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Entbindung des Steuerberaters von der Schweigepflicht und Durchsuchung

1. Die Entbindung eines Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht ist unteilbar. Der Hauptberufsträger und seine mitwirkenden Personen können nur gemeinsam entbunden oder nicht entbunden werden.

2. Die Gewährung einer Abwendungsbefugnis im Durchsuchungsbeschluss nach § 103 StPO ist entbehrlich, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Betroffene zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit ist und Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind.

(Leitsätze des Gerichts)

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.202412 Qs 2/24

I. Sachverhalt

Durchsuchung bei Steuerberater-GmbH nach Entbindungserklärung

Das AG hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen versuchter Steuerhinterziehung erlassen. Der Angeklagte legte hiergegen Einspruch ein. Im Hauptverhandlungstermin entband der Angeklagte den Zeugen H, seinen Steuerberater, von der Schweigepflicht. Dieser verweigerte jedoch unter Hinweis auf § 55 StPO die Aussage. Das begründete er damit, dass seine Chefin, die Geschäftsführerin der Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH, bei der der Zeuge angestellt war, ihm vorab gesagt habe, er solle nicht aussagen. Daraufhin unterbrach der Richter die Sitzung, erließ einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Räume der GmbH und beauftragte Beamte der Steuerfahndung Nürnberg mit dessen Vollzug. Gesucht werden sollte nach Handakten sowie schriftlichen oder elektronischen Aufzeichnungen, soweit sie das Mandatsverhältnis zwischen der GmbH und dem Angeklagten zum Gegenstand hatten. Bei der Durchsuchung wurden Unterlagen sichergestellt.

Die GmbH legte gegen die Durchsuchung Beschwerde ein. Diese hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG haben die Voraussetzungen des § 103 StPO vorgelegen.

Durchsuchung nach § 103 StPO

Eine auf § 103 StPO gestützte Durchsuchung bei einem Dritten dürfe allerdings nicht angeordnet werden, wenn sie nur darauf gerichtet sei, einen Gegenstand zu finden, dessen Beschlagnahme ausgeschlossen sei (BGH, Beschl. v. 13.8.1973 – StB 34/73; KG NJW 1984, 1133). Hier habe sich die Durchsuchung indes auf die im Durchsuchungsbeschluss genannten Gegenstände erstrecken dürfen, weil diese nicht beschlagnahmefrei waren.

Beschlagnahmefreiheit

Die Beschlagnahmefreiheit ergebe sich, so das LG, nicht aus § 97 Abs. 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, weil der Angeklagte den Zeugen H wirksam von seiner Schweigepflicht entbunden habe (§ 53 Abs. 2 S. 1 StPO, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2024, § 97 Rn 24), sodass ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr zugestanden habe. Anders als die Beschwerde meine, folge zu ihren Gunsten nichts daraus, dass der Angeklagte nach dem Wortlaut seiner Erklärung allein den Zeugen von der Schweigepflicht entbunden habe. Es sei mangels aktenkundigen Vertrags nicht abschließend klar, ob der Steuerberatungsvertrag zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen oder – was naheläge und was die GmbH geltend mache – zwischen dem Angeklagten und ihr abgeschlossen worden sei. Das könne aber dahinstehen. Denn in jedem Fall erstrecke sich das Zeugnisverweigerungsrecht auch auf Personen, die mit dem Berufsgeheimnisträger im Rahmen der gemeinschaftlichen Berufsausübung an dessen beruflicher Tätigkeit mitwirken (§ 53a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Im Gegenzug bedeute das aber auch, dass die Entbindung des Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht auch für diese weiteren Personen wirke (§ 53a Abs. 2 StPO), denn die Entbindung von der Schweigepflicht sei unteilbar, der Hauptberufsträger und seine mitwirkenden Personen können nur gemeinsam entbunden werden (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, a.a.O., § 53a Rn 14; LR-StPO/Bertheau/Ignor, 27. Aufl., § 53a Rn 14), wovon auch hier auszugehen sei. Dieses Ergebnis entspreche auch der Auslegung der Entbindungserklärung des Angeklagten: Die Steuerberaterseite sollte nach dessen Willen reden und nicht schweigen.

