBl 2024 I Nr. 109 vom 27.3.2024). Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dessen Auswirkungen auf die RVG-Verteidigervergütung (zur ersten Rechtsprechung des BGH zum materiellen Recht Terwolbeck, StRR 8/2024, 6).

I.

Amnestieregelung in Art. 316p und 313 EGStGB

1. Straferlass nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB für rechtskräftige, noch nicht vollstreckte Strafen

a) Erlasswirkung kraft Gesetzes

Für vor dem 1.4.2024 verhängte rechtskräftige Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz (KCanG) oder dem Medizinalcannabisgesetz (MedCanG) nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, ist ein Straferlass vorgesehen. Durch Art. 13 CanG wurde Art. 316p EGStGB eingefügt, wonach insoweit die generelle Amnestie-Regelung in Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden ist. Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB sieht vor, dass rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen werden, soweit sie noch nicht vollstreckt sind (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 26.6.2024 – 3 StR 177/24; OLG Celle, Beschl. v. 28.5.2024 – 1 ORs 13/24, StRR 2024, 4 [Ls.]; LG Aachen, Beschl. v. 29.4. 2024 – 69 KLs 17/19).

Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB treten dabei unmittelbar kraft Gesetzes (ipso jure) ein, ohne dass es einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde bedarf. Deshalb hat eine Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, dass Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen sind, nur deklaratorischen Charakter (OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.5.2024 – 1 ORs 24 SRs 167/24; siehe auch BGH, Beschl. v. 26.6.2024 – 3 StR 177/24; vgl. auch LG Kleve, Beschl. v. 6.5.2024 – 181 StVK 74/24, das hinsichtlich einer noch nicht vollständig vollstreckten Entscheidung ein Überprüfungsverfahren vor der Strafvollstreckungskammer durchgeführt hat).

b) Verteidigervergütung

Eine etwaige Tätigkeit des Verteidigers gegenüber der Vollstreckungsbehörde im Hinblick auf den Straferlass (vgl. LG Kleve, Beschl. v. 6.5.2024 – 181 StVK 74/24) wird man systematisch der Strafvollstreckung zuordnen müssen. Hierfür spricht, dass Art. 313 Abs. 5 EGStGB bei Zweifeln über die sich aus Art. 313 Abs. 1 EGStGB ergebenden Rechtsfolgen die §§ 458 und 462 StPO für sinngemäß anwendbar erklärt. Daher entsteht bei einem umfassenden Vertretungsauftrag für die Strafvollstreckung für die Tätigkeit im deklaratorischen Straferlassverfahren die Verfahrensgebühr für sonstige Verfahren in der Strafvollstreckung nach Nr. 4204 f. VV RVG. Liegt nur ein Auftrag für eine einzelne Tätigkeit in der Strafvollstreckung vor, zum Beispiel für das Schreiben an die Staatsanwaltschaft mit dem Antrag auf Einstellung der Vollstreckung, entsteht die Verfahrensgebühr für eine einzelne Tätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 6 VV RVG.

2. Mischfälle: Neufestsetzung einer Strafe (Art. 313 Abs. 3 EGStGB) oder einer Gesamtstrafe (Art. 313 Abs. 4 EGStGB)

a) Neufestsetzung als Teil des Erkenntnisverfahrens

Bei Tateinheit (§ 52 StGB) von weiterhin strafbaren und seit dem 1.4.2024 straflosen Handlungen ist gem. Art. 316p, 313 Abs. 3 EGStGB eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich. Auch eine bei Tatmehrheit (§ 53 StGB) gebildete Gesamtstrafe muss gem. Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB neu festgesetzt werden, wenn eine seit 1.4.2024 straflose Tat Teil der Gesamtstrafe ist. Für die Neufestsetzung der Strafe oder der Gesamtstrafe ist nach derzeit wohl h.M. das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (OLG Dresden, Beschl. v. 7.6.2024 – 2 Ws 95/24; OLG Köln, Beschl. v. 18.6.2024 – 2 Ws 319/24; OLG Jena, Beschl. v. 17.6.2024 – 1 Ws 190/24; OLG Schleswig, Beschl. v. 1.8.2024 – 1 Ws 123/24; OLG Stuttgart, Beschl. v. 6.6.2024 – 4 Ws 167/24; LG Aachen, Beschl. v. 29.4.2024 – 69 KLs 17/19; LG Nürnberg, Beschl. v. 26.6.2024 – Ws 420/24; a.A. LG Karlsruhe, Beschl. v. 15.5.2024 – 20 StVK 228/24, StRR 7/2024, 4; LG Trier, Beschl. v. 3.42024 – 10 StVK 189/24).

In der Sache geht es nicht um Zweifel an der Berechnung einer bereits „erkannten Strafe“ (§ 458 Abs. 1 StPO) oder um Gesichtspunkte, die dem Strafvollstreckungsverfahren zugeordnet werden können, sondern um eine Rechtskraftdurchbrechung und Neufestsetzung der originären Strafe und damit um eine dem Tatgericht zuzuordnende Strafzumessungsentscheidung, die der Vollstreckung vorgelagert ist. Der Akt der Strafzumessung ist typischerweise Teil des Erkenntnisverfahrens und dem erkennenden Gericht und nicht etwa der Strafvollstreckungskammer zugewiesen (so z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 6.6.2024 – 4 Ws 167/24, juris; OLG Köln, Beschl. v. 18.6.2024 – 2 Ws 319/24, juris).

b) Verteidigervergütung

Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass die Tätigkeit des Verteidigers bei der Neufestsetzung der Strafe bzw. einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 3, 4 EGStGB keine Gebühren in der Strafvollstreckung nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG auslöst (Nr. 4200 ff. VV RVG), sondern als Teil des Erkenntnisverfahrens Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG (Nr. 4100 ff. VV RVG) unterfällt. Für die einzelnen Gebühren gilt daher Folgendes:

  • Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entsteht nicht erneut, weil unverändert derselbe Rechtsfall vorliegt. Der Rechtsfall ist der strafrechtliche Vorwurf, der dem Verurteilten gemacht wird (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4100 VV Rn 37).

  • Eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4106, 4112, 4118 VV RVG kann nur dann erneut entstehen, wenn das Verfahren auf Neufestsetzung der Strafe bzw. einer Gesamtstrafe eine neue gebührenrechtliche Angelegenheit bildet. Das ist nur dann der Fall, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist, § 15 Abs. 5 S. 2 RVG. Auch eine weitere Postentgeltpauschale nach Nr. 7001, 7002 VV RVG kann nur unter dieser Voraussetzung anfallen.

  • Nimmt der Verteidiger im Rahmen der Neufestsetzung an einem der in Nr. 4102 VV RVG genannten Termine teil, löst die Teilnahme eine allgemeine Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV RVG aus (vgl. zum vergleichbaren Verfahren gem. § 57 JGG Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A Rn 2302 ff.; LG Mannheim AGS 2008, 179). Allerdings muss es sich um einen der dort explizit genannten Termine handeln, eine analoge Anwendung auf andere Termine ist nicht möglich (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG 4102 VV Rn 47). Entsteht deshalb keine Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV RVG, muss die Verteidigertätigkeit gem. § 14 Abs. 1 RVG bei der Bemessung der Verfahrensgebühr berücksichtigt werden. Ein Hauptverhandlungstermin (§ 243 StPO), der die Terminsgebühr nach Nr. 4108, 4114 oder 4118 VV RVG auslösen könnte, findet bei der Neufestsetzung der Strafe oder der Gesamtstrafe nicht statt.

  • Zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung siehe die nachfolgende Nr. II Ziffer 2.

Hinweis

Auch das Verfahren zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei dem eine Gesamtstrafe neu festzusetzen ist, ist gem. § 462a Abs. 3 S. 1 StPO dem erkennenden Gericht des ersten Rechtszugs zugewiesen, was angesichts der hierfür erforderlichen Strafzumessungsentscheidung auf der Hand liegt und zweckmäßig ist (so OLG Stuttgart, Beschl. v. 6.6.2024 – 4 Ws 167/24). In der vorhandenen Rechtsprechung ist allerdings umstritten, ob die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO als Strafvollstreckungssache anzusehen ist, mit der Folge, dass eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4204 VV RVG anfällt. Das LG Bonn (AGS 2021, 457 und StRR 11/2017, 22) geht davon aus, dass die Gebühr Nr. 4204 VV RVG hier nicht entstehen kann, es sich bei dem Verfahren nach § 460 StPO um kein Verfahren in der Strafvollstreckung, sondern um Strafzumessung handelt (a.A. z.B. OLG Bamberg StRR 2/2020, 30, ausf. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Nr. 4204 VV Rn 3 m.w.N.). Wird mit den Argumenten der Gegenauffassung auch die Neufestsetzung einer Strafe oder Gesamtstrafe gem. Art. 316p, 313 Abs. 3, 4 EGStGB der Strafvollstreckung zugerechnet, entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4104 f. VV RVG.