Der GmbH als solcher, die als juristische Person nicht Zeuge sein könne, habe demgegenüber ein Zeugnisverweigerungsrecht von vornherein nicht zugestanden, sodass sich die Frage nach einer Beschlagnahmefreiheit unter diesem Blickwinkel nicht stellte. Sie habe auch kein vom Willen des Mandanten losgelöstes, eigenes geschütztes Interesse daran gehabt, Umstände und Kenntnisse aus dem Mandatsverhältnis verborgen zu halten. Die Schweigepflicht des Steuerberaters bestehe nämlich zugunsten des Mandanten (aus berufsrechtlicher Sicht StBerG/Koslowski, 8. Aufl., § 57 Rn 56) und nicht zur Verdeckung etwaiger eigener Fehler oder Versäumnisse bei der Mandatsbearbeitung.

Handakten

Diese Erwägungen gelten nach Auffassung des LG uneingeschränkt für die Handakte des Steuerberaters. Handakten beinhalten nach § 66 StBerG die Vertrauensbeziehung betreffende Unterlagen, die der Berufsträger von seinem Auftraggeber ausgehändigt bekommen hat, Schriftverkehr, den der Berufsträger für seinen Auftraggeber geführt hat, und Notizen des Berufsträgers über Besprechungen mit seinem Mandanten oder Dritten (vgl. Wulf/Peters, Stbg 2022, 16, 25). Dies decke sich weitestgehend mit den in § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO bezeichneten Unterlagen, sodass die Beurteilung der Beschlagnahmefähigkeit von Handakten bei gegebener Schweigepflichtentbindung auch demgemäß erfolgt.

Verhältnismäßigkeit

Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung hatte die Kammer nicht. Es spreche alles dafür, dass der Zeuge H die Auskunft zu Unrecht vollständig verweigert habe (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.2024 – 12 Qs 1/24, StRR 8/2024, 19). Somit, aber auch unabhängig davon, sei der Zugriff auf die Unterlagen geeignet und erforderlich gewesen, um den Sachverhalt aufzuklären.

Abwendebefugnis

Gegen die Verhältnismäßigkeit spreche insbesondere nicht, dass der Beschluss keinen Hinweis auf eine Abwendungsbefugnis enthielt. Grundsätzlich sei nichtverdächtigen Betroffenen zumindest vor der Vollstreckung der Zwangsmaßnahme Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben. Diese Abwendungsbefugnis sei regelmäßig in die Anordnungsentscheidung aufzunehmen, sodass dem herausgabewilligen Dritten der Eingriff der Durchsuchung erspart werden könne (BGH, Beschl. v. 6.9.2023 – StB 40/23). Umgekehrt könne die Gewährung einer Abwendungsbefugnis ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn Tatsachen vorlägen, aus denen zu schließen sei, dass der Betroffene zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit sei und Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen seien (BGH a.a.O.). Davon sei hier auszugehen. Nach Aussage des Zeugen H habe ihm die Geschäftsführerin der GmbH, eine Rechtsanwältin, vorgegeben, er solle bei Gericht nicht aussagen, obwohl die Voraussetzungen für die Auskunftsverweigerung – jedenfalls im beanspruchten Umfang – höchstwahrscheinlich nicht vorlagen (vgl. LG Nürnberg, a.a.O.). Daraus könne auf fehlende freiwillige Kooperation und ggf. auf eine Neigung zur Verdunkelung geschlossen werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Gut überlegen

Die Entscheidung zeigt noch einmal, dass es gefährlich ist, den Berufsgeheimnisträger von seiner bestehenden Schweigepflicht zu entbinden. Denn dann entfällt der sich aus der Schweigepflicht ergebende Schutz und der Träger der Schweigepflicht muss nicht nur aussagen, sondern es kann bei ihm auch durchsucht und ggf. beschlagnahmt werden. Daher muss man sich als Verteidiger die Antwort auf die Frage, ob entbunden werden soll, sorgfältig überlegen. Im Zweifel wird man nicht entbinden (zur Schweigepflichtentbindung Hirsch, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 2312 ff., bzw. in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl. 2025, Rn 1780 ff.; s. im Übrigen auch LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.2024 – 12 Qs 1/24 zur Art und Weise der hier durchgeführten Durchsuchung).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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