II.

Zusätzliche Verfahrensgebühren

1. Nr. 4141 VV RVG bei endgültiger Einstellung

a) Einstellung gem. § 206b StPO

Wird ein Strafgesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert und hat ein gerichtlich anhängiges Strafverfahren eine Tat zum Gegenstand, die nach dem bisherigen Recht strafbar war, nach dem neuen Recht aber nicht mehr strafbar ist, so stellt das Gericht gem. § 206b StPO (Einstellung des Verfahrens wegen Gesetzesänderung außerhalb der Hauptverhandlung) das Verfahren durch Beschluss ein. Laufende Strafverfahren sind daher aufgrund des zum 1.4.2024 in Kraft getretenen CanG ggf. einzustellen.

Beispiel

Es erfolgt die vorläufige Festnahme des Jugendlichen und die Beschlagnahme einer Umhängetasche mit Cannabis, Feuerzeug, Feinwaage und Grinder. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Besitzes von 0,7 Gramm Cannabis und stellt fest, dass die sichergestellten Gegenstände der Einziehung unterliegen. Der Verteidiger erklärt im Hauptverhandlungstermin den Verzicht auf die Rückgabe der sichergestellten Beweismittel und der BtM. Der Jugendliche wird ermahnt und das Verfahren wird auf unbestimmte Zeit mit dem Ziel der Einstellung gem. §§ 45, 47 JGG vertagt. Dem Jugendlichen wird zur Auflage gemacht, an drei Suchtberatungsgesprächen teilzunehmen.

Nach Einreichung des Teilnahmenachweises erfolgt am 9.4.2024 die Einstellung des Verfahrens auf Kosten der Staatskasse, seine notwendigen Auslagen trägt der Jugendliche selbst.

Am 19.4.2024 stellt die Staatsanwaltschaft fest, dass die Tat seit dem 1.4.2024 nach dem KCanG straflos ist (§§ 2 Abs. 1, 34 CanG).

Am 3.5.2024 wird das Verfahren vom AG gem. § 206b StPO eingestellt und werden die notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.

Der Verteidiger rechnet ab:

  • Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG,

  • Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG,

  • Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG.

  • Ferner kommt für die Mitwirkung an einer Einstellung gem. § 206b StPO eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG in Betracht (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 31). Nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 4141 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Daraus folgt, dass die anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung vermutet wird (Beweislastumkehr; vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 20). Auch bei der Einstellung gem. § 206b StPO reichen die üblichen Mitwirkungstätigkeiten aus, z.B. der Rat zu schweigen oder die Einreichung einer Einlassung, ggf. mit Einstellungsantrag (nicht aber bloße Akteneinsicht, bloße Verteidigerbestellung; siehe Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 13 ff.). Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG kann deshalb nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass eine Tätigkeit des Verteidigers für die Einstellung aufgrund Inkrafttretens des CanG nicht ursächlich gewesen sein kann. Nr. 4141 VV RVG setzt keine ursächliche Verteidigertätigkeit voraus (BGH AGS 2008, 491).

Zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung siehe die nachfolgende Ziffer 2.

Hinweis

Streitfälle bei der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG können in den Fällen des CanG jedenfalls dadurch umgangen werden, dass der Verteidiger in den in Frage kommenden Verfahren Schriftsätze mit Einstellungsanträgen bei Gericht einreicht.

b) Verfahrenseinstellung gem. § 35a Abs. 2 KCanG

Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht gem. § 35a Abs. 2 KCanG in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 KCanG mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen.

Die für die Entstehung der zusätzlichen Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG erforderliche Mitwirkung des Verteidigers an der Verfahrenseinstellung liegt vor, wenn sich dieser namens und im Auftrag des Angeklagten mit der seitens des Gerichts beabsichtigten Verfahrenseinstellung nach § 35a Abs. 2 KCanG einverstanden erklärt hat (so LG Saarbrücken AGS 2016, 171, zur Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO).

c) Wechsel vom Straf- zum Bußgeldverfahren

Das KCanG erlaubt erwachsenen Personen den Besitz bzw. das Mitführen in der Öffentlichkeit von bis zu 25 Gramm getrocknetem Cannabis zum Eigenkonsum bzw. an ihrem Wohnsitz den Besitz von insgesamt 50 Gramm getrocknetem Cannabis zum Eigenkonsum. § 34 KCanG stellt klar, dass das Mitführen in der Öffentlichkeit von mehr als 30 Gramm getrocknetem Cannabis zum Eigenkonsum bzw. am Wohnsitz der Besitz von insgesamt mehr als 60 Gramm getrocknetem Cannabis zum Eigenkonsum strafbar ist. Das Mitführen von mehr als 25 Gramm und bis zu 30 Gramm und der Besitz von mehr als 50 Gramm bis zu 60 Gramm Cannabis kann nach § 36 KCanG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Beispiel

Nach Einstellung des Strafverfahrens gem. § 206b StPO wird das Verfahren gem. § 82 OWiG als Bußgeldverfahren weiter betrieben (§ 36 KCanG), in dem der Verteidiger weiter tätig ist.

Der Verteidiger erhält folgende Vergütung:

I. Strafverfahren

Grundgebühr VV 4100 VV RVG

220,00 EUR

Verfahrensgebühr VV 4104 VV RVG

181,50 EUR

Zusätzliche Verfahrensgebühr VV 4104, 4141 VV RVG

181,50 EUR

Auslagenpauschale VV 7002 VV RVG

20,00 EUR

II. Bußgeldverfahren

Grundgebühr VV 5100 VV RVG

0 EUR

Verfahrensgebühr VV 5103 VV RVG

176,00 EUR

Auslagenpauschale VV 7002 VV RVG

20,00 EUR

Gem. § 17 Nr. 10b RVG sind das Strafverfahren und das sich nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens anschließende Bußgeldverfahren verschiedene Angelegenheiten. Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG ist im Strafverfahren angefallen, weil das Strafverfahren endgültig gem. § 206b StPO eingestellt worden ist.

Wegen Anm. Abs. 2 zu Nr. 5100 VV RVG entsteht im Bußgeldverfahren keine Grundgebühr, weil in dem vorangegangenen Strafverfahren für dieselbe Handlung oder Tat die Gebühr Nr. 4100 VV RVG entstanden ist.

2. Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung

a) Gegenstandswert

Die als 1,0-Wertgebühr ausgestaltete zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht. Nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4142 VV RVG muss der Gegenstandswert mindestens 30 EUR betragen.

Bei der Einziehung von Betäubungsmitteln konnte in der Vergangenheit keine Gebühr Nr. 4142 VV RVG erhoben werden, weil BtM im Regelfall keinen objektiven oder legalen Verkehrswert haben (hierzu ausf. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., Nr. 4142 VV Rn 44; Burhoff, AGS 2024, 243; zuletzt AG Langenfeld, Beschl. v. 21.4.2023 – 16 Ls 8/22).

Jedenfalls mit Inkrafttreten des CanG zum 1.4.2024 wird diese Frage neu zu beurteilen sein (verneinend allerdings BGH, Beschl. v. 5.7.2024 – 3 StR 201/23, juris), weil §§ 2 Abs. 3, 3 KCanG erwachsenen Personen den Besitz bzw. das Mitführen in der Öffentlichkeit von bis zu 25 Gramm getrocknetem Cannabis zum Eigenkonsum bzw. an ihrem Wohnsitz den Besitz von insgesamt 50 Gramm getrocknetem Cannabis zum Eigenkonsum erlaubt. Ferner ist Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, an ihrem Wohnsitz oder an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt der private Eigenanbau von insgesamt nicht mehr als drei Cannabispflanzen gleichzeitig erlaubt. Mit dem Cannabisgesetz wird der private Eigenanbau durch Erwachsene sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen zum Eigenkonsum legalisiert.

Einen Handelswert hat Cannabis damit zwar nach wie vor nicht, weil mit dem im zulässigen Eigenanbau produzierten Cannabis kein legaler gewerblicher Handel betrieben werden kann. Allerdings stellt Nr. 4142 VV RVG zunächst auch gar nicht auf einen Handelswert ab, sondern auf den Gegenstandswert. Gem. § 2 Abs. 1 RVG ist das der Wert, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat. Gegenstand ist wiederum das Recht oder das Rechtsverhältnis, auf das sich auftragsgemäß die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezieht (AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., § 2 Rn 23).

Die Einziehung von Cannabis ist darauf gerichtet, dem Angeklagten das Eigentum hieran zu entziehen (§ 75 StGB). Der Gegenstandswert der Einziehung entspricht deshalb dem objektiven Verkehrswert des einzuziehenden Gegenstandes (vgl. OLG Düsseldorf StRR 2011, 78). Mit der Legalisierung durch das CanG schreibt die Rechtsordnung Cannabis einen messbaren Wert zu (a.A. BGH, Beschl. v. 5.7.2024 – 3 StR 201/23, juris). Einen Anhaltspunkt für diesen Wert bietet der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) festgelegte Verkaufspreis für Medizinal-Cannabisblüten, der zum 1.7.2023 auf 5,80 EUR pro Gramm festgesetzt worden ist. Nach Absolem420.de (Informationsplattform für medizinisches Cannabis in Deutschland) liegt der Verkaufspreis für rezeptpflichtiges medizinisches Cannabis in Apotheken im Jahr 2024 im Schnitt sogar bei 9,87 EUR pro Gramm (https://­absolem420.de/­cannabis-­preisindex/).

Hinweis

Der nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4142 VV RVG für die Entstehung der zusätzlichen Verfahrensgebühr erforderliche Mindestwert von 30 EUR wird damit bei einem Verkaufspreis in Höhe von 5,80 EUR ab einer Menge von ca. 5,2 Gramm erreicht, bei Zugrundelegung eines Durchschnittspreises von 9,87 EUR pro Gramm bereits bei knapp über drei Gramm.

b) Auswirkung auf die Anwaltsvergütung

Bei den Auswirkungen auf die Anwaltsvergütung ist wie folgt zu unterscheiden:

aa) Im Falle der Einstellung von am 1.4.2024 laufenden Strafverfahren (§ 206b StPO) entsteht noch die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG, wenn der Verteidiger das Geschäft im Hinblick auf die Einziehung des Cannabis betrieben hat, Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG, Nr. 4142 VV RVG (hierzu ausf. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV Rn 18 ff.). Durch die Regelungen des CanG erstreckt sich die Tätigkeit des Verteidigers auf einen Einziehungsgegenstand mit einem legalen Verkehrswert (abl. BGH, Beschl. v. 5.7.2024 – 3 StR 201/23, juris), der allerdings über 30 EUR liegen muss. Das hängt von der Menge und dem zugrunde zu legenden legalen Verkaufspreis (z.B. 5,80 EUR oder 9,87 EUR pro Gramm) ab.

bb) Wird die Neufestsetzung einer Strafe (Art. 316p, 313 Abs. 3 EGStGB) oder einer Gesamtstrafe (Art.316p, 313 Abs. 4 EGStGB) als Teil des Erkenntnisverfahrens angesehen (siehe Nr. I Ziffer 2), kann für eine Tätigkeit im zugrunde liegenden Strafverfahren (neben einer allgemeinen Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG) noch eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG zu erheben sein, wenn der Verteidiger das Geschäft im Hinblick auf die Einziehung des Cannabis betrieben hat (siehe aa). Wird die Tätigkeit in einem deklaratorischen Verfahren auf Straferlass nach Art. 316p, 313 Abs. 1 EGStGB für rechtskräftige, noch nicht vollstreckte Strafen als Tätigkeit in der Strafvollstreckung i.S.v. Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG angesehen, kann systematisch keine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG aus Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG entstehen.

III.

Tilgung im Bundeszentralregister (§ 41 KCanG)

1. Tilgungsverfahren

Nach dem am 1.1.2025 in Kraft tretenden § 41 KCanG stellt die Staatsanwaltschaft auf Antrag der verurteilten Person fest, ob eine die Person betreffende Eintragung im Bundeszentralregister nach § 40 KCanG tilgungsfähig ist. Stellt die Staatsanwaltschaft die Tilgungsfähigkeit einer Eintragung im Bundeszentralregister über eine strafgerichtliche Verurteilung oder über eine strafgerichtliche Entscheidung fest, so hat sie dies gem. § 42 Abs. 1 S. 1 KCanG der Registerbehörde und der verurteilten Person mitzuteilen.

Beispiel 1

Der Rechtsanwalt stellt bei der Staatsanwaltschaft (§ 41 CanG) für den Verurteilten den Antrag, die Eintragung einer Verurteilung gem. § 29 BtMG im Bundeszentralregister (Erziehungsregister) zu tilgen (§ 41 CanG).

Es handelt sich um keine Strafsache i.S.v. Teil 4 VV RVG, da kein Verfahren nach der StPO, dem JGG oder einer landesrechtlichen Strafvorschrift betroffen ist. Auch ein Verfahren nach Teil 3 VV RVG liegt nicht vor, da kein gerichtliches Verfahren, sondern ein Verfahren vor der Staatsanwaltschaft betrieben wird. Deshalb ist Teil 2 VV RVG anwendbar und für die hier betriebene außergerichtliche Tätigkeit einschließlich der Vertretung im Verwaltungsverfahren eine 0,5- bis 2,5-Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG zu erheben.

Zum Gegenstandswert für die Geschäftsgebühr siehe Beispiel 2.

2. Ablehnung der Tilgung

Liegen die Voraussetzungen für die Tilgung nicht vor, so hat die Staatsanwaltschaft die verurteilte Person darüber gem. § 42 Abs. 1 S. 2 KCanG unter Angabe der Gründe zu bescheiden. Nach § 23 EGGVG kann die betroffene Person die Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung durch ein ordentliches Gericht überprüfen lassen, weil es sich dabei um einen Justizverwaltungsakt handelt. Zuständig ist nach § 25 EGGVG und vorbehaltlich anderer landesrechtlicher Zuständigkeitsbestimmungen das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat (BT-Drucks 20/8704, S. 137).

Beispiel 2

Die Staatsanwaltschaft sieht die Voraussetzungen für die Tilgungsfähigkeit als nicht gegeben an und teilt dies dem Verurteilten unter Angabe der Gründe mit (§ 42 Abs. 2 S. 2 CanG). Dessen Rechtsanwalt beantragt hiergegen gem. § 23 ff. EGGVG gerichtliche Entscheidung.

Das gerichtliche Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG richtet sich nach Teil 3 VV RVG, sodass im erstinstanzlichen Verfahren die Gebühren nach Nr. 3100–3105 VV RVG entstehen (Burhoff/Volpert/Burhoff/Volpert, RVG Teil A Rn 2331 ff.; vgl. auch Vorbem. 3.1 VV RVG: Die Gebühren dieses Abschnitts entstehen in allen Verfahren, für die in den folgenden Abschnitten dieses Teils keine Gebühren bestimmt sind).

In Verfahren über die Anfechtung von Justizverwaltungsakten nach den §§ 23 bis 29 EGGVG entstehen nach Vorbem. 1.5.3 KV GNotKG die als Wertgebühren ausgestalteten Gerichtsgebühren nach Nr. 15300 f. KV GNotKG. Der Geschäftswert für diese Gerichtsgebühr richtet sich nach § 36 GNotKG (OLG Celle StRR 2013, 478). Regelmäßig ist hier gem. § 36 Abs. 3 GNotKG von einem Geschäftswert in Höhe von 5.000 EUR auszugehen, der gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG auch für die Anwaltsgebühren gilt. Setzt das Gericht den Geschäftswert gem. § 79 GNotKG für die Gerichtsgebühr fest, ist diese Festsetzung gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Anwaltsgebühren maßgebend.

Als Gegenstandswert für die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG im Tilgungsverfahren gem. § 41 f. KCanG kann gem. § 23 Abs. 1 S. 3 RVG ebenfalls von einem Wert in Höhe von 5.000 EUR ausgegangen werden, weil der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens (nach §§ 23 ff. EGGVG) sein könnte.

Dipl.-Rechtspfleger Joachim Volpert, Düsseldorf

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